© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 026/19 Zu den Begriffen „deutsches Volk“, „Deutsche“ und „deutsche Volkszugehörigkeit“ im Grundgesetz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 026/19 Seite 2 Zu den Begriffen „deutsches Volk“, „Deutsche“ und „deutsche Volkszugehörigkeit“ im Grundgesetz Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 026/19 Abschluss der Arbeit: 6. Februar 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 026/19 Seite 3 1. Der Begriff des „deutschen Volkes“ Die Begriffe „deutsches Volk“ oder „Volk“ werden unter anderem in der Präambel des Grundgesetzes (GG) und in den Art. 1 Abs. 2, Art. 20 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 und Art. 56 GG verwendet. Die Begriffe bezeichnen das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland.1 Zu dessen Zusammensetzung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: „Das Volk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, wird nach dem Grundgesetz von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 [GG] gleichgestellten Personen gebildet.“2 Die Zusammensetzung des Staatsvolks richtet sich dementsprechend nach Art. 116 Abs. 1 GG und dem einfach-gesetzlichen Staatsangehörigkeitsrecht.3 Die Zugehörigkeit zum deutschen Volk vermittelt bestimmte verfassungsmäßig verbürgte Rechte. Dazu gehören die sog. Deutschen- Grundrechte4 und das Wahlrecht zu den repräsentativen Körperschaften auf der Ebene von Bund, Ländern und Kommunen sowie auf der Ebene der Europäischen Union.5 2. Die Begriffe der „Deutschen“ und der „deutschen Volkszugehörigkeit“ nach Art. 116 GG Art. 116 Abs. 1 GG enthält die Legaldefinition dafür, wer nach dem GG Deutscher ist: „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung , wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“ Deutsche sind somit zum einen alle Personen, die nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG)6 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Zum anderen sind auch Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit Deutsche, wenn sie als Flüchtling oder Vertriebener (oder als dessen Ehegatte 1 Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Präambel Rn. 51; Huber, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Präambel Rn. 31. 2 BVerfGE 83, 37 (51). 3 Vgl. Huber, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Präambel Rn. 31. 4 Dazu ausführlich Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Das Tatbestandsmerkmal der „Deutschen “ in den Grundrechten, WD 3 – 3000 – 430/18. 5 Huber, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Präambel Rn. 31. 6 Staatsangehörigkeitsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 102-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 11. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2218) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 026/19 Seite 4 oder Abkömmling) deutscher Volkszugehörigkeit in Deutschland7 Aufnahme gefunden haben. Diese werden als „Statusdeutsche“ bezeichnet.8 Statusdeutsche haben grundsätzlich alle verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten deutscher Staatsangehöriger. Eine Abweichung besteht darin, dass Statusdeutsche mangels deutscher Staatsangehörigkeit nach herrschender Meinung nicht gemäß Art. 16 Abs. 1 GG vor dem Verlust ihres Status geschützt sind.9 Im Hinblick auf das Unionsrecht sind Statusdeutsche den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt.10 Ob sie auch völkerrechtlich als Deutsche gelten, ist teilweise umstritten. Da die Statusdeutschen in zahlreiche völkerrechtliche Verträge ausdrücklich einbezogen wurden und im völkerrechtlichen Verkehr der Bundesrepublik vielfach als deutsche Staatsangehörige behandelt werden, wird die Gleichstellung weit überwiegend bejaht.11 Voraussetzung für die Rechtsstellung als Statusdeutscher ist die „deutsche Volkszugehörigkeit“. Dieses Kriterium stellt die Abgrenzung zwischen der Privilegierung des Art. 116 Abs. 1 GG und der Anwendung des Asyl- und Ausländerrechts dar.12 Die deutsche Volkszugehörigkeit ist nur in Bezug auf die Statusdeutschen von Bedeutung.13 Im Übrigen wird bei der Frage der Zugehörigkeit zum Staatsvolk nicht auf ethnische oder kulturelle Kriterien abgestellt.14 Die nähere Definition des Begriffs der „deutschen Volkszugehörigkeit“ ist dem einfachen Gesetzgeber überlassen.15 Gemäß § 6 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetz (BVFG)16 ist deutscher Volkszugehöriger „wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird“. Diese grundsätzliche Regelung wird in Abs. 2 eingeschränkt: „Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und 7 Zwar bezieht sich der ausdrückliche Wortlaut der Norm auf das Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937, nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag kann eine Aufnahme aber nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik erfolgen, siehe Masing/Kau, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 121 m.w.N. 8 Vgl. Masing/Kau, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 11. 9 Vgl. Kokott, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 16. 10 Masing/Kau, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 11; Giegerich, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 116 Rn. 62. 11 Vgl. Masing/Kau, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 9. 12 Masing/Kau, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 85. 13 Masing/Kau, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 85; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Präambel Rn. 51. 14 Vgl. Giegerich, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 116 Rn. 51. 15 Giegerich, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 116 Rn. 71. 16 Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl. I S. 1902), das zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 026/19 Seite 5 sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. [...]“ Die Rechtsstellung als Statusdeutscher hat im Laufe der Zeit stark an Bedeutung verloren. Dies geht insbesondere auf die Stichtagsregelung in § 40a S. 1 StAG zurück, wonach alle Personen, die am 1. August 1999 die Rechtsstellung eines Statusdeutschen hatten, an diesem Tag die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten haben. Heute ist die Rechtsstellung nur noch in Bezug auf die sog. Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG von Bedeutung. Gemäß § 7 StAG erwerben Spätaussiedler und ihre in den Aufnahmebescheid einbezogenen Familienangehörigen mit der Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 BVFG die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Eigenschaft als Statusdeutscher kann daher nur im Zeitraum zwischen der Aufnahme im Bundesgebiet und der Ausstellung der genannten Bescheinigung bestehen.17 *** 17 Vgl. Masing/Kau, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 21; Giegerich, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 116 Rn. 85.