© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 026/16 Zulässigkeit von Beteiligungsmöglichkeiten für betroffene Dritte an Windparkvorhaben Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 026/16 Seite 2 Zulässigkeit von Beteiligungsmöglichkeiten für betroffene Dritte an Windparkvorhaben Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 026/16 Abschluss der Arbeit: 4. Februar 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 026/16 Seite 3 1. Einleitung Im Hinblick auf den zunehmenden Ausbau von Windenergieanlagen1 plant Mecklenburg-Vorpommern den Erlass eines Gesetzes über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks (BüGembeteilG).2 Um die Akzeptanz für den Ausbau von Windparks in der Bevölkerung zu erhöhen,3 sieht das Gesetz vor, Vorhabenträger (§ 2 Nr. 1 BüGembeteilG) zu verpflichten, kaufberechtigten Bürgern oder Gemeinden (§ 5 BüGembeteilG) mindestens 20 Prozent der Anteile an der Gesellschaft zum Kauf zu offerieren (vgl. für die Einzelzeiten § 4 BüGembeteil G). Die wirtschaftliche Beteiligungsmöglichkeit soll gleichzeitig im Landesplanungsgesetz dahingehend festgeschrieben werden, dass sie bei der Festlegung von Eignungsgebieten für Windenergieanlagen vorzusehen ist und zur Lösung raumordnerischer Konflikte beitragen soll.4 Das Vorhaben wird seit 2014 kontrovers diskutiert,5 wobei insbesondere Vorhabenträger die Gesetzgebungskompetenz des Landes in Zweifel ziehen.6 Die vor dem Hintergrund dieses Gesetzesvorhabens gestellten Fragen (ob der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nach Art. 73 Abs. 3 Nr. 4 GG in Bezug auf raumordnerische Belange abschließend Gebrauch gemacht habe (a); ob den Ländern die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 70 Abs. 1, Art. 72 Abs. 3 Nr. 4 GG zustehe, indem sie durch Beteiligungsgesetze raumordnerische Belange regeln (b) und ob dem Beteiligungsgesetz Art. 72 Ab. 2 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG entgegenstehe und die Energiewende eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung erfordere oder woraus sich eine Gesetzgebungskompetenz der Länder ableiten lasse (c)) betreffen jeweils 1 Vgl. jüngst Wetzel, Mehr Wind als erlaubt, Die Welt vom 18. Januar 2016. 2 Entwurf eines Gesetzes über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks in Mecklenburg-Vorpommern und zur Änderung weiterer Gesetze vom 7. Oktober 2015, LT-Drucks 6/4568. 3 LT-Drucks 6/4568, S. 2. 4 LT-Drucks 6/4568, S. 6. 5 Vgl. Presseberichte: Öffentliche Anhörung im Landtag zum Beteiligungsgesetz, Hamburger Abendblatt vom 20. Januar 2016, http://www.abendblatt.de/region/mecklenburg-vorpommern/article206943575/Oeffentliche-Anhoerung -im-Landtag-zum-Beteiligungsgesetz.html; Beteiligungsgesetz bringt Nachteile für MV, SVZ vom 17. Januar 2016, http://www.svz.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/wirtschaft/beteiligungsgesetz-bringt-nachteile -fuer-mv-id12478361.html; Sander, Beteiligungsgesetz für Anlieger verspätet sich, die Welt vom 29. Dezember 2014, http://www.welt.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/article135813210/Beteiligungsgesetz-fuer- Anlieger-verspaetet-sich.html; Pergande, Firmen müssen Anrainer an Windparks beteiligen, FAZ vom 16. September 2014, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/windenergie-in-mecklenburg-vorpommern -firmen-muessen-anrainer-an-windparks-beteiligen-13154951.html; siehe auch die Berichte zur öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Energie des Landtags Mecklenburg Vorpommern am 20. Januar 2016, https://www.landtag-mv.de/landtag/gremien/ausschuesse/verkehrsausschuss/oeffentliche-anhoerungen.html. 6 Vgl. Bundesverband WindEnergie e.V. (BWE), Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, WindEnergy Network e.V., Gemeinsame Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks in Mecklenburg Vorpommern und zur Änderung weiterer Gesetze, 21. August 2015, S. 13 ff.; Bringewat, Stellungnahme von Greenpeace Energy zum Fragenkatalog im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Entwurf des BüGemBeteilG, S. 2 ff.; Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) – Landesgruppe Norddeutschland, Stellungnahme zum Entwurf des BüGembeteilG vom 13. Januar 2015, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 026/16 Seite 4 die kompetenzrechtliche Zulässigkeit des Entwurfs. Sie werden in der folgenden Ausarbeitung zusammengefasst beantwortet. 2. Gesetzgebungskompetenz für das Bürger- und Gemeindebeteiligungsgesetz Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Für das vorliegende Gesetzesvorhaben kommen nur Bereiche der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz in Betracht,7 in denen die Länder das Recht zur Gesetzgebung haben, soweit der Bund nicht von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). In der öffentlichen Debatte werden als durch das BüGembeteilG berührte Bereiche das Recht der Wirtschaft (Art. 72 Abs. 1, Abs. 2, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11),8 das Bodenrecht (Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG),9 das Recht der Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung (Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG)10 und das Recht der Raumordnung (Art. 72 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 4, Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG)11 genannt. Um zu klären, ob das Bundesland formell verfassungsgemäß im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz das Bü- GembeteilG erlassen könnte, kommt es maßgeblich darauf an, ob der Bund in den genannten Bereichen von seiner Gesetzgebungskompetenz in einer Weise Gebrauch gemacht hat, die das Tätigwerden des Landesgesetzgebers sperrt.12 7 Die in Art. 73 Abs. 1 GG aufgezählten Bereiche der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes kommen ersichtlich nicht in Betracht. 8 Vgl. LT-Drucks 6/4568, S. 24; Görg Rechtsanwälte, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Energieausschusses am 20. Januar 2016, S. 5 f.; Bringewat, Stellungnahme von Greenpeace Energy zum Fragenkatalog im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Entwurf des BüGemBeteilG vom 13. Januar 2016, S. 4 ff.; Kment, Wirtschaftliche Teilhabe von Kommunen und Bürgern aus Mecklenburg-Vorpommern bei der Ausweisung von Flächen für die Windkraftnutzung, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern, Juli/August 2013, S. 19 ff. 9 Vgl. LT-Drucks 6/4568, S. 24; Görg Rechtsanwälte, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Energieausschusses am 20. Januar 2016, S. 5 f.; Bringewat, Stellungnahme von Greenpeace Energy zum Fragenkatalog im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Entwurf des BüGemBeteilG vom 13. Januar 2016, S. 5 f.; Kment, Wirtschaftliche Teilhabe von Kommunen und Bürgern aus Mecklenburg-Vorpommern bei der Ausweisung von Flächen für die Windkraftnutzung, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern, Juli/August 2013, S. 20 f. 10 Vgl. LT-Drucks 6/4568, S. 24; Görg Rechtsanwälte, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Energieausschusses am 20. Januar 2016, S. 5 f.; Kment, Wirtschaftliche Teilhabe von Kommunen und Bürgern aus Mecklenburg -Vorpommern bei der Ausweisung von Flächen für die Windkraftnutzung, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern, Juli/August 2013, S. 21. 11 Vgl. LT-Drucks 6/4568, S. 22 f., 41; Görg Rechtsanwälte, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Energieausschusses am 20. Januar 2016, S. 5 f.; Bringewat, Stellungnahme von Greenpeace Energy zum Fragenkatalog im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Entwurf des BüGemBeteilG vom 13. Januar 2016, S. 2 ff.; BWE und WindEnergy Network, Gemeinsame Antwort zum Fragenkatalog zum Entwurf des BüGemBeteilG vom 13. Januar 2016, S. 2. 12 Vgl. zur Bedeutung der Sperrwirkung insgesamt Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 24 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 026/16 Seite 5 3. Raumordnung Für das Gebiet der Raumordnung dürfte eine die Landeskompetenz sperrende bundesrechtliche Regelung auszuschließen sein. Zunächst ist angesichts des Regelungsinhalts des Gesetzentwurfs fragwürdig, ob die Raumordnung in Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG durch den Entwurf überhaupt betroffen ist. Raumordnung ist die zusammenfassende, übergeordnete Planung und Ordnung des Raumes.13 Sie ist übergeordnet, weil sie verschiedene Fachplanungen zusammenfasst und aufeinander abstimmt.14 Gegenstand der Raumordnung ist eine überörtliche und überfachliche Gesamtplanung. Primär erfasst ist die Kompetenz zur Festlegung von Leitbildern, Verfahrensvorgaben und materiellen Planungsgrundsätzen.15 Der Gesetzentwurf sieht insoweit zwar vor, das Landesplanungsgesetz um die Konfliktlösung bei der Errichtung von Windenergieanlagen zu ergänzen und bei Eignungsgebieten eine wirtschaftliche Beteiligungsmöglichkeit für Bürger und Gemeinden im Sinne des BüGembeteilG vorzusehen .16 Diese Vorgaben dürften jedoch eher als Reflex zu der eigentlich zentralen Regelung zu sehen sein, die nicht das „Ob“ einer Raumplanung in Gestalt der Errichtung von Windparks betrifft , sondern die jeweilige (wirtschaftliche) Art und Weise der Ausgestaltung. Für die Gestaltung des Raums dürfte es keinen Unterschied machen, ob die zu errichtenden Windparks im (teilweisen ) Eigentum von Bürgern und Gemeinden oder im alleinigen Eigentum der Betreiber stehen.17 Selbst soweit man jedoch annehmen sollte, dass die Raumplanung zu den zentral durch den Gesetzentwurf berührten Bereichen gehört,18 kommt eine Sperrung der Landeskompetenz durch den Bundesgesetzgeber in diesem Bereich aufgrund von Art. 72 Abs. 3 Nr. 4 GG nicht in Betracht. Nach dieser Bestimmung können die Länder im Bereich der Raumordnung auch dann abwei- 13 Grundlegend zur Raumordnung BVerfGE 3, 407 (425); vgl. statt Vieler auch Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu /Hoffmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 74 Rn. 366. 14 Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beckscher Online Kommentar zum Grundgesetz, Edition 26, Stand 1. September 2015, Art. 74 Rn. 106. 15 Knauff, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 10a, 171. Aktualisierung 2015, Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 Rn. 9 ff. 16 Vgl. LT-Drucks 6/4568, S. 6. 17 So auch BWE und WindEnergy Network, Gemeinsame Antwort auf den Fragenkatalog zum Entwurf des BüGem- BeteilG vom 13. Januar 2016, Frage 2.2.b), die hieraus allerdings aufgrund einer nicht nachvollziehbaren Argumentation , die Art. 70 GG außer Acht lässt, folgern, dass eine Gesetzgebungskompetenz des Landes nicht vorliegt . 18 Dies wird von den zu dem Gesetzentwurf zitierten Stimmen wohl überwiegend angenommen, vgl. hierzu die Angaben in Fn. 11 auf S. 4. Hingegen wird die Raumordnung als möglicherweise in Betracht kommende Gesetzgebungskompetenz in dem Gutachten von Kment, Wirtschaftliche Teilhabe von Kommunen und Bürgern aus Mecklenburg-Vorpommern bei der Ausweisung von Flächen für die Windkraftnutzung, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern, Juli/August 2013, überhaupt nicht angesprochen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 026/16 Seite 6 chende Regelungen treffen, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat. Abweichend von Art. 31 GG19 gilt dann im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht nach Art. 73 Abs. 3 Satz 3 GG das jeweils spätere Gesetz. Diese mit der Föderalismusreform II 2006 eingefügte Möglichkeit der Abweichungsgesetzgebung ist im Grundgesetz ohne Vorbild.20 In der Literatur wird im Hinblick auf die Abweichungskompetenz der Länder jedoch vertreten, dass auch nach der Föderalismusreform (nach wie vor21) „abweichungsfeste Kerne“ des Bundesgesetzgebers bestehen, in die der Landesgesetzgeber trotz der in Art. 73 Abs. 3 GG festgeschriebenen Abweichungskompetenz nicht eingreifen darf.22 Auch unter Zugrundelegung dieser Auffassung ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Gesetzgebungskompetenz des Landes hieran scheitern würde. Unabhängig von der Frage, ob der Bundesgesetzgeber überhaupt von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat, ist es eher fernliegend anzunehmen, dass es sich bei dem die Raumordnung betreffenden Regelungsgehalt des Gesetzentwurfs um einen abweichungsfesten Kern der Raumordnung handelt. Dies zunächst angesichts der Tatsache, dass das Raumordnungsrecht – wenn überhaupt – lediglich reflexartig betroffen sein dürfte (vgl. im Vorangegangenen ). Zudem bewegen sich die vorgesehenen Änderungen innerhalb der grundsätzlich im Raumordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern geregelten Bereiche. 4. Sperrwirkung im Recht der Wirtschaft, dem Bodenrecht und dem Recht der Luftreinhaltung Für das Recht der Wirtschaft, das Bodenrecht und das Recht der Luftreinhaltung steht den Ländern keine Abweichungsmöglichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 3 GG zu. Insoweit muss geklärt werden, ob der Bund durch ein Gebrauchmachen im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG die Kompetenz der Länder gesperrt hat. 4.1. Ausdrückliches Gebrauchmachen der Bundeskompetenz Dies könnte einerseits durch ausdrückliche bundesrechtliche Regelungen der Fall sein.23 Es sind jedoch keine bundesrechtlichen Regelungen ersichtlich, die die Beteiligungsmöglichkeit von Bürgern und Gemeinden an Windparks zum Gegenstand haben. Das geplante Landesgesetz ist das 19 So jedenfalls Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 40. 20 Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 72 Rn. 40. 21 Also in entsprechender Anwendung der Grundsätze, die zur mit der Föderalismusreform II abgeschafften Rahmengesetzgebungskompetenz (Art. 75 GG a.F.) entwickelt wurden. 22 Vgl. hierzu umfassend Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 73 Rn. 43. 23 „Erschöpfende Regelung“ des Bundesgesetzgebers, vgl. Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 27. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 026/16 Seite 7 erste und einzige seiner Art.24 Vor diesem Hintergrund kommt eine Sperrung der Landeskompetenz durch eine ausdrückliche Regelung des Bundesgesetzgebers nicht in Betracht. 4.2. Absichtsvoller Regelungsverzicht des Bundesgesetzgebers Ein Gebrauchmachen im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG liegt jedoch nicht nur dann vor, wenn der Bundesgesetzgeber eine ausdrückliche Regelung getroffen hat, sondern ist auch negativ möglich, insbesondere durch „absichtsvollen Regelungsverzicht“25 oder durch „beredtes Schweigen“.26 Das Bundesverfassungsgericht führt zu der Frage, ob und inwieweit der Bund von einer Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat, aus: „Die Antwort ergibt sich in erster Linie aus dem Bundesgesetz selbst, in zweiter Linie aus dem hinter dem Gesetz stehenden Regelungszweck, ferner aus der Gesetzgebungsgeschichte und den Gesetzesmaterialien. Das gilt auch bei einem absichtsvollen Regelungsverzicht, der in dem Gesetzestext selbst keinen unmittelbaren Ausdruck finden kann. Ob der Gebrauch, den der Bund von einer Kompetenz gemacht hat, abschließend ist, muss aufgrund einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes festgestellt werden. In jedem Fall setzt die Sperrwirkung für die Länder voraus, dass der Gebrauch der Kompetenz durch den Bund hinreichend erkennbar ist.“27 In einer weiteren Entscheidung wird zudem ausgeführt, dass „(d)er Erlass eines Bundesgesetzes über einen bestimmten Gegenstand für sich allein noch nicht die Annahme (rechtfertigt), dass damit die Länder von einer Gesetzgebung ausgeschlossen sind; es können noch Bereiche übrig bleiben, deren Regelung für die Gesetzgebung der Länder offen ist. Maßgeblich ist, ob ein bestimmter Sachbereich umfassend und lückenlos geregelt ist oder jedenfalls nach dem aus Gesetzgebungsgeschichte und Materialien ablesbaren objektivierten Willen des Gesetzgebers abschließend geregelt werden sollte.“28 Angesichts dieser Maßstäbe ist nicht anzunehmen, dass die sich aus Art. 70 Abs. 1, Art. 72 Abs. 1 GG ergebende Gesetzgebungskompetenz der Länder durch den Bund gesperrt ist.29 24 Vgl. Görg Rechtsanwälte, Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Energieausschusses am 20. Januar 2016, S. 4: „juristisches Neuland“. 25 BVerfGE 98, 265 (300). 26 BVerwGE 109, 272 (283). 27 BVerfGE 98, 265 (300 f.) mit Hinweis auf BVerfGE 67, 299 (324). 28 BVerfGE 109, 190 (229) mit Hinweis auf BVerfGE 102, 99 (114 f.). 29 So aber Bringewat, Stellungnahme von Greenpeace Energy zum Fragenkatalog im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Entwurf des BüGemBeteilG, S. 5 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 026/16 Seite 8 Im Bereich des Bodenrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) regelt § 1 Abs. 3 Satz 3 BauGB zwar, dass Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen haben, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Diesem Grundsatz dürfte das BüGembeteilG jedoch nicht entgegenstehen. Der Umstand, dass die Gemeinden nach der Neuregelung durch Ausweisung von Baugebieten selbst die Voraussetzungen für ihre finanzielle Beteiligung schaffen könnten,30 führt nicht dazu, dass die Erforderlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 3 BauGB beeinträchtigt wäre. Bei der Neuregelung würde es sich lediglich um einen wirtschaftlichen Aspekt handeln; wirtschaftliche Aspekte darf die Gemeinde bei ihren Planungsentscheidungen unstreitig mit einbeziehen , wenn diese neben städtebaulichen Interessen bestehen.31 Im Bereich des (Energie)wirtschaftsrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) regelt auf Bundesebene das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) in §§ 6 ff. zwar Eigentumsverhältnisse, dies jedoch nur in Bezug auf Netzbetreiber.32 §§ 261 ff. Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) legen Voraussetzungen fest, unter denen eine Gemeinschaft von Eigentümern Windenergieanlagen betreiben können. Die Regelungen des Gesetzentwurfs greifen jedoch zeitlich früher und begründen erst eine Gemeinschaft von Eigentümern, sodass kein Widerspruch entsteht.33 Auch lässt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien des EEG 2014 nicht der Schluss ziehen, dass der Bundesgesetzgeber die Beteiligung von Bürgern und Gemeinden absichtlich nicht geregelt hat. Zwar spricht die Gesetzesbegründung vielfach die Akzeptanz der Förderung erneuerbarer Energien bzw. der Energiewende insgesamt durch die Bürger an.34 Insofern ist jedoch nur der Aspekt der „Bezahlbarkeit“ der Energiewende insgesamt gemeint. Die Akzeptanz einzelner Windenergieanlagen vor Ort wird nicht angesprochen. Auch aus der Gesetzbegründung des EEG 200035 lässt sich nicht schließen, dass der Bundesgesetzgeber bewusst die Beteiligung von Bürgern und Gemeinden nicht regeln wollte.36 Zwar werden die positiven Effekte der Nutzung erneuerbarer Energieträger auf die regionale Entwicklung 30 Kment, Wirtschaftliche Teilhabe von Kommunen und Bürgern aus Mecklenburg-Vorpommern bei der Ausweisung von Flächen für die Windkraftnutzung, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern, Juli/August 2013, S. 22. 31 Vgl. zu den wirtschaftlichen Aspekten im Zusammenhang mit Entscheidungen über die Zulassung von Gewerbegebieten aufgrund von Einnahmemöglichkeiten der Gewerbesteuer Söfker, in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg /Krautzberger (Hrsg.), Baugesetzbuch Kommentar, 116. Lieferung Februar 2015, § 1 Rn. 38. 32 Kment, Wirtschaftliche Teilhabe von Kommunen und Bürgern aus Mecklenburg-Vorpommern bei der Ausweisung von Flächen für die Windkraftnutzung, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern, Juli/August 2013, S. 24. 33 Kment, Wirtschaftliche Teilhabe von Kommunen und Bürgern aus Mecklenburg-Vorpommern bei der Ausweisung von Flächen für die Windkraftnutzung, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern, Juli/August 2013, S. 24 f. 34 BT-Drucks 18/1304 S. 88, 93, 104, 118. 35 BT-Drucks 14/2776, S. 18. 36 So jedoch Bringewat, Stellungnahme von Greenpeace Energy zum Fragenkatalog im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Entwurf des BüGemBeteilG, S. 5 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 026/16 Seite 9 und damit einhergehend auf den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft und die Angleichung der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland gesehen . Die Tatsache, dass Beteiligungen von Bürgern und Gemeinden nicht erwähnt sind, ist jedoch darauf zurückzuführen, dass im Jahr 2000 der Ausbau der erneuerbaren Energien noch ganz am Anfang stand. Widerstand der Bevölkerung vor Ort dürfte daher sehr selten gewesen sein und eine gesetzliche Regelung zur Förderung der Akzeptanz vor Ort war noch nicht aktuell. In jedem Fall dürfte die vom Bundesverfassungsgericht geforderte hinreichende Erkennbarkeit37 des durch einen Verzicht ausgeübten Regelungswillens des Bundesgesetzgebers zu vereinen sein. Im Bereich des Rechts der Luftreinhaltung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) dürfte ebenfalls keine bundesgesetzliche Sperrwirkung bestehen. Der Zweck des insoweit in Betracht kommenden Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) ist es, vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen, § 1 Abs. 1 BImSchG. Geänderte Eigentumsverhältnisse an Windenergieanlagen haben auf diesen Zweck keinen Einfluss .38 Vor diesem Hintergrund ist nicht anzunehmen, dass derzeit bundesgesetzliche Regelungen bestehen , die ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers aufgrund von Art. 72 Abs. 1 GG als verfassungswidrig erscheinen lassen würden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Wertung des Art. 70 GG, der den Ländern die grundsätzliche Gesetzgebungskompetenz zuschreibt: Im Hinblick hierauf sollte nicht im Zweifel von einer erschöpfenden Bundesregelung ausgegangen werden .39 5. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer bundeseinheitlichen Regelung Bei der Frage, ob der Bundesgesetzgeber in Zukunft aufgrund seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen tätig werden könnte, mit der Folge, dass die Gesetzgebungskompetenz der Länder gesperrt wäre, müsste beachtet werden, dass der Bund auf dem Gebiet der zentral einschlägigen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der (Energie)Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) das Gesetzgebungsrecht nur hat, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrnehmung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht (Art. 72 Abs. 2 GG). 37 Vgl. BVerfGE 98, 265 (300 f.). 38 Kment, Wirtschaftliche Teilhabe von Kommunen und Bürgern aus Mecklenburg-Vorpommern bei der Ausweisung von Flächen für die Windkraftnutzung, Juli/August 2013, S. 25. 39 Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 28. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 026/16 Seite 10 Hierbei wäre zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht an das Vorliegen der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung hohe Anforderung stellt und dem Bund hierfür die Darlegungslast auferlegt.40 Zur Herstellung einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist der Bundesgesetzgeber mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts nur dann zum Eingreifen befugt, „wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.“41 Ob sich eine derartige, das Eingreifen des Bundes rechtfertigende „Uneinheitlichkeit“ der Lebensverhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich zu anderen Bundesländern bereits daraus ergibt, dass sich in Mecklenburg-Vorpommern die Grundstücke, auf denen die Windenergieanlagen errichtet werden sollen, oftmals nicht im Eigentum der Bürger und Gemeinden befinden und die Bürger nur über geringe Spareinlagen verfügen , um am Kapitalmarkt frei erhältliche Beteiligungen an Windparks zu erwerben,42 ist fragwürdig . Art. 72 Abs. 2 GG enthält keine allgemeine Gemeinwohlklausel.43 Auch die in Art. 72 Abs. 2 GG formulierte zweite und dritte Zielvorgabe (die Wahrung der Rechtseinheit oder der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse) ist nicht schon dann erfüllt, wenn in den Ländern unterschiedliches Recht gilt oder unterschiedliche rechtliche Bedingungen für wirtschaftliche Betätigungen bestehen.44 Die Frage, ob eine das Tätigwerden des Bundesgesetzgebers erlaubende Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG besteht dürfte sich zudem – wenn überhaupt – erst nach Inkrafttreten des geplanten BüGembeteil G stellen. In jedem Fall müsste der Bundesgesetzgeber vor Erlass einer entsprechenden Regelung das Tatsachenmaterial sorgfältig ermitteln und dürfte erst dann von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Gebrauch machen, wenn es fundierte Einschätzungen der gegenwärtigen Situation und der künftigen Entwicklungen zulassen.45 Ende der Bearbeitung 40 Vgl. zur 1994 geänderten Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG im Bereich des Energiewirtschaftsrechts ausführlich Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Gesetzgebungskompetenz für das Energieleitungsausbaugesetz , Ausarbeitung vom 11. Januar 2010, WD 3 – Verfassung und Verwaltung – 451/09, S. 9 ff. 41 BVerfGE 106, 62 (142). 42 Vgl. zu dieser Angabe LT-Drucks 6/4568, S. 2. 43 So ausdrücklich Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 15. 44 Vgl. Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 16 f. 45 BVerfGE 106, 62 (144).