© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 025/21 Umsetzung des Art. 5 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 025/21 Seite 2 Umsetzung des Art. 5 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 025/21 Abschluss der Arbeit: 5. Februar 2021 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 025/21 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wurde, wie der Bundestag, die Kommunen und die Gerichte in Deutschland die Verpflichtung zur Anhörung der betroffenen Gemeinden bei einer Änderung der Grenzen kommunaler Gebietskörperschaften gemäß Art. 5 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung ausgelegt haben. Weiterhin wurde nach den Rechtsnormen für die Umsetzung der Anhörung in den Gemeindegremien gefragt. 2. Ratifikation der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung verpflichtet die Vertragsstaaten zur Anwendung von Grundregeln, die die politische, verwaltungsmäßige und finanzielle Selbständigkeit der Gemeinden gewährleisten. Der Deutsche Bundestag hat am 10. Dezember 1986 den Gesetzentwurf zu der Europäischen Charta vom 15. Oktober 1985 der kommunalen Selbstverwaltung angenommen.1 Die Charta ist am 1. September 1988 in Kraft getreten.2 Art. 5 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung regelt den Schutz der Grenzen kommunaler Körperschaften: „Bei Änderungen der Grenzen kommunaler Gebietskörperschaften sind die betroffenen Gebietskörperschaften vorher anzuhören, gegebenenfalls im Weg einer Volksabstimmung, sofern es gesetzlich zulässig ist.“3 3. Auslegung des Art. 5 der Charta in der Bundesrepublik Deutschland Die Charta umschreibt zentrale Aspekte der kommunalen Selbstverwaltung, die in den meisten der genannten Elemente stark jenem entspricht, das auch in Deutschland akzeptiert ist, so dass weitere Umsetzungsmaßnahmen für nicht erforderlich gehalten werden.4 In der deutschen Rechtsprechung finden sich Bezugnahmen auf die Charta nur in Form von Hinweisen, dass die in ihr geregelten Garantien nicht weiter reichen als die Vorgaben der jeweiligen Landesverfassung.5 Das Bundesverfassungsgericht hat zu dem Anhörungsrecht der Gemeinden bei Gebietsänderungen festgestellt, dass zur „Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gehört, dass Gemeinden in Wahrung ihrer von der Verfassung geforderten Rechtsstellung Gelegenheit erhalten, zu einem 1 Gesetz zu der Europäischen Charta vom 15. Oktober 1985 der kommunalen Selbstverwaltung in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Januar 1987 (BGBl. II S. 65). 2 Details zur Europäische Charta der Kommunalen Selbstverwaltung (abrufbar unter: https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/122). 3 Zur amtlichen Übersetzung siehe https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions /rms/090000168007a0f6 (letzter Abruf 3.2.201). 4 Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 67. EL November 2012, Art. 28 Abs. 2 Rn. 6. 5 BrandenbgVerfG LKV 2000, 199, 202; NVwZ-RR 2000, 129, 135; Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 67. EL November 2012, Art. 28 Abs. 2 Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 025/21 Seite 4 sie betreffenden Neugliederungsvorhaben des Staates Stellung zu nehmen: sie dürfen bei der Neugliederung nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns werden.“ Der Gesetzgeber muss bei einer kommunalen Neugliederung eines Gebietes verschiedene, oft gegenläufige Interessen und das öffentliche Wohl beachten. Diese Abwägung kann sachgerecht nicht ohne Beteiligung der Betroffenen erfolgen.6 Gründe des öffentlichen Wohls sind alle Interessen der Allgemeinheit an der Grenzänderung, die den unveränderten Bestand der Grenze überwiegen.7 4. Regelungen zum Anhörungsrecht nach Art. 5 der Charta im nationalen Recht In der Bundesrepublik Deutschland ist die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden in Art. 28 Abs. 2 GG8 geregelt. Die Rechtsgrundlagen für das Beteiligungsverfahren und das Anhörungsrecht der Bevölkerung bei einer Gebietsänderung von Gemeinden und Gemeindeverbänden sind in den Länderverfassungen und Gemeindeordnungen der Länder geregelt. *** 6 BVerfGE 50, 195, 202. 7 Geis, Kommunalrecht, 5. Auflage 2020, § 9 Rn. 5. 8 Grundgesetz (in englischer Sprache abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_gg/englisch _gg.html).