© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 025/15 Zuständigkeiten des Bundes und des Havariekommandos für das Rettungswesen auf Windenergieanlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone Xxxxx Xxxxxxx Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 2 Zuständigkeiten des Bundes und des Havariekommandos für das Rettungswesen auf Windenergieanlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone Verfasser/in: Xxxxxxxxx Xx Xxxxx Xxxxxx Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 025/15 Abschluss der Arbeit: 2. April 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: xxxxxxxxxxxxxxx Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird nach den Zuständigkeiten des Bundes sowie des Havariekommandos für das Rettungswesen auf Offshore-Windenergieanlagen in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ).1 Im Hinblick auf das Havariekommando soll dabei der Frage nachgegangen werden, wie weit dessen Zuständigkeit nach Maßgabe der zugrundeliegenden Bund-Länder-Vereinbarung reicht und ob es auch außerhalb der dort definierten „komplexen Schadenslage“ tätig werden darf. Ferner wird angesichts der Vorhaltung betrieblicher Rettungsdienste durch die Betreiber von Offshore-Windenergieanlagen um Klärung der Frage gebeten, inwieweit der Bund zur Unterhaltung eines staatlichen Rettungsdienstes in der AWZ verpflichtet ist. 2. Föderale Zuständigkeit für den Rettungsdienst im Allgemeinen Ungeachtet der Frage des Ausmaßes einer staatlichen Verpflichtung zur Vorhaltung eines Rettungsdienstes und der Frage der Ausgestaltung eines Rettungsdienstes ist zunächst die Frage der verfassungsrechtlichen Kompetenz zu klären: Welcher staatlichen Ebene weist das Grundgesetz die Aufgabe des Rettungsdienstes zu? Der Rettungsdienst dient der Rettung von Leben und Gesundheit von Menschen.2 Er ist kompetenzrechtlich dem Bereich der allgemeinen Gefahrenabwehr zuzuordnen und fällt insoweit in die ausschließliche Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz der Länder nach Art. 30 und 70 Abs. 1 GG.3 Teilweise wird der Rettungsdienst neben der Gefahrenabwehr kompetentiell zusätzlich im Gesundheitsrecht verortet, das – abgesehen von den sachlich begrenzten und hier nicht einschlägigen Bundeskompetenzen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 und 19a GG4 – ebenfalls der ausschließlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz der Länder unterfällt.5 Entsprechend wird der Rettungsdienst in den Rettungsdienstgesetzen einiger Länder als Aufgabe der Gesundheitsvorsorge und der Gefahrenabwehr bezeichnet.6 1 Zum Begriff und Rechtsstatus sogleich unter Punkt 3. 2 Vgl. Kloepfer, Handbuch des Katastrophenschutzrechts, 1. Aufl. 2015, § 13 Rn. 4. 3 Vgl. Kloepfer, Handbuch des Katastrophenschutzrechts, 1. Aufl. 2015, § 13 Rn. 5 ff.; 17 m.w.N.; Ruthig, Notfallrettung zwischen öffentlicher Aufgabe und öffentlichem Auftrag, DVBl. 2010, 12 (12); BayVGH, DVBl. 1978, 965 (966). 4 Zu den insoweit eingeschränkten Bundeskompetenzen BVerfGE 88, 203 (330). 5 BayVGH, DVBl. 1978, 965 (966): „Als sicherheits- und gesundheitsrechtliche Materie fällt er [der Rettungsdienst ] in die Gesetzgebungskompetenz der Länder […].“ 6 So etwa § 6 Abs. 1 S. 2 Rettungsgesetz Nordrhein-Westfalen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 4 Dem Bund steht danach keine Gesetzgebungskompetenz für den Rettungsdienst zu. Er besitzt infolgedessen – da nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes die äußerste Grenze für dessen Verwaltungskompetenzen markieren 7 – auch keine Verwaltungskompetenz für den Rettungsdienst. 3. Föderale Kompetenzverteilung in der AWZ 3.1. AWZ als Nichtstaatsgebiet Der völkerrechtliche Rechtsstatus der AWZ ergibt sich aus den Art. 55 ff. des UN-Seerechtsübereinkommens von 1982 (SRÜ). Dieses – auch als „Verfassung der Meere“ bezeichnete – Übereinkommen unterteilt die oberirdischen Gewässer in innere Gewässer, Küstenmeer, Anschlusszone , AWZ und Hohe See. Kompetenzrechtlich von grundlegender Bedeutung ist die Grenzziehung zwischen Küstenmeer und AWZ, also die seewärtige Küstenmeergrenze: Die landwärts dieser Grenze gelegenen Gewässer (innere Gewässer und Küstenmeer) sind als sogenanntes maritimes Aquitorium Bestandteil des Staatsgebietes, staatsrechtlich also Inland.8 Die Meereszonen seewärts der Küstenmeergrenze zählen demgegenüber zum Nichtstaatsgebiet bzw. fremden Staatsgebiet. Die seewärtige Küstenmeergrenze ist insoweit zugleich die seewärtige Staatsgrenze und damit nicht nur völkerrechtlich, sondern auch verfassungsrechtlich bedeutsam: Die Seegebiete bis zur seewärtigen Küstenmeergrenze gehören zum in Satz 2 der Präambel indirekt festgeschriebenen räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes.9 Da das Grundgesetz keine bundesunmittelbaren Gebiete kennt, erstrecken sich damit auch die Hoheitsgebiete der Länder bis zur seewärtigen Küstenmeergrenze.10 Die seewärts dieser Grenze beginnende AWZ ist Nichtstaatsgebiet und keiner Gebietshoheit unterworfen.11 Es handelt sich vielmehr um einen „küstenstaatlichen Funktionshoheitsraum“, in dem bestimmte funktional begrenzte Hoheitsrechte des angrenzenden Küstenstaats fortbestehen.12 In erster Linie geht es dabei um die Nutzung von natürlichen Ressourcen, um Energiegewinnung und um Umweltschutzmaßnahmen (Art. 56 SRÜ). Die Hoheitsrechte sind nicht räumlicher, sondern funktional-begrenzter Natur.13 7 BVerfGE 12, 205 (229); 15, 1 (16); 78, 374 (386); 102, 167 (174); ebenso BVerwGE 110, 9 (14). 8 Vgl. eingehend Proelß, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 5. Abschnitt, Rn. 38 ff. 9 Vgl. Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, 2012, S. 40 m.w.N. 10 Vgl. Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, 1991, Rn. 180. 11 Vgl. eingehend Proelß, Ausschließliche Wirtschaftszone, in: Graf Vitzthum, Handbuch des Seerechts, 2006, S. 222 ff., Rn. 216. 12 Vgl. Proelß, Ausschließliche Wirtschaftszone, in: Graf Vitzthum, Handbuch des Seerechts, 2006, S. 222 ff., Rn. 217. 13 Vgl. Proelß, Ausschließliche Wirtschaftszone, in: Graf Vitzthum, Handbuch des Seerechts, 2006, S. 222 ff., Rn. 216; Markus/Maurer, Windenenergie und Gewerbesteuer, NVwZ-Extra 10/2012, 1 (2). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 5 3.2. Geltung der Kompetenzordnung des Grundgesetzes in der AWZ Verfassungsrechtlich stellt sich die Frage, ob Bund oder Länder für die Wahrnehmung dieser seevölkerrechtlich eingeräumten Hoheitsrechte zuständig sind. Die Tatsache, dass die AWZ nicht zum deutschen Staatsgebiet gehört, hat teilweise Anlass zu der Auffassung gegeben, die Kompetenzordnung des Grundgesetzes finde für die AWZ keine Anwendung, da dessen Geltung auf das Staatsgebiet beschränkt sei.14 Dem liegt eine Verwechslung von räumlichem und sachlichem Geltungsbereich des Grundgesetzes zugrunde: Die deutsche Staatsgewalt wird durch Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG schlechterdings an die Verfassung gebunden. Diese Bindung endet nicht an der Staatsgrenze, sondern entfaltet Wirkung überall dort, wo deutsche Staatsgewalt ausgeübt wird.15 Die Kompetenzordnung des Grundgesetzes beansprucht daher Geltung auch für die Ausübung deutscher Staatsgewalt in der AWZ.16 3.3. Kompetenz für den Rettungsdienst in der AWZ Die Frage der innerstaatlichen Zuständigkeit für den Rettungsdienst in der AWZ ist daher anhand der Art. 30, 70 ff. und 83 ff. GG zu beantworten. Für den Rettungsdienst ist die grundsätzliche Kompetenzabgrenzung bereits unter Punkt 2 vorgenommen worden: Die Materie ist dem Bereich der allgemeinen Gefahrenabwehr zuzuordnen und unterfällt damit der ausschließlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz der Länder nach Art. 30 und 70 Abs. 1 GG (s.o.). Zu untersuchen bleibt daher lediglich, ob die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes für den Rettungsdienst für Windenenergieanlagen in der AWZ etwas anderes vorsehen. In den Kompetenzkatalogen des Grundgesetzes finden sich – obwohl rechtspolitisch immer wieder diskutiert – keine Sonderregelungen für die AWZ, insbesondere kein Kompetenztitel „Recht der AWZ“ als eigene Sachmaterie. 14 So Maier, Zur Steuerung von Offshore-Windenergieanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), UPR 2004, 103 (107); ähnlich Czybulka, Das Rechtsregime der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) im Spannungsfeld von Nutzungs- und Schutzinteressen, NuR 2001, 367 (371), nach dem mangels Staatsgebietsqualität der AWZ die „föderale Verteilungsregelung“ des Art. 30 GG jedenfalls nicht ohne weiteres gelten könne. 15 Vgl. Ehlers, Meeresfreiheit und aquitoriale Ordnung – Zur Entwicklung des Seerechts, VerwArch 2013, 406 (417); Markus/Maurer, Windenenergie und Gewerbesteuer, NVwZ-Extra 10/2012, 1 (4); Fest, Die Errichtung von Windenergieanlagen in Deutschland und seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone, 2010, S. 379; speziell zur Grundrechtsbindung der deutschen öffentlichen Gewalt auch bei Auswirkungen ihrer Betätigung im Ausland vgl. BVerfGE 6, 290 (295); 57, 9 (23); 100, 313 (362 f.). 16 Vgl. Ehlers, Meeresfreiheit und aquitoriale Ordnung – Zur Entwicklung des Seerechts, VerwArch 2013, 406 (417); Markus/Maurer, Windenenergie und Gewerbesteuer, NVwZ-Extra 10/2012, 1 (4); Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, 2012, S. 66 f.; Fest, Die Errichtung von Windenergieanlagen in Deutschland und seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone, 2010, S. 379; Proelß, Ausschließliche Wirtschaftszone, in: Graf Vitzthum, Handbuch des Seerechts, 2006, S. 222 ff., Rn. 270; Risch, Windenergieanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone , 2006, S. 63 ff.; Erbguth/Mahlburg, Steuerung von Offshore-Windenergieanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, DÖV 2003, 665 (667). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 6 Wesentliche seesicherheitsrechtliche Bundeskompetenzen finden sich im sog. nautischen Katalog des Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG. Danach obliegt dem Bund die Gesetzgebung über „die Hochseeund Küstenschiffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschiffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen“. Daraus folgt unter anderem die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für das Schifffahrtsrecht als Wasserverkehrsrecht. Hierzu zählen nach dem Bundesverfassungsgericht „Regelungen über die technische Beschaffenheit, die Ausrüstung und die Bemannung der Schiffe, die Festsetzung des Entgeltes, die Sorge für die Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs, das Signalwesen usw.“17 Umfasst sind auch Regelungen der Schifffahrtspolizei als sonderpolizeilicher Gefahrenabwehr. Deren Reichweite ist jedoch begrenzt: Es handelt sich um die Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und sonstiger verkehrsimmanenter Gefahren.18 Entscheidend ist, dass ein Verkehrsbezug besteht. Dieser fehlt im Fall der Rettung von Personen von ortsfesten Windenergieanlagen. Die ebenfalls in Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG enthaltene Bundeskompetenz für das Wasserstraßenrecht ist ebenfalls begrenzt: Die Kompetenz vermittelt keine umfassende Zuständigkeit für die Wasserstraßen, sondern betrifft lediglich die Wasserstraßen in ihrer Eigenschaft als Verkehrswege und erlaubt daher nur Regelungen, die auf die Verkehrsfunktion der Wasserstraßen abzielen.19 Die enthaltene gefahrenabwehrrechtliche Annexkompetenz für die Regelung der Strompolizei ist dementsprechend auf die Abwehr von Gefahren für die Verkehrstauglichkeit der Wasserstraße beschränkt und kann für den Rettungsdienst für Offshore-Windenergieanlagen ebenfalls nicht fruchtbar gemacht werden. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Recht des Arbeitsschutzes. Dieser Kompetenztitel umfasst die öffentlich-rechtlichen Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer vor Gefahren, die sich aus der Arbeit ergeben.20 Das auf dieser Grundlage erlassene Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) des Bundes findet nach der Erstreckungsklausel des § 1 Abs. 1 S. 2 ArbSchG ausdrücklich auch in der AWZ Anwendung. § 10 ArbSchG verpflichtet den Arbeitgeber unter anderem, die Maßnahmen zu treffen, die zur Ersten Hilfe und Evakuierung der Beschäftigten erforderlich sind. Er hat danach auch dafür zu sorgen, dass im Notfall die erforderlichen Verbindungen zu außerbetrieblichen Stellen, unter anderem in den Bereichen der Ersten Hilfe, der medizinischen Notversorgung und der Bergung eingerichtet sind. All dies sind jedoch Verpflichtungen des Arbeitgebers. Regelungen über einen außerbetrieblichen Rettungsdienst können auf den Kompetenztitel für das Recht des Arbeitsschutzes nicht gestützt werden.21 17 BVerfGE 15, 1 (12). 18 Vgl. Pestalozza, in: von Mangoldt/Klein/Pestalozza, GG, Band 8, 3. Aufl. 1996, Art. 74 Rn. 1499. 19 BVerfGE 15, 1 (17). 20 Vgl. Seiler, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 23. Edition 2014, Art. 74 Rn. 49. 21 Vgl. Plöger, Rettungswesen und Brandbekämpfung auf Offshore-Windkraft-Anlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, NordÖR 2012, 320 (323). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 7 Zu erwägen ist schließlich eine ungeschriebene Gesetzgebungs- und ggf. Verwaltungskompetenz des Bundes aus der Natur der Sache für den Rettungsdienst in der AWZ. Eine Kompetenz aus der Natur der Sache nimmt das Bundesverfassungsgericht an, „wenn gewisse Sachgebiete, weil sie ihrer Natur nach eine eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit a priori entrückte Angelegenheit des Bundes darstellen, vom Bund und nur von ihm geregelt werden können.“22 Mit anderen Worten: Ein Gegenstand muss begriffsnotwendig nur vom Bundesgesetzgeber geregelt werden können. Erforderlich sind zwingende Gründe; Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht.23 Dass die Länder in der AWZ a priori keine Aufgaben wahrnehmen könnten, ist nicht ersichtlich. Der Einwand, dass es sich nicht um Landesgebiet handelt, führt nicht weiter, da es sich eben auch nicht um Bundesgebiet handelt (s.o.). Auch eine kompetentielle Zuordnung der AWZ zu den einzelnen Ländern ist möglich: Die AWZ grenzt unmittelbar an das Küstenmeer und damit auch an die Grenzen der Küstenländer an, deren Landesgebiet sich auf das Küstenmeer erstreckt. Ebenso wie innerhalb des Küstenmeers die Grenzziehung zwischen den Küstenländern möglich ist, können auch in der ausschließlichen Wirtschaftszone die Kompetenzbereiche der Küstenländer definiert werden. Dazu wird im Schrifttum eine analoge Anwendung des Äquidistanzprinzips nach § 137 Bundesberggesetz (BBergG) vorgeschlagen.24 Denkbar wäre auch eine staatsvertragliche Abgrenzung der Zuständigkeiten unter den Küstenländern, wie sie auch für das Küstenmeer praktiziert wird.25 Im Übrigen erkennt auch der Bundesgesetzgeber eine Verwaltungskompetenz der Länder im Bereich seewärts ihrer Landesgrenzen – und damit die Möglichkeit der Aufgabenwahrnehmung durch die Länder – ausdrücklich an: So stellt § 136 BBergG klar, dass die Landesbehörden zuständig sind für den Gesetzesvollzug des Bundesberggesetzes im Bereich des jenseits der Küstenmeergrenze gelegenen Festlandsockels (Art. 76 SRÜ). Auch für den Vollzug des Arbeitsschutzge- 22 BVerfGE 26, 246 (257). 23 Vgl. Degenhart, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 70 Rn. 31 ff. 24 Vgl. Erbguth/Mahlburg, Steuerung von Offshore-Windenergieanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, DÖV 2003, 665 (671); Risch, Windenergieanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, 2006, S. 81; vgl. zur analogen Anwendung des Äquidistanzprinzips innerhalb des Küstenmeers auch Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, 1991, Rn. 206 f. 25 Vgl. etwa das Abkommen der fünf Küstenbundesländer über die wasserschutzpolizeilichen Zuständigkeiten im Küstenmeer, Hmb. GVBl. 1998, S. 233. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 8 setzes in der AWZ sind die Küstenländer jeweils für den an ihr Küstenmeer angrenzenden Bereich der AWZ zuständig.26 Eine Bundeskompetenz aus der Natur der Sache für die AWZ ist nach alledem nicht anzunehmen.27 Diese Rechtsauffassung hat mittlerweile auch die Bundesregierung in Antworten auf Kleine Anfragen geäußert: Es greife „nach Auffassung der Bundesregierung für die Gefahrenabwehr in der AWZ und damit für das Rettungswesen und die Brandbekämpfung auf Offshore-Windenergie- Anlagen in der AWZ, soweit sie der staatlichen Daseinsvorsorge unterliegen, die Auffangzuständigkeit der Länder nach Artikel 30, 83 GG, da sich die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes im Rahmen des SRÜ in der AWZ fortsetzt.“28 Es bestehe „weder eine Gesetzgebungs- noch eine Verwaltungskompetenz des Bundes hinsichtlich des Rettungswesens auf Offshore-Windenergieanlagen in der AWZ“.29 Nach Auskunft der Bundesregierung sind die Küstenländer der gegenteiligen Rechtsauffassung, dass die Einrichtung eines öffentlichen Rettungsdienstes in der AWZ in die Zuständigkeit des Bundes falle.30 3.4. Zwischenfazit Für den Rettungsdienst für Windenergieanlagen in der AWZ besitzen die Länder die ausschließliche Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz.31 Der Bund ist insoweit verfassungsrechtlich unzuständig. 26 Vgl. BT-Drs. 16/7415, S. 32. 27 Vgl. Ehlers, Meeresfreiheit und aquitoriale Ordnung – Zur Entwicklung des Seerechts, VerwArch 2013, 406 (417); Markus/Maurer, Windenenergie und Gewerbesteuer, NVwZ-Extra 10/2012, 1 (4); Plöger, Rettungswesen und Brandbekämpfung auf Offshore-Windkraft-Anlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, NordÖR 2012, 320 (324); Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, 2012, S. 72; Fest, Die Errichtung von Windenergieanlagen in Deutschland und seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone, 2010, S. 381 f. 28 BT-Drs. 17/14305, S. 4; schwer zu vereinbaren mit dieser Rechtsauffassung ist allerdings die in derselben Antwort getroffene Feststellung, dass der Bundespolizei in der AWZ die „Wahrnehmung allgemeinpolizeilicher Aufgaben“ obliege (vgl. BT-Drs. 17/14305, S. 3). 29 BT-Drs. 18/1729, S. 6. 30 BT-Drs. 18/3353, S. 3. 31 Ebenso Ehlers, Meeresfreiheit und aquitoriale Ordnung – Zur Entwicklung des Seerechts, VerwArch 2013, 406 (419); Plöger, Rettungswesen und Brandbekämpfung auf Offshore-Windkraft-Anlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, NordÖR 2012, 320 (324 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 9 4. Havariekommando als gemeinsame Einrichtung von Bund und Küstenländern Angesichts zergliederter und sich zum Teil überlappender Zuständigkeiten von Bund und Ländern für die Aufgaben der Gefahrenabwehr auf See32 ist zur Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte und zur Steigerung der Effektivität der maritimen Gefahrenabwehr im Jahr 2003 das sog. Havariekommando als gemeinsame Einrichtung von Bund und Küstenländern mit Sitz in Cuxhaven gegründet worden (Bund-Länder-Vereinbarung über die Errichtung eines Havariekommandos , im Folgenden: HKV).33 Entsprechend den Expertenempfehlungen nach vorangegangenen größeren Schiffshavarien soll die Einrichtung bei besonderen maritimen Schadenslagen eine einheitliche, monokratische Einsatzführung aller Einsatzkräfte auf See gewährleisten, die bestehende Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern jedoch unangetastet lassen.34 In ihrem räumlichen Anwendungsbereich ist die Vereinbarung nicht auf das maritime Aquitorium (s.o. unter 3.1) begrenzt, sondern erstreckt sich nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 HKV auch auf die deutsche AWZ. Zentraler Anknüpfungspunkt für die besonderen sachlichen Zuständigkeiten des Havariekommandos ist nach der HKV der Begriff der „komplexen Schadenslage“. Diese liegt nach der Definition des § 1 Abs. 4 HKV vor, „wenn eine Vielzahl von Menschenleben, Sachgüter von bedeutendem Wert, die Umwelt oder die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs gefährdet sind oder eine Störung bereits eingetreten ist und zur Beseitigung dieser Gefahrenlage die Mittel und Kräfte des täglichen Dienstes nicht ausreichen oder eine einheitliche Führung mehrerer Aufgabenträger erforderlich ist.“ Danach müssen zwei tatbestandliche Elemente kumulativ vorliegen: Zum einen muss eine der genannten qualifizierten Gefahren bzw. Störungen vorliegen. Zum anderen muss das Tätigkwerden des Havariekommandos erforderlich sein, weil entweder die Mittel und Kräfte der originär zuständigen Behörden nicht ausreichen oder weil eine einheitliche Führung mehrerer zuständiger Behörden erforderlich erscheint. Die Zuständigkeit des Havariekommandos ist also subsidiär. Der Eintritt einer „komplexen Schadenslage“ löst den Einsatzfall des Havariekommandos aus: Nach § 9 Abs. 1 S. 2 BLV-HK hat der Leiter des Havariekommandos in diesem Fall unter Einberufung des Havariestabes die Einsatzleitung zu übernehmen. Der Leiter des Havariekommandos ist 32 Vertiefend zur verflochtenen föderalen Kompetenzverteilung für die Gefahrenabwehr auf See vgl. Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, 2012, S. 45 ff. 33 Bund-Länder-Vereinbarung über die Errichtung eines Havariekommandos, BAnz. 2003, S. 1170 f. 34 Vgl. Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, 2012, S. 112 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 10 nach § 5 Abs. 2 HKV ein Beschäftigter des Bundes. Ihm kommt nach der HKV dann ein Weisungs - und Durchgriffsrecht gegenüber allen auf See verfügbaren Einsatzkräften von Bund und Ländern zu (§ 9 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 3 HKV).35 Bei den vorliegend fraglichen Aufgaben des Rettungsdienstes geht es regelmäßig um die Notfallrettung einzelner Personen, die auf Offshore-Windenergieanlagen einen Arbeitsunfall erlitten haben oder akut erkrankt sind. Die Gefahrenlage wird insoweit regelmäßig unterhalb der Schwelle der komplexen Schadenslage im Sinne des § 1 Abs. 4 HKV liegen, da in diesen Situationen eine konkrete Gefahr für eine Vielzahl von Menschenleben, Sachgüter von bedeutendem Wert, die Umwelt oder die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs in der Regel nicht bestehen dürfte.36 Selbstverständlich ist es vorstellbar, dass extreme Gefahrenlagen auf Windenenergieanlagen eintreten, die auch die in § 1 Abs. 4 HKV genannten Rechtsgüter betreffen. Dann wäre, wenn auch die Erforderlichkeit als zweites Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs. 4 HKV vorliegt, die Zuständigkeit des Havariekommandos nach der Vereinbarung gegeben. Von derartigen Extremsituationen abgesehen, fällt die Wahrnehmung rettungsdienstlicher Aufgaben für Windenergieanlagen in der AWZ jedoch nicht unter § 1 Abs. 4 HKV. Nach einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage hat das Havariekommando „als Interimslösung“ für einen öffentlichen Rettungsdienst sog. Offshore-Notfall-Reaktions-Teams (ONRT) aufgebaut, die ab einer gewissen Komplexität der Rettungsaufgabe tätig werden sollen.37 Voraussetzung für deren Einsatz soll eine „komplexe Rettungssituation“ sein; offenbar eine semantische Anlehnung an den Begriff der komplexen Schadenslage nach § 1 Abs. 4 HKV. Eine „komplexe Rettungssituation“ liege gemäß einer „Arbeitsdefinition“ vor, wenn „1. eine technisch anspruchsvolle und zeitkritische spezielle Rettung aus Höhen und Tiefen und 2. eine individualmedizinische, ärztliche Notfallversorgung und/oder 3. die einheitliche Führung mehrerer Aufgabenträger (Feuerwehren, Transport- mittel, etc.) zur zielgerichteten und unmittelbaren Gefahrenabwehr notwendig wird.“38 Einige Seiten später enthält dieselbe Antwort eine hiervon abweichende „Arbeitsdefinition“ einer „komplexen Rettungssituation“: Diese liege vor, „wenn eine technisch anspruchsvolle und zeitkritisch spezielle Rettung mit individualmedizinischer Notfallversorgung eines oder mehrerer Betroffener notwendig ist oder die Beseitigung dieser Gefahrenlage eine einheitliche Führung 35 Vgl. König, Schiffssicherheit auf der Ostsee: Nationales Recht, DÖV 2002, 639 (645); Scholz, Die Bund-/Länderzusammenarbeit im Bereich der maritimen Sicherheit, in: Zimmermann/Tams, Seesicherheit vor neuen Herausforderungen , 2008, S. 133 ff. (S. 135); Tams, Seesicherheit im föderalen System, in: Zimmermann/Tams, Seesicherheit vor neuen Herausforderungen, 2008, S. 103 ff. (S. 126); zu den damit verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen vgl. Wahlen, Maritime Sicherheit im Bundesstaat, 2012, S. 168 ff. 36 So auch Zumpe, Notfallrettung in Offshore-Windparks, unveröffentlichtes Rechtsgutachten, 2014, S. 6. 37 BT-Drs. 17/14305, S. 6. 38 BT-Drs. 17/14305, S. 6 f.. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 11 mehrerer Aufgabenträger erfordert und/oder die pflichtige unternehmerische Vorhaltung zur zielgerichteten Gefahrenabwehr nicht greift.“39 Die bei einer „komplexen Rettungssituation“ eingesetzten ONRT-Kräfte sind nach Auskunft der Bundesregierung Feuerwehrleute und Notärzte der Länder,40 die „im Auftrag des Havariekommandos tätig“ werden.41 Dieses leitet auch den Einsatz eines ONRT.42 Gestützt wird diese Erweiterung des Aufgabenspektrums des Havariekommandos auf die genannte „Arbeitsdefinition“ als „Interimslösung“.43 Eine Rechtsgrundlage für eine Erstreckung des Aufgabenspektrums des Havariekommandos auf „komplexe Rettungssituationen“ ist jedoch nicht ersichtlich. Bestehende Zusatzvereinbarungen zur HKV, die den sachlichen Zuständigkeitsbereich des Havariekommandos erweitern (etwa auf „komplexe Schadstoffunfälle“, vgl. die Vereinbarung zwischen Bund und Küstenländern über die Bekämpfung von Meeresverschmutzungen44) beziehen sich nicht auf den Rettungsdienst für Windenergieanlagen in der AWZ. Dem Havariekommando kommt nach alledem weder nach der HKV noch nach anderen Bund- Länder-Vereinbarungen eine Zuständigkeit für den Rettungsdienst für Windenergieanlagen in der AWZ zu. Eine Zuständigkeit besteht allerdings in dem unwahrscheinlichen Fall, dass ein Unfall auf einer Windenergieanlage die Ausmaße einer „komplexen Schadenslage“ nach § 1 Abs. 4 HKV erreicht. In der Literatur wird vorgeschlagen, die HKV um den Begriff der „komplexen Rettungslage “ für Rettungssituationen auf Windenergieanlagen in der AWZ unterhalb der Schwelle der „komplexen Schadenslage“ nach § 1 Abs. 4 HKV zu ergänzen.45 Dies ist bislang jedoch nicht geschehen . 39 BT-Drs. 17/14305, S. 11. 40 BT-Drs. 18/3353, S. 3. 41 BT-Drs. 18/1729, S. 7. 42 BT-Drs. 18/1729, S. 9. 43 So insbesondere BT-Drs. 18/3379, S. 2, Antwort auf Frage 3. 44 BAnz. 2003, S. 1171 f. 45 Vgl. Plöger, Rettungswesen und Brandbekämpfung auf Offshore-Windkraft-Anlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, NordÖR 2012, 320 (327). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 12 5. Verpflichtung zur Vorhaltung eines staatlichen bzw. öffentlichen Rettungsdienstes für Offshore-Windenergieanlagen Zu klären bleibt die Frage einer staatlichen Pflicht zur Vorhaltung eines wie auch immer gearteten staatlichen bzw. öffentlichen Rettungsdienstes46 für Offshore-Windenergieanlagen. Adressaten einer solchen den Staat treffenden Pflicht wären, da der Bund, wie dargelegt, im föderalen Verhältnis nicht zuständig ist, die Länder. Ob der Staat zur Vorhaltung eines Rettungsdienstes für Offshore-Windenergieanlagen in der AWZ verfassungsrechtlich verpflichtet ist, ist keine kompetenzrechtliche , sondern eine materiellrechtliche Frage. 5.1. Staatliche Schutzpflicht Eine derartige Verpflichtung könnte sich aus der aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG abgeleiteten Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben und die körperliche Unversehrtheit ergeben.47 Dieses Gebot gilt im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für alle staatlichen Organe.48 Die staatliche Schutzpflicht – das ist angesichts der obigen Ausführungen zu betonen – vermittelt keine Kompetenz .49 Die Grundrechte binden „bei der Wahrnehmung bestehender Kompetenzen, begründen jedoch nicht selbst Kompetenzen.“50 In der Sache ist die grundrechtliche Schutzpflicht in erster Linie auf den Schutz der Grundrechtsträger vor Übergriffen durch private Dritte gerichtet.51 Sie wird aber auch auf den Schutz vor anderen Staaten oder vor Naturgewalten erstreckt.52 Das Bundesverfassungsgericht hat die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ferner für Fälle der Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen anerkannt.53 Auch im Zusammenhang mit der Einrichtung eines öffentlichen 46 Zur diesbezüglichen begrifflichen Differenzierung zwischen staatlichen und öffentlichen Aufgaben vgl. Kloepfer , Handbuch des Katastrophenschutzrechts, 1. Aufl. 2015, § 14 Rn. 27 ff.; Schulte, Rettungsdienst durch Private , 1999, S. 62 ff. 47 Zur Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichtendogmatik vgl. Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 22. 48 BVerfGE 46, 160 (164). 49 Vgl. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Isensee/Kirchhof, HbStR V, 1. Aufl. 2000, § 111 Rn. 148. 50 BVerfGE 81, 310 (334). 51 BVerfGE 39, 1 (42). 52 Vgl. Michael/Morlok, Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 18 Rn. 511. 53 BVerfGE 115, 25 (45). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 13 Rettungsdienstes hat das Bundesverfassungsgericht mit der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit argumentiert.54 Sie dürfte sich dem Grunde nach daher auch auf die Rettung von Personen auf Windenergieanlagen in der AWZ erstrecken. 5.2. Geltung der Schutzpflichten in der AWZ Zwar ist im Schrifttum umstritten, ob sich die grundrechtlichen Schutzpflichten auf außerhalb des Staatsgebietes befindliche Rechtsgüter bzw. deren Rechtsträger erstrecken. In ihrer abwehrrechtlichen Dimension begrenzen die Grundrechte die deutsche öffentliche Gewalt wie dargestellt ohne Zweifel auch dann, wenn sie außerhalb der deutschen Grenzen handelt (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG). Im Hinblick auf die Schutzpflichten, die der öffentlichen Gewalt Handlungspflichten auferlegen, wird demgegenüber zum Teil vertreten, dass diese nur für solche Grundrechtsträger gelten können, die bzw. deren Rechtsgüter auch räumlich deutscher Hoheitsgewalt unterworfen sind.55 Eine Verpflichtung des deutschen Staates zum Schutz sämtlicher deutscher Grundrechte auch im Ausland, gewissermaßen also eine „planetarische Grundrechtsverantwortung“56 wird als Überforderung der deutschen Grundrechtsordnung,57 wenn nicht gar als dem Grundgesetz fremder – da völkerrechtsunfreundlicher – „Grundrechts-Imperialismus“58 kritisiert. Im vorliegenden Kontext dürfte diese Rechtsfrage hingegen keine Rolle spielen. Denn in der AWZ übt der deutsche Staat – wenn auch funktional begrenzt – Hoheitsgewalt aus. Dort errichtete Windenergieanlagen unterliegen der Seeanlagenverordnung (SeeAnlV). Errichtung und Betrieb bedürfen nach § 6 Abs. 1 SeeAnlV der Genehmigung durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). Hinsichtlich der genehmigten Windenenergieanlagen und der mit Errichtung und Betrieb verbundenen Gefahren besteht insoweit ein Zurechnungszusammenhang zum deutschen Staat. Es gibt gewissermaßen einen „genuine link“ zur deutschen Grundrechtsordnung , der die genannten Bedenken gegen eine uferlose Erstreckung der Schutzpflichten jedenfalls in diesem Fall ausräumen dürfte. Dem Grunde nach besteht nach alledem eine Schutzpflicht des deutschen Staates im Hinblick auf Leben und Gesundheit von auf Offshore-Windenergieanlagen in der deutschen AWZ tätigen Personen. 54 BVerfGE 126, 112 (140). 55 Vgl. Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, 2007, S. 111 f. 56 Vgl. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, in: Isensee /Kirchhof, HbStR V, 1. Aufl. 2000, § 115 Rn. 79; Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, 2007, S. 112. 57 Vgl. Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, 2007, S. 112. 58 Vgl. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, in: Isensee /Kirchhof, HbStR V, 1. Aufl. 2000, § 115 Rn. 79. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 14 5.3. Einschätzungsspielraum und Untermaßverbot Dem Staat kommt bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten allerdings ein weiter und gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Einschätzungsspielraum zu.59 Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt: „Dem Gesetzgeber wie der vollziehenden Gewalt kommt bei der Erfüllung dieser Schutzpflichten ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu, der auch Raum läßt, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen. […] Der mit einer solchen Schutzpflicht verbundene grundrechtliche Anspruch ist im Blick auf diese Gestaltungsfreiheit nur darauf gerichtet, daß die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutze des Grundrechts trifft, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Nur unter ganz besonderen Umständen kann sich diese Gestaltungsfreiheit in der Weise verengen, daß allein durch eine bestimmte Maßnahme der Schutzpflicht Genüge getan werden kann.“60 Die Verfassung fordert dabei nur, ein gewisses Minimum an Schutzvorkehrungen nicht zu unterschreiten . In Anlehnung an das – staatliche Eingriffe begrenzende – Übermaßverbot wird das Gestaltungsermessen des Staates bei der Wahrnehmung der Schutzpflichten durch das sog. Untermaßverbot begrenzt.61 Hierzu müssen die Schutzvorkehrungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angemessen sein: „Art und Umfang des Schutzes im einzelnen zu bestimmen, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Die Verfassung gibt den Schutz als Ziel vor, nicht aber seine Ausgestaltung im einzelnen. Allerdings hat der Gesetzgeber das Untermaßverbot zu beachten […]; insofern unterliegt er der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Notwendig ist ein - unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter - angemessener Schutz; entscheidend ist, daß er als solcher wirksam ist. Die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, müssen für einen angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen.“62 Der Staat muss zur Erfüllung seiner Schutzpflichten danach nicht das Bestmögliche leisten. Im Hinblick auf die Leistungspflichten der gesetzlichen Krankenkassen als Adressaten der Schutzpflichten hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise festgestellt, dass für die Frage des gebotenen Umfangs staatlicher Schutzmaßnahmen auch finanzwirtschaftliche Erwägungen angestellt werden dürfen: 59 Vgl. Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 23 f. 60 BVerfGE 77, 170 (214 f.). 61 Ausführlich Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Isensee/Kirchhof, HbStR V, 1. Aufl. 2000, § 111 Rn. 165 f. 62 BVerfGE 88, 203 (254). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 15 „Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist […].“63 Gewendet auf rettungsdienstliche Aufgaben bedeutet dies, dass der Staat auch nicht verfassungsrechtlich verpflichtet ist, sämtliche technisch möglichen Rettungsmittel für alle denkbaren Situationen vorzuhalten. 5.4. Angemessenheit der staatlichen Schutzmaßnahmen in der AWZ Im Hinblick auf den Schutz von Leib und Leben von auf Windenergieanlagen in der AWZ tätigen Personen hat der Staat bereits Maßnahmen in Erfüllung seiner Schutzpflicht vorgenommen. Wie oben erwähnt, hat der Bundesgesetzgeber die Anlagenbetreiber im Arbeitsschutzrecht durch § 10 ArbSchG, der nach § 1 Abs. 1 S. 2 ArbSchG ausdrücklich auch in der AWZ gilt, unter anderem verpflichtet, die Maßnahmen zu treffen, die zur Ersten Hilfe und Evakuierung der Beschäftigten erforderlich sind. Die Anlagenbetreiber haben danach auch dafür zu sorgen, dass im Notfall die erforderlichen Verbindungen zu außerbetrieblichen Stellen, unter anderem in den Bereichen der Ersten Hilfe, der medizinischen Notversorgung und der Bergung eingerichtet sind. Ferner werden die durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) erteilten Genehmigungen für Offshore-Windparks nach Auskunft der Bundesregierung standardmäßig mit der Nebenbestimmung versehen, dass der Genehmigungsinhaber sechs Monate vor Beginn der Errichtung ein Schutz- und Sicherheitskonzept mit einem projektspezifischen Notfall- und Rettungsplan bei der Genehmigungsbehörde einzureichen hat und dieses Schutz- und Sicherheitskonzept einschließlich einer Notfallvorsorgekonzeption fortzuschreiben ist.64 Ob der Staat damit seiner Schutzpflicht ausreichend nachkommt, ist letztlich eine Wertungsfrage . Die umfassendste Maßnahme zur Erfüllung seiner Schutzpflicht wäre vorliegend das Verbot bzw. die Nichtzulassung von Offshore-Windenergieanlagen in der AWZ. Damit würden die dort drohenden Gefahren für Leib und Leben gänzlich ausgeschlossen. Eine solche Maßnahme wird durch die grundrechtliche Schutzpflicht sicher nicht gefordert und wäre auch mit den in diesem Fall gegenläufigen Freiheitsrechten kaum in Einklang zu bringen. Dass die Verfassung den Staat in Erfüllung seiner Schutzpflichten in der AWZ zur Aufstellung eines ständigen Bereitschaftsdienstes in Gestalt seetauglicher Hubschrauber und besonders ausgebildeten technischen und medizinischen Personals verpflichtet, dass der Staat also gegen das verfassungsrechtliche Untermaßverbot verstößt, wenn er dies nicht tut, ist ebenfalls nicht ersichtlich. 63 BVerfGE 115, 25 (46). 64 BT-Drs. 18/3353, S. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 16 Hierfür sprechen insbesondere folgende Gesichtspunkte: Die grundrechtliche Schutzpflicht verpflichtet den Staat nur dann zu Schutzmaßnahmen, wenn ein besonderes Schutzbedürfnis besteht ,65 wenn nämlich dem Bürger eigene Schutzvorkehrungen nicht möglich oder nicht zumutbar sind.66 Dieses Bedürfnis staatlichen Schutzes erscheint im vorliegenden Kontext vergleichsweise gering, da die Anlagenbetreiber in der Lage sein müssen, selbst für hinreichende Schutzvorkehrungen für ihre Beschäftigten zu sorgen.67 Erforderlichenfalls könnten die Anlagenbetreiber (durch gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen) auch zu weitergehenden Schutzmaßnahmen als den derzeit vorgeschriebenen verpflichtet werden.68 Allerdings habe nach Auskunft der Bundesregierung die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt, dass es ganz überwiegend möglich war, auf Unfälle und Erkrankungsfälle im Bereich von Offshore-Windenergieanlagen angemessen mit den unternehmerischen Rettungssystemen zu reagieren.69 Ein besonderes Bedürfnis staatlichen Schutzes ist insoweit nicht zu erkennen. Innerhalb seines Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsermessens bei der Erfüllung von Schutzpflichten darf der Staat vorliegend ferner zwei weitere Aspekte berücksichtigen: Zum einen haben sich die auf Offshore-Windenergieanlagen Beschäftigten eigenverantwortlich für eine Tätigkeit entschieden, die ein im Vergleich mit anderen Tätigkeiten höheres Risiko mit sich bringt. Zum anderen handelt es sich bei dem in Frage kommenden Personenkreis nicht um die Allgemeinheit, sondern ausschließlich um Beschäftigte der Anlagenbetreiber. Diese Frage, ob nämlich durch Anlagen unbeteiligte Dritte gefährdet werden, war auch in der Mülheim-Kärlich- Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein wichtiges Kriterium für das Ausmaß der gebotenen staatlichen Schutzmaßnahmen gegen die Gefahren der friedlichen Nutzung der Atomenergie: „Wird aber ein Kernkraftwerk trotz des in ihm verkörperten außerordentlichen Gefährdungspotentials im Allgemeininteresse an der Energieversorgung genehmigt, so bedeutet dies, daß die körperliche Integrität Dritter Gefährdungen ausgesetzt werden kann, die diese nicht beeinflussen und denen sie kaum ausweichen können. Damit übernimmt der Staat seinerseits eine eigene Mitverantwortung für diese Gefährdungen.“70 Eine derartige Garantenstellung dürfte dem Staat infolge der Genehmigung der Offshore-Windenergieanlagen nicht zuwachsen. Anders als im streitgegenständlichen Fall betreffen die vorlie- 65 Vgl. Michael/Morlok, Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 18 Rn. 514. 66 Vgl. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Isensee/Kirchhof, HbStR V, 1. Aufl. 2000, § 111 Rn. 142. 67 A.A. Ehlers, Meeresfreiheit und aquitoriale Ordnung – Zur Entwicklung des Seerechts, VerwArch 2013, 406 (419), demzufolge ein ausreichender Rettungsdienst in der AWZ „als Aufgabe der Daseinsvorsorge“ nicht allein auf die Anlagenbetreiber abgeschoben werden könne. 68 Zum Vorrang der privaten Gefahrenvorsorge und -abwehr vgl. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Isensee/Kirchhof, HbStR V, 1. Aufl. 2000, § 111 Rn. 142. 69 BT-Drs. 18/3353, S. 7. 70 BVerfGE 53, 30 (58). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 025/15 Seite 17 gend in Rede stehenden Gefahren (Arbeitsunfälle und Erkrankungen auf Offshore-Windenergieanlagen ) gerade nicht die Allgemeinheit und können die gefährdeten Personen der Gefahr auch eher – notfalls durch Wechsel des Arbeitsplatzes – ausweichen. 5.5. Zwischenfazit Insgesamt dürfte aus der staatlichen Schutzpflicht, die dem Grunde nach auch für Windenergieanlagen in der AWZ gilt, keine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Vorhaltung eines staatlichen bzw. öffentlichen Rettungsdienstes erwachsen. Es ist nicht ersichtlich, dass ohne einen solchen Rettungsdienst gegen das verfassungsrechtliche Untermaßverbot verstoßen würde. Der Staat kommt seiner Schutzpflicht durch die Verpflichtung der Anlagenbetreiber zu den genannten Schutzmaßnahmen vielmehr hinreichend nach. Ob ein staatlicher bzw. öffentlicher Rettungsdienst für Windenergieanlagen in der AWZ eingerichtet werden soll, ist damit letztlich eine politische Frage. 6. Fazit Die föderale Kompetenzordnung setzt sich in der deutschen AWZ im Rahmen der seevölkerrechtlich eingeräumten Hoheitsbefugnisse fort. Daher besitzen die Länder – wie für den Rettungsdienst an Land – auch für den Rettungsdienst für Offshore-Windenergieanlagen in der AWZ die ausschließliche Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz. Der Bund ist insoweit verfassungsrechtlich unzuständig. Auch das Havariekommando ist nach den gegenwärtigen Bund-Länder- Vereinbarungen – von katastrophenartigen Unfällen abgesehen – nicht zuständig für rettungsdienstliche Aufgaben in der AWZ. Eine Rechtsgrundlage für die interimsweise erfolgte Erweiterung des Aufgabenspektrums des Havariekommandos auf sog. komplexe Rettungssituationen ist nicht ersichtlich. Es bleibt insoweit bei der Zuständigkeit der Länder. Eine Verfassungspflicht zur Vorhaltung eines staatlichen bzw. öffentlichen Rettungsdienstes für Windenergieanlagen in der AWZ ist jedoch nicht anzunehmen. XXx Xxxxx XxxxxxX