© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 024/20 Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Maßnahmengesetzen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 024/20 Seite 2 Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Maßnahmengesetzen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 024/20 Abschluss der Arbeit: 17. Februar 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 024/20 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird, wie das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz und die auf dessen Grundlage erlassenen Maßnahmengesetze, die die Genehmigung bestimmter Bauvorhaben bewirken, verfassungsrechtlich zu beurteilen sind. Das Gesetz zur Vorbereitung der Schaffung von Baurecht durch Maßnahmengesetz im Verkehrsbereich (Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz - MgvG) wurde am 31. Januar 2020 im Deutschen Bundestag verabschiedet. Am 14. Februar 2020 wurde das Gesetz abschließend im Bundesrat behandelt. Die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt folgt. Einzelne Maßnahmengesetze können folgen. 2. Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz Eine verfassungsrechtliche Überprüfung des MgvG wurde bereits im Entwurfsstadium im Dezember 2019 durch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vorgenommen. Zwischen Gesetzentwurf und beschlossenem Gesetz kam es zu keinen das damalige Ergebnis in Zweifel ziehenden Änderungen.1 Die Ausarbeitung kam zu dem Ergebnis, dass das Grundgesetz für die Legalplanung durch Maßnahmengesetz bestimmte verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen aufstellt. Eine Genehmigung von Infrastrukturmaßnahmen durch Gesetz ist grundsätzlich zulässig. Auch das MgvG, das eine Legalplanung vorbereitet und ein bestimmtes Verfahren dafür vorsieht, ist nach der hier vertretenen Ansicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen , dass das MgvG nicht zwingend vorsieht, dass für die aufgezählten Infrastrukturprojekte tatsächlich ein Maßnahmengesetz erlassen wird, sondern nach § 7 Abs. 2 und 3 MgvG auch für diese weiter eine Genehmigung durch Verwaltungsakt möglich ist. Dies wiederum würde eine andere gerichtliche Überprüfbarkeit und damit auch potentielle Unterschiede in der verfassungsrechtlichen Bewertung bewirken. Beachtlich ist insofern auch, dass der Bundesgesetzgeber früher bereits Maßnahmengesetze zur Genehmigung von Infrastrukturvorhaben erlassen hat, ohne dass zuvor ein entsprechendes Gesetz zur Vorbereitung dieser Maßnahmengesetze erlassen wurde. Zu alledem näher: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz – Rechtsfragen insbesondere zum Rechtsschutz, WD 3 - 3000 - 260/19 vom 4. Dezember 2019. Anlage 1 Zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung kann es erst durch das einzelne Maßnahmengesetz kommen, weshalb dieses tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde durch Betroffene sein könnte. Der Verwaltungsrechtsweg wie bei der Genehmigung von Infrastrukturvorhaben durch einen Verwaltungsakt soll durch die Genehmigung durch Gesetz ausgeschlossen werden.2 Da dies den 1 Vgl. zu den wenigen Änderungen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur, BT-Drs. 19/16907. In der Fassung der Beschlussempfehlung wurde das Gesetz durch den Bundestag beschlossen (3. Beratung: BT-PlPr 19/144, S. 18016B - 18016D). 2 Entwurf eines Gesetzes zur Vorbereitung der Schaffung von Baurecht durch Maßnahmengesetz im Verkehrsbereich (Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz - MgvG), BT-Drs. 19/15619, S. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 024/20 Seite 4 effektiven Rechtsschutz beschneidet, könnte nach einer Literaturmeinung auch das MgvG bereits verfassungswidrig sein.3 An zahlreichen Stellen wurde darüber hinaus bereits diskutiert, ob das MgvG selbst mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Dazu ausführlich mit einer Darstellung der unterschiedlichen Positionen insbesondere zu Ausnahmen von der Anwendbarkeit der Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP): Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zum Entwurf eines Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes und seiner Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, PE 6 - 3000 - 106/19 vom 10. Januar 2020. Anlage 2 Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht äußerte auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf.4 Ebensolche Bedenken brachte auch eine Sachverständige in der Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur im Deutschen Bundestag am 15. Januar 2020 vor.5 Sie stützt diese auf eine Mitteilung der Europäischen Kommission zu Art. 2 Abs. 5 UVP- Richtlinie.6 Zudem wird Skepsis gegenüber der Vereinbarkeit mit den auf den Rechtsschutz gerichteten Vorgaben der Aarhus-Konvention formuliert. Der Umweltverband BUND hat daher auch bereits angekündigt beim UN-Komitee für die Aarhus-Konvention Beschwerde gegen das MgvG einzulegen und weitere Schritte zu prüfen.7 Diese Zweifel für unbegründet hält jeweils Ziekow, der das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bereits im Vorfeld des Gesetzentwurfs gutachterlich zur Vorhabenplanung durch Gesetz beraten hat.8 3 Groß, JZ 2020, 76, 80 f. 4 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Vorbereitung der Schaffung von Baurecht durch Maßnahmengesetz im Verkehrsbereich (Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz – MgvG) – Drucksache 19/15619 – Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 19/16405, S. 1 und 2. Siehe darüber hinaus auch Groß, JZ 2020, 76, 81 f. und Kühn (MdB Bündnis 90/Die Grünen), Plenarprotokoll Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 144. Sitzung, 31. Januar 2020, S. 18008(B). 5 Siehe Anlagen zum redigierten Wortprotokoll der 63. Sitzung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur, Protokoll-Nr. 19/63, Stellungnahme BUND, S. 3 (52). 6 Bekanntmachung der Kommission, Leitfaden zur Anwendung der Ausnahmen im Rahmen der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung (Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in ihrer durch die Richtlinie 2014/52/EU geänderten Fassung) – Artikel 1 Absatz 3, Artikel 2 Absätze 4 und 5 (2019/C 386/05), https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2019:386:FULL&from=EN (zuletzt aufgerufen am 13.2.2020), S. 12 ff. 7 https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/kommentar-scheuers-naechstes-eigentormassnahmengesetz -rechtswidrig-bund-kuendigt-beschwerde-an/ (zuletzt aufgerufen am 12.2.2020). 8 Vgl. Ziekow, Vorhabenplanung durch Gesetz, 2020, S. 62 ff. sowie ders. als Sachverständiger, Anlagen zum redigierten Wortprotokoll der 63. Sitzung des Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, Protokoll-Nr. 19/63, Stellungnahme Ziekow, S. 7 (7). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 024/20 Seite 5 3. Einzelnes Maßnahmengesetz Die verfassungsrechtliche Beurteilung eines speziellen Maßnahmengesetzes für ein bestimmtes Infrastrukturvorhaben kann erst vorgenommen werden, wenn für dieses ein Entwurf vorliegt. Zudem könnten auch dann seitens des Fachbereichs WD 3 Verfassung und Verwaltung nicht die einzelnen spezifischen örtlichen Gegebenheiten ermittelt werden, die für eine rechtliche Bewertung und verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich wären. Folgende rechtliche Überlegungen können jedoch Anhaltspunkte für die verfassungsrechtliche Prüfung von einzelnen Maßnahmengesetzen liefern. Die bereits genannten unionsrechtlichen Zweifel aufgrund der Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen vergleichbar auch bei den einzelnen Maßnahmengesetzen. In der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, WD 3 - 3000 - 260/19 (Anlage 1) ist ausführlich dargestellt, dass das Bundesverfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung klargestellt hat, dass die Entscheidung über die Fachplanung dann vom Parlament durch Gesetz vorgenommen werden kann, und damit eine Abweichung von der üblichen horizontalen Gewaltenteilung zulässig ist, „wenn hierfür im Einzelfall gute Gründe bestehen“.9 Dem Gesetzgeber steht hier ein Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum zu.10 Welche guten Gründe dies sind, müsste im Rahmen der Begründung des jeweiligen Maßnahmengesetzes dargestellt werden. Diese sind auch in den Grenzen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Entscheidungen mit Beurteilungs- und Einschätzungsspielräumen durch die Rechtsprechung überprüfbar.11 In der Begründung des Gesetzentwurfs für die einzelnen in § 2 MgvG aufgenommenen Infrastrukturmaßnahmen sind erste Begründungsansätze aufgeführt.12 Diese wurden durch mehrere Sachverständige in der Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur im Deutschen Bundestag als unzureichend kritisiert, um den besonderen Ausnahmecharakter der Legalplanung zu begründen.13 Vielmehr seien die Begründungen bislang „textbausteinmäßig“ und würden die konkret erwarteten Verbesserungen durch die Legalplanung nicht ausdrücklich darstellen. Darüber hinaus ist bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung eines einzelnen Maßnahmengesetzes besonderes Augenmerk darauf zu legen, ob dieses eine Legalenteignung, also eine Enteignung unmittelbar durch ein Gesetz i.S.d. Art. 14 Abs. 3 S. 2 1. HS GG beinhaltet. Eine solche ist im Rahmen von Infrastrukturprojekten denkbar, erfordert aber aufgrund des Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG eine besondere Rechtfertigung und Entschädigungsregelung. 9 BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996 – 2 BvF 2/93, BVerfGE 95, 1, 17; Hervorhebung nur hier. 10 BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996 – 2 BvF 2/93, BVerfGE 95, 1, 17. 11 Zu der Tauglichkeit bestimmter Gründe für die Legalplanung siehe auch Ziekow, Vorhabenplanung durch Gesetz, 2020, S. 29 ff. 12 Entwurf eines Gesetzes zur Vorbereitung der Schaffung von Baurecht durch Maßnahmengesetz im Verkehrsbereich (Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz - MgvG), BT-Drs. 19/15619, S. 14 ff. 13 Siehe Anlagen zum redigierten Wortprotokoll der 63. Sitzung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur , Protokoll-Nr. 19/63; Stellungnahme Dieter Posch, S. 2 (11); Stellungnahme Unabhängiges Institut für Umweltfragen, S. 3 (28); Stellungnahme BUND, S. 5 (54). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 024/20 Seite 6 Auch diese erfordert somit triftige Gründe, die eine Gefährdung des Vorhabens bei einer Administrativenteignung bedeuten würden.14 Auch weitere potentielle Grundrechtseingriffe, wie etwa in den Schutz der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durch Immissionen der Nutzung der neuen Verkehrsinfrastruktur, müssten gerechtfertigt werden. Im Ergebnis sollen die unterschiedlichen Anforderungen an eine Rechtfertigung, insbesondere der Legalenteignung aber auch der Gewaltenteilung, nicht über den Maßstab für die Enteignungsrechtfertigung hinausgehen.15 Hinzuweisen ist schließlich noch darauf, dass eine Planung durch ein Maßnahmengesetz auf der Grundlage einer eigenen Abwägung durch das Parlament getroffen werden muss. Zwar kann diese durch die Fachbehörde vorbereitet werden, der Gesetzgeber muss sich jedoch mit den zugeleiteten Sachverhaltsmaterialien, deren Vollständigkeit und Gewichtung aktiv auseinandersetzen.16 4. Ergebnis Das MgvG ist mit der Verfassung vereinbar, insbesondere da es nicht zwingend die Vorhabengenehmigung durch Gesetz vorsieht und somit eine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten allein durch das Vorbereitungsgesetz noch nicht besteht. Ob das MgvG selbst sowie die einzelnen Maßnahmengesetze jedoch auch mit den in der UVP-Richtlinie und der Aarhus-Konvention vorgesehenen Rechtschutzmöglichkeiten vereinbar sind, ist fraglich. Die jeweiligen Maßnahmengesetze könnten auf ihre Verfassungsmäßigkeit erst bei Vorliegen eines entsprechenden Entwurfs überprüft werden. In der Gesetzesbegründung müssen vor allem gute Gründe aufgezeigt werden, die eine Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen aber auch für die Abweichung von der horizontalen Gewaltenteilung ermöglichen. 14 Vgl. dazu Ziekow, Vorhabenplanung durch Gesetz, 2020, S. 37 ff. 15 Ziekow, Vorhabenplanung durch Gesetz, 2020, S. 105. 16 Ziekow, Vorhabenplanung durch Gesetz, 2020, S. 102 f.