Deutscher Bundestag Skizze Vortragsveranstaltung „Flensburger Forum – Glücksburger Gespräche“ Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 23/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 23/13 Seite 2 „Flensburger Forum – Glücksburger Gespräche“ Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 23/13 Abschluss der Arbeit: 13.2.2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 23/13 Seite 3 Skizze Vortragsveranstaltung: "Straßburg oder Berlin? - Wie verändert sich der deutsche Parlamentarismus ? Wird der Deutsche Bundestag zum Parlament zweiter Klasse?" 1. Komplex: Entparlamentarisierung als Preis der Europäischen Integration Gefährdet die europäische Integration den nationalen Parlamentarismus? Ist die Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen von den nationalen Parlamenten auf die europäische Ebene ein reines Defizitgeschäft? Ist also die Entmachtung des Deutschen Bundestages der Preis für die deutsche Beteiligung am europäischen Integrationsprozess? Nein: Europäische Integration bedeutet mehr als nur Teilung von Entscheidungsmacht. Europäische Integration legt in erster Linie das Fundament für neue, europäische Bürgerfreiheiten als zentraler Integrationsgewinn. Die nationalen Parlamente „verlieren“ durch die Europäische Integration nur vordergründig an Einfluss. Sie bleiben die Basis der europäischen Einigung. Die nationalen Parlamente sind und werden durch die Europäische Integration aber keineswegs zu „Parlamenten zweiter Klasse“. Vielmehr legitimieren sie gemeinsam mit dem Europäischen Parlament das europäische Integrationsprojekt: Deutschland darf sich nur an einer EU beteiligen, die ihrerseits demokratischen Grundsätzen verpflichtet ist. Auch europäische Entscheidungen müssen demokratisch legitimiert sein. Demokatische Legitimation erfolgt in Europa im Zusammenwirken von europäischen und nationalen Institutionen. Diese demokratische Sicherung kann die EU alleine nicht leisten. Zwar wurde bereits mit der Ausweitung der Befugnisse der EU auch die Bedeutung des Europäischen Parlaments gestärkt. Das Europäische Parlament hat eine starke Stellung in den Bereichen der Gesetzgebung und des Haushaltsrechts; die Europäische Kommission ist gegenüber dem Europäischen Parlament politisch verantwortlich. Aber als Parlament der „Vertreter der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger“ kann das Europäische Parlament kein vollwertiger Ersatz für die Beteiligung der nationalen Parlamente sein. o Das Europäische Parlament kann die nationalen Parlamente nicht ersetzen. o Die Handlungsmacht des Europäischen Parlaments beruht auf dem Willen der Mitgliedstaaten . Es gewinnt seine Handlungsbefugnissen erst durch die Öffnung der Mitgliedstaaten für das europäische Integrationsprojekt. o Über Umfang und Grenzen der europäischen Integration und damit auch der Handlungsbefugnisse der europäischen Institutionen entscheiden die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ und damit die nationalen Parlamente. o Daher ist auch das Europäische Parlament nur Kraft und im Rahmen der mitgliedstaatlichen Ermächtigungen zu Handlungen befugt. Basis jeder demokratischen Legitimation bleiben somit im Wesentlichen die Parlamente der Mitgliedstaaten. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 23/13 Seite 4 Wegen der weiterhin zentralen Rolle der nationalen Parlamente muss auch der Deutsche Bundestag zwingend und wesentlich beteiligt bleiben im europäischen Integrationsprozess. Dementsprechend ist der Deutsche Bundestag innerstaatlich in Angelegenheiten der EU sowie – gemeinsam mit den Parlamenten der übrigen 26 Mitgliedstaaten – in der EU in einer zentralen Rolle. o Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Rolle der nationalen Parlamente gestärkt: Sie haben nunmehr ein Recht auf unmittelbare Unterrichtung, ein einklagbares Recht zur Subsidiaritätskontrolle und sie sind notwendig bei Vertragsänderungen und Beitritten zu beteiligen. o Auch auf nationaler Ebene besitzt der Bundestag in Angelegenheiten der EU eine starke Position: Er besitzt umfassende Informationsrechte gegenüber der Bundesregierung; seine weitgehenden Beteiligungsrechte sind von der Bundesregierung zu berücksichtigen ; er übt sein parlamentarisches Kontrollrecht aus; er kann die fehlende Subsidiarität einer Handlung der EU rügen und dagegen klagen. Über diese notwendige Beteiligung hinaus muss sich der Deutsche Bundestag seiner „schleichenden Entmachtung“ widersetzen (Zitat BVerfG). Ihm müssen „eigene Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben“. Zwar muss der Deutsche Bundestag einerseits dem Verfassungsauftrag „Europäische Integration “ nachkommen. Andererseits ist er auch Hüter der Verfassung und Hüter der grundgesetzlichen Demokratie: Er muss die Kosten der Europäischen Integration für Deutschland bedenken und begrenzen. 2. Komplex: Euro-Rettungspolitik als Beispiel nationaler parlamentarischer Letztentscheidungsmacht Dass die Europäische Integration auch Kosten verursacht, wird überdeutlich in der Verschuldungskrise und der Krise der Wirtschafts- und Währungsunion. Zugleich machen diese Krisen auch handgreiflich, dass die EU nach wie vor eine Union der Staaten und damit auch der staatlichen Parlamente ist. Das Projekt der Wirtschafts- und Währungsunion wird zwar einerseits von Mitgliedstaaten und staatlichen Parlamenten als „Verschuldungsgesetzgeber“ gefährdet. Diese Gefährdung beruht aber andererseits gerade darauf, dass die Mitgliedstaaten und staatlichen Parlamenten als Steuer- und Haushaltsgesetzgeber wesentlichen Einfluss auf das Projekt der Wirtschafts- und Währungsunion haben. Die zentrale Rolle der nationalen Parlamente zeigt sich nicht nur in dem parlamentarischen Budgetrecht. Auch in den Bereichen, in denen die Regierungen der Mitgliedstaaten miteinander zur „Euro -Rettung“ zusammenarbeiten, bleiben die mitgliedstaatlichen Parlamente in entscheidender Position. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 23/13 Seite 5 So hat der Deutschen Bundestag im Rahmen des „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM) das letzte Wort, ob Finanzhilfen an Zypern, Portugal oder Griechenland ausgezahlt werden. Im Rahmen des sogenannten „Fiskalpaktes“ entscheidet nicht „die EU“ oder die Bundesregierung , sondern der Deutsche Bundestag über eine Begrenzung der Staatsverschuldung. In beiden Fällen – dem des ESM und dem des „Fiskalpaktes“ – wurde gleichwohl kritisiert, die europäische Schuldenbekämpfung gehe „auf Kosten der parlamentarischen Mitwirkung “1. Dies wurde insbesondere damit begründet, dass das Europäische Parlament beim Zustandekommen von „ESM und „Fiskalpakt“ nur am Katzentisch saß. Haben die Regierungen der europäischen Mitgliedstaaten den die „Euro-Rettung“ demokratiewidrig am Europäischen Parlament vorbei beschlossen und einer „Entparlamentarisierung “ Vorschub geleistet?2 Die Kritik am Zustandekommen der Krisenmechanismen überschätzt die Rolle des Europäischen Parlaments – und unterschätzt die Rolle der nationalen Parlamente. Nicht die Beteiligung des Europäischen Parlaments, sondern die der nationalen Parlamente war für die Inkraftsetzung von ESM und Fiskalpakt notwendig. Eine mitentscheidende Rolle des Europäischen Parlaments ist verfassungsrechtlich unmöglich . Der ESM lebt von staatlichen Finanzmitteln. Der Fiskalpakt nimmt Einfluss auf das staatliche Budgetrecht. Für beide Fälle trägt der Bundestag notwendig die volle Verantwortung für den deutschen Beitrag, solange dieser Beitrag auf deutschen Steuereinnahmen beruht. Entsprechendes gilt für den Fiskalpakt: In dem Pakt verpflichten sich die Mitgliedstaaten bezüglich der Finanzierung ihrer staatlichen Ausgaben. Der staatliche Haushaltsgesetzgeber wird gebunden. Ebenso wenig ließe sich begründen, das parlamentarische Mandat für einen Bundeswehreinsatz im Rahmen einer EU-Mission dem Europäischen Parlament anzuvertrauen. Die Bundeswehr ist ein Parlamentsheer – der Bundeshaushalt ist ein Parlamentsbudget. Zwar mag das Europäische Parlament eines Tages Unionsbürger in Uniform mandatieren. Es kann aber nicht die Verantwortung für Staatsbürger in Uniform übernehmen. Dementsprechend kann das Europäische Parlament eines Tages vielleicht einen aus europäischen Mitteln finanzierten europäischen Rettungsfonds ausstatten und kontrollieren. Es kann dies aber nicht für einen staatsfinanzierten Europäischen Stabilitätsmechanismus. 1 vgl. die Rede von Präsident EP Schulz v. 28.6.2012: http://www.europarl.europa.eu/thepresident /de/press/press_release_speeches/speeches/sp-2012/sp-2012-june/speeches-2012-june-1.html 2 vgl. den Beitrag von Fischer-Lescarno: http://www.verfassungsblog.de/de/das-europaische-parlament-sollte-denfiskalvertrag -vor-den-eugh-bringen/#.URvQQ_LsaOU sowie von Däubler-Gmelin: http://www.sueddeutsche.de/politik/kritik-an-rettungsschirm-und-fiskalpakt-daeubler-gmelin-will-vor-dasbundesverfassungsgericht -ziehen-1.1330596 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 23/13 Seite 6 Einer Ausstattung des Europäischen Parlament mit einem bestimmenden Einfluss über die staatlichen Haushalte würde aus deutscher Sicht die demokratische Selbstgestaltungsfähigkeit auf Spiel setzten. Eine solche Vorrangstellung des Europäischen Parlaments und eine (Selbst-)Beschränkung des Bundestages auf die Rolle eines Parlaments „zweiter Klasse“ wäre nicht ohne Volksabstimmung zu haben.