© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 022/17 Möglichkeiten der verfassungsgerichtlichen Kontrolle eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 022/17 Seite 2 Möglichkeiten der verfassungsgerichtlichen Kontrolle eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 022/17 Abschluss der Arbeit: 30.01.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 022/17 Seite 3 1. Fragestellung Der Deutsche Bundestag hat am 29. Januar 2015 dem Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte (BT-PlPr 18/82) zugestimmt. Am 28. Januar 2016 (BT-PlPr 18/152) und am 26. Januar 2017 (BT-PlPr 18/215) hat der Bundestag jeweils der Verlängerung des Einsatzes zugestimmt. Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben wiederholt Zweifel an der Rechtsgrundlage und damit an der Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes geäußert.1 Gefragt wird nach den Klagemöglichkeiten einer Fraktion, um die Rechtmäßigkeit des Bundeswehreinsatzes im Irak vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. 2. Klage einer Fraktion vor dem Bundesverfassungsgericht Fraglich ist, ob und gegebenenfalls wie eine Fraktion eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des oben genannten Irak-Einsatzes vor dem Bundesverfassungsgericht erreichen könnte. 2.1. Organstreitverfahren, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG In Betracht kommt ein Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG in Verbindung mit §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG. Danach entscheidet das Bundesverfassungsgericht „über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind“. Gegenstand des Verfahrens sind demzufolge unter anderem Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen um ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Grundgesetz.2 Fraktionen sind als Teil des Bundestages, einem obersten Bundesorgan, grundsätzlich antragsberechtigt .3 2.1.1. Verfahren gegen die Bundesregierung Denkbar wäre ein Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung wegen einer Verletzung der Rechte des Bundestages. Die Fraktion müsste antragsbefugt sein, d.h. sie müsste geltend machen, dass sie in einem ihrer eigenen verfassungsrechtlich begründeten Rechte verletzt wurde; zudem kann sie in Form einer 1 BT-PlPr 18/82, S. 7819, 7889 ff.; BT-PlPr 18/152, S. 14941, 15033 f.; BT-PlPr 18/215, S. 21528. 2 Degenhardt, Staatsrecht I, 29. Aufl. 2013, Rn. 816. 3 Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 1009. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 022/17 Seite 4 Prozessstandschaft Rechte des Verfassungsorgans Bundestag in seiner Gesamtheit geltend machen .4 Die Auslandseinsätze bewaffneter Streitkräfte unterliegen einem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt . Das bedeutet, jeder Einsatz deutscher Soldaten im Ausland bedarf unabhängig von der materiell-rechtlichen Ermächtigungsgrundlage einer konstitutiven Zustimmung des Bundestages (§§ 2 Abs. 1, 5 Abs. 3 ParlamentsbeteiligungsG).5 Der Bundestag hat auf Antrag der Bundesregierung dem Einsatz sowie den Verlängerungen zugestimmt. Das wehrverfassungsrechtliche Beteiligungsrecht des Bundestages ist folglich nicht verletzt. Darüber hinaus gehende Rechte der Fraktion sind nicht ersichtlich und ein Verfahren gegen die Bundesregierung scheidet daher mangels Antragsbefugnis aus. 2.1.2. Verfahren gegen den Bundestag Fraglich ist, ob eine Fraktion vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen kann, die Zustimmung des Bundestags zu dem oben genannten Bundeswehreinsatz sei mangels grundgesetzlicher Ermächtigungsgrundlage verfassungswidrig und verletze die Fraktion daher in ihren Rechten aus dem Grundgesetz. Die Fraktion müsste wiederum antragsbefugt sein. Für die Antragsbefugnis im Organstreitverfahren ist maßgebend, dass der Antragsteller geltend macht, in seinen Rechten verletzt zu sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist „für eine allgemeine, von den eigenen Rechten des Antragstellers losgelöste, abstrakte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit einer angegriffenen Maßnahme […] im Organstreit kein Raum“. Auch eine „Respektierung sonstigen (Verfassungs -)Rechts kann im Organstreit nicht erzwungen werden.“ Das Organstreitverfahren sei kein objektives Beanstandungsverfahren, sondern diene dem „Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht aber einer allgemeinen Verfassungsaufsicht.“6 Vorliegend geht es nicht darum, ob etwaige (Beteiligungs-) Rechte der Fraktion in Hinblick auf den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt verletzt wurden, sondern um die Frage, ob eine verfassungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz vorliegt, also ob der Einsatz und damit die Zustimmung des Bundestages verfassungsmäßig ist. Mithin fehlt es an einer Verletzung eigener Rechte und die Fraktion ist nicht antragsbefugt. Auch ein Verfahren gegen den Bundestag scheidet mithin aus. 2.2. Abstrakte Normenkontrolle, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG Möglicherweise könnte die Fraktion im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG in Verbindung mit §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG den Zustimmungsbeschluss des Bundestages vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. 4 Degenhardt, Staatsrecht I, 29. Aufl. 2013, Rn. 819. 5 BVerfG, NVwZ 2015, 1593, 1594 f. 6 BVerfGE 118, 277, 318 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 022/17 Seite 5 Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG entscheidet das Bundesverfassungsgericht auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des Bundestages bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dem Grundgesetz. Im Gegensatz zum Organstreitverfahren ist bei der abstrakten Normenkontrolle für die Antragsberechtigung die Stellung als Fraktion allein nicht ausreichend; vielmehr bedarf es eines Antrags eines Viertels der Abgeordneten im Bundestag.7 Fraglich ist darüber hinaus, ob der Zustimmungsbeschluss tauglicher Antragsgegenstand einer abstrakten Normenkontrollklage sein kann. Prüfungsgegenstand kann jede Rechtsnorm, Bundes- wie Landesrecht, auch untergesetzliches Recht sowie Verfassungsrecht sein.8 Ob darüber hinaus auch schlichte Parlamentsbeschlüsse, wie der konstitutive Bundestagsbeschluss zum Auslandseinsatz der Bundeswehr, im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle überprüft werden können, ist in der Literatur umstritten. Einigkeit besteht mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts9, dass schlichte Parlamentsbeschlüsse jedenfalls dann Antragsgegenstand sein können, wenn sie gesetzesersetzenden Charakter haben, also funktionell an die Stelle eines Gesetzes treten, wie zum Beispiel bei der Zustimmung zu Staatsverträgen zwischen Ländern.10 Haben Parlamentsbeschlüsse keinen gesetzesersetzenden Charakter - wie der konstitutive Zustimmungsbeschluss des Bundestages zu Auslandseinsätzen - lehnt ein Teil der Literatur daher solche Beschlüsse als tauglichen Antragsgegenstand ab.11 Nach anderer Ansicht sind auch schlichte Parlamentsbeschlüsse trotz fehlendem Rechtsnormcharakter Teil des - wenn auch nicht gesetzförmigen - Bundesrechts und können daher Antragsgegenstand einer abstrakten Normenkontrolle sein.12 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsfrage bislang nicht entschieden. 7 Degenhardt, Staatsrecht I, 29. Aufl. 2013, Rn. 830. 8 Degenhardt, Staatsrecht I, 29. Aufl. 2013, Rn. 830. 9 BVerfGE 90, 60. 10 Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Starck/Klein, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 93, Rn. 121; Rozek, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu /Klein/Bethge, BVerfGG (2016), § 76, Rn. 30; Schlaich/Korioth, das Bundesverfassungsgericht, 10. Aufl. 2015, 4. Abschnitt, Rn 127; Hillgruber, in: Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 502. 11 Rozek, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG (2016), § 76, Rn. 30; Schlaich/Korioth, das Bundesverfassungsgericht , 10. Aufl. 2015, 4. Abschnitt, Rn 127. 12 Hillgruber, in: Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 502; Epping, in Maunz/Dürig, GG- Kommentar (2016), Art. 115a, Rn. 125; Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 676. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 022/17 Seite 6 Materieller Prüfungsmaßstab einer abstrakten Normkontrollklage ist das Grundgesetz.13 In diesem Rahmen könnte folglich die verfassungsmäßige Rechtmäßigkeit des Bundestagsbeschlusses umfassend überprüft werden. 3. Ergebnis Folgt das Bundesverfassungsgericht der Ansicht, dass auch schlichte Parlamentsbeschlüsse ohne gesetzesersetzenden Charakter Gegenstand eines abstrakten Normkontrollverfahrens sein können, wäre eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Irak-Einsatzes im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle zu erreichen. Erforderlich ist jedoch, dass mindestens ein Viertel der Mitglieder des Bundestages einen entsprechenden Antrag stellen. *** 13 Hillgruber, in: Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 524.