© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 021/21 Einzelfragen zu Ersatzorganisationen bereits verbotener politischer Parteien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 021/21 Seite 2 Einzelfragen zu Ersatzorganisationen bereits verbotener politischer Parteien Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 021/21 Abschluss der Arbeit: 11. Februar 2021 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 021/21 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wurde nach den Voraussetzungen für ein Verbot von Ersatzorganisationen bereits verbotener politischer Parteien sowie nach Regelungen für eine Ablehnung der Registrierung einer Partei nach einer Neugründung. Ferner wurde nach Einschränkungen der politischen Rechte der ehemaligen Mitglieder der verbotenen Partei gefragt. 2. Verbot von Ersatzorganisationen bereits verbotener politischer Parteien bzw. Vereine Das Bundesverfassungsgericht entscheidet gemäß Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 46 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) über die Verfassungswidrigkeit politischer Parteien. Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 BVerfGG sind der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung antragsbefugt. Nur bei einer politischen Partei, deren Organisation sich auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkt, ist auch die Landesregierung des betreffenden Landes gemäß § 43 Abs. 2 BVerfGG antragsbefugt. Wird die Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt , ist mit der Feststellung die Auflösung der Partei oder des selbständigen Teiles der Partei und das Verbot, eine Ersatzorganisation zu schaffen, zu verbinden, § 46 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 BVerfGG. § 33 Abs. 1 Parteiengesetz (PartG) normiert das Verbot von Ersatzorganisationen und das Verbot, bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen. Ersatzorganisationen sind danach Organisationen, die verfassungswidrige Bestrebungen einer nach Art. 21 Abs. 2 GG i.V.m. § 46 BVerfGG verbotenen politischen Partei an deren Stelle weiterverfolgen. Dabei ist nach dem Bundesverfassungsgericht zu berücksichtigen, ob die Ersatzorganisation „in der Art ihrer Betätigung, in der Verfolgung politischer Ziele, nach den in ihr wirksamen Kräften, nach dem Kreis der von ihr Angesprochenen, nach der politischen Haltung ihrer Anhänger und nach dem aus der zeitlichen Abfolge des Geschehens erkennbaren Zusammenhang die verbotene Partei zu ersetzen bestimmt ist“1. Sollte die Ersatzorganisation im Bundestag oder in einem Landtag vertreten sein oder sollte die Ersatzorganisation bereits vor dem Parteiverbot der ursprünglichen Partei bestanden haben, stellt das Bundesverfassungsgericht gemäß § 33 Abs. 2 PartG fest, dass es sich um eine verbotene Ersatzorganisation handelt. Das Verbotsverfahren für Ersatzorganisationen verbotener Vereine regelt § 8 VereinsG. Danach ist es verboten, Organisationen zu bilden, die verfassungswidrige Bestrebungen eines nach § 3 VereinsG verbotenen Vereins an dessen Stelle weiterverfolgen (Ersatzorganisationen) oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen, § 8 Abs. 1 VereinsG. Gegen eine solche Ersatzorganisation ist eine Verbotsverfügung zu erlassen, in der festgestellt wird, dass sie Ersatzorganisation des verbotenen Vereins ist, § 8 Abs. 2 S. 1 VereinsG. Zuständige Verbotsbehörde ist für nur landesweit agierende Vereine und Teilvereine die oberste Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige Behörde nach § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VereinsG; für bundesweit agierende Vereinigungen ist dies der Bundesminister des Innern gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Ver- 1 BVerfGE 6, 300, 307. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 021/21 Seite 4 einsG. Die Verbotsbehörde kann auf Grundlage einer besonderen Verfügung, durch die festgestellt wird, dass der Verein eine Ersatzorganisation des verbotenen Vereins ist, das Verbot der Ersatzorganisation vollziehen, § 8 Abs. 2 i.V.m. § 5 VereinsG. 3. Registrierung von neu gegründeten Parteien In Deutschland gibt es kein verbindliches Anerkennungs- oder Registerverfahren für neu gegründete Parteien.2 Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG gewährleistet die freie Gründung von Parteien. Deren innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen, Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG. Dieses „Parteienprivileg“ gilt nicht für später gegründete Ersatzorganisationen verbotener Parteien.3 Die Bestimmung einer „Ersatzorganisation“ bemisst sich nach materiellen Kriterien, nicht nach dem Namen oder der konkreten organisatorischen Nachfolgebeziehung.4 Die Parteieigenschaft wird durch verschiedene Entscheidungsträger innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten geprüft.5 Im Rahmen des Vereinsverbots prüft der Bundesminister des Inneren bzw. die zuständige Landesbehörde (§ 3 Abs. 2 VereinsG), ob es sich bei der Vereinigung um eine politische Partei oder um einen Verein handelt, da gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 VereinsG gegen eine politische Partei kein Vereinsverbot eingeleitet werden darf. Für Wahlen zum Deutschen Bundestag prüft der Bundeswahlausschuss gemäß § 18 Abs. 4 Nr. 2 Bundeswahlgesetz (BWahlG) die Parteieigenschaft für Vereinigungen, die ihre Teilnahme an der Wahl angezeigt haben. Hinsichtlich der Entscheidungen zur Parteieigenschaft der Vereinigungen ist zu beachten, dass die jeweiligen Entscheidungsträger unabhängig voneinander die Parteieigenschaft überprüfen. Aus den einzelnen Entscheidungen der zuständigen Stellen folgt keine Bindungswirkung für andere Behörden oder Gerichte. Insbesondere bindet die Entscheidung des Bundeswahlausschusses nach § 18 Abs. 4 BWahlG nur die Wahlorgane im Verfahren der Bundestagswahl.6 Gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG entfaltet jedoch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2, 4 GG i.V.m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. BVerfGG Bindungswirkung für die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. 4. Entzug von politischen Rechten der Mitglieder der aufgelösten Partei In Bund und Ländern ist mit Ausnahme des Landes Berlin die Wirkung des Parteiverbots gleichförmig geregelt. Wird die Verfassungswidrigkeit der politischen Partei oder Teilorganisation durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, verlieren die Abgeordneten eines Parlaments oder einer kommunalen Vertretung, die dieser Partei oder Teilorganisation zur Zeit der Stellung 2 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 21 Rn. 33. 3 Streinz, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 21 Rn. 222. 4 Streinz, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 21 Rn. 248. 5 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 21 Rn. 33. 6 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 21 Rn. 33; Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, § 18 Rn. 32 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 021/21 Seite 5 des Verbotsantrags (§ 43 BVerfGG) oder der Verkündung der Entscheidung (§ 46 BVerfGG) angehört haben, ihren Sitz. Listennachfolger verlieren ihre Anwartschaft.7 Darüber hinaus besteht grundsätzlich die Möglichkeit, gegen einzelne Mitglieder der verbotenen Partei ein Verfahren über die Verwirkung von Grundrechten vor dem Bundesverfassungsgericht durchzuführen, Art. 18 GG i.V.m. §§ 36 ff. BVerfGG. Bei einem erfolgreichen Verfahren stellt das Bundesverfassungsgericht fest, welche Grundrechte der Antragsgegner verwirkt hat. Es kann die Verwirkung auf einen bestimmten Zeitraum, mindestens auf ein Jahr, befristen, § 39 Abs. 1 BVerfGG. Das Bundesverfassungsgericht kann auf die Dauer der Verwirkung der Grundrechte das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkennen, § 39 Abs. 2 BVerfGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Parteienprivileg des Art. 21 GG auch in diesen Bereich hineinwirkt. Daher ist das Verfahren nur erfolgreich, wenn dem Einzelnen eine individuell zuzurechnende Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nachgewiesen wird. Eine Mitgliedschaft in einer später verbotenen Partei ist alleine nicht ausreichend .8 5. Wiederverwendung von Namen verfassungswidriger Parteien Die Freiheit der Namenswahl politischer Parteien ist durch die Gründungs- bzw. Organisationshoheit politischer Parteien in Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG garantiert. Der deutsche Gesetzgeber hat daher kein Recht einen bestimmten Namen zu verbieten.9 § 4 Abs. 1 S. 1 PartG normiert lediglich die Pflicht der Parteien einen Namen zu wählen, der sich von den Namen der bereits existierenden Parteien deutlich unterscheidet. Der Namensschutz endet jedoch mit dem Wegfall der Parteieigenschaft . Verbotene politische Parteien bestehen aufgrund des Art. 21 Abs. 2 GG nicht mehr. Daher genießen sie keinen weiteren Namensschutz.10 Jedoch ist eine „Neugründung“ einer verbotenen Partei zulässig, sofern ihr Parteiprogramm nicht gegen Art. 21 Abs. 2 GG verstößt.11 Danach dürfen Parteien und ihre Anhänger nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigen und den Bestand der Bundesrepublik Deutschland nicht gefährden. 6. Maßnahmen zur Überwachung von Parteien durch den Verfassungsschutz Maßnahmen zur Überwachung von Parteien sind – unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit – zulässig, soweit sie für die Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf Verbot zu stellen ist, 7 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand, Auswirkungen eines Parteiverbots auf Abgeordnetenmandate , WD 3 - 3000 - 037/13, S. 3. 8 BVerfGE 12, 296, 305. 9 Morlok, Parteiengesetz, 2. Auflage 2013, § 4 Rn.1. 10 Morlok, Parteiengesetz, 2. Auflage 2013, § 4 Rn.1. 11 Weber, in: Creifelds (Hrsg.), Rechtswörterbuch, 25. Edition 2020, Parteien, politische. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 021/21 Seite 6 erforderlich sind.12 Die Beobachtung von politischen Parteien, Unterorganisationen und Parteiströmungen sowie einzelnen Parteimitgliedern und Abgeordneten13 kann durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und/oder durch die Landesverfassungsschutzbehörden erfolgen. Für das BfV ist das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)14 maßgeblich, für Tätigkeiten durch die Verfassungsschutzämter der Länder ist auf die entsprechenden Landesverfassungsschutzgesetze abzustellen. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG ist es u.a. Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind (verfassungsfeindliche Bestrebungen), zu sammeln und auszuwerten. Eine Sammlung und Auswertung der Informationen darf nach § 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG aber nur erfolgen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen, z.B. das Programm des Personenzusammenschlusses , mündliche und schriftliche Äußerungen, tatsächliche Handlungen, Beiträge in Publikationen der Personenzusammenschlüsse oder Verlinkungen auf der Homepage.15 *** 12 Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 21 Rn. 47. 13 BVerfGE 134, 141, 179 ff. 14 Verfassungsschutzgesetz (abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bverfschg/index.html). 15 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, BVerfSchG § 4 Begriffsbestimmungen , Rn. 116 ff.