© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 021/18 Zum behördlichen Einschreiten bei Schienenverkehrslärm Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 021/18 Seite 2 Zum behördlichen Einschreiten bei Schienenverkehrslärm Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 021/18 Abschluss der Arbeit: 31.01.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 021/18 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird, ob ein behördliches Einschreiten bei Schienenverkehrslärm auf Grundlage der allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetze der Länder in Betracht kommt. Insoweit soll die Möglichkeit oder Verpflichtung zur Inanspruchnahme der „Verursacher von Bahnlärm bzw. der Netzbetreiber“ durch die „zuständigen Landesministerien“ geprüft werden. 2. Behördliches Einschreiten und Lärmvorsorge Das behördliche Einschreiten bei Schienenverkehrslärm ist abzugrenzen von der sog. Lärmvorsorge . Die Lärmvorsorge richtet sich nach den Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) und beschränkt sich auf den Bau und wesentliche Änderungen von Eisenbahnen. Nach § 41 BImSchG ist beim Bau oder bei einer wesentlichen Änderung von Eisenbahnen sicherzustellen , dass durch diese keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Näheres ist gemäß § 43 BImSchG durch Rechtsverordnung geregelt.1 Die Lärmvorsorge erfolgt im Rahmen der Planfeststellung gemäß § 18 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) i.V.m. den Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze (VwVfG) des Bundes oder der Länder über das Planfeststellungsverfahren (vgl. nur § 75 Abs. 2 S. 2 bis 4, § 74 Abs. 2 S. 2, 3, 7 VwVfG des Bundes). Dabei liegt den Vorschriften ein mehrstufiges Verkehrslärmschutzkonzept zugrunde: die Vermeidung von Lärmbeeinträchtigungen durch eine geeignete Trassenwahl, aktive Schallschutzmaßnahmen, passive Schallschutzmaßnahmen und angemessene Entschädigung durch den Vorhabenträger.2 Unter engen Voraussetzungen können Lärmvorsorgemaßnahmen auch nach Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses verlangt werden.3 Weitere Vorgaben für den Schutz vor Schienenverkehrslärm enthält das Bundesimmissionsschutzgesetz nicht. Insbesondere umfassen die anlagenbezogenen Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes den Schienenverkehr nicht, vgl. die Definition des Anlagenbegriffs in § 3 Abs. 5 Nr. 3 BImSchG („ausgenommen öffentliche Verkehrswege“). Für den laufenden Schienenverkehr stellt sich daher die Frage, ob und auf welcher Rechtsgrundlage ein behördliches Einschreiten zur Abwehr von Gefahren durch Schienenverkehrslärm in Betracht kommen könnte.4 3. Behördliches Einschreiten auf Grundlage des Allgemeinen Eisenbahngesetzes Nach § 5 AEG wird die Eisenbahnaufsicht durch den Bund und die Länder ausgeübt. Der Bund ist zuständig für Eisenbahnen des Bundes, § 5 Abs. 1a Nr. 1 AEG. Die Länder üben die Aufsicht 1 Vgl. insoweit insbesondere die Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV). 2 Ausführlich Krappel, Lärmschutz in der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung (2011), 59 ff. 3 Siehe hierzu Hafner, Zivilrechtlicher Lärmschutz an Eisenbahnstrecken, NVwZ 2015, 648 ff. 4 Besonderheiten gelten für Güterwagen nach dem Schienenlärmschutzgesetz (SchlärmschG) vom 20.07.2017, BGBl. I, 2804. Nach § 3 Abs. 1 SchlärmschG ist mit Beginn des Netzfahrplans 2012/2021 das Fahren oder Fahrenlassen von Güterzügen, in die laute Güterwagen eingestellt sind, auf dem deutschen Schienennetz verboten, vgl. Kramer, Eisenbahnlärm und Gefahrenabwehrrecht – ein Drama in mehreren Akten?, Gewerbearchiv 2017, 455, 458 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 021/18 Seite 4 über nichtbundeseigene Eisenbahnen aus, § 5 Abs. 1a Nr. 2 AEG, können diese aber durch Vereinbarungen auf den Bund übertragen, § 5 Abs. 2 S. 2 AEG. Nach § 5 Abs. 2 S. 1 AEG, § 3 Abs. 1 Nr. 2 Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetz (BEVVG) nimmt das Eisenbahnbundesamt die Eisenbahnaufsicht des Bundes wahr. Das Eisenbahnbundesamt ist eine selbständige Bundesoberbehörde , die dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur untersteht. Die zuständigen Behörden für die Landeseisenbahnaufsicht bestimmen die Landesregierungen, § 5 Abs. 2 S. 1 AEG. Die Aufgaben und Befugnisse der Eisenbahnaufsichtsbehörden ergeben sich aus § 5a AEG. Nach § 5a Abs. 1 S. 1 AEG haben die Eisenbahnaufsichtsbehörden die Aufgabe, die Einhaltung der in § 5 Abs. 1 AEG genannten Vorschriften zu überwachen. Darunter fallen das AEG und die auf Grundlage des AEG ergangenen Rechtsverordnungen sowie näher bezeichnetes Unionsrecht und zwischenstaatliche Vereinbarungen. Gemäß § 5a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AEG haben die Eisenbahnaufsichtsbehörden dabei insbesondere die Aufgabe, Gefahren abzuwehren, die beim Betrieb der Eisenbahn entstehen oder von den Betriebsanlagen ausgehen. Die Befugnis der Eisenbahnaufsichtsbehörden , entsprechende Maßnahmen zu treffen, folgt aus der Generalklausel des § 5a Abs. 2 AEG.5 Es ist jedoch umstritten, ob § 5a Abs. 2 AEG auch zur Vornahme von Lärmschutzanordnungen durch die Eisenbahnaufsicht berechtigt.6 Das Oberverwaltungsgerichts Koblenz bejaht diese Frage und führt hierzu aus: „Als Rechtsgrundlage für eine solche eisenbahnaufsichtsbehördliche Verfügung kommt allein § 5 a II Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) in Betracht. (…) Die Eingriffsbefugnis nach § 5 a II AEG kommt der Aufsichtsbehörde ‚in Wahrnehmung ihrer Aufgaben‘ zu, dh insbesondere zur Abwehr von Gefahren (§ 5 a I 2 Nr. 1 AEG). Die Eingriffsbefugnis besteht bei sämtlichen negativen Abweichungen vom gesetzlich geforderten Soll-Zustand (…). Bei den in § 5 I AEG genannten normativen Vorgaben sind im vorliegenden Fall einmal der Planfeststellungsvorbehalt nach § 18 AEG einschlägig, daneben aber auch die Pflicht zur Beachtung der Lärmschutzanforderungen nach § 41 BImSchG für die Betriebsanlagen der Eisenbahn (…). Zu den ‚eisenbahnspezifischen‘ Gefahren iSv § 5 a I und II AEG können auch die durch den Betrieb der Eisenbahn ausgelösten Lärmbeeinträchtigungen gehören (…).“7 Der Verwaltungsgerichtshof München hingegen lehnt schon die Anwendbarkeit des § 5a Abs. 2 AEG mit der Begründung ab, die Überwachung immissionsschutzrechtlicher Gesetze gehöre nicht zu den Aufgaben der Eisenbahnaufsicht nach § 5 Abs. 1 AEG.8 Andere Verwaltungsgerichte stellen 5 Zum Charakter des § 5a Abs. 2 AEG als Generalklausel Hermes/Schweinsberg, in: Hermes/Sellner, Beck‘scher AEG-Kommentar (2. Aufl., 2014), Rn. 30 zu § 5a. 6 Ausführlich dazu Kühling/Seiler, Möglichkeiten und Grenzen von Betriebsbeschränkungen als Mittel der Lärmreduktion , DVBl. 2016, 155 ff. 7 OVG Koblenz NVwZ 2015, 682 f. 8 VGH München, Urteil v. 19.08.2014, BeckRS 2014, 55888, Rn. 51. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 021/18 Seite 5 darauf ab, das Immissionsschutzrecht sei zwar im Rahmen des § 5a Abs. 2 AEG zu beachten, aufsichtsrechtlich relevante Verstöße könnten außerhalb des Baus oder wesentlicher Änderungen von Eisenbahnen aber nicht auftreten.9 Dafür wird auf den abschließenden Charakter der Lärmvorsorge im Rahmen der Planfeststellung verwiesen. Die Lärmvorsorge gemäß § 41 BImSchG solle keine Dauerverpflichtung begründen, sondern sei auf den Bau und auf wesentliche Änderungen von Eisenbahnen beschränkt.10 4. Behördliches Einschreiten auf Grundlage der allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetze der Länder Fraglich ist, ob für behördliche Lärmschutzanordnungen ein Rückgriff auf die allgemeinen Sicherheits - und Ordnungsgesetze der Länder in Betracht kommt. Insoweit ist zwischen Eisenbahnen des Bundes, die der Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes unterfallen, und sonstigen Eisenbahnen, die zur Eisenbahnverkehrsverwaltung der Länder gehören, zu unterscheiden. 4.1. Eisenbahnen des Bundes In Bezug auf die Eisenbahnen des Bundes scheidet eine Anwendung der allgemeinen Sicherheitsund Ordnungsgesetze der Länder durch das Eisenbahnbundesamt aus, da ein Vollzug von Landesrecht durch Bundesbehörden unzulässig ist.11 Vielmehr obliegt der Vollzug der Ländergesetze den Landesbehörden. Eine Anwendung der allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetze durch die Landesbehörden im Bereich der Eisenbahnen des Bundes ist ebenfalls ausgeschlossen. Nach Art. 87e Abs. 1 GG wird die Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes in bundeseigener Verwaltung geführt. Die Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes wiederum ist umfassend und erfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „alle hoheitlichen Ordnungsund Steuerungsaufgaben, die das Eisenbahnwesen einschließlich des Baus und des Betriebs der Eisenbahnen betreffen“.12 Raum für eine ergänzende Eisenbahnverkehrsverwaltung durch die Länder besteht daher nicht. 4.2. Sonstige Eisenbahnen In Bezug auf Lärmschutzanordnungen käme allein die Anwendung der polizeilichen Generalklausel der allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetze der Länder in Betracht, wonach die 9 OVG Münster, Beschluss v. 28.05.2013, BeckRS 2014, 55523; VG Düsseldorf, Urteil v. 22.01.2014, BeckRS 2014, 55523. 10 VG Düsseldorf (Fn. 9); ebenso Jarass, in: ders., Bundesimmissionsschutzgesetz (12. Aufl., 2017) Rn. 4 zu § 41, der insoweit aber auf rechtspolitische Bedenken hinweist. 11 Vgl. nur Hermes, in: Dreier, GG (2. Aufl., 2008), Rn. 29 zu Art. 83. 12 BVerfGE 97, 198, 222. Siehe dazu auch Remmert, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz (Stand: November 2017), Rn. 1 zu Art. 87. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 021/18 Seite 6 zuständigen Behörden berechtigt sind, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung treffen.13 Zu beachten ist aber die Subsidiarität der allgemeinen polizeilichen Generalklausel. Danach haben spezialgesetzlich geregelte Vorschriften der Gefahrenabwehr Vorrang vor der allgemeinen polizeilichen Generalklausel. Voraussetzung für den Anwendungsvorrang ist, dass die Spezialgesetze den Bereich abschließend regeln.14 Hier könnte der Schutz vor Schienenverkehrslärm abschließend durch die Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes und durch die Spezialgesetze zum Schienenverkehr geregelt sein. Maßgeblich für den abschließenden Charakter ist dabei nicht, ob aus Sicht der vom Schienenverkehr Betroffenen Regelungslücken bestehen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Spezialgesetze nach ihrem Anwendungsbereich einen Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel ausschließen. Insoweit kann man an die oben dargestellte Diskussion zur Anwendbarkeit des § 5a Abs. 2 AEG anknüpfen. Geht man davon aus, Lärmschutzanordnungen der Eisenbahnaufsicht seien nach der Generalklausel in § 5a Abs. 2 AEG zulässig, ist für die Anwendung der polizeilichen Generalklausel der Länder von vornherein kein Raum. In diesem Fall würde die eisenbahnspezifische Generalklausel des Allgemeinen Eisenbahngesetzes die allgemeine polizeiliche Generalklausel verdrängen. Nur durch den Vorrang der eisenbahnspezifischen Gefahrenabwehrklausel wäre zudem die Zuständigkeit der sachnäheren Fachbehörden gesichert. Lehnt man ein Einschreiten der Eisenbahnaufsicht auf Grundlage der eisenbahnrechtlichen Generalklausel gemäß § 5a Abs. 2 AEG ab, scheidet ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel ebenfalls aus. Wenn schon ein Rückgriff auf die eisenbahnspezifische Generalsklausel aufgrund des abschließenden Charakters der Lärmvorsorge im Rahmen der Planfeststellung ausgeschlossen ist, gilt dies erst recht für die allgemeine polizeiliche Generalklausel. Im Übrigen würde die Anwendung der allgemeinen polizeilichen Generalklausel dazu führen, dass die der Eisenbahnverkehrsverwaltung der Länder unterstehenden Eisenbahnen anders behandelt würden als die Eisenbahnen des Bundes, die der Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes unterliegen. Dies dürfte ausweislich der Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes und des Allgemeinen Eisenbahngesetzes, die einheitliche Vorgaben für den Bau und den Betrieb von Eisenbahnen des Bundes und der Länder enthalten, nicht gewollt sein. *** 13 Siehe nur die polizeiliche Generalklausel des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes des Landes Berlin in § 17 Abs. 1: „Die Ordnungsbehörden und die Polizei können die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 18 bis 51 ihre Befugnisse besonders regeln.“ 14 Vgl. Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht (15. Aufl., 2013), 125, 168 ff.