© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 020/21 Einstufung als Gefährder und Aufenthaltsrecht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 020/21 Seite 2 Einstufung als Gefährder und Aufenthaltsrecht Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 020/21 Abschluss der Arbeit: 27. Januar 2021 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 020/21 Seite 3 1. Einleitung Der Begriff des Gefährders ist ein Arbeitsbegriff der Sicherheitsbehörden, der insbesondere bei der Bekämpfung des Terrorismus Anwendung findet. Eine Legaldefinition des Begriffs existiert nicht. Die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes hat im Jahr 2004 eine Definition beschlossen, die von der Bundesregierung und verschiedenen Sicherheitsbehörden der Länder verwendet wird: „Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a StPO (Strafprozessordnung), begehen wird.“1 Die Einstufung einer Person als Gefährder erfolgt durch die jeweils zuständige Landespolizei. Zuständig ist die Dienststelle, in deren Bereich die Person ihren Wohnsitz hat.2 Eine Einstufung als Gefährder dürfte somit bei Personen, die ihren Wohnsitz außerhalb Deutschlands haben, nicht erfolgen. Auf die Frage, ob eine unionsweit einheitliche Definition des Gefährderbegriffs angestrebt wird, antwortete die Bundesregierung Ende 2020 Folgendes: „,Gefährder‘ ist ein Begriff aus der deutschen Polizeifachsprache, zu dem es in anderen EU- Mitgliedstaaten kein direktes Äquivalent gibt. Insoweit und vor dem Hintergrund bewährter nationaler Ansätze sowie der alleinigen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die innere Sicherheit erscheint eine EU-weit einheitliche Definition des Gefährderbegriffs aus Sicht der Bundesregierung jedenfalls kurz- bis mittelfristig weder realisierbar noch zielführend. Erforderlich ist vielmehr ein gegenseitiges Verständnis über den Umgang der einzelnen Mitgliedstaaten mit Personen, die sie als potentielle terroristische/extremistische Gefahr ansehen, sowie perspektivisch gemeinsame Kriterien, mit denen sichergestellt wird, dass zumindest diejenigen Personen in Europäische Datenbanken eingestellt werden, von denen ein besonders hohes Gefährdungspotential ausgeht. Dafür hat sich die Bundesregierung im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eingesetzt und wird das Vorhaben auch künftig aktiv begleiten.“3 Im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wird der Begriff des Gefährders nicht verwendet. Es kann bei Ausländern allerdings Folgen für das Aufenthaltsrecht bzw. für die Einreise nach Deutschland haben, wenn davon ausgegangen wird, dass von der Person eine Sicherheitsgefährdung ausgeht. 1 Siehe auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Legaldefinition des Begriffs „Gefährder“, WD 3 - 3000 - 046/17, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/503066/8755d9ab3e2051bfa76cc514be96041f/WD-3-046-17-pdf-data.pdf. 2 BT-Drs. 19/1558 (neu), S. 2. 3 BT-Drs. 19/24961, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 020/21 Seite 4 2. Abschiebungsanordnung Gemäß § 58a Abs. 1 S. 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr eine Abschiebungsanordnung erlassen . Für die Gefahrenprognose genügt es, „dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergibt, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik umschlagen kann“.4 Die Abschiebungsanordnung ist nach § 58a Abs. 1 S. 2 AufenthG grundsätzlich sofort vollziehbar. Dem Ausländer ist aber nach § 58a Abs. 4 AufenthG Gelegenheit zu geben, mit einem Rechtsbeistand Verbindung aufzunehmen. Nach § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 AufenthG kann auf richterliche Anordnung der Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft genommen werden (Sicherungshaft), wenn eine Abschiebungsanordnung nach § 58a Abs. 1 S. 1 AufenthG ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.5 Ein Vollzug der Abschiebungsanordnung ist gemäß § 58a Abs. 3 unzulässig, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG besteht. Dies ist etwa nach § 60 Abs. 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer in einen Staat abgeschoben werden soll, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Überzeugung bedroht sind. Auf Unionsbürger ist § 58a AufenthG nicht anwendbar, vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Diese können aber gemäß § 6 Abs. 1 und Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU6 ihr Aufenthaltsrecht verlieren, wenn von ihnen eine terroristische Gefahr ausgeht. 3. Einreise Nach § 15 Abs. 2 AufenthG kann ein Ausländer an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn ein Ausweisungsinteresse besteht. Gemäß § 53 f. AufenthG besteht dieses Interesse unter anderem dann, wenn der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Die Zurückweisung eines Ausländers liegt grundsätzlich im Ermessen der Grenzbehörde.7 Im Fall der Sicherheitsgefährdung wird § 15 Abs. 2 AufenthG allerdings überlagert von Art. 14 4 Kluth, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, 27. Edition Stand: 1. Juli 2020, § 58a AufenthG Rn. 9. 5 Siehe vertiefend dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Anordnung von Sicherungshaft gegenüber Gefährdern, WD 3 - 3000 - 272/20, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/817838/ee0e7963f566f27a1d32f171aa9da246/WD-3-272-20-pdf-data.pdf. 6 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU – FreizügG/EU) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950, 1986), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. November 2020 (BGBl. I S. 2416). 7 Dollinger, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, 27. Edition Stand: 1. Juli 2020, § 15 AufenthG Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 020/21 Seite 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1e Schengener Grenzkodex.8 Danach ist einem Drittstaatenangehörigen die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zwingend zu verweigern, wenn er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellt. Dies gilt nach Art. 6 Abs. 1e Schengener Grenzkodex insbesondere dann, wenn die Person in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist. Eine solche Ausschreibung erfolgt aufgrund von Art. 24 der sog. SIS-II-Verordnung.9 Die Ausschreibung kann unter anderem dann erfolgen, wenn konkrete Hinweise bestehen, dass die Person schwere Straftaten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats plant. Eine Zurückweisung an der Grenze ist zudem nach § 15 Abs. 1 AufenthG zwingend, wenn der Ausländer unerlaubt einreisen will. Eine Einreise ist nach § 14 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG unter anderem dann unerlaubt, wenn dem Ausländer ein Einreiseverbot erteilt wurde. Dabei ist eine zuvor erfolgte Abschiebung nach § 58a Abs. 1 S. 1 AufenthG von Bedeutung: Gemäß § 11 Abs. 1 und Abs. 5a AufenthG soll gegen einen Ausländer, der zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde, ein 20 Jahre währendes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. *** 8 Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. L 77/1. 9 Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II), ABl. L 381/4.