© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 020/18 Entschädigung für Wertminderung von Grundeigentum durch Verkehrseinrichtungen der Bahn Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 020/18 Seite 2 Entschädigung für Wertminderung von Grundeigentum durch Verkehrseinrichtungen der Bahn Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 020/18 Abschluss der Arbeit: 31. Januar 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 020/18 Seite 3 1. Einleitung Von Einrichtungen der Bahn können erhebliche Verkehrsimmissionen ausgehen, die eine beachtliche Wertminderung von benachbarten Grundstücken nach sich ziehen. Die Ausarbeitung untersucht, inwieweit dem betroffenen Eigentümer in diesen Fällen ein Anspruch auf Ersatz der erlittenen Wertminderung seines Grundstückes zusteht. 2. Grundsatz: Grundstückswert vom Eigentumsschutz gemäß Art. 14 GG nicht umfasst Das Eigentum an einem Grundstück ist durch Art. 14 (GG) vor staatlichen Eingriffen geschützt. Umfasst sind nur Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht aber in der Zukunft liegende Chancen und Verdienstmöglichkeiten. Aus Art. 14 Absatz 1 GG folgt mithin keine allgemeine Wertgarantie des Grundeigentums.1 Der Eigentümer hat eine Minderung der Wirtschaftlichkeit grundsätzlich ebenso hinzunehmen, wie eine Verschlechterung der Verwertungsaussichten .2 Weiterhin steht das Privateigentum unter dem Vorbehalt des Sozialgebotes von Art. 14 Absatz 2 GG. Wertminderungen sind bis zu einem gewissen Grad vom Eigentümer als entschädigungsfreie Sozialbindung hinzunehmen.3 Schutzwürdige Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls sind unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in einen gerechten Ausgleich zu bringen.4 Vermögensnachteile durch Infrastrukturmaßnahmen der Bahn, wie etwa die Errichtung von Bahntrassen oder das Verlegen von Schienenanlagen in der Nachbarschaft, sind grundsätzlich hinzunehmen. Wie weit die auferlegte Duldungspflicht des Grundstückseigentümers reicht, wird im Rahmen von gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums gemäß Art. 14 Absatz 1 Satz 2 GG konkretisiert. Lärmschutzregelungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)5 in Verbindung mit der Verkehrslärmschutzverordnung (BImSchV)6 und entsprechende Ausgleichsansprüche aus BImSchG und aus allgemeinem Planungsrecht stellen solche Inhalts- und Schrankenbestimmungen dar und konkretisieren damit den Interessenausgleich zwischen dem von Bahnverkehrsmaßnahmen betroffenen Eigentümer und der von Einrichtungen der Bahn profitierenden Allgemeinheit. Danach sind beim Bau oder der Änderung von Eisen-, Magnetschwebe- und 1 Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 1 BvR 2736/08, Rdn. 38; Axer, Peter in: Epping, Volker/ Hillgruber, Christian, BeckOK Grundgesetz, 35. Auflage, 2013, Art. 14, Rdn. 43. 2 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2000, in: NVwZ-RR 2000, S. 339. 3 BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 1 BvR 2736/08, Rdn. 45. 4 Kapsa, Bernhard, in: Geigel, Reinhart, Haftpflichtprozess, 27. Auflage, 2015, 21. Kapitel, Rdn. 17. 5 Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftveränderungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge, BGBl I, S. 1274. 6 Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 12. Juni 1990, BGBl. I, S. 2269, die durch Art. 1 der Verordnung vom 18. Dezember 2014, BGBl. I S. 2269, geändert wurde. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 020/18 Seite 4 Straßenbahnen die Immissionsgrenzwerte für Verkehrslärm des § 2 Absatz 1 Verkehrslärmschutzverordnung (i.V.m. § 43 Absatz 1 Nr. 1 BImSchG i.V.m. § 41 Absatz 1 BImSchG) zu berücksichtigen. Werden diese Immissionswerte überschritten, weil im Rahmen eines Planungsvorhabens aktive Schallschutzmaßnahmen an der Quelle (sogenannte aktive Schallschutzmaßnahmen) nicht oder nicht ausreichend getroffen wurden oder waren sie unverhältnismäßig, steht dem betroffenen Eigentümer ein Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld gemäß § 42 BImSchG zu. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine echte Entschädigung, sondern um einen zweckgebundenen Ersatz von Aufwendungen, die im Rahmen eines Schallschutzes am Grundstück (sogenannte passive Schallschutzmaßnahmen) erforderlich sind. Dies können etwa die Kosten für Schallschutzfenster sein. Entschädigung für Wertminderung des Grundstückes kann hingegen nicht aus § 42 BImSchG geltend gemacht werden. 3. Entschädigung für Wertminderung von Grundeigentum bei Überschreiten der Zumutbarkeitsschwelle Ein Anspruch auf Entschädigung für Wertminderung des Grundstückes kann sich jedoch in Ausnahmefällen aus § 74 Absatz 2 Satz 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ergeben. Diese Vorschrift des allgemeinen Planungsrechts ist zwar subsidiär zur spezialgesetzlichen Regelung des § 42 BImschG. Ein Rückgriff wird aber allgemein bejaht, soweit eine Entschädigung gefordert wird, die das speziellere Bundesimmissionsschutzrecht nicht bietet.7 Von den Verwaltungsgerichten und in der Literatur wird ein Anspruch auf Entschädigung bei Wertminderung in Ausnahmefällen aus § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG als Ausgleich bei sonst unverhältnismäßiger Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums gemäß Art. 14 Absatz 1, Satz 2 GG gewährt.8 Voraussetzung ist, dass passive und aktive Schutzmaßnahmen nicht ausreichen, um die Beeinträchtigungen auf ein zumutbares Maß zu beschränken, mithin die eigentumsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle überschritten wurde. Der Bundesgerichtshof hat einen Anspruch auf Entschädigung bei Wertminderung aus dem Institut des enteignenden Eingriffs als Ausprägung des allgemeinen Aufopferungsgedankens abgeleitet.9 7 Neumann, Werner/Külpmann, Christoph, in: Stelkens, Paul/Bonk, Joachim/Sachs, Michael, Verwaltungsverfahrensgesetz , 9. Auflage, 2018, § 74, Rdn. 189; Jarass, Hans D., in: Jarass, Hans D., BImSchG, 12. Auflage, 2017, § 42, Rdn. 5. 8 Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1989, in: NJW 1987, S. 2824 (2826); BVerwG, Urteil vom 9. November 2006, in: NVwZ 2007, S. 445Rdn. 144; BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 1 BvR 2736/08, Rdn. 53; de Witt, Siegfried, Zivilrechtlicher Entschädigungsanspruch wegen Lärms oder Rechtsbehelfe des Planfeststellungsverfahrens , in: NZM 2010, S. 428, S. 429; Neumann, Werner/Külpmann, Christoph, ebenda, Rdn. 185; Kämper, Norbert, in: Bader, Johann/Ronellenfitsch, Michael, BeckOK VwVfG, 37. Auflage, 2017, § 74, Rdn. 115. 9 So etwa BGH, Urteil vom 20. März 1975, in: NJW 1975, S. 1406; BGH, Urteil vom 25. März 1993, in: NJW 1993, 1700 ff.; BGH, Urteil vom 16. März 1995, in: NJW 1995, S. 1823; BGH, Urteil vom 21.1.1999, in: NJW 1999, S. 1247 (1251); siehe auch VGH Mannheim, Urteil vom 6.7.2016, in: NVwZ-RR 2017, S. 224 (225); vgl. hierzu Dieterich, Ernst, in: Ernst, Werner/Zinkahn, Willy/Bielenberg, Walter/Krautzberger, Michael, Baugesetzbuch, 126. Auflage, 2017, § 194, Rdn. 110; Kapsa, Bernhard, ebenda, Rdn. 16, 37. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 020/18 Seite 5 Unabhängig vom dogmatischen Ansatz wird die Zumutbarkeitsschwelle aus den besonderen Umständen abgeleitet. Sie ist überschritten, wenn es durch die Lärmbelästigungen zu einer schweren und unerträglichen Betroffenheit des Grundstückes gekommen ist.10 Als Maßstab werden die zu § 906 Absatz 2 Satz 2 BGB entwickelten Grenz- und Richtwerte herangezogen. Die Bewertung darf jedoch nicht schematisch davon abhängig gemacht werden, ob bestimmte Immissionsschutzwerte überschritten worden sind.11 Maßgeblich sind die Umstände im Einzelfall, die sogenannte „Situationsgebundenheit“. Der Interessenkonflikt zwischen den sich berührenden Belangen des Allgemeinwohls und den betroffenen Eigentümerinteressen ist unter Berücksichtigung der Lage und der Umweltverhältnisse des Geländes zu lösen.12 Danach muss der Eigentümer Beschränkungen entschädigungslos hinnehmen, wenn sie sich aus der Lage und der Beschaffenheit des Grundstücks und seiner Einbettung in die Landschaft und Natur ergeben. Eine Entschädigung für Wertminderung kommt erst in Betracht, wenn eine schon in der Vergangenheit verwirklichte und sich aus Lage und Beschaffenheit des Grundstückes objektiv anbietende Benutzungsart wesentlich eingeschränkt wurde.13 So sind in reinen Wohngebieten an die Wohnqualität höhere Anforderungen zu stellen als im Außenbereich, der gerade dazu bestimmt ist, emissionsintensive Anlagen aufzunehmen.14 In einem reinen Wohngebiet wurde deshalb bei Überschreiten des Lärmpegels von 70 bis 75 Dezibel am Tage und 60 bis 65 Dezibel in der Nacht eine Entschädigung für Wertminderung zugesprochen.15 Das Bundesverwaltungsgericht stellt vor allem auf die Schwere, Erheblichkeit und Tragweite der Beanspruchung unter Berücksichtigung der Ortsbezogenheit ab.16 Bei Geräuschimmissionen berücksichtigt es vor allem Ausmaß, Art und Dauer des Lärms. Der Bundesgerichtshof macht das Kriterium eines die Grenzen der Sozialbindung des Eigentums gemäß Art. 14 Absatz 2 GG überschreitenden Sonderopfers zum Maßstab: Danach muss ein besonderes Opfer vorliegen, das nicht alle gleichmäßig, sondern Einzelne, oder einen verhältnismäßig engen Kreis trifft und damit einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstellt.17 10 Vgl. hierzu BGHZ 64, 220, 229f; BGH, Urteil vom 25. März 1993, in: NJW 1993, S. 1700 (1701). 11 Kapsa, Bernhard, ebenda, Rdn. 44. 12 Vgl. etwa BGH, Urteil vom 25. März 1993, in: NJW 1993, S. 1700 (1701). 13 Kapsa, Bernhard, ebenda, Rdn. 40. 14 Kapsa, Bernhard, ebenda, Rdn. 44. 15 BGH, Urteil vom 25. März 1993, in: NJW 1993, S. 1700 (1701). In allgemeinen Wohngebieten sind gemäß § 2 BImSchV am Tag 59 Dezibel, und in der Nacht 49 Dezibel nicht zu überschreiten. 16 Siehe mit weiterem Nachweis Kapsa, Bernhard, ebenda, Rdn. 38. 17 Vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. März 1975, in: NJW 1975, S. 1406, 1408; BGH, Urteil vom 16. März 1995, in: NJW 1995, S. 1823 (1825). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 020/18 Seite 6 Die Höhe der Entschädigung wird nach der Verminderung des Verkehrswertes bemessen, wie sie durch die Beeinträchtigung oberhalb der Zumutbarkeitsgrenze eintritt.18 Dabei ist der Grad der Beeinträchtigung der funktionalen Nutzbarkeit des Grundstücks maßgebend.19 Bei einer Minderung des Grundstückswertes um 50 bis 60 Prozent wurde ein Ersatzanspruch in Höhe des Neubeschaffungswertes zugesprochen, da der Eigentümer durch eine staatliche Übernahme zum Verkehrswert nicht in die Lage versetzt würde, für sich und seine Familie ein adäquates Ersatzgrundstück zu erwerben.20 *** 18 Dieterich, Ernst, in: Ernst, Werner/Zinkahn, Willy/Bielenberg, Walter/Krautzberger, Michael, Baugesetzbuch, August 2017, § 194, 126. Auflage, Rdn. 110. 19 Kapsa, Bernhard, ebenda, Rdn. 60. 20 BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 1 BvR 2736/08, Rdn. 49-50.