© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 020/16 Bedeutung der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ im Sinne des Art. 25 GG im Zusammenhang mit Abschiebeverboten im Ausländerrecht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 020/16 Seite 2 Bedeutung der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ im Sinne des Art. 25 GG im Zusammenhang mit Abschiebeverboten im Ausländerrecht Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 020/16 Abschluss der Arbeit: 20.01.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 020/16 Seite 3 1. Fragestellung Es ist die Frage aufgeworfen worden, was unter dem Begriff „allgemeine Regeln des Völkerrechts“ im Sinne des Art. 25 GG zu verstehen ist und ob sich aus ihnen Hindernisse für die Abschiebung von Ausländern aus Deutschland ergeben können. Art. 25 GG lautet: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ Aufgrund der äußerst kurzen Bearbeitungszeit wurde mit dem Auftraggeber vereinbart, dass diese Frage nur summarisch geprüft und die auf dieser Basis erarbeitete Antwort kurz dargestellt werden soll. 2. Erläuterungen Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts1 und ganz herrschender Meinung in der Literatur2 umfasst der verfassungsrechtliche Begriff „allgemeine Regeln des Völkerrechts“ die Normen des universellen Völkergewohnheitsrechts und damit die Normen des Völkerrechts, die aufgrund einer allgemeinen Praxis und korrespondierenden Rechtsüberzeugung für die überwiegende Mehrheit der Staaten verbindlich sind.3 Das Völkervertragsrecht und damit völkerrechtliche Verträge fallen nach einhelliger Auffassung nicht unter „die allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ im Sinne des Art. 25 GG und daher insbesondere nicht unter die Regelung der Rangfolge gegenüber dem Bundesrecht in Art. 25 Satz 2 GG.4 Völkerrechtliche Verträge werden über die spezielle Vorschrift des Art. 59 Abs. 2 GG in das deutsche Recht einbezogen.5 Stimmt der Bundestag nach Art. 59 Abs. 2 GG einem völkerrechtlichen Vertrag in einem Gesetz zu, kommt dem völkerrechtlichen Vertrag in der Regel dieselbe Rangfolge zu wie dem Zustimmungsakt und hat damit den Rang eines einfachen Gesetzes.6 1 BVerfGE 23, 288, 317; BVerfGE 96, 68, 86. 2 Vgl. die Nachweise für die Literatur bei Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 37. Ergänzungslieferung (Stand: August 2000), Art. 25 Rdnr. 19 sowie bei Heinegg, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Online-Kommentar GG, Stand: 01.03.2015 (Edition 25), Art. 25 Rdnr. 19. 3 Heinegg, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Online-Kommentar GG, Stand: 01.03.2015 (Edition 25), Art. 25 Rdnr. 19 m.w.N. 4 Vgl. BVerfGE 94, 315 sowie für die Literatur die Nachweise bei Heinegg, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Online- Kommentar GG, Stand: 01.03.2015 (Edition 25), Art. 25 Rdnr. 22. 5 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 37. Ergänzungslieferung (Stand: August 2000), Art. 25 Rdnr. 20. 6 Vgl. zu den Einzelheiten Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 54. Ergänzungslieferung (Stand: Januar 2009), Art. 59 Rdnr. 181 ff.; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 59 Rdnr. 63 f. jeweils m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 020/16 Seite 4 Der Abschiebung eines Ausländers können verschiedene Hindernisse entgegenstehen. Dies ist zunächst im deutschen Recht insbesondere in den §§ 60 (Verbot der Abschiebung) und 60a (vorübergehende Aussetzung der Abschiebung/Duldung) des AufenthG7 geregelt. So darf ein Ausländer beispielsweise nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies umfasst in jedem Fall eine Behandlung, die gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Eine solche Strafe kann insbesondere auch eine drohende Todesstrafe 8 oder lebenslange Freiheitsstrafe sein, wenn das staatliche Recht die Überprüfung einer möglichen Entlassung nicht vorsieht.9 Diese Abschiebungshindernisse werden völkerrechtlich als „Refoulement-Verbot“ bezeichnet.10 Die nationalen deutschen Vorschriften über Abschiebungsverbote und -hindernisse fallen nicht unter „die allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ im Sinne des Art. 25 GG. Bei der EMRK, auf die in § 60 Abs. 5 AufenthG Bezug genommen wird, handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der (als Ganzer) nicht in die Regelung des Art. 25 GG einbezogen ist.11 Das Bundesverfassungsgericht räumt der EMRK in ständiger Rechtsprechung daher ebenfalls „nur“ den Rang eines einfachen Bundesgesetzes ein.12 Teilweise wird jedoch vertreten, dass das Refoulement-Verbot (Art. 3 EMRK) mittlerweile zum universellen Völkergewohnheitsrecht gehört.13 Das Bundesverfassungsgericht hat dies bisher – soweit ersichtlich – noch nicht bestätigt. Aber auch wenn man sich dieser Auffassung anschließt und den Abschiebungsschutz des Refoulement-Verbots zu den „allgemeine Regeln des Völkerrechts “ im Sinne des Art. 25 GG zählen würde, käme die Rangfolgenregelung in Art. 25 Satz 2 GG nach derzeitiger Rechtslage faktisch nicht zum Tragen. Die Rangfolgereglung ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn das Völkergewohnheitsrecht mit dem einfachen Recht in Widerspruch 7 Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das durch Artikel 5 des Gesetzes vom 22. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2557) geändert worden ist. 8 Siehe zu den Einzelheiten Valerius, in: Graf (Hrsg.), Beck‘scher Online Kommentar zur StPO, Stand 1. September 2015, Art. 3 EMRK Rn. 4.1. mit Hinweis auf EGMR NJW 1990, 2183, 2186. 9 Zum Ganzen Absatz vgl. die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste „Auswirkung begangener Straftaten auf den Aufenthalt von Ausländern in der Bundesrepublik“, Az. WD 3 - 3000 - 255/15, S. 12 f., m.w.N. 10 Das Refoulement-Verbot hat unterschiedliche völkerrechtliche Quellen. Es findet sich ausdrücklich in verschiedenen Ausgestaltungen in Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention und in Art. 3 der Anti-Folter-Konvention. Es resultiert jedoch letztlich aus Art. 3 EMRK, auf den § 60 Abs. 5 AufenthG ausdrücklich verweist, und aus Art. 7 des Internationalen Paks für Bürgerliche und Politische Rechte. Vgl. dazu den ausführlichen Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste „Völker- und menschenrechtliche Vorgaben für Abschiebung von straffällig gewordenen Flüchtlingen“, WD 2 - 3000 - 002/16, S. 5. 11 Herrschende Meinung: Vgl. statt aller Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 37. Ergänzungslieferung (Stand: August 2000), Art. 25 Rdnr. 22 m.w.N. 12 BVerfGE 31, 145, 174; BVerfGE 75, 358, 370; BVerfGE 82, 106, 114 f. 13 Vgl. die Nachweise bei Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 35. Ergänzungslieferung (Stand: Februar 1999), Art. 16a Abs. 2 Rdnr. 13, S. 8, in Fn. 4, sowie in dem Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste „Völker- und menschenrechtliche Vorgaben für Abschiebung von straffällig gewordenen Flüchtlingen“, WD 2 - 3000 - 002/16, S. 5, in Fn. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 020/16 Seite 5 steht. Da jedoch § 60 Abs. 5 AufenthG die Abschiebung eines Ausländers ausdrücklich verbietet, wenn diese Abschiebung nach Art. 3 EMRK unzulässig wäre, dürfte es nach geltender Rechtslage nicht zu einem solchen Widerspruch kommen. Ende der Bearbeitung