© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 020/15 Verdachtsunabhängige Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG und „Racial Profiling“ Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 2 Verdachtsunabhängige Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG und „Racial Profiling“ Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 020/15 Abschluss der Arbeit: 3. März 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 5 2. Fragestellung 6 3. Begriffliche Eingrenzung des „Racial“ oder „Ethnic Profiling“ 6 4. Erhebungen zum „Racial Profiling“ in der polizeilichen Vollzugspraxis europäischer Staaten 6 5. Systematik des § 22 Abs. 1a BPolG 7 6. Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1a BPolG 10 6.1. Bestimmtheitsgebot 10 6.2. Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Freiheitsgrundrechte 13 Legitimes Ziel 13 Eignung 14 Erforderlichkeit 14 Angemessenheit 15 6.3. Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG 17 7. Verfassungskonformer Vollzug des § 22 Abs. 1a BPolG 19 7.1. Phänotypisches Merkmal als Motiv der polizeilichen Maßnahme 20 7.2. Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG 22 8. „Racial Profiling“ im Lichte der Rechtsprechung 22 8.1. Beispiele aus der deutschen Judikatur 22 VG und OVG Koblenz 2012 23 VG Koblenz 2014 24 8.2. Beispiele aus der internationalen Judikatur 25 Spanisches Verfassungsgericht: Williams Lecraft v. Spain 25 Britisches House of Lords: Roma Rights Case 26 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): Timishev v. Russia 26 9. Rechtslage zu „Racial Profiling“ in anderen Ländern am Beispiel Großbritanniens und der USA 27 9.1. Großbritannien 27 Police and Criminal Evidence Act von 1984 27 Weisung und Empfehlung zum Terrorism Act 2000 28 9.2. USA 29 Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 4 10. Völkerrechtliche Vorgaben zur Unterbindung des „Racial Profiling“ 29 11. Maßnahmen der Bundesrepublik gegen „Racial Profiling“ 30 12. Ausblick 32 Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 5 1. Zusammenfassung § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz (BPolG) greift in die subjektiven Rechte der allgemeinen Handlungsfreiheit – Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) – sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG – ein. Allerdings stellt die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität einen legitimen Zweck dar, der diese Grundrechtseingriffe rechtfertigt. Ebenso wenig verstößt § 22 Abs. 1a BPolG gegen das spezielle Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Vielmehr ist § 22 Abs. 1a BPolG eine für jede Person unterschiedslos geltende wie unterschiedslos wirkende Regelung. Eine Ungleichbehandlung durch § 22 Abs. 1a BPolG kann nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber hat durch § 22 Abs. 1a BPolG die bundespolizeiliche Aufgabe, den grenzüberschreitenden Verkehr zu überwachen (§ 2 BPolG), rechtskonform ausgestaltet . Insofern steht § 22 Abs. 1a BPolG auch nicht im Widerspruch zu der „General Recommendation Nr. 31“ der CERD. § 22 Abs. 1a BPolG erlaubt keine auf „Racial“ oder „Ethnic Profiling“ beruhende Ausübung des polizeilichen Ermessens. Polizeiliche Maßnahmen, welchen die Methode des „Racial“ oder „Ethnic Profiling“ zugrunde liegt, verstoßen gegen verfassungsrechtliche Prinzipien sowie völkerrechtliche Verträge. Hieraus geht hervor, dass das „Racial“ oder „Ethnic Profiling“ eine verbotene Diskriminierung darstellt. Insofern wären entsprechende Maßnahmen aufgrund eines Ermessensfehlers rechtswidrig. Dies hat auch das OVG Rheinland-Pfalz festgestellt. Daneben hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der UN-Menschenrechtsausschuss sowie das britische House of Lords das staatliche „Profiling“ aufgrund der Hautfarbe oder der ethnischen Herkunft als unzulässige und nicht zu rechtfertigende Diskriminierung angesehen. Auch wenn andere Staaten – darunter insbesondere Großbritannien – im Gegensatz zu der Bundesrepublik umfassendere Vorschriften gegen das „Racial“ oder „Ethnic Profiling“ erlassen haben, ist in der Bundesrepublik durch verfassungsrechtliche Prinzipien und völkerrechtliche Verträge sichergestellt, dass das verbotene „Profiling“ umfassend unterbunden wird. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 6 2. Fragestellung Im Mittelpunkt dieser Ausarbeitung steht die Frage, inwiefern das nationale und auch das internationale Recht dem sog. „Racial“ oder „Ethnic Profiling“ entgegenstehen. In diesem Zusammenhang wird näher untersucht, ob phänotypische Merkmale als Auswahlkriterien einer verdachtsunabhängigen polizeilichen Kontrolle nach des § 22 Abs. 1a (BPolG) herangezogen werden dürfen, und ob die Bundesrepublik im Hinblick auf völkerrechtliche Verträge die darin geforderten effektiven Maßnahmen zur Unterbindung des „Racial Profiling“ unternimmt. Insbesondere die Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1a BPolG basieren in weiten Teilen auf einer bereits zu dieser Thematik bestehenden Ausarbeitung des Fachbereichs WD 3.1 3. Begriffliche Eingrenzung des „Racial“ oder „Ethnic Profiling“ Hinter dem Begriff des „Racial“ oder „Ethnic Profiling“ verbirgt sich die auf phänotypischen Merkmalen basierende unterschiedliche Behandlung einzelner Personen im Vergleich zu anderen, welche sich in einer vergleichbaren Situation befinden.2 Dabei wird der Begriff im internationalen Kontext insbesondere auf die Durchführung von polizeilichen Maßnahmen bezogen.3 Eine völkerrechtlich einheitliche Definition existiert jedoch nicht. Phänotypische Merkmale beschreiben dabei das Erscheinungsbild eines Menschen, das durch Erbanlagen und Umwelteinflüsse geprägt ist. Von diesen Merkmalen werden etwa die Hautfarbe, die Rasse, oder sonstige äußerliche Erscheinungsmerkmale erfasst, die Hinweise etwa auf die ethnische Herkunft geben können.4 4. Erhebungen zum „Racial Profiling“ in der polizeilichen Vollzugspraxis europäischer Staaten Bislang ist das Vereinigte Königreich der einzige Staat, der systematisch Daten zu Polizeikontrollen erfasst, die Aufschluss über die ethnische Zugehörigkeit der angehaltenen Personen gibt. Dort werden entsprechende Statistiken seit den 1980er Jahren erhoben. In den übrigen EU-Mitgliedstaaten hingegen wurde dem „Racial Profiling“ weniger Aufmerksamkeit gewidmet. So hat die Bundesregierung bekanntgegeben, dass in Deutschland bei Befragungen und Identitätsfeststellungen 1 verdachtsunabhängige Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags (WD 3 – 3000 – 244/14). 2 EU-MIDIS, Polizeikontrollen und Minderheiten, 4/2010, S. 6; online verfügbar: https://fra.europa.eu/sites/default/files /fra_uploads/1132-EU-MIDIS-police_DE.pdf. 3 Drohla, Hautfarbe als Auswahlkriterium für verdachtsunabhängige Polizeikontrollen?, ZAR 2012, 411. 4 FRA, „Diskriminierendes Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden: ein Handbuch, 2010, S. 6, online abrufbar: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1133-Guide-ethnic-profiling_DE.pdf. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 7 gemäß § 22 Abs. 1a und § 23 Abs. 1 Nummer 3 BPolG weder die Staatsangehörigkeit noch der aufenthalts-/asylrechtliche Hintergrund oder entsprechende Daten statistisch erhoben würden.5 Angesichts des Fehlens derartiger Daten entschied sich die „European Union Agency for Fundamental Rights“ (FRA) zu der Erhebung der Europäischen Union zu Minderheiten und Diskriminierungen (European Union Minorities and Discrimination Survey), kurz EU-MIDIS-Studie. Hierbei handelt es sich um die erste EU-weite stichprobenartige Erhebung, in der Zuwanderer und ethnische Minderheiten zu ihren Erfahrungen mit Diskriminierung und krimineller Viktimisierung im Alltag befragt wurden.6 Von besonderem Interesse bei der Auseinandersetzung mit dem „Racial Profiling“ ist hierbei der in zehn Mitgliedstaaten durchgeführte Vergleich zwischen Befragten, die einer Minderheit angehören, und solchen, welche einer Mehrheitsbevölkerung angehören. Zwar kann die EU-MIDIS Studie keine Aussage zu einer diskriminierenden Profilierung der Polizei machen. Schließlich erklärt sie insbesondere nicht die divergierenden Polizeipraktiken in den Mitgliedsstaaten und gibt lediglich die subjektiven Empfinden der interviewten Personen dahingehend wieder, ob sie den Eindruck hatten, aufgrund ihrer Minderheitszugehörigkeit von der Polizei anders behandelt worden zu sein.7 Allerdings zeigt die Studie eine bestehende unterschiedliche Behandlung von Minderheits- zu Mehrheitsangehörigen auf. Aus dieser Studie ergibt sich insbesondere, dass generell mehr Mitglieder von Minderheitsgruppen als Personen einer Mehrheitsbevölkerung angehalten worden sind. 8 Im Durchschnitt wurden damit gegenüber der Mehrheitsbevölkerung etwa 8% mehr einer Minderheit angehörende Personen angehalten. Ein ähnliches Bild ergibt sich für den Vergleich der Häufigkeit von Polizeikontrollen. Wegen der Einzelheiten wird auf die EU-MIDIS-Studie sowie die sich mit dieser sachlich auseinandersetzenden Stellungnahme der FRA verwiesen.9 5. Systematik des § 22 Abs. 1a BPolG Die Ermächtigungsgrundlage für verdachtsunabhängige Kontrollen der deutschen Bundespolizei lautet: „§ 22 Befragung und Auskunftspflicht 5 BT-Drs.17/6778, S. 2; BT-Drs. 18/453, S. 5. 6 EU-MIDIS, Polizeikontrollen und Minderheiten, 4/2010, S. 2; online verfügbar: https://fra.europa.eu/sites/default/files /fra_uploads/1132-EU-MIDIS-police_DE.pdf. 7 FRA, „Diskriminierendes Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden: ein Handbuch, 2010, S. 6, online abrufbar: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1133-Guide-ethnic-profiling_DE.pdf. 8 Vertiefend: EU-MIDIS, Polizeikontrollen und Minderheiten, 4/2010, S. 8; online verfügbar: https://fra.europa. eu/sites /default/files/fra_uploads/1132-EU-MIDIS-police_DE.pdf; Zusammenfassung: FRA, „Diskriminierendes Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden: ein Handbuch, 2010, S. 31, online abrufbar: http://fra.europa.eu/sites/default/files /fra_uploads/1133-Guide-ethnic-profiling_DE.pdf. 9 http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1133-Guide-ethnic-profiling_DE.pdf. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 8 […] (1a) Zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet kann die Bundespolizei in Zügen und auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes (§ 3), soweit auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, daß diese zur unerlaubten Einreise genutzt werden, sowie in einer dem Luftverkehr dienenden Anlage oder Einrichtung eines Verkehrsflughafens (§ 4) mit grenzüberschreitendem Verkehr jede Person kurzzeitig anhalten, befragen und verlangen, daß mitgeführte Ausweispapiere oder Grenzübertrittspapiere zur Prüfung ausgehändigt werden, sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen. (2) Die befragte Person ist verpflichtet, Namen, Vornamen, Tag und Ort der Geburt, Wohnanschrift und Staatsangehörigkeit anzugeben, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben der Bundespolizei erforderlich ist. Eine weitergehende Auskunftspflicht besteht nur für die nach den §§ 17 und 18 Verantwortlichen und unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 für die dort bezeichneten Personen sowie für die Personen, für die gesetzliche Handlungspflichten bestehen, soweit die Auskunft zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist. […]“ Zweck der Norm ist die Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreisen im Sinne des § 14 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz.10 Insbesondere soll die damit einhergehende Schleusungskriminalität unterbunden werden.11 Zu diesem Zweck räumt § 22 Abs. 1a BPolG bestimmte Befugnisse ein, die räumlich in zwei Verkehrsmitteln bzw. Verkehrsinfrastrukturen wahrgenommen werden können: zum einen in Zügen und auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes und zum anderen in dem Luftverkehr dienenden Anlagen oder Einrichtungen eines Verkehrsflughafens mit grenzüberschreitendem Verkehr. Während im Luftverkehrsbereich keine weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen aufgestellt werden, bestehen die Befugnisse zu Maßnahmen in Zügen nur, wenn auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, dass die Züge zur unerlaubten Einreise genutzt werden. Eine konkrete Gefahr ist nicht erforderlich. Bei den Begriffen „Lageerkenntnisse“ 10 Vgl. Hoppe/Peilert, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, BPolG, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 30. 11 Vgl. Gnüchtel, Fahndung im Grenzgebiet, auf dem Gebiet der Bahnanlagen sowie auf Verkehrsflughäfen, NVwZ 2013, 980 (981). Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 9 und „grenzpolizeiliche Erfahrung“ handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung zugänglich sind.12 Liegen die örtlichen und im Fall von Zügen die zusätzlichen sachlichen Voraussetzungen vor, räumt § 22 Abs. 1a BPolG der Bundespolizei auf der Rechtsfolgenseite die Befugnis ein, jede Person kurzzeitig anzuhalten, zu befragen und zu verlangen, dass mitgeführte Ausweispapiere oder Grenzübertrittspapiere zur Prüfung ausgehändigt werden, sowie mitgeführte Sachen in Augenschein zu nehmen. Die befragte Person ist nach § 22 Abs. 2 S. 1 BPolG verpflichtet, Namen, Vornamen, Tag und Ort der Geburt, Wohnanschrift und Staatsangehörigkeit anzugeben, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben der Bundespolizei erforderlich ist. Weitergehende Auskunftspflichten bestehen nach § 22 Abs. 2 S. 2 BPolG nur für Verhaltens- oder Zustandsstörer (§§ 17, 18 BPolG) bzw. für Nichtstörer im Falle des polizeilichen Notstands (§ 20 BPolG) sowie für Personen, für die gesetzliche Handlungspflichten bestehen, soweit die Auskunft zur Abwehr einer konkreten Gefahr erforderlich ist.13 Die Kontrolle der Ausweispapiere beschränkt sich auf mitgeführte Papiere. Da entgegen landläufiger Vorstellung weder für Deutsche noch für Ausländer eine allgemeine Pflicht zur Mitführung von Ausweispapieren besteht, sind die Kontrollmöglichkeiten insoweit von vornherein begrenzt.14 Zu weiteren Maßnahmen wie etwa das Festhalten und die Mitnahme zur Dienststelle zur Identitätsfeststellung oder die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen ermächtigt § 22 Abs. 1a BPolG nicht. Diese sind nur nach Maßgabe anderweitiger Befugnisnormen (v.a. § 23 Abs. 3 BPolG und § 24 BPolG), d.h. bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen zulässig. Die Ausübung der Befugnisse nach § 22 Abs. 1a BPolG hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen (§ 16 Abs. 1 BPolG). Das danach eröffnete Auswahlermessen der handelnden Beamten wird durch die verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote (insbesondere des Art. 3 Abs. 3 GG) begrenzt.15 Das „Ob“ und „Wie“ der Ausübung ist ferner durch den verfassungsrechtlich verankerten und in § 15 BPolG einfachgesetzlich konkretisierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprägt: Danach ist von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt (§ 15 Abs. 1 BPolG). Die gewählte Maßnahme darf außerdem nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht (§ 15 Abs. 2 BPolG). Schließlich ist eine Maßnahme nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann (§ 15 Abs. 3 BPolG). 12 Vgl. Hoppe/Peilert, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, BPolG, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 34. 13 Vgl. Wehr, BPolG, 1. Aufl. 2013, § 22 Rn. 14. 14 Vgl. Hoppe/Peilert, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, BPolG, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 37. 15 Vgl. Wehr, BPolG, 1. Aufl. 2013, § 22 Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 10 Gesetzliche Beschränkungen der Häufigkeit von Befragungen auf der Grundlage von § 22 Abs. 1a BPolG bestehen nicht. Die Häufigkeit ist grundsätzlich abhängig von den Lageerkenntnissen. Klarzustellen ist allerdings, dass es sich bei diesen lageabhängigen Befragungen nicht um „Ersatzgrenzkontrollen “ handelt. Diese wären mit Art. 20 Schengener Grenzkodex16 unvereinbar17, wonach die Binnengrenzen an jeder Stelle ohne Personenkontrolle überschritten werden dürfen. 6. Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1a BPolG Die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift wird im Schrifttum aus verschiedenen Gründen kontrovers diskutiert, insbesondere im Hinblick auf grundrechtliche bzw. rechtsstaatliche Aspekte.18 Im Folgenden wird ein Überblick über die wesentlichen Fragen gegeben, wobei sich diese auf die materielle Verfassungsmäßigkeit beschränken.19 Die Verfassungsmäßigkeit von verdachtsunabhängigen Personenkontrollen im Allgemeinen ist in der Literatur umstritten. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen im Hinblick auf die Bestimmtheit (dazu 4.1.1.) und die Verhältnismäßigkeit (dazu 6.2).20 Zudem fördere die Vorschrift verfassungswidrige Ungleichbehandlungen (dazu 6.3).21 6.1. Bestimmtheitsgebot Nach dem aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten abzuleitenden Bestimmtheitsgebot müssen grundrechtsbeschränkende Gesetze hinreichend konkrete Maßgaben für das Verwaltungshandeln aufstellen, um dieses nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen, den Bürgern Klarheit 16 Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. L 105 vom 13. April 2006. 17 EuGH, Urteil vom 22. Juni 2010, Az. C- 188/10, Meli und Abdeli. 18 Vgl. Lisken, „Verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität“?, NVwZ 1998, 22 ff.; Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, E. Rn. 377; Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz , Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 16 ff.; Schütte, Befugnis des Bundesgrenzschutzes zu lageabhängigen Personenkontrollen, ZRP 2002, 393 ff. 19 Zur Frage der Gesetzgebungskompetenz des Bundes: , Verdachtsunabhängige Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags (WD 3 – 3000 – 244/14). 20 Vgl. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, E. Rn. 377. 21 So Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz, Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 24 ff. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 11 über mögliche belastende Maßnahmen zu verschaffen und eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle anhand eindeutiger Maßstäbe zu ermöglichen.22 Mit steigender Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme steigen die Anforderungen an die gesetzliche Konkretisierung: Je intensiver der Eingriff ist, desto bestimmter müssen die zu ihm ermächtigenden Befugnisnormen sein.23 Unter Beachtung dieser Grundsätze darf der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden, deren nähere Konkretisierung dann der Rechtsprechung obliegt. In der Literatur wird vertreten, dass § 22 Abs. 1a BPolG diesen Anforderungen nicht gerecht werde.24 Die Tatbestandsmerkmale „Lageerkenntnisse“ und „grenzpolizeiliche Erfahrung“ seien zu unbestimmt .25 Der Bürger sei darauf angewiesen, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme der Bundespolizei im Nachhinein verwaltungsgerichtlich überprüfen zu lassen, und könne vorher nicht erkennen, ob der Tatbestand der Eingriffsnorm erfüllt sei, und dementsprechend auch sein Verhalten nicht danach ausrichten.26 Die Eingriffsvoraussetzungen müssten aber auf tatbestandlicher Ebene so normiert sein, dass jeder Bürger den Grund für das Eingreifen und dessen Ausmaß erkennen könne.27 Zudem sei das Tatbestandsmerkmal „grenzpolizeiliche Erfahrung“ einer gerichtlichen Überprüfung nach objektiven rechtlichen Kriterien nicht zugänglich.28 Andere Stimmen halten die durch das Bestimmtheitsgebot an die Norm gestellten Anforderungen für erfüllt. Die Tatbestandsmerkmale „Lageerkenntnisse“ und „grenzpolizeiliche Erfahrung“ berechtigten die Bundespolizei zu einer Prognose, die vollständig gerichtlich kontrollierbar sei.29 Die Rechtslage sei mit der Rechtsfigur des Gefahrenverdachts zu vergleichen, bei der ebenfalls objektive Anhaltspunkte vorliegen müssen, die bei verständiger Würdigung durch den Betrachter 22 BVerfGE 113, 348 (375 ff.); zuletzt BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013, 2 BvR 2436/10, 2 BvE 6/08, Rn. 126. 23 Vgl. Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2011, Rn. 173. 24 Etwa Schütte, Befugnis des Bundesgrenzschutzes zu lageabhängigen Personenkontrollen, ZRP 2002, 393 (398). 25 Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz, Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 19. 26 Schütte, Befugnis des Bundesgrenzschutzes zu lageabhängigen Personenkontrollen, ZRP 2002, 393 (398). 27 Lisken, „Verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität “?, NVwZ 1998, 22 (25). 28 Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz, Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 19. 29 Martínez Soria, Verdachtsunabhängige Kontrollen durch den Bundesgrenzschutz, NVwZ 1999, 270 (272). Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 12 aus der ex-ante-Sicht einen Sachverhalt wahrscheinlich erscheinen lassen, der, wenn er tatsächlich vorläge, eine polizeiliche Gefahr darstellen würde.30 Klarzustellen ist, dass sich die unbestimmten Rechtsbegriffe zum einen nur auf Maßnahmen in Zügen beziehen. In Bezug auf Verkehrsflughäfen mit grenzüberschreitendem Verkehr gilt die Einschränkung nicht und stellt sich insoweit von vornherein nicht die Frage nach der hinreichenden Bestimmtheit. Zum anderen dienen die unbestimmten Rechtsbegriffe nur der Feststellung, ob ein bestimmter Zug mutmaßlich zur unerlaubten Einreise genutzt wird, nicht aber, ob eine zu befragende Person mutmaßlich unerlaubt eingereist ist. Nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 1a BPolG müssen Lageerkenntnisse und grenzpolizeiliche Erfahrung die Annahme zulassen, dass die Züge, in denen Befragungen stattfinden sollen, „zur unerlaubten Einreise genutzt werden“. Damit knüpfen die subjektiven Lageerkenntnisse und Erfahrungen an objektive Tatsachen an. Diese objektive Beschränkung der Norm folgt letztlich auch schon aus ihrer Zielsetzung („Zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet“). Schon diese verpflichtet die Polizei dazu, nur bei entsprechenden tatsachenbasierten Erkenntnissen Maßnahmen aufgrund der Vorschrift durchzuführen, ohne dass es entscheidend auf die Erwähnung der Begriffe der „Lageerkenntnisse“ und „grenzpolizeilichen Erfahrung“ im Gesetzestext ankommt.31 Die Lage erscheint in der Tat vergleichbar mit der Rechtsfigur des Gefahrenverdachts, allerdings nicht bezogen auf eine zu befragende Person, sondern lediglich im Hinblick auf die Identifikation einer tauglichen Bahnstrecke: Tatsachen müssen die Annahme rechtfertigen, dass ein Zug bevorzugt zur unerlaubten Einreise genutzt wird. Ob objektive Momente darauf hindeuten, dass eine bestimmte Bahnstrecke zur unerlaubten Einreise genutzt wird, ist gerichtlich überprüfbar. Entsprechend ist in der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung von Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG beispielsweise geprüft worden, ob die Bundespolizei schlüssig und nachvollziehbar darlegt hat, dass eine Bahnstrecke Teil einer Route ist, die von Schleuserbanden bevorzugt zur unerlaubten Einreise genutzt wird.32 Ein solcher Tatsachenvortrag wird regelmäßig eine Unterfütterung mit Tatsachenabgaben erfordern, beispielsweise mit Zahlen. Ob die Annahme, eine Bahnstrecke werde zur unerlaubten Einreise genutzt, aufgrund hinreichender Tatsachengrundlage berechtigt ist, erscheint ausreichend gerichtlich überprüfbar. Können keine Tatsachen vorgetragen werden, die eine solche Annahme stützen, wird man die tatbestandlichen Voraussetzungen für Maßnahmen in Zügen verneinen müssen. Diese gerichtliche Überprüfbarkeit 30 Martínez Soria, Verdachtsunabhängige Kontrollen durch den Bundesgrenzschutz, NVwZ 1999, 270 (272). 31 So zu einer Parallelvorschrift im Bayerischen Polizeirecht BayVerfGH, Entscheidung vom 28. März 2003, NVwZ 2003, 1375 (1377). 32 So etwa VG Köln, Urteil vom 13. Juni 2013, 20 K 4683/12 – juris. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 13 spricht für eine ausreichende Bestimmtheit der Norm. Dies wird außerdem gestützt durch die vergleichsweise niedrige Eingriffsintensität der Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG, die nach den oben erwähnten Grundsätzen geringere Anforderungen an die Bestimmtheit zulässt. Die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots sind insoweit gewahrt.33 6.2. Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Freiheitsgrundrechte Indem § 22 Abs. 1a BPolG unter den genannten Voraussetzungen erlaubt, jede Person kurzzeitig anzuhalten, zu befragen, die Aushändigung mitgeführter Ausweispapiere oder Grenzübertrittspapiere zu verlangen sowie mitgeführte Sachen in Augenschein zu nehmen, greift die Vorschrift in den Schutzbereich des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein.34 § 22 Abs. 2 BPolG statuiert die Verpflichtung befragter Personen, soweit erforderlich, bestimmte Angaben zu ihrer Identität zu machen und greift damit ebenfalls in die Schutzbereiche dieser Grundrechte ein. Nicht jeder Eingriff in ein Grundrecht stellt allerdings eine Grundrechtsverletzung dar, denn Grundrechtseingriffe können verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Sowohl das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit können durch Gesetz eingeschränkt werden. Bei der Bestimmung der Schranken der berührten Grundrechte ist der Gesetzgeber allerdings nicht frei. Insbesondere muss er dem im Rechtsstaatsprinzip sowie in den Grundrechten wurzelnden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, d.h. ein legitimes Ziel verfolgen und zur Erreichung dieses Ziels geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen vorsehen.35 Legitimes Ziel Der Gesetzgeber hat bei der Festlegung des legitimen Ziels einen weiten Gestaltungsspielraum.36 § 22 Abs. 1a BPolG bezweckt die Verhinderung der unerlaubten Einreise, insbesondere in Gestalt 33 Ähnlich im Hinblick auf das Gebot der Normenklarheit auch VG Koblenz, Urteil vom 28. Februar 2012, Az. 5 K 1026/11.KO, BeckRS 2012, 48841 (dieses Urteil wurde allerdings nach einer übereinstimmenden Erledigungserklärung durch das OVG Rheinland-Pfalz deklaratorisch für wirkungslos erklärt, vgl. näher Ausführungen in 6.2.1. sowie Wagner, Allegorie des „racial profiling“, DÖV 2013, 113 [114]); ähnlich im Hinblick auf eine Parallelvorschrift des Bayerischen Polizeirechts BayVerfGH, Entscheidung vom 7. Februar 2006, Vf. 69-VI-04. 34 Vgl. Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz , Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 17 f. 35 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 48. Ergänzungslieferung 2006), Art. 20 Rn. 110. 36 Vgl. Sachs, in: Sachs, GG, Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 20 Rn. 149. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 14 organisierter Schleuserkriminalität.37 Dieses Ziel wird auch von den Gegnern der Vorschrift als legitim anerkannt.38 Mit der Verfolgung dieser Zielsetzung hat der Gesetzgeber daher seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Eignung Die verdachtsunabhängigen Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG müssten zudem geeignet sein, das legitime Ziel zu erreichen. Geeignet ist eine Maßnahme, wenn anzunehmen ist, dass sie den erstrebten Erfolg herbeiführt, wobei die Möglichkeit bzw. die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit der Zweckerreichung für die Geeignetheit einer Maßnahme ausreichend ist.39 In der Literatur wird die Geeignetheit der Maßnahmen zum Teil bestritten.40 Argumentiert wird, dass keine Verpflichtung bestehe, einen Personalausweis mit sich zu führen und die Polizeibeamten aufgrund des § 22 Abs. 1a BPolG nicht das Recht hätten, eine befragte Person auf Grund fehlender Papiere zur Dienststelle mitzunehmen, um dort die Personalien festzustellen.41 Im Mittelpunkt der Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a und Abs. 2 BPolG steht allerdings gar nicht die Identitätsfeststellung , sondern die Sammlung von sachdienlichen Informationen. Die Erhebung von Personalien dient primär der Zuordnung erhaltener Informationen zu einer Person. Eine Identitätsfeststellung ist nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 23 BPolG zulässig. Die in § 22 Abs. 1a BPolG enthaltenen Maßnahmen, die vor allem dem Erkenntnisgewinn dienen, erscheinen zur Zielerreichung geeignet. Seinen Gestaltungsspielraum, der ihm auch im Rahmen der Geeignetheit zukommt, dürfte der Gesetzgeber mit den Maßnahme nach § 22 Abs. 1a BPolG jedenfalls nicht überschritten haben.42 Erforderlichkeit Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn kein milderes – gleich effektives – Mittel zur Erreichung des Zwecks vorhanden ist, wobei dem Gesetzgeber auch in diesem Fall ein Einschätzungsspielraum 37 BT-Drs. 13/11159, S. 1. 38 Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz, Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 19. 39 Sachs, in: Sachs, GG, Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 20 Rn. 150. 40 Schütte, Befugnis des Bundesgrenzschutzes zu lageabhängigen Personenkontrollen, ZRP 2002, 393 (398 f.). 41 Schütte, Befugnis des Bundesgrenzschutzes zu lageabhängigen Personenkontrollen, ZRP 2002, 393 (399). 42 Im Ergebnis auch Würtenberger, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, 3. Auflage 2013, § 69 Rn. 198. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 15 zukommt.43 Ein milderes Mittel ist im vorliegenden Regelungszusammenhang nicht ersichtlich,44 zumal eine Überschreitung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums nur dann anzunehmen ist, wenn eindeutig feststeht, dass ein milderes aber gleich effektives Mittel zur Verfügung steht.45 Daher dürfte die Erforderlichkeit zu bejahen sein. Angemessenheit Zudem darf das Mittel nicht außer Verhältnis zum Zweck stehen. Die Maßnahme muss nach einer Gesamtabwägung aller relevanten Umstände angemessen (Zweck-Mittel Relation) und für den Betroffenen daher zumutbar sein.46 Von einem Teil der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass verdachtsunabhängige bzw. lageabhängige Kontrollen zu weitreichend und daher unverhältnismäßig seien.47 Insbesondere weil der Bürger – außer der Tatsache, dass er sich an einem bestimmten Ort aufhält – keine Ursache für eine Kontrolle setze, fehle es am erforderlichen Zurechnungszusammenhang und sei die Maßnahme infolgedessen nicht mehr angemessen.48 Der Bürger müsse ohne tauglichen Grund ein Stück seiner Privatheit aufgeben.49 Der Gesetzgeber verzichte auf klassische polizeirechtliche Eingriffsschwellen wie Gefahr oder Störereigenschaft, und mache letztlich das Reisen an sich, also die Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit selbst, zum Eingriffskriterium.50 Auch stehe der „Ertrag“ anlassunabhängiger Kontrollmaßnahmen 43 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 48. Ergänzungslieferung 2006), Art. 20 Rn. 113 ff. 44 Möllers, Polizeikontrolle ohne Gefahrenverdacht, Ratio und rechtliche Grenzen der neuen Vorsorgebefugnisse, NVwZ 2000, 382 (385). 45 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Allgemeine Lehren der Grundrechte, Band III/2, 1994, § 84, S. 782. 46 Sachs, in: Sachs, GG, Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 20 Rn. 154. 47 Lisken, „Verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität “?, NVwZ 1998, 22 (25); Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, E. Rn. 377 ff.; Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz , Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 19 ff.; Schütte, Befugnis des Bundesgrenzschutzes zu lageabhängigen Personenkontrollen, ZRP 2002, 393 (398 f.). 48 Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, E. Rn. 377 ff. 49 Schütte, Befugnis des Bundesgrenzschutzes zu lageabhängigen Personenkontrollen, ZRP 2002, 393 (399). 50 Lisken, „Verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität “?, NVwZ 1998, 22 (25). Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 16 allgemein in keinem angemessenen Verhältnis zu den Einbußen an Rechtstaatlichkeit.51 Nach dieser Ansicht ist der Eingriff in das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG sowie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unangemessen und damit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Nach der überwiegenden Ansicht sind verdachtsunabhängige Kontrollen mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip hingegen vereinbar.52 Die Bekämpfung der organisierten ebenso wie der nicht organisierten grenzüberschreitenden Kriminalität sei ein in hohem Maße verfassungslegitimes Ziel, das auch durch die staatliche Schutzpflicht geboten sei.53 Zwar knüpfe eine polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahme traditionell an bestimmte Tatbestandsmerkmale , wie z. B. die Gefahr oder die Störereigenschaft an. Dies bedeute aber nicht zugleich , dass jede Norm ohne entsprechende Einschränkungen unverhältnismäßig sei.54 Durch die Tatbestandsmerkmale „Lageerkenntnis“ und „grenzpolizeiliche Erfahrung“ sei hinreichend gewährleistet, dass willkürliche Kontrollen verhindert werden.55 Zwar gebe es zwischen einer ereignis- und verdachtsunabhängig kontrollierten Person und der Gefahr, der die Vorsorgemaßnahme gilt, keinen vergleichbaren Zusammenhang wie er sonst im Polizeirecht zwischen Störer und konkreter Gefahr bestehe; im Bereich der Gefahrenvorsorge sei ein solcher Zurechnungszusammenhang aus verfassungsrechtlichen Gründen aber auch nicht zu fordern, da die Gefahr gleichsam anonym sei.56 51 Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, E. Rn. 381. 52 BayVerfGH, Entscheidung vom 28. März 2003, Az. Vf. 7-VII-00 u.a., NVwZ 2003, 1375 ff.; Würtenberger, Polizeiund Ordnungsrecht, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, 3. Auflage 2013, § 69 Rn. 198; Schenke/Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Auflage 2006, S. 214 Rn. 81; Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Auflage 2008, S. 245 f.; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht mit Versammlungsrecht, 7. Auflage 2012, S. 228 f.; Möllers, Polizeikontrolle ohne Gefahrenverdacht, Ratio und rechtliche Grenzen der neuen Vorsorgebefugnisse , NVwZ 2000, 382 (385); Walter, Verdachts- und ereignisunabhängige Polizeikontrollen, Kriminalistik 1999, 290 (293). 53 Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Auflage 2008 S. 246. 54 BayVerfGH, Entscheidung vom 28. März 2003, Az. Vf. 7-VII-00 u.a., NVwZ 2003, 1375 (1377 f.). 55 VG Koblenz, Urteil vom 28. Februar 2012, Az. 5 K 1026/11.KO, BeckRS 2012, 48841. Das LVerfG Mecklenburg-Vorpommern hat hervorgehoben, dass eine verdachtsunabhängige Identitätskontrolle gerade dann zulässig sei, wenn das Gesetz als Voraussetzung für die Maßnahme „Lageerkenntnisse“ oder „grenzpolizeiliche Erfahrung“ erfordere, LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21. Oktober 1999, Az. LVerfG 2/98, DÖV 2000, 71 (75). 56 BayVerfGH, Entscheidung vom 28. März 2003, Az. Vf. 7-VII-00 u.a., NVwZ 2003, 1375 (1378). Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 17 Zudem stellten die aufgrund des § 22 Abs. 1a BPolG drohenden Maßnahmen eines Angehaltenund Befragtwerdens sowie der Verpflichtung, ein mitgeführtes Ausweispapier zur Prüfung auszuhändigen , nur sehr geringfügige Eingriffe in das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.57 Die punktuellen Kontrollmaßnahmen seien den Betroffenen zumutbar.58 Soweit sich an die genannten Maßnahmen weitere anschließen, beruhen diese auf anderen Normen, deren Anwendungsbereich möglicherweise im Zuge der Befragung nach § 22 Abs. 1a BPolG eröffnet worden ist (etwa weil nunmehr ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme einer konkreten Gefahr bestehen). Schließlich seien durch die Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen mit dem Schengener Durchführungsabkommen im Interesse eines Raumes ohne wahrnehmbare Binnengrenzen für die Bürger gewisse Risiken im Hinblick auf die unerlaubte Einreise und grenzüberschreitende Kriminalität in Kauf genommen worden. Es sei daher nicht unangemessen, wenn das Gesetz jeder Person die geringfügige Pflicht auferlegt, zur Minimierung der genannten Risiken in dem festgelegten Kontrollraum gegebenenfalls seine Personalien zu nennen und ein mitgeführtes Ausweispapier zur Prüfung auszuhändigen.59 Nach dieser überwiegend vertretenen Auffassung verstößt die Vorschrift nicht gegen das Übermaßverbot und ist der mit ihr verbundene Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und in das Recht der informationellen Selbstbestimmung gerechtfertigt. 6.3. Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG Teilweise wird vertreten, dass von § 22 Abs. 1a BPolG eine diskriminierende Wirkung ausgehe und daher ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG vorliege.60 Nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG darf niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Vom Begriff der „Rasse“ müssen, um die Schutzwirkung der Norm nicht zu unterlaufen, nicht nur naturwissenschaftliche Aspekte, 57 So zu einer Parallelvorschrift des Bayerischen Polizeirechts der BayVerfGH, Entscheidung vom 28. März 2003, Az. Vf. 7-VII-00 u.a., NVwZ 2003, 1375 (1377). 58 Walter, Verdachts- und ereignisunabhängige Polizeikontrollen, Kriminalistik 1999, 290 (293). 59 So zu einer Parallelvorschrift des Bayerischen Polizeirechts der BayVerfGH, Entscheidung vom 28. März 2003, Az. Vf. 7-VII-00 u.a., NVwZ 2003, 1375 (1378). Diese Auffassung ist allerdings auch innerhalb des Verfassungsgerichtshofes nicht unumstritten. Ein Richter stellte in einem Sondervotum in einer anderen Entscheidung zu polizeilichen Durchsuchungen bei Schleierfahndungen klar, dass er verdachtsunabhängige Maßnahmen der Schleierfahndung grundsätzlich für verfassungswidrig halte, BayVerfGH, Urteil vom 7. Februar 2006, Az. Vf. 69-VI/04, BeckRS 2006, 23756. 60 Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz, Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 24 ff. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 18 sondern gerade auch abzulehnende Interpretationen des Rassenbegriffs umfasst werden.61 Unter den Begriff fällt daher jede Gruppe mit auch nur vermeintlichen vererbbaren Merkmalen.62 Nach herrschender Meinung zählt zum Merkmal der Rasse danach jedenfalls auch die Hautfarbe.63 Obwohl der Wortlaut von § 22 Abs. 1a BPolG keine diskriminierenden Merkmale wie etwa die Hautfarbe enthält, wird im Schrifttum bemängelt, dass der auf die Unterbindung unerlaubter Einreise gerichtete Zweck der Norm auf Diskriminierungen geradezu angelegt sei, da die Beamten die Personen regelmäßig nur nach bestimmten phänotypischen Merkmalen aussuchen werden.64 Eine andere Beurteilung sei bei einer reinen Inaugenscheinnahme auch nicht möglich.65 § 22 Abs. 1a BPolG verstoße daher gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG.66 Diese Bedenken werden von einem Teil der Literatur aufgegriffen. Aufgrund der geringen tatbestandlichen Vorgaben bestehe für verdachtsunabhängige Maßnahmen eine erhöhte Gefahr willkürlichen und diskriminierenden Handelns.67 Es wird auch die Vermutung geäußert, dass der Normzweck eine latent ausländerfeindliche Polizeikultur begünstigen könnte68 Denn in der Tat sei die Wahrscheinlichkeit , illegal in das Bundesgebiet eingereist zu sein, bei bestimmten phänotypischen Erscheinungsbildern höher als bei anderen.69 Gleichwohl ermögliche § 22 Abs. 1a BPolG auch diskriminierungsfreie Kontrollen.70 61 Vgl. Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 22. Edition 2014, Art. 3 Rn. 223; Dürig/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung Grundwerk), Art. 3 Rn. 58 ff. 62 Vgl. Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 22. Edition 2014, Art. 3 Rn. 223. 63 Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 3 Abs. 3 Rn. 387; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Auflage 2014, Art. 3 Rn. 122. 64 Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz, Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 27. 65 Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz, Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 27. 66 Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz, Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 24. 67 Ernst, Anlassunabhängige Personenkontrollen und Gefahrengebiete, NVwZ 2014, 633 (636). 68 Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, E. Rn. 364. 69 Drohla, Hautfarbe als Auswahlkriterium für verdachtsunabhängige Polizeikontrollen?, ZAR 2012, 411 (416). 70 Drohla, Hautfarbe als Auswahlkriterium für verdachtsunabhängige Polizeikontrollen?, ZAR 2012, 411 (416). Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 19 Zur Würdigung der vorgebrachten Bedenken ist Folgendes festzuhalten: Der Wortlaut des § 22 Abs. 1a BPolG differenziert weder nach der Hautfarbe der Adressaten polizeilicher Maßnahmen noch nach einem sonstigen durch Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG für unzulässig erklärtes Kriterium. Vielmehr ist ausdrücklich „jede Person“, die sich in den genannten Verkehrseinrichtungen aufhält, potentieller Adressat von Befragungen nach § 22 Abs. 1a BPolG. Das sachliche Differenzierungskriterium zwischen der Gruppe, die Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG unterliegt, und der Gruppe, die solchen Maßnahmen nicht unterliegt, ist im Tatbestand der Norm also allein ihr Aufenthaltsort. Dies ist kein nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG unzulässiges Differenzierungskriterium. Zwar erstreckt sich Art. 3 Abs. 3 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch auf mittelbare Diskriminierungen: Eine solche liegt vor, wenn ein Gesetz einen sachlichen Anknüpfungspunkt verwendet, der zwar von Art. 3 Abs. 3 GG nicht unmittelbar verboten ist, der aber in der gesellschaftlichen Wirklichkeit weitgehend nur für eine Gruppe zutrifft, deren Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 3 GG strikt verboten ist.71 Auch dies ist bei § 22 Abs. 1a BPolG aber nicht der Fall: Die genannten Verkehrseinrichtungen werden nicht typischerweise nur von Personen frequentiert, auf die ein nach Art. 3 Abs. 3 GG unzulässiges Differenzierungskriterium zutrifft. Eine andere Frage ist, wie das durch § 22 Abs. 1a BPolG auf Rechtsfolgenseite eingeräumte Ermessen ausgeübt wird. Lediglich, wenn kein rechtmäßiger – hier insbesondere: kein diskriminierungsfreier – Vollzug möglich wäre, hätte dies Auswirkungen auf die Bewertung der Norm selbst. Ob der einfachgesetzliche und verfassungsrechtliche Rahmen durch die handelnden Beamten beachtet wird, ist eine Frage des rechtmäßigen Vollzugs der Vorschrift im Einzelfall. Die Tatsache, dass sich auf § 22 Abs. 1a BPolG gestützte Maßnahmen im Einzelfall gleichwohl auf Vollzugsebene als rechtswidrig erweisen mögen, berührt nicht die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1a BPolG. Der Einwand, § 22 Abs. 1a BPolG erhöhe aufgrund der Zulassung verdachtsunabhängiger Kontrollen die Gefahr willkürlichen und diskriminierenden Handelns, kann eine Verfassungswidrigkeit dieser Norm demnach nicht begründen. 7. Verfassungskonformer Vollzug des § 22 Abs. 1a BPolG Nachfolgend wird der Frage nachgegangen, nach welchen Kriterien die Bundespolizei ihr Gegenüber auswählen darf, um einen verfassungskonformen Vollzug des § 22 Abs. 1a BPolG zu gewährleisten. Als Motiv einer Maßnahme nach § 22 Abs. 1a BPolG stehen hierbei insbesondere phänotypische Merkmale im Mittelpunkt. Nimmt ein Beamter etwa eine „hautfarbenbedingte Kontrolle“72 vor, könnte dies auf der Rechtsfolgenseite einen Ermessensfehler darstellen, der zur Rechtswidrigkeit einer Maßnahme führen könnte. Hierbei lassen sich zwei Konstellationen unterscheiden: Zum einen ist es möglich, dass ein phänotypisches Merkmal als ausschließliches Motiv einer Kontrolle nach § 22 Abs. 1a BPolG herangezogen wird (dazu 7.1.). Andererseits kann 71 BVerfGE 121, 241 (254 f.). 72 Wagner, Allegorie des „racial profiling“, DÖV 2013, 113 (114). Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 20 ein solches Merkmal auch neben andere – nicht phänotypische Merkmale – treten, sodass ein Motivbündel den Beamten dazu veranlasst, eine Kontrolle durchzuführen (dazu 7.2.). 7.1. Phänotypisches Merkmal als Motiv der polizeilichen Maßnahme Das durch die Vorschrift eingeräumte Ermessen wird nach § 40 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) durch den Zweck der Norm begrenzt: Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG dürfen demnach nur der Verhinderung oder Unterbindung einer unerlaubten Einreise dienen, also nicht willkürlich sein.73 Lässt sich ein Beamter nicht ausschließlich vom Zweck der Ermächtigung leiten, sondern verfolgt mitunter andere Motive, so ist die Maßnahme aufgrund eines Ermessensfehlgebrauchs rechtswidrig.74 Daraus folgt, dass ein ausschließlich schikanöses oder diskriminierendes Motiv als sachfremde Erwägung ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig wäre. 75 Ein Verstoß gegen Grundrechte begründet immer einen Ermessensfehler. Konkret geht es hier um das Anknüpfungs- oder Differenzierungsverbot76 aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG, wonach niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Die Vorschrift verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers engere Grenzen setzt. Der Begriff der Rasse bezeichnet Menschengruppen mit bestimmten wirklichen oder vermeintlich vererbbaren Merkmalen (z.B. „Zigeuner“, Juden, Farbige).77 Hierzu zählt auch die Hautfarbe. Die damit benannten Differenzierungsmerkmale dürfen grundsätzlich nicht zum Anknüpfungspunkt und zur Rechtfertigung für rechtliche Ungleichbehandlungen benachteiligender oder bevorzugender Art herangezogen werden.78 Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG schützt also vor rassistischen Diskriminierungen. Dazu zählen 73 Vgl. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, E. Rn. 106. 74 Vgl. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, E. Rn. 106. 75 Vgl. Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 22 Rn. 18; Hoppe/Peilert, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, BPolG, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 37; Wagner, Allegorie des „racial profiling“, DÖV 2013, 113 (115). 76 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 1, 3. Auflage, 2013, Art. 3 Rn. 119; Sacksofsky, in: Umbach/ Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 1. Auflage 2002, Art. 3 Rn. 307. 77 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 1, 3. Auflage, 2013, Art. 3 Rn. 129; , Rechtsschutz gegen „rassistische“ Äußerungen und sonstiges „rassistisches“ Behördenhandeln, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags (WD 3 – 3000 – 072/14), 2014. 78 BVerfGE 89, 276 (288 f.); 85, 191 (206); zuletzt zum Merkmal des Geschlechts BverfGE 121, 241 (254). Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 21 auch Ungleichbehandlungen, die an das phänotypische Erscheinungsbild eines Menschen anknüpfen .79 Als objektiv geeignete, nachvollziehbare und zulässige Auswahlkriterien werden beispielsweise der Zustand der Kleidung, der Rückschlüsse auf Reisestrapazen zulassende auffällige physische Zustand einer Person, Aufschriften auf mitgeführten Plastiktüten oder die Art der Verpackung mitgeführten Proviants, mangelnde Ortskenntnis bzw. Orientierung oder sichtliche Nervosität von Reisenden beim Erkennen der Polizeibeamten genannt.80 Diese Kriterien erfüllen nicht den Tatbestand eines Diskriminierungsverbots nach Art. 3 Abs. 3 GG. Aber auch aus rein tatsächlichen Gründen kann die alleinige Anknüpfung an die Hautfarbe oder an ähnliche – das Erscheinungsbild prägende – Merkmale nicht dem Zweck des § 22 Abs. 1a BPolG dienen. Hiernach hat die Bundespolizei aus der Gesamtheit der möglichen Personen diejenige zur Befragung auszuwählen, die voraussichtlich relevante Angaben zu einer unerlaubten Einreise machen kann. Dies kann die eigene unerlaubte Einreise sein, aber auch die unerlaubte Einreise anderer betreffen. Im letzteren Fall liegt auf der Hand, dass ein „fremdländisches Aussehen“ nichts mit der Wahrscheinlichkeit zu tun hat, dass eine Person sachdienliche Beobachtungen gemacht hat. Häufig werden dies zugfahrende Berufspendler oder ähnliche Personen sein, die regelmäßige Wahrnehmungen machen. Im Hinblick auf die eigene unerlaubte Einreise ist klarzustellen, dass maßgeblich für die Frage eines Aufenthaltsrechts ist, ob es sich um Drittstaatsangehörige im Sinne des Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 (Schengener Grenzkodex) handelt. Drittstaaten in diesem Sinne sind derzeit etwa 150 Staaten, Drittstaatsangehörige dementsprechend Menschen unterschiedlichster Herkunft.81 Die Hautfarbe lässt insoweit keine Rückschlüsse auf das Aufenthaltsrecht zu, sodass das ausschließliche Abstellen hierauf nicht dem Zweck des § 22 Abs. 1a BPolG dient.82 Mithin läge ein Ermessensfehlgebrauch vor. Es stellt sich weiter die Frage, wie einer Kontrolle nach § 22 Abs. 1a BPolG rechtlich zu bewerten ist, die zulässige Auswahlkriterien heranzieht und daneben auch solche, die in den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG fallen. In einer solchen Konstellation wäre die Maßnahme im Ergebnis jedenfalls dann nicht als rechtswidrig zu bewerten, wenn die anderen zulässigen Kriterien für sich betrachtet ausreichten, um eine polizeiliche Maßnahme gemäß § 22 Abs. 1a BPolG zu begründen. Ist dies nicht der Fall und basiert die Verwaltungsentscheidung alleinig oder zumindest maßgeblich auf einer Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG, so ist der Vollzug 79 Cremer: Das Verbot rassistischer Diskriminierung nach Art. 3 III GG, AnwBl 2013, 896. 80 Vgl. Gnüchtel, Fahndung im Grenzgebiet, auf dem Gebiet der Bahnanlagen sowie auf Verkehrsflughäfen, NVwZ 2013, 980 (981); ähnlich: Wagner, Allegorie des „racial profiling“, DÖV 2013, 113 (116). 81 Vgl. Gnüchtel, Fahndung im Grenzgebiet, auf dem Gebiet der Bahnanlagen sowie auf Verkehrsflughäfen, NVwZ 2013, 980 (982). 82 Ähnlich: Gnüchtel, Fahndung im Grenzgebiet, auf dem Gebiet der Bahnanlagen sowie auf Verkehrsflughäfen, NVwZ 2013, 980 (982). Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 22 des § 22 Abs. 1a BPolG im Einzelfall als ermessensfehlerhaft einzustufen, es sei denn die Ungleichbehandlung wäre zu rechtfertigen. 7.2. Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG Teilweise wird Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG das Verständnis zugrunde gelegt, es handle sich um ein absolutes Differenzierungsverbot, das jede Verwendung eines der benannten Merkmale ausschließt und eine Rechtfertigung dem Grunde nach nicht zulässt.83 Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht Art. 3 Abs. 3 GG nie als ein solches Verbot angesehen.84 Vielmehr vertreten das Gericht sowie die Literatur die Ansicht eines modifizierten Anknüpfungsverbotes, wonach Ungleichbehandlungen im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimiert werden können.85 Solche Verfassungsgüter sind vorliegend nicht ersichtlich.86 Eine Rechtfertigung scheidet nach beiden Ansichten aus. 8. „Racial Profiling“ im Lichte der Rechtsprechung 8.1. Beispiele aus der deutschen Judikatur Entscheidungen deutscher Gerichte zu polizeilichen Maßnahmen, welche sich durch Stereotypisierungen , Ressentiments und Diskriminierungen wegen der ethnischen Herkunft oder der (vorgeblichen) Rasse auszeichnen, gibt es nur wenige. Das Bundesverfassungsgericht hat allenfalls am Rande seines Beschlusses87 zur Rasterfahndung die Möglichkeit einer stereotypischen Wirkung verdachtsunabhängiger Maßnahmen thematisiert. Ohne näher darauf einzugehen, deutete das Gericht an, dass die Verwendung von Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG aufgrund einer Vorverurteilung unzulässig sein könnte.88 83 Vgl.: Cremer: Das Verbot rassistischer Diskriminierung nach Art. 3 III GG, AnwBl 2013, 896 (898); Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 1, 3. Auflage, 2013, Art. 3 Rn. 123; Riegner/Schnitzer, in JuS 2014, „Fortgeschrittenenklausur - Öffentliches Recht -Verwaltungsprozessrecht und Polizeirecht - Racial Profiling“, S. 1003 (1008). 84 Sacksofsky, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 1. Auflage 2002, Art. 3 Rn. 309. 85 BVerfGE 92, 91 (109); BVerfGE 114, 357 (364 ); vgl.: Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 1, 3. Auflage , 2013, Art. 3 Rn. 123; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Auflage 2014, Art. 3 Rn. 134; Sacksofsky, in Leibholz/ Rinck, Grundgesetz – Rechtsprechung des BVerfG – Kommentar, Ergänzungslieferung 66, Stand Oktober 2014, Art. 3 II, III 1 Rn. 314; Boysen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 6. Auflage 2012, Art. 3 Rn. 165. 86 So im Ergebnis auch: Tischbirek/Wihl, Verfassungswidrigkeit des „Racial Profiling“, JZ 2013, 219 (220). 87 BVerfGE 115, 320. 88 BVerfGE 115, 320 (352f.). Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 23 VG und OVG Koblenz 2012 Nichtsdestotrotz gelangte insbesondere ein Urteil des VG Koblenz89 aus dem Jahre 2012 in den Fokus der deutschen Medienöffentlichkeit.90 Dem Verfahren vor dem VG Koblenz lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger fuhr in einem Regionalexpress von Kassel nach Frankfurt am Main als ihn zwei Bundespolizisten einer Maßnahme nach § 22 Abs. 1a BPolG unterzogen. Der Kläger fühlte sich durch diese Maßnahme diskriminiert, da er seiner Ansicht nach allein seiner Hautfarbe wegen von den Polizisten kontrolliert worden sei. Nach der Feststellung des VG Koblenz hatte ein beteiligter Beamter dies auch bestätigt: „Er spreche Leute an, die ihm als Ausländer erschienen. Dies richte sich nach der Hautfarbe, aber auch danach, ob der Reisende Gepäck bei sich habe oder ob er alleine irgendwo im Zug stehe. Der Kläger sei hierbei aufgrund seiner Hautfarbe ins Raster gefallen.“91 Das Verwaltungsgericht Koblenz sah bereits für den Antrag auf Prozesskostenhilfe92 keine hinreichenden Erfolgsaussichten und lehnte letztlich auch die Hauptsache als unbegründet ab. Hierbei führt das Gericht aus, die Bundespolizei sei aus Gründen der Kapazität und Effizienz auf Stichprobenkontrollen beschränkt. Deshalb sei es zulässig, dass Beamten auch das äußere Erscheinungsbild zur Auswahl der anzusprechenden Personen in ihr Auswahlermessen einbeziehen .93 Genauer führte das Gericht aus: „Soweit der den Kläger befragende Beamte der Bundespolizei […] ausführte, er treffe die Auswahl der anzusprechenden Personen insbesondere nach deren äußerem Erscheinungsbild , so begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken, auch wenn der Kläger aufgrund seiner Hautfarbe in dieses Raster gefallen war. Denn wenn einerseits grundsätzlich jede Person einer Kontrolle unterworfen werden kann, andererseits aus personellen Gründen 89 VG Koblenz Urteil vom 28. Februar 2012, Az.: 5 K 1026/11.KO. 90 Stern, Polizei darf Reisende nach Hautfarbe kontrollieren, 27.03.2012, online abrufbar: http://www.stern.de/panorama /verwaltungsgericht-koblenz-polizei-darf-reisende-nach-hautfarbe-kontrollieren-1805893.html, abgerufen am 26. Februar 2015; n-tv, Diskriminierende Kontrollen? Gericht erlaubt „Racial Profiling“, 27. März 2012, online abrufbar: http://www.n-tv.de/ratgeber/Gericht-erlaubt-Racial-Profiling-article5877246.html, abgerufen am 26. Februar 2015; Keküllüoğlu, in: Migazin, Polizei darf Bahnreisende wegen der Hautfarbe kontrollieren, 3. April 2012, online abrufbar: http://www.migazin.de/2012/04/03/polizei-darf-bahnreisende-auch-nur-wegen-der-hautfarbe-kontrollieren/, abgerufen am 26. Februar 2015. 91 VG Koblenz Urteil vom 28. Februar 2012, Az.: 5 K 1026/11.KO (Hervorhebung nur hier). 92 VG Koblenz, Beschluss vom 18. Januar 2012. 93 Drohla, Hautfarbe als Auswahlkriterium für verdachtsunabhängige Polizeikontrollen?, ZAR 2012, 411; Tischbirek/ Wihl, Verfassungswidrigkeit des „Racial Profiling“, JZ 2013, 219. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 24 eine Auswahl zu erfolgen hat und die Kontrolle auch nur zur Verhinderung oder Unterbindung der unerlaubten Einreise erfolgen kann, so müssen sich die Beamten der Bundespolizei bei der Auswahl der zu kontrollierenden Personen denknotwendig an deren äußerem Erscheinungsbild orientieren. Hierbei dürfte die Kleidung der Zuggäste, deren Hautfarbe oder aber die verwendete Sprache zwangsläufig eine Rolle spielen.“94 Damit erkannte das Gericht die Anknüpfung an die Hautfarbe als zulässige Methode des polizeilichen Handelns i.R.d. § 22 Abs. 1a BPolG an, wobei es Praktikabilitätserwägungen hat ausreichen lassen. Dem Differenzierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG hat das VG Koblenz in dieser Sache keine Bedeutung zuzumessen.95 Gegen dieses erstinstanzliche Urteil des VG Koblenz hatte der Kläger Berufung eingelegt. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz stellte in der mündlichen Verhandlung deutlich heraus, eine polizeiliche Maßnahme dürfe nicht der dunklen Hautfarbe wegen getroffen werden. Ansonsten verstoße diese Praxis des „Racial Profiling“ gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG.96 Zu einem Urteil kam es jedoch nicht, da die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt hatten. VG Koblenz 2014 Mit einem ähnlich gelagerten Sachverhalt hatte sich das Verwaltungsgericht Koblenz im Jahre 2014 erneut zu befassen.97 Die Kläger befanden sich in der zwischen Mainz und Köln verkehrenden Regionalbahn, als sie ein Bundespolizist aufforderte, ihre Ausweise vorzulegen. Die Kläger erhoben hierauf Klage mit dem Ziel festzustellen, dass die Maßnahmen rechtswidrig waren, da sie nur ihrer Hautfarbe wegen kontrolliert worden seien.98 Anders als noch in der vorgenannten Entscheidung nahm das Gericht hier keine Stellung zur Zulässigkeit der Hautfarbe als Auswahlkriterium i. R. d. § 22 Abs. 1a BPolG. Vielmehr erachtete das Gericht die Maßnahmen schon aufgrund fehlender tatbestandlicher Voraussetzung als rechtswidrig. Hierzu führte das Gericht aus: 94 VG Koblenz, Beschluss v. 18 Januar 2012, Az.: 5 K 1026/11.KO (Hervorhebung nur hier); zitiert in: Wagner, Allegorie des „racial profiling“, DÖV 2013, 113 (114). 95 Drohla, Hautfarbe als Auswahlkriterium für verdachtsunabhängige Polizeikontrollen?, ZAR 2012, 411 (412). 96 OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 29. Oktober 2012, Az: 7 A 10532/12.OVG. 97 VG Koblenz, Urteil v. 23. Oktober 2014, Az.: 1 K 294/14.KO. 98 Tatbestand entnommen aus Pressemittelung Nr. 33/2014 zum Urteil des VK Koblenz v. 23. Oktober 2014, Az.: 1 K 294/14. KO. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 25 „Ein regionaler Zug, der seinen Ausgangs- und Endpunkt im Bundesgebiet hat und bei dessen Fahrt weder Flug- oder Seehäfen passiert werden, noch Grenzen zu anderen Staaten erreicht oder überschritten werden können, kann indes von vornherein nicht zur unerlaubten Einreise genutzt werden.“99 Insofern hatte das Gericht auch keinen Anlass, sich mit dem „Racial Profiling“ auseinanderzusetzen. 8.2. Beispiele aus der internationalen Judikatur Spanisches Verfassungsgericht: Williams Lecraft v. Spain In einem dem vom OVG Rheinland-Pfalz zu entscheidenden Fall ähnlichen Sachverhalt hatte eine US-Amerikanerin vor dem spanischen Verfassungsgericht Beschwerde eingelegt. Sie wurde in Spanien bei der Ankunft an einem Bahnhof von einem Polizeibeamten aufgefordert, sich auszuweisen, wobei weder ihre Angehörigen noch andere Reisenden angehalten wurden.100 Auf die Frage, weshalb sie als Einzige kontrolliert werde, gab der Polizist zu verstehen, dass „Farbige“ überdurchschnittlich oft illegale Einwanderer seien.101 Auf eine Beschwerde der Betroffenen beim Innenministerium sah dieses in dem Vorgehen des Polizeibeamten keinerlei Bedenken. Diese Ansicht teilten sowohl das höchste spanische Gericht wie auch das spanische Verfassungsgericht. Der UN-Menschenrechtsausschuss hingegen bejahte eine Verletzung des Diskriminierungsverbots aus Art. 26 UNO Pakt II in diesem Fall.102 Der Ausschuss führte in der Begründung aus: “The Committee believes that it is generally legitimate to carry out identity checks for the purposes of protecting public safety and crime prevention or to control illegal immigration. However, when the authorities carry out these checks, the physical or ethnic characteristics of the persons targeted should not be considered as indicative of their possibly illegal situation in the country.“ 99 VG Koblenz, Urteil v. 23. Oktober 2014, Az.: 1 K 294/14.KO, S. 5. 100 Tischbirek/Wihl, Verfassungswidrigkeit des „Racial Profiling“, JZ 2013, 219 (221); UN Human Rights Commitee, Entscheidung v. 27. Juli 2009, Az.: 1493/2006 (Williams Lecraft v. Spain) abgerufen auf: http://www.bayefsky.com/pdf/ spain_t5_iccpr_1493_2006.pdf, Stand 11. Februar 2015, S. 2; Open Society Justice Initiative, Summary of the case of Rosalind Williams Lecraft v. Spain; http://www.humanrights.ch/upload/pdf/120530_OSJI_Williams-Lecraft.pdf, S. 1, Stand: 11. Februar 2015. 101 Tischbirek/Wihl, Verfassungswidrigkeit des „Racial Profiling“, JZ 2013, 219 (221). 102 UN Human Rights Commitee, Entscheidung v. 27. Juli 2009, Az.: 1493/2006 (Williams Lecraft v. Spain); Drohla, Hautfarbe als Auswahlkriterium für verdachtsunabhängige Polizeikontrollen?, ZAR 2012, 411 (416). Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 26 Bei der Durchführung der im Grunde nach zulässigen Kontrollen sei es demnach unzulässig, physische oder ethnische Merkmale einer Person heranzuziehen, um auf einen möglichen illegalen Aufenthalt zu schließen.103 Eine anderweitige Praxis verletze die betroffenen Personen in ihrer Menschenwürde und stehe dem Kampf gegen rassistische Diskriminierungen entgegen.104 Britisches House of Lords: Roma Rights Case Ähnlich entschied auch das House of Lords105 im Jahre 2004 im „Roma Rights Case“. Britische Flugbeamte hatten eine Gruppe tschechischer Roma ihrer ethnischen Zugehörigkeit wegen am Prager Flughafen kontrolliert, als diese im Begriff waren nach Großbritannien einzureisen.106 Ein englisches Berufungsgericht hatte das Abstellen auf die Zugehörigkeit zur Gruppe der Roma als „wholly inevitable“, also völlig unausweichlich, gerechtfertigt.107 Auch diese Entscheidung wurde – diesmal durch das House of Lords – verworfen.108 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): Timishev v. Russia Der EGMR hatte in dem Fall „Timeshev v. Russia“ über eine Maßnahme russischer Beamter zu entscheiden. Im Jahre 1999 kam der tschetschenische Antragsteller an eine innerrussische Grenze. Die Grenzbeamten verweigerten dem Antragsteller aufgrund einer mündlichen Anweisung des Innenministers Kabardino-Balkariens die Durchfahrt. Danach war tschetschenischen Bürgern der Grenzübertritt verwehrt. In der Entscheidung des EGMR wird deutlich welche Maßstäbe das Straßburger Gericht an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen stellt, die an die ethnische Herkunft anknüpfen. Hier heißt es, dass sehr gewichtige Gründe zur Ungleich- bzw. Gleichbehandlung erforderlich seien. Insoweit stellt das Gericht hohe Anforderungen an die Rechtfertigung. Gleichwohl nimmt der Gerichtshof in der Praxis keine intensive Prüfung, sondern einen „very weighty reasons“-Test vor. Hierbei stellt der Gerichtshof die widerlegliche Vermutung auf, dass die diskriminierende Behandlung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht standhalten wird. In Fällen, in denen die 103 UN Human Rights Commitee (Fn. 117) S. 3. 104 Tischbirek/Wihl, Verfassungswidrigkeit des „Racial Profiling“, JZ 2013, 219 (221). 105 Das House of Lords hatte rechtsprechende Kompetenzen, welche 2005 einem neu geschaffenen Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs übertragen wurden. 106 UK House of Lords, Urteil v. 17. September 2004, UKHL 55, (Immigration Officer at Prague Airport and another (Respondents ) ex parte European Roma Rights Centre and others (Appellants), abgerufen auf: http://www.publications. parliament.uk/pa/ld200405/ldjudgmt/jd041209/roma-1.htm, Stand: 11. Februar 2015. 107 Drohla, Hautfarbe als Auswahlkriterium für verdachtsunabhängige Polizeikontrollen?, ZAR 2012, 411 (416). 108 Drohla, Hautfarbe als Auswahlkriterium für verdachtsunabhängige Polizeikontrollen?, ZAR 2012, 411 (416) . Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 27 Ungleichbehandlung ausschließlich auf einem verdächtigen Differenzierungsgrund – zu dem auch die ethnische Herkunft zählt – beruht, hält das Gericht eine Rechtfertigung sogar für ausgeschlossen . Insofern stellt der EGMR an die Rechtfertigung von Differenzierungen aufgrund der Rasse, Ethnie und Hautfarbe, einem Anknüpfungsverbot sehr nahe kommende Anforderungen. In dieser Konsequenz hielt der Gerichtshof auch in dem Fall „Timishev v. Russia“ die Maßnahme aufgrund des ausschließlichen Abstellens auf die ethnische Herkunft für nicht gerechtfertigt. 9. Rechtslage zu „Racial Profiling“ in anderen Ländern am Beispiel Großbritanniens und der USA Während es in Deutschland neben den verfassungsrechtlichen Vorgaben keine darüberhinausgehenden detaillierten einfachgesetzlichen Vorschriften gibt, welche das „Racial Profiling“ verbieten, haben andere Staaten, so z.B. Großbritannien und die USA angesichts eines hohen Aufkommens diskriminierenden Verhaltens von Polizeibeamten besondere einfachrechtliche Regelungen getroffen.109 Darüber hinaus wird durch staatliche Stellen versucht, den Polizeibeamten mittels Aufklärungen und Weisungen das Bewusstsein darüber zu verschaffen, wann eine Handlung diskriminierend und damit unzulässig ist. 9.1. Großbritannien Um diskriminierende Polizeikontrollen zu vermeiden, hat die Grundrechteagentur der Europäischen Union (FRA) im Jahr 2010 in einem Handbuch110 u.a. verschiedene interne polizeiliche Regelungen, insbesondere Großbritanniens, empfohlen.111 Die folgenden Ausführungen geben dabei lediglich einen Überblick über die bestehenden Regelungen. Im Übrigen wird auf das Handbuch verwiesen. Police and Criminal Evidence Act von 1984 Durch den „Police and Criminal Evidence Act“, kurz PACE, wird den Beamten eine Anweisung gegeben, die dabei helfen soll, zu erkennen wann eine Maßnahme aufgrund einer Verwendung von Merkmalen der Rasse, Religion oder ethnischen Herkunft rechtswidrig ist. Hierin wird die Befugnis der Polizeibeamten an das Bestehen eines „vernünftig begründeten Verdachts“ geknüpft. Diese Voraussetzung wird anschließend in Art. 1 Abs. 2.2 wie folgt definiert: 109 Race Relation (Amendment) Act 2000; United States Department of Justice, Guidelines, Taking Steps to Ban Racial Profiling, 17. Juni 2003; Drohla, Hautfarbe als Auswahlkriterium für verdachtsunabhängige Polizeikontrollen?, ZAR 2012, 411 (417). 110 FRA, Für eine effektive Polizeiarbeit – Diskriminierendes „Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden: ein Handbuch , 2010, online abrufbar: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1133-Guide-ethnic-profiling_DE.pdf. 111 BT-Drs. 17/6778, S. 1. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 28 „Ein vernünftig begründeter Verdacht kann sich niemals alleine auf persönliche Faktoren stützen, ohne dass unterstützende Erkenntnisse oder Informationen vorliegen. Hautfarbe, Alter, Frisur oder Kleidungsstil112 einer Person oder die Tatsache, dass diese dafür bekannt ist, zuvor für den Besitz eines unrechtmäßigen Artikels verurteilt worden zu sein, können beispielsweise weder alleine oder in Kombination als einzige Grundlage verwendet werden, um diese Person zu durchsuchen. Ein vernünftig begründeter Verdacht darf nicht auf Verallgemeinerungen oder stereotypen Bildern basieren, denen zufolge bestimmte Gruppen oder Kategorien von Personen mit größerer Wahrscheinlichkeit in eine kriminelle Tätigkeit involviert sind. (…)“113 Weisung und Empfehlung zum Terrorism Act 2000 Art. 44 des Terrorism Act von 2000 erlaubt es, Personen zur Terrorismusbekämpfung anzuhalten, ohne dass ein vernünftig begründeter Verdacht bestehen muss. Dieses Gesetz wird durch polizeiinterne Weisungen konkretisiert und erläutert. Darin heißt es zur Aufklärung: „(…). Terroristen entstammen sämtlichen ethnischen Gruppen und Gesellschaftsschichten. Ein Terrorist wird durch seine Handlungen definiert – und nicht durch seine ethnische Zugehörigkeit, Rasse oder Religion. Terroristen können unterschiedlichste Hintergründe haben und versuchen, ihr Verhalten zu verändern, um ihre kriminellen Absichten zu verschleiern und sich ihrer Umgebung anzupassen. Beamte dürfen niemals stereotype Bilder von „Terroristen“ verwenden, wenn sie sich entscheiden, von ihren Befugnissen zum Anhalten und Durchsuchen von Personen Gebrauch zu machen. Wenn sie dies täten, könnte dies folgende Auswirkungen haben: - Sie würden nur bestimmte Gemeinschaften oder Gruppen ins Auge fassen, - Unverhältnismäßigkeit, - Diskriminierung, - Terroristen könnten es vermeiden, entdeckt zu werden, könnten gleichzeitig aber ihre Ziele verfolgen.“ 114 112 Hervorhebungen in diesem und den nachfolgenden Zitaten durch die Verfasser. 113 FRA, Für eine effektive Polizeiarbeit – Diskriminierendes „Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden: ein Handbuch , 2010, S. 50 (Hervorhebung nur hier), online abrufbar: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1133- Guide-ethnic-profiling_DE.pdf. 114 FRA, Für eine effektive Polizeiarbeit – Diskriminierendes „Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden: ein Handbuch , 2010, S. 50 (Hervorhebung nur hier), online abrufbar: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1133- Guide-ethnic-profiling_DE.pdf. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 29 Eine ähnliche Empfehlung gibt auch die „National Policing Improvement Agency“. Hierin wird rassistisch oder religiös motiviertes Profiling definiert. Ein Abstellen auf die dort genannten unzulässigen Differenzierungsmerkmale (u. a. ethnische Herkunft, Religion, Rasse) wird ausdrücklich verboten, solange weder das individuelle Verhalten des Betroffenen noch konkrete Ermittlungserkenntnisse der Maßnahme zugrunde gelegt werden können.115 9.2. USA Zur Klarstellung, welche Rolle dem Merkmal der Rasse oder der ethnischen Zugehörigkeit bei polizeilichen Maßnahmen beizumessen ist, hat auch das Justizministerium der Vereinigten Staaten Richtlinien entwickelt. Hiermit soll den Beamten des Polizeidienstes das Erkennen einer rechtswidrigen Ungleichbehandlung vereinfacht werden. „Bei routinemäßigen oder spontanen Entscheidungen im Bereich der Strafverfolgung, wie einfache Verkehrskontrollen, dürfen die Bundesbeamten der Strafverfolgung in keiner Weise von Rasse oder ethnischer Zugehörigkeit Gebrauch machen; lediglich in einer konkreten Verdächtigenbeschreibung dürfen die Beamten auf Rasse und ethnische Zugehörigkeit zurückgreifen. (...) Bei Aktivitäten im Zusammenhang mit einer konkreten Untersuchung dürfen die Bundesbeamten der Strafverfolgung Rasse und ethnische Zugehörigkeit nur in dem Maß berücksichtigen, in dem glaubwürdige Informationen vorliegen, welche für die Örtlichkeit oder den Zeitrahmen relevant sind und einen Zusammenhang zwischen Personen einer bestimmten Rasse oder ethnischen Zugehörigkeit und einer identifizierten Straftat, einem Schema oder einer Organisation herstellen.“116 10. Völkerrechtliche Vorgaben zur Unterbindung des „Racial Profiling“ Das CERD (Committee on the Elimination of Racial Discrimination) sowie die Selbstverpflichtung Deutschlands in der 3. Weltkonferenz gegen Rassismus (Durban 2001) halten die Bundesrepublik als Vertragsstaat dazu an, erforderliche Schritte zur Vermeidung von Maßnahmen aufgrund phänotypischer Merkmale einer Person, einzuleiten. 115 FRA, Für eine effektive Polizeiarbeit – Diskriminierendes „Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden: ein Handbuch , 2010, S. 50, online abrufbar: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1133-Guide-ethnic-profiling _DE.pdf. 116 United States Department of Justice, Guidelines, Taking Steps to Ban Racial Profiling, 17. Juni 2003, S. 2 ff.; zit. und übersetzt in: FRA, Für eine effektive Polizeiarbeit – Diskriminierendes „Ethnik Profiling“ erkennen und vermeiden: ein Handbuch, 2010, S. 49 (Hervorhebung nur hier), online abrufbar: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads /1133-Guide-ethnic-profiling_DE.pdf. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 30 Explizit heißt es in Nummer 20 der CERD unter der Überschrift “General Recommendation 31 on the prevention of racial discrimination in the administration and functioning of the criminal justice system“: “States parties should take the necessary steps to prevent questioning, arrests and searches which are in reality based solely on the physical appearance of a person, that person’s colour or features or membership of a racial or ethnic group, or any profiling which exposes him or her to greater suspicion.”117 In ähnlicher Weise verpflichteten sich die unterzeichnenden Staaten in den Abschlussdokumenten der 3. Weltkonferenz, darunter auch Deutschland, Maßnahmen zu ergreifen, um direkten und indirekten Formen von Rassismus in allen Lebensbereichen entgegenzutreten: “Urges States to design, implement and enforce effective measures to eliminate the phenomenon popularly known as “racial profiling” and comprising the practice of police and other law enforcement officers relying, to any degree, on race, colour, descent or national or ethnic origin as the basis for subjecting persons to investigatory activities or for determining whether an individual is engaged in criminal activity”118 Aus der Empfehlung des CERD sowie dem Abschlussdokument der 3. Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban kann eine Pflicht jedoch nicht abgeleitet werden. Wie aus der Überschrift zur CERD sowie dem Wortlaut „should“ des zitierten Vertragstextes zu entnehmen ist, handelt es sich lediglich um „recommendations“, also nicht bindende Empfehlungen. Darüber hinaus ermöglicht § 22 Abs. 1a BPolG - wie bereits festgestellt- bei rechtmäßiger Anwendung keine Maßnahmen auf Grundlage von phänotypischen Merkmalen und steht daher im Einklang zu den benannten völkerrechtlichen Verträgen. Insofern widerspricht § 22 Abs. 1a BPolG nicht dem Grundgedanken der CERD. 11. Maßnahmen der Bundesrepublik gegen „Racial Profiling“ Es soll nun der Frage nachgegangen werden, welche Maßnahmen die Bundesrepublik – auch im Hinblick auf die soeben wiedergegebenen völkerrechtlichen Erklärungen – ergriffen hat. Grundsätzlich hat die Bundesregierung z.B. in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage aus der 17. Wahlperiode deutlich gemacht, eine unterschiedliche Behandlung von Personen sei 117 http://www2.ohchr.org/english/bodies/cerd/docs/GC31Rev_En.pdf, abgerufen am 12. Februar 2015. 118 http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Stellungnahmen/durban_declaration .pdf, abgerufen am 12. Februar 2015. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 31 „in Abhängigkeit von Rasse und Herkunft oder Religion (…) unvereinbar mit dem Verständnis der Polizeiarbeit in einem demokratischen Rechtsstaat“.119 Zudem geht die Bundesregierung davon aus, dass Maßnahmen der Bundespolizei allein aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes einer Person nicht vorgenommen werden.120 Darüber hinaus hat die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag in der 17. und 18. Legislaturperiode mehrfach Stellung zu der Frage genommen, welche Anstrengungen zur Bekämpfung möglicher rasseorientierter Denk- und Verhaltensmuster der Bundespolizei unternommen werden:121 Im Vordergrund stehe die Ausbildung der Polizeibeamten. So würden die Beamten im ersten und zweiten Dienstjahr dahingehend sensibilisiert, dass polizeiliche Maßnahmen nicht allein von der Nationalität oder der ethnischen Herkunft einer Person abhängig gemacht werden dürften, sondern in jedem Einzelfall nach objektiven Kriterien zu erfolgen hätten.122 Diese Inhalte seien auch Gegenstand des regelmäßigen Polizeitrainings und würden insbesondere in Verbindung mit Maßnahmen zur Verhinderung und Unterbindung unerlaubter Einreise geschult.123 Nicht zuletzt sei der Adressat der Befragung gemäß § 22 Abs. 1a BPolG Inhalt der Aus- und Fortbildung. Darüber hinaus biete die Bundespolizei Fortbildungslehrgänge zu dem Thema „Polizei und Fremde“.124 Diese Schulung ziele insbesondere auf die Einhaltung von Diskriminierungsverboten ab. Im Übrigen würden die Themenfelder Menschenrechte, Grundrechte und Diskriminierungsverbote in den Fächern Staats- und Verfassungsrecht/Politische Bildung, Europarecht, Eingriffsrecht, Situations- und Kommunikationstraining , Fahndung und Vernehmung sowie in Veranstaltungen zum Gleichstellungsgesetz in Theorie und Praxis behandelt. Zusätzlich würden die Beamten in fächerübergreifenden Situationstrainings für ein vorurteils- und diskriminierungsfreies Verhalten sensibilisiert. Dazu gehöre auch die Berücksichtigung kultureller und gesellschaftlicher Vielfalt im Rahmen der Polizeiarbeit.125 Eine entsprechende Ausbildung fordert auch die FRA in ihrem Handbuch zur Vermeidung des „Racial Profiling“.126 119 BT-Drs.17/6778, S. 1 f. 120 BT-Drs. 18/298, S. 14 f.; BT-Drs. 18/453, S. 2; BT-Drs. 17/11971, S. 3 u. 10. 121 BT-Drs. 17/6778, S. 4; BT-Drs. 17/11971, S. 2, 4, 5 u. 9; BT-Drs. 18/298, S. 15; BT-Drs. 18/453, S. 2 u. 5. 122 BT-Drs. 17/11971, S. 4. 123 BT-Drs. 17/11971, S. 4. 124 BT-Drs. 18/298, S. 15. 125 BT-Drs. 17/6778, S. 4. 126 FRA, „Diskriminierendes Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden: ein Handbuch, 2010, S. 54, online abrufbar: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1133-Guide-ethnic-profiling_DE.pdf. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 32 Darüber hinaus biete die Bundespolizei auf ihrer Webseite über den sog. „Bürgerservice“ einen Mechanismus für Beschwerden seitens der Öffentlichkeit.127 Hierüber könne ein nichtförmliches Beschwerdeverfahren betroffener Personen eingeleitet werden und zu einer förmlichen Dienstoder Fachaufsichtsbeschwerde führen. Zwar handelt es sich hierbei um keine auf die Bekämpfung von Diskriminierung spezialisierte Beschwerdestelle. Allerdings dienen nach Ansicht der FRA auch solche Beschwerdemechanismen neben der Vermeidung von Missbrauch polizeilicher Befugnisse auch der Stärkung des öffentlichen Vertrauens in die Polizeiarbeit.128 Selbstverständlich können Polizisten zusätzlich wie jede andere Person vor ein nationales Gericht gestellt werden, wenn Polizisten selbst eine Straftat begehen oder gegen das Zivilrecht verstoßen.129 Gegen rassistisches Verhalten aus dem Bereich öffentlicher Behörden stehen natürlichen Personen zudem öffentlich-rechtliche Rechtsbehelfe zur Verfügung.130 12. Ausblick Insgesamt dürfte der Gesetzgeber mit Einführung von verdachtsunabhängigen Kontrollen durch § 22 Abs. 1a BPolG wohl keine spezifische Gefahrenlage für ein diskriminierendes Vorgehen gegen Migranten und Ausländer in Deutschland geschaffen haben.131 Schließlich findet das „Racial Profiling “ – wie gesehen – seine Grenzen in verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Verboten. Dennoch wird teilweise gefordert, ein Diskriminierungsverbot müsse zusätzlich einfachgesetzlich normiert werden, da Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG als „Warnschild“ nicht ausreiche132. Wie gezeigt, wird das grund- und menschenrechtliche Diskriminierungsverbot hinreichend durch geltendes Recht abgesichert. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass die Bundesrepublik durch die bereits skizzierten Aus- und Fortbildungsmethoden präventive Maßnahmen zur Vermeidung des „Racial Profiling“ bietet. 127 BT-Drs. 17/11971, S. 9. 128 FRA, Für eine effektive Polizeiarbeit – Diskriminierendes „Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden: ein Handbuch , 2010, S. 62, online abrufbar: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1133-Guide-ethnic-profiling _DE.pdf. 129 FRA, Für eine effektive Polizeiarbeit – Diskriminierendes „Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden: ein Handbuch , 2010, S. 62, online abrufbar: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/1133-Guide-ethnic-profiling _DE.pdf. 130 Ausführlich hierzu: , Rechtsschutz gegen „rassistische“ Äußerungen und sonstiges „rassistisches“ Behördenhandeln , Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags (WD 3 – 3000 – 072/14), 2014. 131 A.A. Cremer: Das Verbot rassistischer Diskriminierung nach Art. 3 III GG, AnwBl 2013, 896 (899). 132 So: Drohla, Hautfarbe als Auswahlkriterium für verdachtsunabhängige Polizeikontrollen?, ZAR 2012, 411 (417); kritisch auch: Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz , Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, 2013, S. 33. Wissenschaftliche Dienste WD 3 - 3000 - 020/15 Seite 33 Außerdem ermöglichen öffentlich-rechtliche Rechtsbehelfe eine effektive nachträgliche Kontrolle polizeilichen Handelns, so z.B. geschehen mit der Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2012, welches das Abstellen auf die Hautfarbe ausdrücklich für rechtswidrig erklärt hat. Auch bleiben Rechtsanwendungsfehler aufgrund diskriminierender Erwägungen der Polizei nach Auskunft der Bundesregierung wohl eher die Ausnahme. So seien in den Jahren 2009 bis einschließlich 2013 gegen die Bundespolizei Beschwerden aufgrund des Verdachts auf „Racial“ oder „Ethnic“ Profiling“ in einem Ausmaß von 109 Fällen registriert worden.133 Diese Anzahl sei gemessen an der Zahl anlassloser Kontrollen auf Grundlage des § 22 Abs. 1a BPolG als gering einzuschätzen. Alleine auf das Jahr 2013 entfielen schon 482.953 Kontrollen.134 133 BT-Drs. 18/298, S. 14 f.; hiernach verteilen sich die Beschwerden wie folgt: 2009: 13 Beschwerden, 2010: 19 Beschwerden , 2011: 10 Beschwerden, 2012: 30 Beschwerden, 2013: 37 Beschwerden. 134 BT-Drs. 18/453, S. 4.