© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 019/21 Nichterscheinen eines Mitglieds eines Landesparlaments vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 019/21 Seite 2 Nichterscheinen eines Mitglieds eines Landesparlaments vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 019/21 Abschluss der Arbeit: 27. Januar 2021 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 019/21 Seite 3 Gefragt wurde nach der rechtlichen Bewertung des Nichterscheinens eines als Zeuge geladenen Mitglieds eines Landesparlaments vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages, welches zur Entschuldigung des Fehlens auf eine zur gleichen Zeit stattfindende Sitzung des Landesparlaments verweist. Weiterhin wird nach den gegenüber nicht erscheinenden Zeugen zur Verfügung stehenden Zwangsmitteln gefragt. Gemäß § 20 Abs. 1 Untersuchungsausschussgesetz (PUAG)1 sind Zeugen verpflichtet, auf Ladung des Untersuchungsausschusses zu erscheinen.2 Dies gilt auch für als Zeugen geladene Mitglieder von Landesparlamenten. Auch sie unterliegen der Auskunfts- und Zeugnispflicht als einer allgemeinen Staatsbürgerpflicht.3 Ein Nichterscheinen bleibt gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 PUAG nur dann sanktionslos, wenn Zeugen dies rechtzeitig genügend entschuldigen.4 Problematisch ist hier, ob die Teilnahme an einer Landesparlamentssitzung einen Entschuldigungsgrund darstellen kann. Das mit dem freien Mandat ausgestattete Mitglied eines Landesparlaments nimmt durch die Teilnahme an Landesparlamentssitzungen seine landesverfassungsrechtlich garantierten Statusrechte wahr. Diese umfassen nicht nur das Recht zur Anwesenheit bei allen Plenarsitzungen, sondern auch Stimm- und Rederechte, welche ausschließlich in Ausschuss- und Plenarsitzungen ausgeübt werden können.5 Auch wenn landesverfassungsrechtliche Mandatsrechte Bundesverfassungsorgane nicht unmittelbar determinieren können, sind sie jedenfalls wegen der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten6 von einem Untersuchungsausschuss des Bundestages zu beachten. Durch die Verpflichtung zum Erscheinen im Untersuchungsausschuss an einem parlamentarischen Sitzungstag wäre jedenfalls das Recht zur Anwesenheit bei Plenarsitzungen tangiert; abhängig vom anstehenden Sitzungsinhalt gegebenenfalls auch das Stimmrecht sowie das Rederecht. In erster Linie sollte der Untersuchungsausschuss deshalb versuchen, über eine rücksichtsvolle Terminabstimmung eine interessenangemessene Lösung zu finden.7 Im terminlichen Konfliktfall wäre den Abgeordnetenrechten bei der Auslegung von § 21 Abs. 2 PUAG Rechnung zu tragen. Dabei hat der Untersuchungsausschuss eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Dem Enqueterecht des Bundestages (Art. 44 Grundgesetz – GG) stünden die Abgeordnetenrechte gegenüber. Hierbei wäre etwa zu berücksichtigen, dass dem Aufklärungsinteresse des Untersuchungsausschusses grundsätzlich auch durch die Vernehmung 1 Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1142), das zuletzt durch Artikel 12 Absatz 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3229) geändert worden ist. 2 Roßbach, in: Waldhoff/Gärditz (Hrsg.), PUAG, 1. Auflage 2015, § 20 Rn. 22. 3 Vgl. BVerfG NVwZ 2009, 1353 (1355); von Cossel, in: Waldhoff/Gärditz (Hrsg.), PUAG, 1. Auflage 2015, § 23 Rn. 2 f. 4 Georgii, in: Waldhoff/Gärditz (Hrsg.), PUAG, 1. Auflage 2015, § 21 Rn. 14. 5 Vgl. zu den Mandatsrechten von Bundestagsabgeordneten allgemein Butzer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 45. Edition, Stand: 15. November 2020, Art. 38 Rn. 137 ff. 6 Vgl. Peters, Untersuchungsausschussrecht, 2. Auflage 2020, Rn. 727. 7 Vgl. Peters, Untersuchungsausschussrecht, 2. Auflage 2020, Rn. 727. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 019/21 Seite 4 des Zeugen zu einem anderen Zeitpunkt gedient werden könnte. Die Teilnahme eines Abgeordneten an einer Parlamentssitzung sowie die Ausübung von Stimm- und Rederechten sind dagegen weder delegier- noch nachholbar. Jedenfalls bei einer anstehenden Abstimmung im Landesparlament dürfte den Abgeordnetenrechten wegen der fundamentalen Bedeutung des Stimm- und Rederechts sehr großes Gewicht einzuräumen sein und ein Ausbleiben als Zeuge im Untersuchungsausschuss „genügend entschuldigt“ im Sinne von § 21 Abs. 2 PUAG sein. Entscheidend sind aber die Umstände des Einzelfalls. Dabei dürften die Zeitabläufe eine wichtige Rolle spielen. Das unentschuldigte Ausbleiben eines ordnungsgemäß geladenen Zeugen kann gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 PUAG durch verschiedene Mittel sanktioniert werden. So können Zeugen die durch ihr Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt werden, gegen sie ein Ordnungsgeld bis zu 10.000 Euro festgesetzt werden oder – ohne richterliche Entscheidung8 auf Anordnung des Untersuchungsausschusses – zwangsweise vorgeführt werden.9 Das Ordnungsgeld kann bei wiederholtem Ausbleiben noch einmal festgesetzt werden, § 21 Abs. 1 S. 2 PUAG. Es ist allgemein zu beachten, dass die bloße Ankündigung des Fernbleibens für die Festsetzung von Zwangsmitteln nicht ausreichend ist.10 Allerdings können nach umstrittener Ansicht Ordnungsmittel sogleich festgesetzt werden, wenn eine Terminverlegung erforderlich ist, weil der Zeuge zum terminierten Zeitpunkt nachweislich unentschuldigt nicht erschienen wäre.11 Für die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegenüber unentschuldigt nicht erscheinenden Abgeordneten dürften sich keine Besonderheiten ergeben, wenn den Abgeordnetenrechten bei der Prüfung des entschuldigten Fehlens im Rahmen von § 21 Abs. 2 PUAG bereits Rechnung getragen werden kann. Die Voraussetzungen und Folgen einer Verletzung etwaiger Anwesenheitspflichten an Sitzungstagen eines Landesparlaments richten sich nach dem Geschäftsordnungs- bzw. Abgeordnetenrecht des Landes. *** 8 VG Hannover NJW 1988, 1928 (1929); Peters, Untersuchungsausschussrecht, 2. Auflage 2020, Rn. 775 m.w.N. 9 Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob dem Untersuchungsausschuss im Rahmen von § 21 PUAG zusätzlich das Mittel der Ordnungshaft zur Verfügung steht. Dies verneinend Georgii, in: Waldhoff/Gärditz (Hrsg.), PUAG, 1. Auflage 2015, § 21 PUAG Rn. 43; ebenso Peters, Untersuchungsausschussrecht, 2. Auflage 2020, Rn. 761. 10 Georgii, in: Waldhoff/Gärditz (Hrsg.), PUAG, 1. Auflage 2015, § 21 PUAG Rn. 8 m.w.N. 11 Dazu Georgii, in: Waldhoff/Gärditz (Hrsg.), PUAG, 1. Auflage 2015, § 21 PUAG Rn. 8 m.w.N.