© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 018/19 Zur Wiedergabe von Gesetzestiteln durch die Exekutive Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/19 Seite 2 Zur Wiedergabe von Gesetzestiteln durch die Bundesregierung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 018/19 Abschluss der Arbeit: 31. Januar 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/19 Seite 3 1. Fragestellung Gesetze haben oftmals einen Lang- und einen Kurztitel. Ein Beispiel ist das „Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz“, kurz: „Bundesverfassungsschutzgesetz“. Die Lang- und Kurztitel sind regelmäßig Bestandteil der vom Bundestag beschlossenen Gesetzesfassung, so auch in dem vorgenannten Beispiel.1 Es stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung in der Öffentlichkeit Bezeichnungen für Gesetze wählen kann, die von den offiziellen Titeln abweichen. 2. Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden: „Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften ist in Grenzen nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch notwendig. […] Der Bürger wird durch Informationen, die ihm in allgemein verständlicher Weise den Inhalt von Gesetzen und deren Änderungen nahebringen, über seine Rechte und Pflichten aufgeklärt und instand gesetzt, von den ihm durch die Rechtsordnung eröffneten Möglichkeiten im persönlichen Bereich in angemessener Weise Gebrauch zu machen. Dadurch wird zugleich die Möglichkeit für alle, ihre Rechte zu wahren, verstärkt. Darin findet die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsorgane, die diesen Themenkreis zum Gegenstand hat, ihre Rechtfertigung.“2 Grenzen können sich ergeben insbesondere im Hinblick auf das Neutralitätsgebot, die Treuepflicht der Verfassungsorgane untereinander und die Grundrechte. 2.1. Neutralitätsgebot Das Grundgesetz gewährt den Parteien das Recht, „gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen. Damit unvereinbar ist jede parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen als solchen zugunsten oder zulasten einzelner oder aller am politischen Wettbewerb beteiligten Parteien“.3 Die Staatsgewalt ist daher im Umgang mit allen Parteien, deren Verfassungswidrigkeit nicht durch das BVerfG festgestellt wurde, zur Neutralität verpflichtet.4 Dabei hat das BVerfG anerkannt, dass eine „strikte Trennung der Sphären“ eines „Bundesministers“ und eines „Parteipolitikers“ nicht möglich ist.5 Die Abgrenzung „ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen“.6 1 BGBl. I 1990, 2955. 2 BVerfG, NJW 1977, 751 (753) – Hervorhebung durch Autor. 3 BVerfGE 138, 102 (Rn. 27 ff., 38 ff). 4 Barczak, Die parteipolitische Äußerungsbefugnis von Amtsträgern, NVwZ 2015, 1014, mit weiteren Nachweisen. 5 BVerfGE 138, 102 Rn. 54 (Hervorhebung durch Autor); BVerfGE 44, 125 (187). 6 BVerfGE 138, 102 Rn. 57. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/19 Seite 4 Es dürfte daher zulässig sein, wenn ein Regierungsmitglied in der Funktion als Parteipolitiker eine Gesetzesbezeichnung wählt, die als parteipolitische Aussage verstanden werden muss. Es dürfte hingegen unzulässig sein, wenn ein Regierungsmitglied in amtlicher Funktion eine Gesetzesbezeichnung wählt, die als parteipolitische Aussage verstanden werden muss. Ist eine vom offiziellen Titel abweichende Bezeichnung hingegen Teil eines weiteren, nicht notwendigerweise parteipolitischen Sprachgebrauchs in Medien und Gesellschaft, spricht eine Verwendung dieses Kurztitels eher gegen eine parteipolitische Parteinahme. Beispielsweise bezeichnet der Begriff „Notstandsverfassung “ eine 1968 verabschiedete, politisch umstrittene Änderung des Grundgesetzes (amtlicher Titel: „Siebzehntes Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“).7 Der inoffizielle Begriff „Notstandsverfassung “ ist jedoch allgemein üblich.8 2.2. Verfassungsorgantreue Für das Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag hat das BVerfG festgestellt, dass die „wechselbezüglichen Kompetenzen von Bundesregierung und Bundestag im Sinne der Organtreue wahrzunehmen sind“.9 Dies bedeutet die wechsel- sowie gegenseitige Pflicht zu einem fairen Verfahren und zur allseitigen Rücksichtnahme. Übt die Bundesregierung ihre Kompetenz der Öffentlichkeitsarbeit aus, ist sie grundsätzlich nicht daran gebunden, Gesetzestitel exakt so zu verwenden, wie sie der Bundestag beschlossen hat. Unzulässig dürfte es aber sein, wenn die Bundesregierung Titel verwendet, die den Sinn des beschlossenen Gesetzes in ihr Gegenteil verkehren. Als wertende Meinungsäußerung in der Funktion eines Parteipolitikers dürfte eine solche Begriffsumbildung jedoch grundsätzlich zulässig sein. 2.3. Grundrechte Bei allem Handeln hat die Bundesregierung die Grundrechte zu beachten. Daher wäre es z. B. unzulässig , wenn die Bundesregierung Kurztitel verwendet, die menschenverachtend sind (Art. 1 Grundgesetz). *** 7 BGBl. I 1968, 709. 8 Siehe nur den Eintrag auf der Netzseite der Bundeszentrale für politische Bildung und bei Wikipedia: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/recht-a-z/22619/notstandsverfassung; https://de.wikipedia .org/wiki/Notstandsverfassung. 9 BVerfGE 89, 191; siehe auch BVerfGE 92, 234 ff.