© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 018/14 Rechtsfragen zur Weitergeltung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 2014 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/14 Seite 2 Rechtsfragen zur Weitergeltung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 2014 Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 018/14 Abschluss der Arbeit: 7. Februar 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/14 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird nach den Rechtswirkungen einer durch die Bundesministerin für Arbeit und Soziales am 19. Dezember 2013 im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Bekanntmachung, nach der der Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 weiterhin 18,9 Prozent beträgt .1 Insbesondere soll geklärt werden, ob eine solche Bekanntmachung ein Gesetzgebungsverfahren ersetzen könne. Ferner wird die Frage gestellt, ob die gewählte Vorgehensweise zur Beibehaltung des bisherigen Beitragssatzes hinreichende Rechtssicherheit im Hinblick auf etwaige Widersprüche und Klagen gegen den Rentenbeitrag bietet. Hintergrund der Frage ist die Tatsache, dass die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage der gesetzlichen Rentenversicherung (früher Schwankungsreserve genannt) Schätzungen zufolge am 31. Dezember 2014 eine Höhe erreichen wird, die nach den bisherigen gesetzlichen Regelungen eine Absenkung des Beitragssatzes mit Wirkung vom 1. Januar 2014 zur Folge haben muss.2 2. Gesetzliche Grundlagen der Beitragssatzfestsetzung Die Modalitäten der Änderung und Festsetzung der Beitragssätze sowie der Beitragsbemessungsgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung sind geregelt in den §§ 157 ff. Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).3 Der Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung ist gemäß § 158 Abs. 1 SGB VI vom 1. Januar eines Jahres an zu verändern, wenn am 31. Dezember dieses Jahres bei Beibehaltung des bisherigen Beitragssatzes die Mittel der Nachhaltigkeitsrücklage voraussichtlich die Mindestrücklage unter- oder die Höchstrücklage überschreiten. § 158 Abs. 1 SGB VI verpflichtet in diesen Fällen zu einer Anpassung des Beitragssatzes. Die Modalitäten der Berechnung des neu festzusetzenden Beitrages regelt § 158 Abs. 2 SGB VI. Das bedeutet, dass, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 158 Abs. 1 SGB VI vorliegen , also die Mindestrücklage voraussichtlich unter- oder die Höchstrücklage voraussichtlich überschritten wird, die Bundesregierung gesetzlich zur Anpassung durch Rechtsverordnung verpflichtet ist. Ein Ermessen hinsichtlich der Anpassung ist insoweit nicht eingeräumt. Im Falle des Überschreitens der Höchstnachhaltigkeitsrücklage ist der Beitragssatz gemäß § 158 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI so neu festzusetzen, dass die Mittel der Nachhaltigkeitsrücklage am Ende des folgenden Kalenderjahres dem Betrag der Höchstnachhaltigkeitsrücklage voraussichtlich entsprechen . 1 Bekanntmachung der Beitragssätze in der allgemeinen Rentenversicherung und der knappschaftlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 vom 19. Dezember 2013 (BGBl. 2013 I S. 4313) – Anlage 1. 2 Vgl. Frankfurter Allgemeine vom 4. November 2013: „Union und SPD greifen nach der Rentenkasse“. 3 Das Sechste Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 2002 (BGBl. I S. 754, 1404, 3384), das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 19. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3836) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/14 Seite 4 Die geänderten Beitragssätze hat die Bundesregierung nach § 160 SGB VI durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festzusetzen. Wenn der Beitragssatz vom 1. Januar des Jahres an nicht verändert wird, hat nach § 158 Abs. 4 SGB VI das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Bundesgesetzblatt das Weitergelten der Beitragssätze bekannt zu machen. Diese Regelung ist im systematischen Zusammenhang mit Absatz 1 der Vorschrift zu verstehen, d.h. für den Fall, dass nach § 158 Abs. 1 SGB VI keine Pflicht zur Anpassung besteht, ist die Weitergeltung der bisherigen Beträge bekannt zu machen.4 3. Praxis der Beitragsfestsetzung durch Gesetz In der Vergangenheit wurde der Beitragssatz entgegen der Grundregel des § 160 SGB VI vielfach nicht durch Rechtsverordnung der Bundesregierung, sondern durch Gesetz festgesetzt.5 Gegen die rechtliche Zulässigkeit dieses Vorgehens bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Der Gesetzgeber ist, auch wenn er die Exekutive durch Gesetz zum Erlass von Rechtsverordnungen in Bezug auf eine bestimmte Rechtsmaterie ermächtigt hat, nicht daran gehindert, die Regelungsbefugnis durch Erlass eines Gesetzes wieder an sich zu ziehen.6 Die Delegation der Rechtsetzungsbefugnis auf die Exekutive steht stets unter dem Vorbehalt der eigenen Ausübung der Zuständigkeit durch den Gesetzgeber (sog. konservierende Delegation).7 Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein Gesetz zur Festsetzung des Beitragssatzes ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 Grundgesetz (GG)8. Danach hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung. Ein Gesetz zu Festsetzung der Beitragssätze bedarf im Gegensatz zu einer entsprechenden Rechtsverordnung gemäß § 160 SGB VI nicht der Zustimmung des Bundesrates. Dieser Umstand wird in der Literatur als Grund für die Beitragsfestsetzung im Wege des Gesetzgebungsverfahrens anstatt durch Rechtsverordnung gewertet.9 Seit dem Jahr 1999 wurde der Beitragssatz nur zweimal, nämlich in den Jahren 2001 und 2012, durch Rechtsverordnung festgesetzt. In den Jahren 2000, 2002 bis 2004, 2007 und 2013 erfolgte die Regelung durch Bundesgesetz. In den übrigen Jahren blieb der Beitragssatz unverändert. 4 Vgl. BT-Drs. 15/28, S. 17; Schmidt, in: Kreikebohm (Hrsg.), SGB VI, 4. Auflage 2013, § 158 Rn. 8. 5 Vgl. Übersicht bei Schmidt, in: Kreikebohm (Hrsg.) (Fn. 4), § 158 Rn. 9. 6 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 69 Ergänzungslieferung 2013, Art. 80 Rn. 23. 7 Vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Auflage 2007, § 103 Rn. 17. 8 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist. 9 So von Koch, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK Sozialrecht, 31. Edition 2013, § 158 SGB VI Rn. 9a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/14 Seite 5 Durch die Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2012 (Beitragssatzverordnung 2012)10 wurde der Beitragssatz auf 19,6 Prozent abgesenkt . Zuletzt wurde der Beitragssatz durch das Gesetz zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2013 (Beitragssatzgesetz 2013)11 auf 18,9 Prozent festgesetzt. Der am 19. Dezember 2013 im Bundestag in erster Lesung beratene Entwurf eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 (Beitragssatzgesetz 2014)12 sieht mit Wirkung vom 1. Januar 2014 eine Festsetzung des Beitragssatzes in gleicher Höhe vor. Der Gesetzentwurf ist an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen worden. 4. Rechtsnatur und Wirkung der Bekanntmachung i.S.d. § 158 Abs. 4 SGB VI Welche Rechtsnatur – und damit welche rechtliche Wirkung – der Bekanntmachung nach § 158 Abs. 4 SGB VI zukommt, lässt sich dem Wortlaut des Gesetzes zunächst nicht eindeutig entnehmen . Bindende Wirkung kann die eingangs erwähnte Bekanntmachung vom 19. Dezember 2013, nach der der Beitragssatz weiterhin 18,9 Prozent beträgt, jedenfalls nur haben, wenn in der Bekanntmachung eine auf Außenwirkung gerichtete Rechtsnorm (generell-abstrakte Regelung mit Außenwirkung) zu sehen wäre. Dies sind die Verfassung, Parlamentsgesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen von Selbstverwaltungskörperschaften. Aufgrund der Urheberschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales kommt vorliegend allenfalls die Annahme einer Rechtsverordnung gemäß Art. 80 GG in Betracht. Das heißt, der Bekanntmachung käme nur dann bindende Wirkung zu, wenn sie als Rechtsverordnung zu qualifizieren wäre. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit § 158 Abs. 4 SGB VI eine Verordnungsermächtigung zugunsten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales schaffen wollte. Hiergegen spricht schon die Bezeichnung als „Bekanntmachung“. Zwar ist nicht der Wortlaut ausschlaggebend für die Annahme einer Verordnungsermächtigung, sondern der zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille, eine Regelungsbefugnis auf die Exekutive zu delegieren. Gegen einen solchen Willen spricht hier aber der systematische Zusammenhang der Vorschrift mit § 160 SGB VI, der ausdrücklich als „Verordnungsermächtigung“ überschrieben ist und die Bundesregierung verpflichtet, „durch Rechtsverordnung“ Beitragssätze festzusetzen. Es wäre angesichts des engen Regelungszusammenhangs zwischen § 158 und § 160 SGB VI unverständlich , warum der Gesetzgeber in § 158 Abs. 4 SGB VI eine Verordnungsermächtigung im Gegensatz zu § 160 SGB VI nicht ausdrücklich normiert hätte, wenn er eine solche hätte schaffen wollen. Die Annahme, dass der Gesetzgeber das Bundesministerium nicht zu eigener Rechtsetzung ermächtigen wollte, wird ferner gestützt durch die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 158 Abs. 4 SGB VI: Die Vorschrift verpflichte das Ministerium „aus Gründen der Rechtssicherheit, bei einem durch Anwendung der Verstetigung unverändertem [sic] Beitragssatz eine Mitteilung im 10 Beitragssatzverordnung 2012 vom 19. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2795) – Anlage 2. 11 Beitragssatzgesetz 2013 vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2446) – Anlage 3. 12 BT-Drs. 18/187. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/14 Seite 6 Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen“.13 Die vorgesehene Bekanntmachung sollte also der Klarstellung dienen, nicht eine eigene Rechtsfolge setzen.14 Hierfür spricht auch die in der Begründung abweichend vom Gesetzeswortlaut gewählte Bezeichnung als „Mitteilung“. Die bloße Bekanntmachung der unveränderten Weitergeltung des Beitragssatzes hat nach alledem nur deklaratorische Wirkung. Ihr kommt keine Regelungswirkung im Außenverhältnis zu. Das gilt auch für die Bekanntmachung vom 19. Dezember 2013: Sie hat keine eigenständigen Regelungswirkungen , sondern dient lediglich der Klarstellung der geltenden Rechtslage. 5. Regelungsgehalt der zur Beitragssatzanpassung erlassenen Rechtsverordnungen und Gesetze Ausgehend von diesem Ergebnis stellt sich die Frage, welcher Beitragssatz für das jeweilige Folgejahr zugrunde zu legen ist, wenn am Ende des Vorjahres weder eine abändernde Rechtsverordnung nach den §§ 158, 160 SGB VI noch ein Beitragssatzgesetz für das Folgejahr erlassen worden ist. Die Beitragssatzgesetze bzw. die Beitragssatzverordnungen legen den Beitragssatz ihrem Wortlaut nach nur für das jeweilige Kalenderjahr fest („Der Beitragssatz beträgt für das Jahr xy…“), so dass die Annahme der materiellen Beschränkung der Geltung auf das Kalenderjahr nahe liegt. Das Beitragssatzgesetz 2013 enthält jedoch formal keine Befristung seiner Geltung im Sinne eines Außerkrafttretens. Auch eine gesetzesabhängige Verordnung bleibt formal grundsätzlich so lange gültig, bis sie durch einen besonderen Rechtsakt aufgehoben wird.15 Gegen eine materielle Begrenzung des Geltungszeitraums auf das jeweilige Kalenderjahr spricht, dass in diesem Fall für die Jahre, in denen keine Anpassung des Beitragssatzes erforderlich war oder entgegen der Verpflichtung des § 158 Abs. 1 SGB VI keine Anpassung vorgenommen wurde, mangels Regelungswirkung der Bekanntmachung gemäß § 158 Abs. 4 SGB VI (s.o.) überhaupt kein Beitragssatz festgesetzt wäre. Ein solches Ergebnis kann vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber nicht gewollt sein. Eine Auslegung im Sinne einer Weitergeltung des alten Beitragssatzes gebietet auch der vom Gesetzgeber mit der am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Änderung des § 158 SGB VI16 verfolgte Zweck.17 Durch die Schaffung des Anpassungsmechanismus des § 158 SGB VI sollte eine Verste- 13 BT-Drs. 15/28, S. 17, Hervorhebung d. Verf. 14 Ebenso Gürtner, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 79. Ergänzungslieferung 2013, § 158 SGB VI Rn. 3, 13; von Koch, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK Sozialrecht , 31. Edition 2013, § 158 SGB VI Rn. 8. 15 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.) (Fn. 6), Art. 80 Rn. 24. 16 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999) vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2998). 17 Vgl. Koop, Die Änderung des Beitragssatzes in der allgemeinen Rentenversicherung durch das „Beitragssatzgesetz 2013“ - eine „unwürdige Trickserei“?, Deutsche Rentenversicherung 2013, 193, 197. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/14 Seite 7 tigung des Beitragssatzes durch Selbstregulierung erreicht werden.18 Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte durch die Schaffung eines Korridors in § 158 Abs. 1 SGB VI, innerhalb dessen die Rücklagen schwanken dürfen, eine jährliche Neubestimmung des Beitragssatzes entbehrlich werden.19 Für eine grundsätzliche Weitergeltung des alten Beitragssatzes spricht auch der Wortlaut der Grundregel des § 158 SGB VI, nach dem der Beitragssatz, wenn die Entwicklung der Rücklage dies erfordert, „zu verändern“ (§ 158 Abs. 1 S. 1 SGB VI) und „neu festzusetzen“ (§ 158 Abs. 2 S. 1 SGB VI) ist.20 Eine Befristung der Geltung kann vor diesem Hintergrund trotz der Formulierung „für das Jahr xy“ von dem jeweiligen Verordnungs- bzw. Gesetzgeber nicht gewollt sein. Die Beitragssatzverordnungen und Beitragssatzgesetze sind folglich dahingehend auszulegen, dass der darin festgelegte Beitragssatz ab dem Jahr, für das die Regelung getroffen wurde, bis auf Weiteres, d.h. bis zu einer erneuten Anpassung aufgrund des § 158 SGB VI, gelten soll.21 Diese Auslegung hat zur Folge, dass ein durch Rechtsverordnung der Bundesregierung festgelegter Beitragssatz bis zu dem Erlass einer neuen Rechtsverordnung durch die Bundesregierung nach § 160 SGB VI oder dem Erlass eines Gesetzes fortgilt. Besonderheiten ergeben sich, wenn der Beitragssatz im Vorjahr nicht durch Rechtsverordnung, sondern, wie für 2013, durch Gesetz festgelegt wurde. Die angenommene Fortgeltung des gesetzlich geregelten alten Beitragssatzes über das Kalenderjahr hinaus könnte zu der Schlussfolgerung verleiten, dass der Beitragssatz aufgrund des Grundsatzes des Vorrangs des Gesetzes22 nunmehr nicht mehr entsprechend dem in den §§ 158, 160 SGB VI vorgesehenen Reglement durch spätere Rechtsverordnung abgeändert werden könnte. Denn die Rechtsverordnung nimmt in der Normenhierarchie gegenüber den formellen Gesetzen eine rangniedere Stellung ein. Die Festsetzung des Beitragssatzes durch Gesetz genösse daher bei Erlass einer späteren, vom Inhalt des Gesetzes abweichenden Rechtsverordnung prinzipiell weiterhin Vorrang. Die Anpassung des Beitragssatzes nach Maßgabe des § 158 SGB VI durch Rechtsverordnung der Bundesregierung ist vom Gesetzgeber aber gerade als „Normalfall“ vorgesehen. Eine gesetzliche Regelung des Beitragssatzes ist daher auch bei Annahme der Fortgeltung des Beitragssatzes über das Bezugsjahr hinaus nicht so zu verstehen, dass das Anpassungsregime des § 158 Abs. 1 SGB VI für die Zukunft ausgehebelt werden soll. Eine solche gesetzgeberische Absicht müsste deutlicher zum Ausdruck kommen. Die gesetzliche Regelung des Beitragssatzes ist daher weiter so auszulegen, dass der alte Beitragssatz nur bis zum Erlass einer neuen Rechtsverordnung nach Maßgabe der §§ 158, 160 SGB VI fortgilt. Für diese Auslegung spricht ferner, dass der Gesetzge- 18 BT-Drs. 13/8011. S. 51. 19 BT-Drs. 13/8011, S. 60. 20 Vgl. Koop (Fn. 17), 197. 21 So auch von Koch, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.) (Fn. 9), § 158 Rn. 8 („bisherige Beitragssatz weitergilt“). 22 Hierzu Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) (Fn. 7), § 101 Rn. 1 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/14 Seite 8 ber in jahrelanger Praxis den Beitragssatz durch Gesetz geregelt hat, ohne aber das Anpassungsregime des § 158 SGB VI an sich abzuschaffen oder zu ändern. Bestätigung findet diese Auslegung schließlich auch durch die Tatsache, dass in der Praxis der durch Gesetz festgelegte Beitragssatz auch durch spätere Rechtsverordnung geändert wurde (nämlich in den Jahren 2001 und 2012). Damit besteht das sich aus § 158 Abs. 1 SGB VI ergebende Verordnungsrecht der Bundesregierung auch dann fort, wenn der Beitragssatz im Vorjahr durch Gesetz festgelegt wurde. Auch die Rechtspflicht der Bundesregierung zur Beitragssatzanpassung bei Vorliegen der Voraussetzungen bleibt durch eine gesetzliche Festsetzung infolgedessen grundsätzlich unberührt. Sie entfällt im Falle einer gesetzlichen Regelung des Beitragssatzes nur für das jeweilige Jahr,23 da der Gesetzgeber insoweit die auf die Exekutive delegierte Rechtsetzungsbefugnis durch die Ausübung der eigenen Zuständigkeit wieder an sich gezogen hat. 6. Folgen eines Verstoßes gegen die Anpassungspflicht nach § 158 Abs. 1 SGB VI 6.1. Durchsetzbarkeit der Anpassungspflicht Ein Verstoß der Bundesregierung gegen die Anpassungspflicht des § 158 Abs. 1 SGB VI dürfte gerichtlich nicht sanktionierbar sein. Als Rechtsbehelf käme allenfalls ein Organstreitverfahren des Bundestages oder einer Fraktion gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG in Betracht, mit dem die Verletzung der Rechte des Bundestages durch das Unterlassen der Bundesregierung geltend gemacht würde. Ein subjektives Recht des Bundestages auf Ausübung der delegierten Rechtsetzungsbefugnis ist jedoch nicht zu erkennen, da der Bundestag, wie dargestellt, jederzeit selbst rechtsetzend tätig werden kann. Zumindest dürfte es aus diesem Grund an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlen. 6.2. Außenwirkungen des Unterlassens einer gebotenen Anpassung Im Außenverhältnis bewirkt ein Verstoß gegen die Anpassungspflicht nichts. Es gelten, wie oben dargelegt, weiterhin die im Vorjahr geltenden Beitragssätze, gleichgültig, ob diese durch Rechtsverordnung nach § 160 SGB VI oder durch Gesetz festgesetzt worden sind. Auch die Geltendmachung eines etwaigen Gesetzesverstoßes durch den zur Beitragszahlung verpflichteten Arbeitgeber im Wege des Widerspruchs gegen die Zahlung des Beitrages in alter Höhe hätte keine Aussicht auf Erfolg. Die Verpflichtung der Bundesregierung zum Erlass einer Rechtsverordnung korrespondiert nicht mit einem Anspruch des Normbetroffenen auf Erlass einer Rechtsverordnung mit bestimmtem Inhalt.24 Im Falle der vorherigen Festsetzung durch Rechtsverordnung könnte sich allenfalls die Frage stellen, ob der nachträgliche Wegfall der in der Ermächtigungsgrundlage genannten tatsächlichen Voraussetzungen ausnahmsweise zur automatischen Unwirksamkeit der Rechtsverordnung führt. 23 BT-Drs. 18/187, S. 4. 24 Vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) (Fn. 7), § 103 Rn. 52. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/14 Seite 9 Diese Frage bedarf hier jedoch keiner abschließenden Erörterung, da der Beitragssatz zuletzt nicht durch Rechtsverordnung, sondern durch Gesetz festgesetzt wurde (Beitragssatzgesetz 2013). Im Falle der Fortgeltung der gesetzlichen Festsetzung aus dem Vorjahr gilt für das Verhältnis zwischen § 158 SGB VI und dem jeweiligen Beitragssatzgesetz Folgendes: Das Beitragssatzgesetz befindet sich auf der gleichen Normebene wie die Regelung des § 158 SGB VI und ist damit selbst nicht an dessen Vorgaben zu messen. Der Gesetzgeber ist, anders als der Verordnungsgeber , nicht an die einfachen Gesetze gebunden. Das fortgeltende Beitragssatzgesetz kann also nicht wegen Verstoßes gegen § 158 SGB VI rechtswidrig sein. 7. Rechtswirkungen des geplanten Beitragssatzgesetzes 2014 Durch den Nichterlass einer Rechtsverordnung gemäß §§ 158 Abs. 1, 160 SGB VI hat die Bundesregierung gegen die gesetzliche normierte Anpassungspflicht verstoßen. Daran ändert auch die Bekanntmachung nach § 158 Abs. 4 SGB VI nichts. Der Rechtsverstoß bleibt jedoch ohne Folgen im Außenverhältnis, da der im Beitragssatzgesetz 2013 festgesetzte Beitragssatz bis auf Weiteres fortgilt. Das geplante Beitragssatzgesetz 2014 (s.o.) soll rückwirkend zum 1. Januar 2014 in Kraft treten. Da der im Beitragssatzgesetz 2013 festgesetzte Beitrag, wie dargestellt, bis zu einer Neuregelung fortgilt, setzt das Beitragssatzgesetz 2014 keine von der derzeitigen Rechtslage abweichende Rechtsfolge. Das verfassungsrechtliche Problem eines etwaigen Rückwirkungsverbotes stellt sich somit im vorliegenden Fall nicht. Mit dem rückwirkenden Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2014 würde zugleich die Verletzung der Anpassungspflicht durch die Bundesregierung rückwirkend beseitigt. Denn, wie oben dargestellt, entfällt die Verpflichtung der Bundesregierung zur Beitragsanpassung im Wege der Rechtsverordnung für das Jahr, für das der Gesetzgeber selbst eine Festsetzung erlassen hat. 8. Fazit Die Bekanntmachung der Fortgeltung des Beitragssatzes durch die Bundesministerin für Arbeit und Soziales vom 19. Dezember 2013 hat keine eigenständige Rechtswirkung. Einer solchen bedarf es für die Geltung des bisherigen Beitragssatzes im Außenverhältnis auch nicht. Bis zur Festsetzung des Beitragssatzes für das Jahr 2014 gilt der im Beitragssatzgesetz 2013 festgelegte Wert fort. Ein Gesetz, das die Weitergeltung des alten Beitragssatzes für das Jahr 2014 anordnet, ist daher für die Geltung des Beitragssatzes im Außenverhältnis nicht erforderlich. Auch ohne eine neue gesetzliche Regelung bleibt es bei der bisherigen Rechtslage. Eine Beeinträchtigung der Rechtssicherheit mit Blick auf etwaige Widersprüche und Klagen gegen die Zahlung des Beitrages durch die Arbeitgeber ist durch dieses Vorgehen nicht zu befürchten. Das Beitragssatzgesetz 2013 gilt Anfang 2014 ebenso wie Ende 2013. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 018/14 Seite 10 Die Nichtanpassung des Beitragssatzes entgegen § 158 SGB VI stellt zwar einen Rechtsverstoß durch die Bundesregierung dar. Dieser kann allerdings weder gerichtlich geltend gemacht werden , noch hat er im Außenverhältnis Auswirkungen auf die Rechtslage. Der geplante Erlass des Beitragssatzgesetzes 2014 würde diesen Rechtsverstoß außerdem rückwirkend beseitigen.