© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 016/14 Vertretungsregelungen für das Amt des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 016/14 Seite 2 Vertretungsregelungen für das Amt des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 016/14 Abschluss der Arbeit: 6. Februar 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: +49-30-22732325 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 016/14 Seite 3 1. Einleitung In den Vereinigten Staaten von Amerika muss sich ein „designated suvivor“ als potentieller Nachfolger des Präsidenten der Vereinigten Staaten immer an einem sicheren Ort aufhalten, wenn sich der Präsident und alle seine möglichen Vertreter sowie alle Mitglieder des Kongresses gemeinsam an einem Ort aufhalten. Sinn und Zweck dieser Regelung ist, dass im Fall eines Anschlags auf eine solche Großveranstaltung immer ein verfassungsmäßiger Nachfolger des Präsidenten überlebt und für die Führung der Amtsgeschäfte zur Verfügung steht. Geprüft werden soll vorliegend, ob in Deutschland eine Regelung existiert, die einen solchen sicheren Nachfolger für den Bundeskanzler oder den Bundespräsidenten vorsieht oder ob zumindest eine vergleichbare Praxis besteht, dass in Deutschland in einer Ausnahmesituation das Überleben einer Regierungsperson gewährleistet ist. 2. Vertretung des Bundeskanzlers/der Bundeskanzlerin Gemäß Art. 69 Abs. 1 Grundgesetz (GG) hat der Bundeskanzler das Recht, aber auch die Pflicht, einen Stellvertreter, den Vizekanzler zu ernennen. Er darf sich nicht darauf beschränken, gesplittete Vertretungen zu regeln, sondern muss einen einzigen ständigen Stellvertreter bestellen.1 Dies dient der Verantwortungsklarheit und der permanenten Funktionsfähigkeit der Bundesregierung. Im politischen Ermessen des Bundeskanzlers liegt, welchen Bundesminister er zum Vizekanzler ernennt. Die überwiegende Staatspraxis, einen Repräsentanten des kleineren Koalitionspartners zu ernennen, beruht auf politischen Überlegungen, ist aber keine rechtliche Beschränkung dieses Ermessens.2 Formvorschriften für den Ernennungsakt durch den Bundeskanzler bestehen nicht. Genügen würde auch eine mündliche Erklärung. In der Staatspraxis geschieht die Ernennung meist durch ein Schreiben des Bundeskanzlers an den Bundesminister, der Vizekanzler werden soll. Ist der Bundekanzler – z.B. durch schwerwiegende Krankheit – nicht in der Lage, binnen angemessener Frist eine Ernennung vorzunehmen, so besteht eine Regelungslücke. In diesem Fall entscheidet das Kabinett.3 Eine längerfristige Verhinderung des Bundeskanzlers, die diesen gänzlich an der Ausübung seiner Regierungsgeschäfte gehindert hätte, ist in der bisherigen Staatspraxis noch nicht eingetreten. Für die Vertretung des Bundeskanzlers setzt § 8 Geschäftsordnung der Bundesregierung (GO- BReg) voraus, dass der Bundeskanzler „an der Wahrnehmung der Geschäfte allgemein verhindert ist.“ Dieses Kriterium bezieht sich auf tatsächliche Verhinderungsgründe, z.B. schwere Krankheit, würde aber auch im Fall eines Anschlags auf eine Großveranstaltung gelten. Es gibt keine Bestimmung, die vorschreibt, dass sich Bundeskanzler und Vizekanzler nicht gleichzeitig auf einer zentralen Veranstaltung aufhalten dürfen. Vorstellbar ist, dass auch der Vizekanzler verhindert ist. Geschäftsordnungsrechtlich geregelt ist dieser Fall für den Vorsitz im Kabinett durch § 22 Abs. 1 S. 2 GO-BReg. Danach führt den Vorsitz in 1 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Grundgesetzkommentar, 2013, Art. 69 Rn. 4, 6. 2 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Grundgesetzkommentar, 2013, Art. 69 Rn. 8. 3 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetzkommentar, 2012, 12. Auflage, Art. 69 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 016/14 Seite 4 diesem Fall der vom Bundeskanzler oder Vizekanzler besonders benannte Bundesminister. Ist keine Benennung erfolgt, wird für die Vertretung auf Kriterien wie ununterbrochene Amtszeit, hilfsweise auf das Lebensalter abgestellt.4 Darüber hinaus gibt es keine weitere explizite Vertretungsregel . Fraglich ist, ob eine derartige Weiter-Vertretung auch über den Fall des Vorsitzes im Kabinett hinaus zulässig ist. Die Rechtsstellung des Vizekanzlers mit den ihm vorbehaltenen Rechten darf nicht dahin verstanden werden, dass eine Weiter-Vertretung des Vizekanzlers bei dessen Verhinderung unzulässig wäre. Indem die mit der Stellung des Vizekanzlers verbundenen Rechte betont werden, soll lediglich deutlich gemacht werden, dass die Beliebigkeit der Vertretung vermieden werden muss. Im Interesse der jederzeitigen Funktionsfähigkeit der Bundesregierung ist auch hinsichtlich der grundsätzlich dem Bundeskanzler und dem Vizekanzler vorbehaltenen Leitungsgeschäfte der Regierung eine Weiter-Vertretung zulässig, wenn beide verhindert sind.5 Hat der Bundeskanzler keine anderweitige Bestimmung getroffen, so ist es verfassungsrechtlich zulässig, auch im Weiter-Vertretungsfall entsprechend § 22 Abs. 1 Satz 2 GO-BReg zu verfahren.6 Eine gängige Praxis, dass sich ein möglicher Vertreter von Bundeskanzler oder Vizekanzler immer an einem sicheren Ort aufhalten muss, ist nicht ersichtlich. Es wurden keine gesetzlichen Bestimmungen getroffen, wer bei einem Anschlag die Regierungsverantwortung übernimmt, wenn alle Mitglieder der Bundesregierung nicht mehr in der Lange wären, ihr Amt auszuüben. In nationalen Krisensituationen werden Arbeitsstäbe z.B. im Auswärtigen Amt auf Verwaltungsebene eingesetzt. Im Fall, dass die Bundesrepublik Deutschland in einen äußeren Staatsnotstand im Sinne einer kriegerischen Auseinandersetzung mit ausländischen Mächten gerät, d.h. ein Angriff gegen das Bundesgebiet vorliegt, stellt der Bundestag den Verteidigungsfall gemäß Art. 115 a GG fest. Die Feststellung des Verteidigungsfalles bewirkt den Übergang von der Normal- zur Notstandsverfassung und passt das Staatsorganisationsrecht den Anforderungen eines durch bewaffneten Angriff hervorgerufenen äußeren Notstandes an.7 Spezielle Bestimmungen für die Vertretung des Bundeskanzlers enthalten die Art. 115 a ff. GG nicht. 3. Vertretung des Bundespräsidenten/der Bundespräsidentin Art. 57 GG regelt die Vertretung des Bundespräsidenten. Die Vorschrift trifft Vorsorge für den Fall, dass der Bundespräsident an der Ausübung seines Amtes gehindert ist oder dass sich sein Amt – aus welchen Gründen auch immer – vorzeitig erledigt. In diesem Fall sollen seine Befugnisse, aber auch seine Aufgaben vom Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen werden.8 Die Vorschrift dient primär dem Zweck, das oberste Bundesorgan Bundespräsident auch dann funktionsfähig zu erhalten, wenn sein augenblicklicher Inhaber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen den mit ihm verbundenen Verpflichtungen nicht (mehr) gerecht zu werden vermag. Man unterscheidet die Ersatzvertretung, die vorliegt, wenn der Bundespräsident (z.B. wegen einer schweren 4 Busse, in: Kommentierung der Geschäftsordnung der Bundesregierung, 2013, § 8 Rn. 17. 5 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Grundgesetzkommentar, 2013, Art. 69 Rn. 19. 6 Busse, in: Kommentierung der Geschäftsordnung der Bundesregierung, 2013, § 8 Rn. 18. 7 Schmidt-Radefeldt, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Online-Kommentar GG, 2013, Art. 115 a GG Rn. 1. 8 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Grundgesetzkommentar, 2013, Art. 57 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 016/14 Seite 5 Krankheit, einer langen Abwesenheit, auch wegen Gefangenschaft im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung, einer Entführung oder einer Geiselnahme etc.) außer Stande ist, sein Amt zu versehen. Der andere Fall ist die so genannte Nebenvertretung, d.h. der Bundespräsident ist grundsätzlich in der Lage, sein Amt auszuüben, aber kurzeitig verhindert.9 In beiden Fällen kann der Präsident des Bundesrates im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Amtes unaufschiebbare Amtshandlungen vornehmen.10 Darüber hinaus gibt es keine Bestimmungen, dass sich der Bundespräsident und der Bundesratspräsident nicht gemeinsam an einem Ort oder auf einer Großveranstaltung aufhalten dürfen. 4. Ergebnis Das Grundgesetz enthält nur lückenhaft Vertreterregelungen für den Bundeskanzler und den Bundepräsidenten .11 Bei allen anderen obersten Bundesorganen ist die Vertretungsfrage in der Verfassung nicht angesprochen. Eine Regelung für einen „designated suvivor“ in dem Fall, dass die ganze Bundesregierung einem Anschlag zum Opfer fällt, besteht in der Bundesrepublik Deutschland nicht. In Deutschland kommen bei Staatsbesuchen und Gedenktagen häufig neben allen Regierungsmitgliedern und Abgeordneten auch Vertreter der obersten Bundesorgane an einem Ort zusammen , ohne dass ein einzelner möglicher Vertreter ausgenommen wird. Ein Beispiel aus aktuellerer Zeit war die gemeinsame Sitzung von Assemblée nationale und Deutschem Bundestag am 22. Januar 2013 im Reichstagsgebäude, an der neben den Abgeordneten beider Häuser auch der Bundespräsident , die Bundeskanzlerin und der Staatspräsident Frankreichs sowie die beiden Kabinette , der Bundesratspräsident und die Mitglieder des Bundesrates teilgenommen haben. 9 Pieper, in: Beck’scher Online Kommentar GG, 2013, Art. 56 Rn. 3. 10 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Grundgesetzkommentar, 2013, Art. 57 Rn. 17. 11 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Grundgesetzkommentar, 2013, Art. 57 Rn. 4.