© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 015/19 Der Aufenthalt und die Einbürgerung Staatenloser Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 015/19 Seite 2 Der Aufenthalt und die Einbürgerung Staatenloser Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 015/19 Abschluss der Arbeit: 6. März 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 015/19 Seite 3 1. Einleitung Dem Sachstand liegt eine Anfrage zur Rechtsstellung von Staatenlosen zugrunde. Konkret geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen Staatenlose die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen können, insbesondere wenn sie bereits als Flüchtlinge in Deutschland anerkannt wurden. Staatenlose sind Personen, die kein Staat aufgrund seines Rechtes als Staatsangehörige ansieht.1 Von dieser De-jure-Staatenlosigkeit zu unterscheiden ist die sogenannte De-facto-Staatenlosigkeit .2 Zwar existiert keine einheitliche Definition zu De-facto-Staatenlosen, nach verbreiteter Auffassung besteht der Unterschied zu De-jure-Staatenlosen aber darin, dass De-facto-Staatenlose zwar eine Staatsangehörigkeit besitzen, sich aber außerhalb ihres Heimatstaates befinden und von diesem Staat keinen Schutz erhalten können oder wollen.3 2. Rechtsrahmen Auf völkerrechtlicher Ebene zählen das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 (StaatenlÜbk)4 sowie das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961 (StaatenlVermÜbk)5 und das Übereinkommen zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit von 1973 (StaatenlVerrÜbk)6 zu den wichtigsten Übereinkommen zum Schutz staatenloser Personen.7 Auf nationaler Ebene dient das Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit (StaatenlMindÜbkG)8 zusätzlich der Umsetzung der letzten beiden Übereinkommen. Zu den wichtigsten Inhalten des StaatenlÜbk zählt neben der Definition zur Staatenlosigkeit (s.o.) die Verpflichtung, Staatenlose nicht schlechter zu behandeln als Ausländer, die über eine Staatsangehörigkeit verfügen (Art. 7 Abs. 1 StaatenlÜbk). In Bezug auf die Religionsausübung 1 Vgl. Art. 1 Abs. 1 Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 (StaatenlÜbk), dazu sogleich unter 2. 2 Hailbronner, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, F. Staatenlosigkeit Rn. 1. 3 Vgl. Kraus, Menschenrechtliche Aspekte der Staatenlosigkeit 2013, S. 69; so auch die UNHCR-Studie von Massey , UNHCR and De Facto Statelessness, April 2010, abrufbar unter: https://www.unhcr.org/protection/globalconsult /4bc2ddeb9/16-unhcr-de-facto-statelessness-hugh-massey.html (letzter Abruf am 18.2.2019). 4 Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (BGBl. 1976 II S. 473). 5 Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 (BGBl. 1977 II S. 598). 6 Übereinkommen zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit vom 13. September 1973 (BGBl. 1977 II S. 613). 7 Die drei Übereinkommen wurden in der 70er Jahren von Deutschland ratifiziert und gemäß Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz durch die jeweiligen Zustimmungsgesetze in die deutsche Rechtsordnung inkorporiert, sie haben also den Rang eines einfachen Gesetzes. 8 Ausführungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit (BGBl. 1977 I S. 1001). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 015/19 Seite 4 und das Wohlfahrtwesen werden Staaten sogar zur Gleichstellung der Staatenlosen mit den eigenen Staatsangehörigen verpflichtet (Art. 4, 20 und 23 StaatenlÜbk).9 Art. 32 StaatenlÜbk verpflichtet die Staaten, die Einbürgerung Staatenloser soweit wie möglich zu erleichtern und zu beschleunigen. Darüber hinaus ist Staatenlosen gemäß Art. 28 S. 1 StaatenlÜbk auf Antrag ein Reiseausweis auszustellen, wenn sie sich rechtmäßig im Land aufhalten. Obwohl diese völkerrechtlichen Verträge grundsätzlich nur auf De-jure-Staatenlose Anwendung finden,10 bekräftigte die Bundesrepublik Deutschland 1977, dass sie, entsprechend einer Resolution der UN-Generalversammlung, bei Versagen völkerrechtlichen Schutzes „auch künftig von sich aus De-facto-Staatenlose den De-jure-Staatenlosen gleichbehandeln“ werde.11 3. Aufenthaltsstatus Entsprechend der Pflicht zur Gleichstellung nach dem StaatenlÜbk gelten für Staatenlose gegenüber Ausländern grundsätzlich keine Besonderheiten in Bezug auf ihren Aufenthaltsstatus. Ihr Aufenthalt ist rechtmäßig, wenn sie über einen Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verfügen, oder von dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind. Bei Staatenlosen kann eine Befreiung durch Rechtsverordnung gem. § 4 Abs. 1 S. 1, 2. Alt AufenthG in Betracht kommen: Gemäß § 18 Abs. 1 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) sind Inhaber eines Reiseausweises für Staatenlose „für die Einreise und den Kurzaufenthalt vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit“, sofern der Reiseausweis eine noch mindestens vier Monate gültige Rückkehrberechtigung in den ausstellenden Staat12 enthält (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV) und der Inhaber keine Erwerbstätigkeit ausübt (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 AufenthV).13 Für die Feststellung der Staatenlosigkeit ist – anders als für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft – kein gesondertes Verfahren vorgesehen. Die Staatenlosigkeit wird aber bei der Bean- 9 Hailbronner, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, F. Staatenlosigkeit Rn. 24. 10 Für De-facto-Staatenlose, die zugleich Flüchtlinge sind, war 1951 das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559) – auch bekannt als Genfer Flüchtlingskonvention – unterzeichnet worden. Wie Art. 3 der Präambel des StaatenlÜbk bekräftigt, sollte dieses Übereinkommen daher die bis dato schutzlosen Staatenlosen, die nicht zugleich Flüchtlinge waren, adressieren. 11 So in der Gesetzesbegründung für den Entwurf des Gesetzes zur Verminderung der Staatenlosigkeit, BT-Drs. 8/13, S. 6. 12 Der Reiseausweis muss von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, der Schweiz oder von einem in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staat ausgestellt worden sein (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 AufenthV). 13 Stahmann, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, AufenthG § 4 Rn. 35. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 015/19 Seite 5 tragung eines Reiseausweises für Staatenlose i.S.d. Art. 28 StaatenlÜbk (s.o.) durch die Ausländerbehörde geprüft.14 Stehe diese fest, so sei aufgrund des dauerhaften Abschiebehindernisses auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.15 Voraussetzung für die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose ist gemäß Art. 28 S. 1 Staatenl Übk, dass sich der Staatenlose rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Staates aufhält. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bestimmt sich mangels Definition im StaatenlÜbk nach nationalem Recht.16 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts reiche aber nicht jede rechtmäßige Anwesenheit aus, vielmehr müsse bereits eine gewisse Aufenthaltsverfestigung eingetreten sein, was jedoch auch bei Vorliegen eines befristeten Aufenthaltstitels der Fall sein könne.17 Liege kein rechtmäßiger Aufenthalt vor, bestehe zwar kein Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises ; gemäß Art. 28 S. 2 StaatenlÜbk solle die Behörde aber „wohlwollend“ und damit nach eingeschränktem Ermessen prüfen, ob sie der im Hoheitsgebiet befindlichen Person dennoch einen Reiseausweis ausstellt.18 4. Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für Staatenlose 4.1. Anspruchs- und Ermessenseinbürgerung nach dem StAG Staatenlose können zunächst nach den allgemeinen Vorschriften des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) im Rahmen einer Anspruchs- (§ 10 StAG) oder einer Ermessenseinbürgerung (§ 8 StAG) eingebürgert werden. Besonderheiten gelten dabei bezüglich der erforderlichen Aufenthaltsdauer , die der Einbürgerung vorausgehen muss. Wird gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 StAG normalerweise eine Aufenthaltsdauer von acht Jahren vorausgesetzt, so reicht bei der Ermessenseinbürgerung von Staatenlosen ein sechsjähriger rechtmäßiger und gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland aus.19 Diese Privilegierung trägt Art. 32 StaatenlÜbk Rechnung, der eine Erleichterung der Einbürgerungsmöglichkeiten von Staatenlosen verlangt (s.o.). 14 Hoffman, Asylmagazin 2017, 325 (329). 15 Hoffman, Asylmagazin 2017, 325 (329). 16 Hailbronner, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, F. Staatenlosigkeit Rn. 26. 17 BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 1990, Az. 1 C 15.88, BVerwGE 87, 11, 14f. 18 Hailbronner, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, F. Staatenlosigkeit Rn. 31. 19 So die Verwaltungsvorschriften zum StAG, vgl. Nr. 8.1.3.1. der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz (Stand: 1.6.2015), abrufbar unter: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/MigrationIntegration/Staatsangehoerigkeit/Anwendungshinweise _06_2015.pdf;jsessionid=BDB28E5D8E94CD02408C97830A9376AF.2_cid287?__blob=publication File. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 015/19 Seite 6 4.2. Einbürgerungsanspruch für Kinder von Staatenlosen nach dem StaatenlMindG Für in Deutschland geborene Kinder von (de jure20) Staatenlosen besteht ferner unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Einbürgerung, der sich aus Art. 2 StaatenlMindÜbkG ergibt: „Ein seit der Geburt Staatenloser ist auf seinen Antrag einzubürgern, wenn er 1. im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder an Bord eines Schiffes, das berechtigt ist, die Bundesflagge der Bundesrepublik Deutschland zu führen, oder in einem Luftfahrzeug, das das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland führt, geboren ist, 2. seit fünf Jahren rechtmäßig seinen dauernden Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und 3. den Antrag vor der Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres stellt, es sei denn, daß er rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von fünf Jahren oder mehr verurteilt worden ist. Für das Verfahren bei der Einbürgerung einschließlich der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit gelten die Vorschriften des Staatsangehörigkeitsrechts .“21 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet ein „dauernder Aufenthalt“, dass der Staatenlose nicht nur vorübergehend im Land lebe, sondern seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe.22 Für diese Dauerhaftigkeit des Aufenthalts bedürfe es keiner förmlichen Zustimmung der Ausländerbehörde, insbesondere komme es hier nicht auf den Aufenthaltstitel an.23 Strittig ist, wie das Merkmal der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts zu behandeln ist. So weist Hailbronner darauf hin, dass sich diese Voraussetzung nicht in der entsprechenden Vorschrift Art. 1 Abs. 2 des StaatenlVermÜbk wiederfindet, dessen Umsetzung das StaatenlMindG dient.24 Während Art. 1 Abs. 1 StaatenlVermÜbk die Staaten verpflichtet, Staatenlosen, die in ihrem Hoheitsgebiet geboren wurden, die Staatsangehörigkeit zu verleihen, legt Abs. 2 lit. a bis d abschließend die Voraussetzungen fest, von denen eine Verleihung abhängig gemacht werden kann.25 Da diese zulässigen Voraussetzungen nur den „dauernden Aufenthalt“ vorsähen, aber keine Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts stellten, so Hailbronner, sei das Merkmal der Rechtmäßigkeit in Art 2 StaatenlMindG so auszulegen, dass eine ausdrückliche Zustimmung der 20 Hailbronner, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, F. Staatenlosigkeit Rn. 34. 21 Hervorhebung durch die Bearbeiterin. 22 BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1993, BVerwGE 92, 116, 123. 23 BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1993, BVerwGE 92, 116, 123. 24 Hailbronner, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, F. Staatenlosigkeit Rn. 38. 25 Hailbronner, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, F. Staatenlosigkeit Rn. 38. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 015/19 Seite 7 Ausländerbehörde nicht erforderlich sei.26 Das Bundesverwaltungsgericht entschied hingegen 1993, dass die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts grundsätzlich nur dann vorliege, wenn dem Staatenlosen der Aufenthalt durch die Ausländerbehörde erlaubt worden sei.27 *** 26 Hailbronner, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, F. Staatenlosigkeit Rn. 38. 27 BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1993, BVerwGE 92, 116, 127.