Deutscher Bundestag Bundeskompetenz zur Einführung einer Maut auf Straßen der Länder und der Kommunen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 015/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 015/13 Seite 2 Bundeskompetenz zur Einführung einer Maut auf Straßen der Länder und der Kommunen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 015/13 Abschluss der Arbeit: 13. Februar 2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 015/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Allgemeine Verteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern 4 3. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Artikel 72 Abs. 1, Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG? 5 3.1. Voraussetzungen des Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG 5 3.2. Voraussetzungen des Artikel 72 Abs. 2 GG 5 3.2.1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse 6 3.2.2. Wahrung der Rechtseinheit 7 3.2.3. Wahrung der Wirtschafteinheit 8 3.3. Ergebnis zu Artikel 72 Abs. 2, Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG 8 4. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Artikel 72, Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 GG 9 5. Ergebnis 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 015/13 Seite 4 1. Einleitung Die vorliegende Ausarbeitung untersucht die Kompetenz des Bundes, eine kilometerabhängige Maut für die Benutzung von Straßen der Länder und Kommunen einzuführen. Ob bei Erhebung einer solchen Maut die Einnahmen an die Länder und Kommunen erstattet werden müssen, wird in einer gesonderten Ausarbeitung des Fachbereichs WD 4 (Haushalt und Finanzen) dargestellt. Als Maut wird eine Straßenbenutzungsgebühr bezeichnet. Es wird also eine Gebühr für das Befahren einer bestimmten Straße erhoben. Zweck einer solchen Gebühr ist zum einen, den Ausbau und Erhalt der Straßen zu finanzieren und somit die Verkehrsinfrastruktur auszubauen. Daneben soll durch das Erheben einer Gebühr das Verkehrsaufkommen reduziert und Stau dadurch abgebaut werden.1 Der Maut kommt damit auch eine Verkehrslenkungsfunktion zu.2 Durch die Verringerung des Verkehrsaufkommens sollen zudem Umweltbelastungen sinken, etwa indem Schadstoffemissionen und Verkehrslärm verringert werden. Dabei könnten Emissionen auch durch einen staureduzierten und deshalb effizienten Verkehrsablauf gesenkt werden. 2. Allgemeine Verteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern Gemäß Artikel 30, 70 Abs. 1 GG liegt die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern, es sei denn, das Grundgesetz weist dem Bund eine Gesetzgebungsbefugnis zu.3 Will der Bund gesetzgeberisch tätig werden, muss er sich auf eine ausdrückliche Kompetenzzuweisungsnorm berufen. Kompetenzzuweisungsnormen finden sich im Rahmen der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes in Artikel 73 Abs. 1 GG i.V.m. Artikel 71 GG und im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes in Artikel 74 Abs. 1 i.V.m Artikel 72 Abs. 1 GG. Weist eine Grundgesetznorm dem Bund eine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit zu, Artikel 73 Abs. 1 GG i.V.m. Artikel 71 GG, besitzt der Bund exklusive Regelungskompetenz. Das Land ist in diesem Fall vollständig von einer Gesetzgebung ausgeschlossen.4 Eine Ausnahme hierzu bildet lediglich der Fall, dass der Bund das Land explizit dazu ermächtigt, ein Gesetz zu erlassen, Artikel 71 GG. Dem Bund kann durch das Grundgesetz die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit zugewiesen sein, Artikel 74 Abs. 1 i.V.m Artikel 72 Abs. 1 GG. Der Bundesgesetzgeber kann die ihm 1 Knockaert/Rietveld/Wieland/Evangelinos, Economic Theory and Methodology of Differentiated Infrastructure Charging, User Reaction and Efficient Differentiation of Charges and Tolls, 2008, S. 15. 2 Jakubowski/Lorenz, PKW-Maut: Für eine verbrauchs-, entfernungs- und zeitabhängige Gebühr, Wirtschaftsdienst 2008, 526, 528. 3 Vergleiche hierzu sowie zu Punkt 3 auch Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlas eines City-Maut Gesetzes, Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, WD 3 – 3000 – 288/12, 2012, S. 5 ff. 4 Haratsch, in: Sodan, Kommentar zum GG, 2. Aufl. 2011, Art. 71 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 015/13 Seite 5 zugeordneten Sachbereiche dann uneingeschränkt regeln.5 Nur wenn der Bundesgesetzgeber die Sachmaterie nicht ordnet, können die Länder gesetzgeberisch tätig werden und die Materie umfassend oder teilweise regeln. Die Entscheidung liegt folglich beim Bund, die Regelung einer Materie an sich zu ziehen. Im Grundsatz kann der Bund in diesem Fall ohne zusätzliche Anforderungen tätig werden. Bei den in Artikel 74 Abs. 2 GG genannten Kompetenztiteln werden jedoch weitere kompetenzrechtliche Voraussetzungen aufgestellt, die vorliegen müssen, damit dem Bund das Gesetzgebungsrecht zusteht (sogenannte Bedarfskompetenz). Das Recht zur Gesetzgebung besitzt der Bund in diesen Bereichen nur dann, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. 3. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Artikel 72 Abs. 1, Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG? Eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Einführung einer Maut für die Nutzung von Straßen der Länder und Kommunen ist nicht ersichtlich. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes könnte sich jedoch im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung aus Artikel 72 Abs. 1, Artikel 74 Abs. 1 GG ergeben. Für eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes kommt zunächst Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG in Frage. 3.1. Voraussetzungen des Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 Variante 4 GG gewährt dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zur „Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen“. Als öffentliche Straßen gelten im Sinne dieser Norm nicht nur die Bundesstraßen des Fernverkehrs, sondern alle Straßen, die der Allgemeinheit zugänglich sind und für den Straßenverkehr bestimmt sind.6 Der Bund kann daher auch Regelungen über Benutzungsgebühren für Straßen der Länder und Kommunen erlassen.7 Dies ergibt sich insbesondere aus dem Vergleich mit Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 Variante 3 GG, der die Kompetenz des Bundes für den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen ausdrücklich auf den Fernverkehr beschränkt, während in der Variante 4 der Norm auf eine solche Beschränkung verzichtet wird. 3.2. Voraussetzungen des Artikel 72 Abs. 2 GG Gemäß Artikel 72 Abs. 2 GG besteht das Gesetzgebungsrecht des Bundes jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die 5 Haratsch, in: Sodan, Kommentar zum GG, 2. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 1; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, 65. EL 2012, Art. 72 Rn. 14; Ipsen, Staatsrecht I, 24. Auflage, 2012, § 10 Rn. 555. 6 Maunz, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, 65. EL 2012, Art. 74 Rn. 243; Kunig, in: von Münch/Kunig, Kommentar zum GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 98. 7 Vgl. Jachmann, Die Einführung einer Nahverkehrsabgabe durch Landesgesetz, NVwZ 1992, 932 (936). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 015/13 Seite 6 Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht (Erforderlichkeit der bundesgesetzlichen Regelung). Der Bund kann folglich ein Gesetz nur erlassen, wenn er geltend machen kann, dass eine mögliche Regelung durch den Landesgesetzgeber den Anforderungen der Sachlage nicht gerecht wird und unterschiedliche oder fehlende Landesregelungen gewichtige Nachteile für Bund und Länder mit sich bringen.8 3.2.1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse Zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist ein Handeln des Bundes nur dann erforderlich , wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.9 Dabei ist das Rechtsgut „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ nicht schon dann einschlägig, wenn der Bund eine Maßnahme für sozialpolitisch sinnvoll hält oder Unterschiede zwischen den Bundesländern abbauen will.10 Vielmehr muss ein handfester Missstand in einem oder mehreren Bundesländern oder ein erhebliches Wohlstandgefälle gerade zu dieser bundeseinheitlichen Korrektur drängen.11 Dabei ist zu beachten , dass das Bundesverfassungsgericht dem Bundesgesetzgeber einen Einschätzungs- und Prognosespielraum zubilligt.12 Die gesetzgeberische Entscheidung hat jedoch nur dann vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand, wenn der Gesetzgeber plausibel darlegen kann, dass er die bundeseinheitliche Regelung für erforderlich halten musste, weil keine vernünftige Alternative im Gesetzgebungsverfahren erkennbar war.13 Dies ist jedenfalls nicht der Fall, wenn regional differenzierende Regelungen bestehende Disparitäten nachhaltiger auflösen könnten.14 Im Hinblick auf den Erlass eines Maut-Gesetzes für Straßen der Länder und Kommunen erscheint die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zweifelhaft. Zwar würde ein solches Gesetz auch dem Straßenbau sowie der Straßenpflege dienen und damit letztlich dem bundesweiten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur nutzen . Wenngleich sich dadurch bestehende Unterschiede in der Lebensqualität zwischen den Bundesländern abbauen ließen, erscheint es aber nicht alternativlos, die dafür erforderlichen Mittel im Wege einer bundesgesetzlichen Maut zu erwirtschaften. Auch landesgesetzliche Maßnahmen könnten zur Einführung einer Maut auf Straßen der Länder und der Kommunen den finanziellen Spielraum der Länder im erforderlichen Umfang erweitern, um das Landesstraßen- 8 Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 115. 9 BVerfGE 106, 62 (144); BVerfGE 111, 226 (253); BVerfGE 112, 226 (244). 10 Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, 1. Aufl. 2013, § 8 Rn. 452. 11 BVerfGE 112, 226 (245). 12 BVerfGE 106, 62 (151). 12 BVerfGE 112, 226 (245). 13 Morlock/Michael, Staatsorganisationsrecht, 1. Aufl. 2013, § 8 Rn. 451. 14 Vgl. Stettner, in: Dreier, Kommentar zum GG, Bd. 2, 2. Aufl., Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 35. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 015/13 Seite 7 netz an den erforderlichen Stellen mit dem Ziel auszubauen, ungleichwertige Lebensverhältnisse zwischen den Bundesländern abzubauen. 3.2.2. Wahrung der Rechtseinheit Die Wahrung der Rechtseinheit begründet ein Erfordernis für eine bundesgesetzliche Regelung, wenn eine untragbare Rechtszersplitterung im Bundesgebiet zu besorgen ist.15 Zu dieser Annahme reicht jedoch nicht die Gefahr, dass unterschiedliche Rechtslagen für die Bürger entstehen.16 Denn dies ist eine notwendige Folge des föderalen Systems der Bundesrepublik.17 Vielmehr erfüllt eine Gesetzesvielfalt auf Länderebene die Voraussetzungen für eine bundesgesetzliche Regelung erst dann, wenn sie eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen darstellt, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann. Gerade die Unterschiedlichkeit des Gesetzesrechts oder der Umstand, dass die Länder eine regelungsbedürftige Materie ungeregelt lassen, müssen die Erhaltung einer funktionsfähigen Rechtsgemeinschaft bedrohen.18 Dies wäre der Fall, wenn eine gravierende Störung des länderübergreifenden Rechtsverkehrs zu befürchten wäre.19 Würden abweichende landesgesetzliche Regelungen im Bereich der Einführung einer Straßen- Maut von den Ländern getroffen werden, entstünde eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit für den einzelnen Bürger. Der länderübergreifende Rechtsverkehr dürfte aber dadurch nicht unzumutbar behindert sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich diese mögliche Normenvielfalt auf Länderebene noch im Rahmen dessen bewegt, was dem bundesstaatlichen Aufbau inhärent ist und hingenommen werden muss. Durch eine regionale und dezentrale Gestaltung wird letztlich dem Subsidiaritätsprinzip Geltung verliehen,20 wonach die Länder grundsätzlich eine sachnähere Lösung finden können und deswegen erstrangig handeln sollen. Dass in einem Land eine Straßen-Maut nicht erhoben wird, während sie in anderen Ländern verlangt wird oder dass die Länder unterschiedlich hohe Gebühren festlegen, stellt keine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen dar. Denn die landesrechtlichen Regelungsunterschiede im Bereich der Maut bleiben übersichtlich und der schnellen und eindeutigen Information durch die Normanwender zugänglich. Der Rechtsverkehr würde somit kaum unzumutbar behindert. Das wird auch dadurch belegt, dass bereits heute die Passage besonderer Straßenbauprojekte, wie zum Beispiel Tunnel, mit einer Benutzungsgebühr belastet sind21, ohne dass dadurch eine gravierende Rechtsverunsi- 15 Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, 1. Aufl. 2013, § 8 Rn. 454. 16 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum GG, 12. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 56. 17 BVerfGE 106, 62 (145). 18 BVerfGE 106, 62 (145). 19 Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, 1. Aufl. 2013, § 8 Rn. 454. 20 Vgl. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum GG, 12. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 42 f. 21 So die des Herrentunnels zwischen Lübeck und Travemünde und des Warnowtunnels in Rostock, vgl. http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Herrentunnel&printable=yes . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 015/13 Seite 8 cherung eingetreten ist. Eine bundeseinheitliche Regelung zur Straßen-Maut dürfte sich folglich eher nicht mit der Wahrung der Rechtseinheit im Sinne des Artikel 72 Abs. 2 GG begründen lassen . 3.2.3. Wahrung der Wirtschafteinheit Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes könnte letztlich aus der Erforderlichkeit zur Wahrung der Wirtschaftseinheit resultieren. Zur Wahrung der Wirtschaftseinheit kann der Bund gesetzgeberisch handeln, wenn Regelungen die wirtschaftliche Integration sichern sollen und durch unterschiedliche oder mangelnde länderrechtliche Regelungen eine wirtschaftspolitisch bedrohliche Sachlage entstünde.22 Die Wirtschafteinheit ist daher nicht schon bei ökonomischen Unterschieden zwischen den Bundesländern gefährdet, sondern dann, wenn Landesregelungen oder eine Untätigkeit der Länder erhebliche Nachteile für die Gemeinwirtschaft mit sich brächten.23 Davon umfasst ist beispielsweise eine gravierend verschiedene Verteilung von Personen und Gütern in den Ländern, die zum Erliegen des bundesweiten Wirtschaftkreislaufs führen könnte.24 Die Einführung einer Straßen-Maut beeinflusst in nicht unerheblichem Umfang die betroffenen Wirtschaftsstandorte. Standorte, die von einem ausgebauten Verkehrssystem profitieren, dessen Finanzierung durch die Einführung einer Maut erleichtert würde, sind im nationalen Wettbewerb mit anderen Standorten im Vorteil. Andererseits könnten Unternehmen an mautpflichtigen Straßen , die insbesondere auf hohe Kundenzahlen und gute Erreichbarkeit angewiesen sind, durch die Einführung einer Maut Kunden verlieren, die ins Umland abwandern.25 Dadurch würde die Wirtschaftkraft der betroffenen Region geschwächt. Im Ergebnis dürfte die ökonomische Unterschiede zwischen den Bundesländern jedoch kaum die Verteilung von Personen und Gütern derart stark beeinflussen, dass ein Erliegen des bundesweiten Wirtschaftskreislaufs droht. Eine wirtschaftspolitisch bedrohliche Sachlage ist daher bei landesgesetzlich unterschiedlichen Maut-Regelungen nicht ernsthaft zu erwarten. Es bestehen daher erhebliche Zweifel, dass ein Maut-Gesetz auf bundesgesetzlicher Ebene zur Wahrung der Wirtschafteinheit erforderlich ist. 3.3. Ergebnis zu Artikel 72 Abs. 2, Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG Eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Einführung einer Maut auf Straßen der Länder und Kommunen aufgrund Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG erscheint vor dem Hintergrund der kaum begründbaren Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zweifelhaft. 22 BVerfGE 106, 62, 146f. 23 BVerfGE 111, 226 (253); BVerfGE 112, 226 (246). 24 BVerfGE 106, 62 (146). 25 Trommer, Auswirkungen einer City-Maut in Deutschland, 2008, S. 118; a.A. Kossak, Die City-Maut im Instrumentarium der städtischen Verkehrssteuerung, in: Bracher/Lembrock, Steuerung des städtischen Kfz-Verkehrs, Difu-Impulse Bd. 6/2008, S. 53 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 015/13 Seite 9 4. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Artikel 72, Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 GG Eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Einführung einer Maut für Straßen der Länder und Kommunen könnte sich auch aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 Varianten 2 und 3 GG ergeben. Demnach hat der Bund die Kompetenz, Gesetze zur Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung zu erlassen. Die Erforderlichkeit der bundesgesetzlichen Regelung gemäß Art. 72 Abs. 2 GG ist im Rahmen dieses Kompetenztitels nicht notwendig. Eine Luftverunreinigung liegt bei Veränderung der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe vor, § 3 Abs. 4 BImSchG. Ein Gesetz, das auf die Luftreinhaltung abzielt, kann sowohl zur Gefahrenabwehr als auch zur Gefahrenvorsorge erlassen werden.26 Die Straßen-Maut als Gebühr zur Nutzung von Verkehrsinfrastruktur verfolgt unter anderem die Lenkungsfunktion, den Verkehr zu verringern. Dadurch sollen verkehrbedingte Schadstoffemissionen reduziert werden, was zur Folge hätte, dass die Feinstaubkonzentration in der Luft abnimmt. Zum anderen können Schadstoffemissionen durch einen effizienten Verkehrsablauf und die Verringerung der Verkehrsdichte , wie durch die Maut beabsichtigt, verringert werden, da Kraftfahrzeuge während eines stockenden Verkehrs signifikant mehr Schadstoffe emittieren, als im fließenden Verkehr.27 Lärmbekämpfung bedeutet die Vermeidung, Unterbindung oder Minderung störender Geräusche .28 Der Rückgang des Verkehrsaufkommens trägt ferner zur Verringerung des Verkehrslärms bei. Die Norm nimmt jedoch Regelungen zum Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm aus der Kompetenzzuweisung des Bundes heraus, Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 GG. Hiervon umfasst sind Regelungen über Lärm von Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung dienen oder eine soziale Zweckbestimmung haben, sowie über Lärm, der auf dem sozialen Verhalten von Menschen beruht und vom Betrieb einer Anlage unabhängig ist.29 Unter Einrichtungen in diesem Sinne sind insbesondere Anlagen, die dem Sport und der Freizeit dienen, Festplätze, Hotels oder Biergärten zu verstehen.30 Der Begriff des anlagenbezogenen Lärms setzt zunächst voraus, dass eine Anlage an der Entstehung des Lärms beteiligt ist. Motorgetriebene Geräte fallen daher unter den Anlagenbegriff .31 Hinsichtlich der Abgrenzung zwischen anlagebezogenem und verhaltensbezogenem Lärm ist entscheidend, ob die den Lärm auslösende Benutzung der Anlage noch dem bestim- 26 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum GG, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 311. 27 Kossak, Die City-Maut im Instrumentarium der städtischen Verkehrssteuerung, in: Bracher/Lembrock, Steuerung des städtischen Kfz-Verkehrs, Difu-Impulse Bd. 6/2008, S. 63f.; Mietsch, City-Maut (Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung), 2007, S.38 f. 28 Kunig, in: von Münch/Kunig, Kommentar zum GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 107. 29 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum GG, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 315. 30 BT-Drs. 16/813 S. 13; Haratsch in: Sodan, Kommentar zum GG, 2. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 50. 31 Hansmann, Die Gesetzgebungskompetenz für die Lärmbekämpfung nach der Föderalismusreform, NVwZ 2007, 17, 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 015/13 Seite 10 mungsgemäßen Gebrauch zugerechnet werden kann.32 Unter verhaltensbezogenen Lärm fällt nur die nicht mehr bestimmungsgemäße Nutzung einer Anlage oder Einrichtung.33 Die Schaffung diesbezüglicher Regelungen fällt in die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Eine Maut auf die Nutzung öffentlicher Straßen durch Kraftfahrzeuge knüpft an den bestimmungsgemäßen Betrieb von Anlagen (Kraftfahrzeugen) an. Eine diesbezügliche Regelung ist daher von der Kompetenzzuweisung des Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 Variante 3 GG gedeckt. 5. Ergebnis Im Ergebnis dürfte dem Bund daher die konkurrierende Gesetzgebung für die Einführung einer Maut auf Straßen der Länder und Kommunen aufgrund der Kompetenztitel aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 Varianten 2 und 3 GG zustehen. Dies setzt jedoch voraus, dass eine Regelung des Bundes auch im Schwerpunkt auf die Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung abzielt.34 Ein Gesetz könnte sich hingegen nicht auf diesen Kompetenztitel stützen, wenn die Regelungen die Materien des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 Varianten 2 und 3 GG nur am Rande betreffen. 32 Hansmann, Die Gesetzgebungskompetenz für die Lärmbekämpfung nach der Föderalismusreform, NVwZ 2007, 17, 20; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, 12. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 70. 33 Kunig, in: von Münch/Kunig, Kommentar zum GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 107; Jarass, Kommentar zum BImSchG, 9. Aufl. 2012, Einleitung Rn. 39; Hansmann, Die Gesetzgebungskompetenz für die Lärmbekämpfung nach der Föderalismusreform, NVwZ 2007, 17, 20. 34 Vgl. BVerfGE 98, 265, 302.