Zum Prinzip der Diskontinuität in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU (Gesamtfassung mit Teil II) - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 014/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Zum Prinzip der Diskontinuität in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU Ausarbeitung WD 3 - 014/07 Abschluss der Arbeit: 13. Februar 2007 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - I. Historie Das Prinzip der (sachlichen) Diskontinuität besagt, dass alle Gesetzentwürfe, die bis zum Ende einer Legislaturperiode nicht abgearbeitet sind, verfallen und bei Bedarf in das neu gewählte Parlament wieder eingebracht werden müssen. Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz verankert, hat aber eine lange parlamentsgeschichtliche Tradition. Dem Prinzip der sachlichen Diskontinuität wird überwiegend Verfassungsrang (sog. Verfassungsgewohnheitsrecht) zugebilligt. § 125 S. 1 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) bestätigt dies deklaratorisch: „Am Ende der Wahlperiode des Bundestages gelten alle Vorlagen als erledigt.“ Ausgenommen von diesem Prinzip sind gemäß § 125 S. 2 GOBT Petitionen und Vorlagen, die keiner Beschlussfassung bedürfen (z. B. Berichte und Materialien zur Unterrichtung des Bundestages). Die sachliche Diskontinuität beschränkt sich auf den Zuständigkeitsbereich des Parlaments und berührt – etwa im Gesetzgebungsverfahren nicht auch die Entscheidungen anderer Organe. Der Grundsatz der Diskontinuität lässt sich nicht auf einer einzigen durchgehenden historischen Linie ableiten. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das ursprünglich aus dem englischen Recht stammende und über das französische Recht rezipierte Prinzip der Diskontinuität in Deutschland zwar übernommen, aber als Folge des konstitutionell-monarchischen Prinzips abgewandelt wurde. Während es in England ein die gegenseitige Bindung verdeutlichender Ordnungsfaktor zwischen Krone und Parlament war, hat es sich in Deutschland dagegen zunächst unter dem Einfluss der Praxis in Preußen, die Ausdruck des Abwehrkampfes des monarchischen Prinzips gegen demokratisch-repräsentative Bestrebungen war, zu einem einseitig auf die Bewahrung monarchischer Vorherrschaft ausgerichteten Prinzip entwickelt. Erstmals in einer parlamentarischen Geschäftsordnung in Deutschland wurde das Diskontinuitätsprinzip in der Geschäftsordnung des preußischen Abgeordnetenhauses verankert. Mit dem Übergang zur parlamentarischen Demokratie durch die Weimarer Verfassung hatte der Grundsatz der Diskontinuität auch in Deutschland seinen Sinn nur noch aus einer Legitimationsbeschränkung des Parlaments aus sich selbst heraus. II. Rechtsvergleich1 Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität gilt in den meisten Mitgliedstaaten der EU und findet dort auch in der Praxis Anwendung. Es ist in der Verfassung selbst, in den Geschäftsordnungen der Parlamentskammern verankert oder als Grundsatz ohne ausdrückliche Normierung akzeptiert. Lediglich die Parlamente von Griechenland, Lettland, Litauen und den Niederlanden gaben an, dass das Prinzip der sachlichen Diskontinuität bei ihnen nicht existiere. Zum Teil wurde die Geltung des Diskontinuitätsprinzips im Hinblick auf das Ende der Wahlperiode ohne größere Ausnahmen bejaht (z.B. Dänemark, Estland, Finnland, Österreich, Portugal, Slowakei und Vereinigtes Königreich, das aber hinsichtlich seiner Sitzungsperioden Ausnahmen zulässt). Zum Teil gibt es aber auch weiterreichende Durchbrechungen in Belgien, Italien, Polen, Rumänien, Schweden, Slowenien, Spanien und der Tschechischen Republik. Diese betreffen u. a. Vorlagen, die in der vorangegangenen Wahlperiode bereits einen gewissen Beratungsstand erreicht haben. Für diese ist unter Beachtung bestimmter Verfahrensvoraussetzungen eine Weiterberatung in der neuen Legislaturperiode möglich . Eine weitere Durchbrechung des Prinzips betrifft z.B. die durch Volksbegehren initiierten Gesetzentwürfe aus der vorangegangenen Legislaturperiode. Zumeist ist in der neuen Wahlperiode die Beibringung des erforderlichen Unterschriftenquorums nicht mehr erforderlich (so z.B. in Italien, Spanien und Slowenien). 1 Inhalt 1. Einleitung 6 2. Historische Wurzeln des Diskontinuitätsprinzips 7 3. Der Grundsatz der Diskontinuität in den Parlamenten der Mitgliedstaaten der EU 12 3.1. Nationale Regelungen im Einzelnen 12 3.1.1. Belgien 12 3.1.2. Dänemark 14 3.1.3. Estland 14 3.1.4. Finnland 14 3.1.5. Frankreich 14 3.1.6. Griechenland 14 3.1.7. Italien 14 3.1.8. Lettland 16 3.1.9. Litauen 16 3.1.10. Niederlande 16 3.1.11. Polen 17 3.1.12. Österreich 18 3.1.13. Portugal 18 3.1.14. Rumänien 18 3.1.15. Schweden 19 3.1.16. Slowakei 19 3.1.17. Slowenien 20 3.1.18. Spanien 20 3.1.19. Tschechische Republik 21 3.1.20. Vereinigtes Königreich 21 3.2. Auswertung 22 - 6 - 1. Einleitung Für den Deutschen Bundestag bestimmt Art. 39 Abs. 1 Satz 1 und 2 Grundgesetz (GG)2: „Der Bundestag wird vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen auf vier Jahre gewählt. Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages .“ Hieraus folgt, dass sich das parlamentarische Geschehen nach Neuwahlen gegenüber der vorangegangenen Wahlperiode absetzt.3 Es herrscht zum einen funktionelle Diskontinuität, d. h. mit dem Ende der Wahlperiode erlischt das Mandat der bisherigen Abgeordneten (personelle Diskontinuität), und alle Gremien des Bundestages, deren Einrichtung und personelle Zusammensetzung auf einer Entscheidung des Bundestages beruhen, erlöschen (institutionelle Diskontinuität). Zum anderen gilt das Prinzip der (sachlichen) Diskontinuität. Dieses besagt, dass alle Gesetzentwürfe, die bis zum Ende einer Legislaturperiode nicht abgearbeitet sind, verfallen und bei Bedarf in das neu gewählte Parlament wieder eingebracht werden müssen. Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz verankert, hat aber eine lange parlamentsgeschichtliche Tradition.4 Daher misst die herrschende Meinung diesem Prinzip gewohnheitsrechtliche5 Natur bei. Dem Prinzip der sachlichen Diskontinuität wird überwiegend Verfassungsrang (sog. Verfassungsgewohnheitsrecht) zugebilligt.6 Zur Begründung wird angeführt, dass der in Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 und in Art. 39 GG zum Ausdruck kommende Grundsatz der sich periodisch erneuernden Repräsentation bzw. Legitimation nicht nur auf einen personellen Neubeginn, sondern auch darauf ziele, dem neu gewählten Parlament zugleich einen Neubeginn in der Sache zu ermögli- 2 Vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1; BGBl. III 100-1); zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034). 3 Morlok, Martin, in: Dreier, Horst, Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 2. Aufl., Tübingen 2006, Art. 39 Rn. 21. 4 Achterberg, Norbert/Schulte, Martin, in; v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl., Bd. 2, München 2005, Art. 39 GG Rn. 12; Magiera; Siegfried, in: Sachs, Michael, Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl., München 2003, Art. 39 Rn. 16; Maunz, Theodor/ Klein, Hans, in: Maunz, Theodor/ Dürig, Günter u. a., Grundgesetz, Kommentar, München, Stand: Februar 1999, Art. 39 GG Rn. 61. 5 Gewohnheitsrecht ist ungeschriebenes Recht, das aufgrund tatsächlicher Übung und durch allgemeine Anerkennung seiner Verbindlichkeit im Sinne einer Überzeugung von der rechtlichen Notwendigkeit dieser Übung entstanden ist. 6 Magiera; in: Sachs, Art. 39 Rn. 16; Maunz/ Klein, in: Maunz, Theodor/ Dürig, Günter u. a., Art. 39 GG Rn. 61; Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, München 1980, Abschn. 26 III 4, S. 76; Trossmann, Hans, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, München 1977, § 126 GO-BT, S. 911. Nach a. A. ist wegen der sich in der Praxis ergebenden Schwierigkeiten unangebracht, die sachliche Diskontinuität aus verfassungshistorischen Überlegungen als einen Grundsatz von Verfassungsrang - 7 - chen.7 § 125 S. 1 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT)8 bestätigt dies deklaratorisch: „Am Ende der Wahlperiode des Bundestages gelten alle Vorlagen als erledigt.“ Ausgenommen von diesem Prinzip sind gemäß § 125 S. 2 GOBT Petitionen und Vorlagen, die keiner Beschlussfassung bedürfen (z.B. Berichte und Materialien zur Unterrichtung des Bundestages).9 Die sachliche Diskontinuität beschränkt sich auf den Zuständigkeitsbereich des Parlaments und berührt – etwa im Gesetzgebungsverfahren nicht auch die Entscheidungen anderer Organe:10 So ist ein Gesetzentwurf der Bundesregierung oder des Bundesrates, der noch in den Bundestag eingebracht wurde, für eine neue Wahlperiode wirksam beschlossen. Ebenso kann der Bundesrat nach Ablauf einer Wahlperiode des Bundestages den Gesetzesbeschlüssen des Bundestages gemäß Art. 77 GG auch noch zustimmen oder auf einen Einspruch verzichten. Lediglich solche Entscheidungen des Bundesrates, die eine erneute Beschlussfassung im Bundestag (etwa die Zurückweisung eines Einspruchs des Bundesrates) oder im Vermittlungsausschuss erfordern, fallen dem Diskontinuitätsprinzip zum Opfer.11 Im Folgenden sollen die historischen Wurzeln des Grundsatzes der sachlichen Diskontinuität dargestellt sowie ein Überblick über Regelung und Anwendung des Grundsatzes in den Parlamenten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegeben werden. 2. Historische Wurzeln des Diskontinuitätsprinzips In der Mitte des 19. Jahrhunderts berief man sich im preußischen Herrenhaus zur Begründung des Diskontinuitätsprinzips darauf, „gegenwärtig sei es ein allgemeines europäisches Rechtsbewusstsein und eine europäische Gewöhnung, dass mit der Schließung der Kammern alle ihre nicht völlig erledigten Arbeiten expirieren“.12 Zum zu qualifizieren (so Versteyl, Ludger-Anselm, Grundgesetz-Kommentar, Bad. 2, 4./5. Aufl., München 2001, Art. 39 GG Rn. 25.) 7 Jekewitz, Der Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit im Staatsrecht der Neuzeit und seine Bedeutung unter der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes, Berlin 1977, S. 327 ff. Maunz, Theodor/ Klein, Hans, in: Maunz/Dürig u.a., Art. 39 GG Rn. 61. Stern, Abschn. 26 III 4, S. 76. 8 In der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1980, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 21. Oktober 2005 (BGBl. I S. 3094). 9 Vgl. hierzu die Übersicht bei Ritzel, Heinrich/Bücker, Joseph/ Schreiner, Hermann, Handbuch für die parlamentarische Praxis, Band 2, Neuwied, Stand: Juli 2003, § 125 GOBT Buchstabe c). 10 Schneider, Hans-Peter, in: Denninger, Erhard/Hoffmann-Riem, Wolfgang u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Alternativkommentar), 3. Auflage, Neuwied /Kriftel, Stand: August 2002, Art. 39 GG Rn. 7. 11 Schneider, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), Art. 39 GG Rn. 7. 12 Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 84. - 8 - Teil wurde später auch angenommen, dass sich der Grundsatz der Diskontinuität in Preußen herausgebildet habe, als „Erbe des ständischen Geschäftsganges“ zu verstehen sei oder auf das britische Parlament zurückgehe.13 Im Ergebnis lässt sich der Grundsatz der Diskontinuität aber nicht auf einer einzigen durchgehenden historischen Linie ableiten.14 Vielmehr gibt es mehrere historische Anknüpfungspunkte: Die These vom „Erbe des ständischen Geschäftsgangs“ dürfte zu widerlegen sein: Der Reichstag, die Versammlung der Reichsstände war bis 1654 keine permanente Institution , sondern eine periodische Versammlung, die vom Kaiser aufgrund des ihm zustehenden Konvokationsrechts in unregelmäßigen Zeitabständen einberufen wurde.15 Die vom Kaiser genehmigten Beschlüsse eines Reichstages wurden in der Regel in einem Reichsabschied zusammengefasst.16 Der Reichstag, der im Jahre 1663 zusammengetreten war, wurde vom Kaiser nicht mehr geschlossen. Infolge seiner Permanenz als „ewiger Reichstag“ wurde der Geschäftsgang wegen der Fülle unerledigter Geschäfte immer schleppender. Eine Anknüpfung an die Übung des Reichstages in der Frage der Diskontinuität kam für den deutschen Parlamentarismus folglich nicht in Betracht. Im Gegensatz zum Reichstag waren die Landtage, d.h. die Versammlungen der Landstände zu keiner Zeit permanente Institutionen.17 Einen Anknüpfungspunkt für das Diskontinuitätsprinzip wird aber auch hierin nicht gesehen: Nach einer Auffassung ist dies deshalb anzunehmen, weil nicht der Geschäftsgang der ständischen Versammlungen diskontinuierlich war, sondern die Versammlungen selbst nur temporär existierten .18 Nach anderer Ansicht scheitert die Herleitung des Diskontinuitätsprinzips an der fehlenden Ausbildung des Repräsentationsgedankens und an einer stärkeren Formalisierung des Geschäftsgangs.19 Die Wurzeln für das Diskontinuitätsprinzip sind vielmehr im englischen Recht zu suchen: Im englischen Recht ist der Grundsatz der Diskontinuität der sog. Sessionen des Parlaments dagegen bereits seit dem 17. Jahrhundert klar herausgebildet.20 Es ist das Ergebnis einer bis in das 14. Jahrhundert zurückreichenden Entwicklung, in deren 13 Aufzählung bei Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 84. 14 Jekewitz, JöR1978, S. 75 ff., S. 85. 15 Belz, Reiner, Die Diskontinuität der Parlamente, Neustadt/Schwarzwald 1968, S. 4. 16 Belz, S. 5. 17 Belz, S. 5. 18 Belz, S. 6. 19 Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 89. 20 Belz, S. 7. - 9 - Verlauf zunächst der Begriff der Session im Sinne einer zeitlichen Untergliederung der Tätigkeit des Parlaments entstanden ist. Sodann unterschied man zwischen den für die Diskontinuität entscheidenden Begriffe „Adjournment“ (Vertagung) und „Prorogation“ (Schließung).21 Während nach dem Adjournment die Tätigkeit des Parlament im Stadium wie zum Zeitpunkt der Vertagung wieder aufgenommen und folglich die Beratung unerledigter Vorlagen fortgesetzt wird, beendet die Prorogation eine Session so, dass in der nächsten Session alle Gesetzesvorlagen neu eingebracht und beraten werden müssen .22 Das Diskontinuitätsprinzip ist in England zu keiner Zeit als ein Mittel zur Beschränkung der Rechte des Parlaments verstanden worden.23 Es verdankt seine Entstehung vielmehr der Vorstellung, dass jede Session eine in sich geschlossene Arbeitsperiode des Parlaments darstellt.24 Die Verbindung zu der erst später hinzutretenden Wahlperiode bestand allein darin, dass mit deren Ablauf bzw. vorher erfolgenden Auflösung des Parlaments auch die letzte Session beendet wurde.25 Das Diskontinuitätsprinzip im deutschen Verfassungsrecht des 19. Jahrhunderts wurde nicht unmittelbar vom englischen Recht übernommen, sondern beruht auf dessen Rezeption durch das französische Recht.26 Von besonderer Bedeutung für die Verbreitung des englischen parlamentarischen Gedankengutes in Kontinentaleuropa war die vom englischen Philosophen und Juristen Jeremy Bentham auf Wunsch Mirabeaus27 im Jahre 1789 verfasste Zusammenstellung der Verfahrensregeln des englischen Parlaments , in der auch der Grundsatz der Diskontinuität erwähnt war.28 Die ersten deutschen Verfassungen in den süddeutschen Staaten im frühen 19. Jahrhundert lehnten sich an das gemeinsame Vorbild der französischen Verfassung vom 4. Juni 1814 an.29 Sie folgten dem monarchischen Prinzip nach französischem Vorbild, nach dem der Monarch alleiniger Träger der gesamten, ungeteilten Staatsgewalt war und dem Parlament sowohl das Recht zur Gesetzesinitiative als auch das Selbstversammlungsrecht fehlte.30 Dies führte zur starken Abhängigkeit des Parlaments von der Exekutive.31 Ebenso wie die englische Praxis unterschied auch die französische zwischen den bereits 21 Belz, S. 8. 22 Belz, S. 8. 23 Belz, S. 9. 24 Belz, S. 9 f.. 25 Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 93. 26 Belz, S. 12. 27 Der Marquis de Mirabeau war eine der führenden Personen während der Anfangszeit der Französischen Revolution. 1790 war er Präsident des Jakobinerclubs und hielt 1791 den präsidialen Vorsitz der Nationalversammlung. 28 Belz, S. 12 f.. 29 Belz, S. 10. 30 Belz, S. 10.; Jekewitz, Jürgen, Der Grundsatz der Diskontinuität in der parlamentarischen Demokratie , Jahrbuch des öffentlichen Rechts (JöR) 1978, S. 75 ff, S. 98. 31 Belz, S. 10. - 10 - beschriebenen Begriffen der Vertagung und Schließung.32 Dem englischen Vorbild folgend beinhaltete die Schließung des Parlaments im französischen Recht ebenfalls den Grundsatz der Diskontinuität der Sessionen. Auch in den süddeutschen Staaten verbanden Theorie und Praxis mit der Schließung des Parlaments bereits seit Beginn der konstitutionellen Entwicklung den Grundsatz der sachlichen Diskontinuität.33 Der Schließung wurden die Auflösung des Parlaments und das Ende der Legislaturperiode gleichgestellt.34 Die Diskontinuität vermochte die Rechte des Monarchen gegenüber dem Parlament weiter zu stärken und entsprach daher dem monarchischen Prinzip. Ständeversammlungen und Landtage mussten ihre Tätigkeit einstellen, wenn der Monarch dies anordnete.35 Auch in Preußen war der Grundsatz der Diskontinuität unter der Geltung der Verfassungsurkunde von 1850 von Anfang an in Theorie und Praxis anerkannt. Vorschläge zur Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität im Abgeordnetenhaus wurden abgelehnt und stattdessen 1851 das Prinzip durch eine Zusatzbestimmung in die Geschäftordnung (Zusatz zu § 22, zuletzt § 74 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses vom 16.5.1876) aufgenommen.36 Sie hatte den folgenden Wortlaut: „Gesetzesvorlagen , Anträge und Petitionen sind mit dem Ablaufe der Sitzungsperiode, in welcher sie eingebracht und noch nicht zur Beschlussnahme gediehen sind, für erledigt zu erachten .“37 Es war dies die erste Bestimmung in einer parlamentarischen Geschäftsordnung in Deutschland, die den Grundsatz der Diskontinuität umschrieb. Sie wurde bei allen späteren Neufassungen der Geschäftsordnung übernommen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das ursprünglich aus dem englischen Recht stammende und über das französische Recht rezipierte Prinzip der Diskontinuität in Deutschland zwar übernommen, aber als Folge des konstitutionellmonarchischen Prinzips abgewandelt wurde: So verlangte man in Deutschland - im Gegensatz zum englischen Recht - nicht, dass ein Gesetz vor dem Sessionsschluss die monarchische Zustimmung erhalten musste. Dies hing damit zusammen, das die englische Vorstellung, das Parlament werde von König, Ober- und Unterhaus („king in parliament “) gebildet, auf das deutsche Recht nicht anwendbar ist.38 Die Erteilung der monarchischen Zustimmung lag nach deutscher Auffassung nicht in der parlamentarischen Sphäre, für die allein das Diskontinuitätsprinzip seine Wirkung entfaltet. Darüber hin- 32 Belz, S. 12. 33 Belz, S. 11; Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 100. 34 Belz, S. 11. 35 Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 101. 36 Belz, S. 14 f. und S. 15 Fn. 91; Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 75 ff, S. 109 Fn. 200. 37 Zitiert bei Trossmann, Hans, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, München 1977, § 126 GO-BT, S. 909. 38 Belz, S. 13. - 11 - aus war das Prinzip der Diskontinuität in England ein die gegenseitige Bindung verdeutlichender Ordnungsfaktor zwischen Krone und Parlament.39 Im Ergebnis hat es sich in Deutschland dagegen unter dem Einfluss der Praxis in Preußen, wo es Ausdruck des Abwehrkampfes des monarchischen Prinzips gegen demokratischrepräsentative Bestrebungen war, zu einem einseitig auf die Bewahrung monarchischer Vorherrschaft ausgerichteten Prinzip entwickelt.40 Rechtstellung und Befugnis des Reichstags im 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreich entsprachen weitgehend dem Abgeordnetenhaus des preußischen Landtags.41 Nicht nur die meisten einschlägigen Bestimmungen, sondern auch die Geschäftsordnung wurden übernommen und mit ihr das Diskontinuitätsprinzip.42 Es war in § 70 der Geschäftsordnung des Reichstages verankert43 und erfuhr in dieser Zeit seine dogmatische Ausformung zu einem Grundsatz oder Prinzip.44 Dem Diskontinuitätsprinzip lag auch im Verfassungsrecht des Kaiserreiches die Vorstellung zugrunde, dass die Sitzungsperioden (Sessionen) in sich geschlossene Arbeitsperioden bildeten. Ebenso galt die Diskontinuität für die Legislaturperioden. Obgleich das Diskontinuitätsprinzip der Exekutive primär die Möglichkeit gab, einen verstärkten Einfluss auf die Tätigkeit des Parlaments auszuüben, in dem es mit seiner Hilfe das Schicksal eigener Vorlagen gezielt steuern, aber auch unliebsame Initiativen aus der Mitte des Reichstags abblocken konnte,45 lagen seine Auswirkungen doch auch im Interesse des Parlaments, weil so eine unnötige Befassung mit Altvorlagen im Sinne der Arbeitseffizienz vermieden wurde.46 Eine generelle Durchbrechung der Diskontinuität hat es im Kaiserreich nicht gegeben, entsprechende Vorstöße wurden abgelehnt. Lediglich ausnahmsweise wurde zur kontinuierlichen Beratung einzelner größerer Gesetzesvorhaben (z. B. Reichsjustizgesetze) das Diskontinuitätsprinzip beschränkt.47 Mit der Weimarer Verfassung änderte sich die verfassungsrechtliche Stellung des Parlaments grundsätzlich. Der Reichstag war nunmehr das Parlament eines demokratischen Staates. Die gesteigerte Bedeutung des Reichstages fand insbesondere seinen Ausdruck im parlamentarischen Selbstversammlungsrecht, wurde allerdings durch das unbe- 39 Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 109. 40 Jekewitz, in: JöR 1978, S. 75 ff, S. 109. 41 Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 110. 42 Belz, S. 22; Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 110. 43 Trossmann, § 126 GO-BT, S. 909. 44 Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 116. 45 Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 116. 46 Belz, S. 32, 47 Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 117. - 12 - schränkte Auflösungsrecht des Reichspräsidenten stark entwertet.48 Der Diskontinuitätsgrundsatz fand auch hier Anwendung, allerdings praktisch nur für die Wahlperioden , weil der Reichstag von der Möglichkeit, seine Wahlperioden in Tagungen (Sitzungsperioden ) zu gliedern, keinen Gebrauch machte. Die Geschäftsordnung des Reichstags der Weimarer Verfassung enthielt zunächst noch eine entsprechende Bestimmung zur Diskontinuität. Erst die 1922 beschlossene Geschäftsordnung enthielt den Grundsatz nicht mehr.49 Das Diskontinuitätsprinzip wurde während der Weimarer Republik als Rechtssatz mit Verfassungsrang betrachtet, der sich bereits aus der geschriebenen Verfassung ergab.50 Mit dem Übergang zur parlamentarischen Demokratie hatte der Grundsatz seinen Sinn nur noch aus einer Legitimationsbeschränkung des Parlaments aus sich selbst heraus.51 Das Diskontinuitätsprinzip wurde in der dargestellten verfassungsgeschichtlichen Entwicklung in Deutschland stets auf den parlamentarischen Bereich beschränkt. Auf Verfassungsorgane, die außerhalb dieses Bereiches standen, wurde es nicht angewendet .52 3. Der Grundsatz der Diskontinuität in den Parlamenten der Mitgliedstaaten der EU 3.1. Nationale Regelungen im Einzelnen 3.1.1. Belgien Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität existiert und folgt aus Art. 65 und 70 der belgischen Verfassung, in denen die Begrenzung der Wahlperiode und die Wahl der Abgeordneten und Senatoren auf 4 Jahre festgelegt ist. Allerdings gibt bereits seit dem 19. Jahrhundert gesetzliche Bestimmungen, die die Folgen des Endes der Legislaturperiode abmildern. Dies betrifft insbesondere Ge- 48 Belz, S. 37. 49 Trossmann, § 126 GO-BT, S. 909. 50 Belz, Reiner, S. 46; Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 128. 51 Jekewitz, in: JöR1978, S. 75 ff., S. 127 f. 52 Belz, S. 57. 53 - 13 - setzesvorhaben, die am Ende einer Wahlperiode bereits einen weiten Verfahrensstand erreicht haben. Nach einem Gesetz aus dem Jahre 1977 unterfielen nur Gesetze der Diskontinuität, die noch nicht von einer Parlamentskammer angenommen worden waren und solche, die von einer Kammer vor mehr als 8 Jahren vor Ende der Legislaturperiode angenommen worden waren. Gesetze, die von einer Kammer vor dem Ablauf von 8 Jahren vor Ende der Wahlperiode angenommen und von der anderen Kammer nicht angenommen oder zurückgewiesen worden waren, gingen wieder zur Beratung in diese Kammer. Das Gesetz von 1977 wurde 1999 geändert. Der Grund hierfür war, dass nunmehr auf die (wenn auch eher theoretische) Situation zu reagieren war, dass eine Regierung nicht mehr die Mehrheit im Senat besaß. Denn nach dem Gesetz von 1977 hätte nunmehr die Möglichkeit bestanden, dass ein vom Abgeordnetenhaus in der vorangegangenen Wahlperiode angenommenes Gesetz, nach den Wahlen vom Senat hätte angenommen werden können, ohne dass das neu gewählte Abgeordnetenhaus (mit neuen Mehrheitsverhältnissen ) dies hätte verhindern können. Daher schreibt Art. 2 des Gesetzes vom 5. Mai 1999 nunmehr vor, dass im Falle der Auflösung der beiden Kammern alle Gesetze, die in den Häusern beraten wurden, der Diskontinuität unterliegen. Diese Vorschrift bestimmt aber zugleich, dass gesetzlich festgelegt werden kann, welche Gesetzentwürfe , die in der vorangegangenen Wahlperiode von einer Kammer angenommen wurden, weiter beraten werden können. Diese Regelung ermöglicht es dem neu gewählten Abgeordnetenhaus, die Beratung „alter“ Gesetzentwürfe zu stoppen. Die zur weiteren Beratung bestimmten Gesetzentwürfe aus der früheren Wahlperiode werden in der Kammer beraten, in der sie am Tag vor dem Ende der Wahlperiode zuletzt beraten worden sind. Sie werden so behandelt, als wenn sie erstmals zur Beratung anstünden. Nach den Wahlen vom 18. Mai 2003 wurden 17 von insgesamt 34 Gesetzentwürfen, die bereits von einer Kammer in der vorangegangenen Wahlperiode angenommen und von der anderen Kammer noch nicht angenommen oder zurückgewiesen worden sind, in der neuen Wahlperiode wieder aufgegriffen. Das Gesetz von 1999 gilt ausschließlich für Gesetzentwürfe. Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität erfasst neben Gesetzentwürfen auch Fragen, Enqueten und parlamentarische Untersuchungen. Die für den Deutschen Bundestag geltenden Ausnahmen - Petitionen und Vorlagen, die keiner Beschlussfassung bedürfen – gelten auch im belgischen Parlament. - 14 - 3.1.2. Dänemark Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität existiert im dänischen Parlament. Es gilt für alle Gesetzesvorhaben, die zum Ende der Wahlperiode noch nicht abgeschlossen sind. Entsprechende Gesetzentwürfe müssen in der neuen Legislaturperiode gegebenenfalls erneut eingebracht werden. Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität ist ausdrücklich in der Verfassung (Art. 41 Abs. 4) festgeschrieben und findet in der Praxis durchgehend Anwendung. 3.1.3. Estland Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität ist in § 96 des Geschäftsordnungsgesetzes ausdrücklich niedergelegt. Danach werden alle Gesetzentwürfe der alten Wahlperiode im Gesetzgebungsverfahren der neuen Wahlperiode nicht mehr aufgegriffen. Das Diskontinuitätsprinzip findet Anwendung in der Praxis. 3.1.4. Finnland Das Prinzip der Diskontinuität findet Anwendung und ist in Kapitel 4 Abschnitt 49 der Verfassung sowie Kapitel 6 Abschnitt 68 der Geschäftsordnung des Parlaments verankert . Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen im Hinblick auf internationale Angelegenheiten , insbesondere EU-Vorlagen aus der vorangegangenen Wahlperiode, deren Beratung in der neuen Wahlperiode fortgesetzt werden kann. 3.1.5. Frankreich Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität gilt in der Nationalversammlung. Das neu gewählte Parlament muss Vorlagen aus der vorangegangenen Wahlperiode nicht berücksichtigen . Unter bestimmten Voraussetzungen gibt es aber Ausnahmen vom Diskontinuitätsprinzip .54 Für Gesetzentwürfe, die im Gesetzgebungsverfahren beim Senat zur Beratung anhängig sind, werden von der Neuwahl der Nationalversammlung nicht berührt. 3.1.6. Griechenland Nach Auskunft der griechischen Parlamentsverwaltung gibt es dort kein Prinzip der sachlichen Diskontinuität. 3.1.7. Italien In der Verfassung ist ausdrücklich nur das Prinzip der personellen Diskontinuität verankert (Art. 60, 61). Grundsätzlich gilt auch das Prinzip der sachlichen Diskontinuität. Das Verfassungsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1991 für Gesetzesvor- 54 - 15 - haben des Senats ausdrücklich betont, dass der neu gewählte Senat nicht durch Gesetzesvorlagen des früheren Gesetzgebers gebunden sein kann, sofern die Beratung der Vorlage noch nicht abgeschlossen war. Es gibt aber Ausnahmen vom Prinzip der sachlichen Diskontinuität, die sich aus dem Prinzip der funktionellen Diskontinuität ergeben. Sie sind für den Senat in § 81 und 74 seiner Geschäftsordnung geregelt. § 81 Abs. 1 Geschäftsordnung des Senats bestimmt, dass - innerhalb eines Monats seit Einbringung - Gesetzentwürfe, die identisch sind mit Gesetzentwürfen, die in der vorangegangenen Wahlperiode lediglich den Senat passiert haben, von der Regierung oder 20 Senatoren unter bestimmten Voraussetzungen in einem abgekürzten Verfahren wieder aufgegriffen werden können. Gemäß § 81 Abs. 2 Geschäftsordnung des Senats wird im Senat über entsprechende Anträge ohne Debatte mit Handzeichen abgestimmt. Hält der Senat eine Gesetzesvorlage für eilbedürftig und entscheidet sich für das verkürzte Verfahren, erstattet der zuständige Ausschuss dem Senat hierzu mündlich Bericht . Der Gesetzentwurf wird automatisch in den Beratungsplan aufgenommen, so dass der Senat hierüber abstimmen kann. Für das Verfahren gelten eingeschränkte Rederechte (nur Berichterstatter, Regierung und Unterstützer von Änderungsanträgen (vgl. § 81 Abs. 3 Geschäftsordnung des Senats). Wenn der Gesetzentwurf an einen gesetzgebenden Ausschuss überwiesen wurde, muss er dort innerhalb von 15 Tagen nach Antragsstellung auf die Agenda gesetzt werden (§ 81 Abs. 4 Geschäftsordnung des Senats). Gemäß § 81 Abs. 5 Geschäftsordnung des Senats darf der Bericht erstattende ständige Ausschuss den Bericht zu einer für das verkürzte Verfahren bestimmten Vorlage, wenn dieser bereits in der vorangegangenen Wahlperiode an das Plenum gegangen ist, ohne Aussprache annehmen, sofern dieser Ausschuss einen identischen Gesetzentwurf in der vorangegangenen Wahlperiode bereits abschließend beraten hat. Eine weitere Ausnahme vom Prinzip der sachlichen Diskontinuität besteht für durch Volksbegehren und von den Regionalvertretungen initiierte Gesetzentwürfe (§ 74 Geschäftsordnung des Senats). Durch Volksbegehren initiierte Gesetzentwürfe müssen nicht erneut in das Parlament eingebracht werden. Sie werden sofort an die zuständigen Ausschüsse überwiesen und dort nach den allgemeinen Regeln beraten. Sie müssen innerhalb der ersten 7 Monate der Legislaturperiode beraten werden (§74 Abs. 2 Geschäftsordnung des Senats). Die Beratung hat einen Monat nach Überweisung in den Ausschuss zu beginnen (§ 74 Abs. 3 Geschäftsordnung des Senats). Eine entsprechende Monatsfrist gilt auch für von den Regionalvertretungen initiierte Gesetzentwürfe (§ 74 Abs. 4 Geschäftsordnung des Senats). Vergleichbare Ausnahmevorschriften sind für das Abgeordnetenhaus in § 107 seiner Geschäftsordnung festgelegt: Innerhalb der ersten 6 Monate der neuen Legislaturperiode können Gesetzentwürfe in einem vereinfachten Verfahren eingebracht werden, sofern diese identisch sind mit solchen der vorangegangenen Wahlperiode und das Ab- - 16 - geordnetenhaus hierüber bereits Beschluss gefasst hatte. Das Gesetz muss auf Verlangen der Regierung oder eines Fraktionsvorsitzenden für dringlich erklärt werden. Ein Ausschussbericht ist innerhalb von 15 Tagen abzugeben (§ 107 Abs. 1 Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses). Nach Ablauf dieser Frist wird der Gesetzentwurf zur Beratung auf die Tagesordnung des Plenums oder eines gesetzgebenden Ausschusses gesetzt. Für die Annahme eines Berichts zu einer Vorlage, zu der bereits in der vorangegangenen Wahlperiode ein Bericht angenommen wurde, gilt für die Ausschüsse des Abgeordnetenhauses innerhalb der ersten 6 Monate der Legislaturperiode - wie soeben für den Senat beschrieben - ein vereinfachtes Verfahren (§ 107 Abs. 3 Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses). Durch Volksbegehren initiierte Gesetzentwürfe der vorangegangenen Legislaturperiode brauchen auch im neu gewählten Abgeordnetenhaus nicht erneut eingebracht zu werden (§ 107 Abs. 4 Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses ). Auch hier gilt ein vereinfachtes Verfahren. 3.1.8. Lettland In Lettland gibt es kein Prinzip der sachlichen Diskontinuität. Nach Art. 39 Abs. 1 der Geschäftsordnung sollen Gesetzentwürfe und Anträge, die in einer Sitzungsperiode nicht behandelt wurden, in der darauf folgenden Sitzungsperiode beraten werden. Für Gesetzentwürfe, deren Beratung in einer Wahlperiode nicht abgeschlossen wurde, obgleich bereits die erste oder zweite Beratung stattfand, kann das neu gewählte Parlament gemäß Art. 39 Abs. 2 der Geschäftsordnung in seiner ersten Sitzung auf Empfehlung des Präsidenten, des Kabinetts, eines Ausschusses oder mindestens 5 Abgeordneten beschließen, ob es die Beratung der jeweiligen Vorlage fortsetzen will. Wenn sich das Parlament für die Fortsetzung der Beratung entscheidet, hat es einen zuständigen Ausschuss und eine Frist für Anträge festzulegen. Ein in dieser Weise an einen Ausschuss überwiesener Gesetzentwurf gilt als in erster Lesung beschlossen. 3.1.9. Litauen Das litauische Parlament kennt ebenfalls kein Diskontinuitätsprinzip im Gesetzgebungsverfahren mit der Folge, dass jeder Gesetzentwurf, der nicht bis zum Ende einer Legislaturperiode abschließend beraten wurde, in der folgenden Wahlperiode weiterbehandelt werden kann. Die Entscheidung über eine Fortsetzung der Beratungen trifft der zuständige gesetzgebende Ausschuss. Das Parlament hat die Regierung hierüber zu informieren . 3.1.10. Niederlande Die Frage der Einführung eines Diskontinuitätsgrundsatzes wurde zwar diskutiert, eine Änderung in der Praxis des Abgeordnetenhauses trat aber nicht ein. Bei der Diskussion ging es besonders um die Frage der Zukunft älterer Gesetzentwürfe. - 17 - 3.1.11. Polen Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität existiert und wird als fest im Verfassungssystem verankert betrachtet. Allerdings fehlt es an einer ausdrücklichen Normierung mit der Folge, dass die gesetzliche Herleitung umstritten ist. Da bestimmte Statute Ausnahmen vom Diskontinuitätsgrundsatz zulassen, wird hieraus umgekehrt auf seine Existenz geschlossen. Nach Auffassung einiger Staatsrechtslehrer kann das Prinzip jedenfalls nicht aus der mit Art. 39 GG vergleichbaren Verfassungsbestimmung hergeleitet werden. Zum Teil wird der Grundsatz der sachlichen Diskontinuität daher als allgemeiner Verfassungsgrundsatz angesehen. Folglich bedürften Ausnahmen einer verfassungsrechtlichen Verankerung. Im Widerspruch zu dieser Ansicht steht aber die Praxis. Nach herrschender Ansicht geht man allerdings davon aus, dass das Prinzip nicht durchgehend Verfassungsrang besitzt, sondern der Rang je nach Materie unterschiedlich ist. Ausnahmen vom Grundsatz der sachlichen Diskontinuität sind folglich für in der Verfassung festgeschriebene Materien dort zu verankern, für andere Fälle in dem betreffenden Statut/Gesetz. Die wichtigsten Ausnahmen vom Prinzip der Diskontinuität sind: - Gesetze, die durch Volksbegehren initiiert wurden, müssen nicht nochmals in das neu gewählte Abgeordnetenhaus eingebracht werden eingebracht werden (Art. 4 Abs. 3 S. 1 des Gesetzes zur Behandlung von durch Volksbegehren initiierte Gesetzentwürfe von 1999) - Berichte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, die in einer Wahlperiode vom Abgeordnetenhaus nicht beraten wurden, können in der nächsten Wahlperiode behandelt werden (Art. 21 Abs. 1 des Gesetzes über parlamentarische Untersuchungsausschüsse von 1999) - Das Verfahren betreffend die Verletzung der Verfassung oder eines anderen Gesetzes durch den Präsidenten, Premierminister etc. wird nach Ende der Legislaturperiode fortgesetzt, allerdings mit der Maßgabe, dass der zuständige Ausschuss nicht an die Beschlüsse des Ausschusses der vorangegangenen Wahlperiode gebunden ist. In der früheren Legislaturperiode erlangte Beweise werden allerdings verwertet (Art. 13a Abs. 1 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof von 1982, 2002 konsolidiert) - Beratungen des EU-Ausschusses können in der neuen Wahlperiode fortgesetzt werden (Art. 148e der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses). - Entwürfe verfassungsändernder Gesetze: Der konstitutionelle Ausschuss des Abgeordnetenhauses kann ihm in der vorangegangenen Wahlperiode überwiesene Entwürfe in der neuen Legislaturperiode weiter beraten (Art. 12a des Verfassungsgesetzes über das Verfahren beim Entwurf und Verabschiedung verfassungsändernder Gesetze) Streitig ist des Weiteren die Anwendbarkeit des Prinzips der sachlichen Diskontinuität im Haushaltsverfahren. Die Verfassung sieht die Überweisung des Haushaltsentwurfs nicht später als 3 Monate vor Ende des Haushaltsjahres, also bis spätestens 30. - 18 - September des jeweiligen Jahres vor (Art. 122 der Verfassung). Da die Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Polen traditionell alle 4 Jahre im September stattfinden, kollidieren die beiden Termine. Die herrschende Meinung hält das Diskontinuitätsprinzip für anwendbar mit der Folge das der Haushaltsentwurf in das neu gewählte Parlament wieder einzubringen ist. Eine gegenteilige Auffassung wird von einigen Staatsrechtslehrern und Haushaltsexperten vertreten. 3.1.12. Österreich Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität ergibt sich aus Art. 28 Abs. 4 Bundesverfassungsgesetz . Danach werden bei Eröffnung einer Tagung des Nationalrates innerhalb der gleichen Gesetzgebungsperiode die Arbeiten nach dem Stand fortgesetzt, in dem sie sich bei der letzten Tagung befunden haben. Bei Beendigung einer Tagung können einzelne Ausschüsse vom Nationalrat beauftragt werden, ihre Arbeiten fortzusetzen . Aus dieser Bestimmung folgt, dass umgekehrt mit Ablauf einer Gesetzgebungsperiode alle Verhandlungsgegenstände verfallen. 3.1.13. Portugal Es gilt das Prinzip der sachlichen Diskontinuität (vgl. Art. 167 der Verfassung) und findet in der Praxis Anwendung. Eine Ausnahme bilden Gesetzentwürfe, die von den gesetzgebenden Körperschaften der autonomen Regionen der Azoren und Madeiras eingebracht wurden. Diese unterfallen grundsätzlich der Diskontinuität nur bei Ende der Legislaturperiode des jeweiligen Regionalparlamentes, es sei denn, dass sie weitestgehend beraten wurden. Gesetze, die auf der Initiative von mindestens 35.000 Bürgerunterschriften basieren , unterliegen zwar der Diskontinuität. Der Ausschuss, der die Unterzeichner vertritt, kann den Gesetzentwurf aber auch in das neu gewählte Parlament einbringen, ohne dass erneut die erforderliche Anzahl Unterschriften eingeholt werden muss. 3.1.14. Rumänien Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität ist nicht ausdrücklich in der Verfassung niedergelegt, ergibt sich aber im Umkehrschluss aus Art. 63 Abs. 5 der Verfassung, nach dem Gesetzentwürfe, die bereits auf der Tagesordnung der vorangegangenen Wahlperiode standen, zur Beratung in das neu gewählte Parlament übernommen werden sollten. Dem Prinzip der sachlichen Diskontinuität unterliegen des Weiteren nicht: - Gesetzentwürfe, die zwar zum Ende der Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses noch nicht auf dessen Tagesordnung standen, aber bereits vom Senat verab- - 19 - schiedete Gesetzentwürfe, die zur abschließenden Beschlussfassung an das Abgeordnetenhaus überwiesen wurden, - Ratifikationsgesetze und - Gesetze zur Billigung von Verordnungen und Notverordnungen der Regierung (Art. 91 und 115 der Verfassung). 3.1.15. Schweden Grundsätzlich gilt das Prinzip der sachlichen Diskontinuität. Es gelten aber Ausnahmen : Nach der Geschäftsordnung des Parlaments (Riksdag) sollte ein Gesetzesvorhaben in der Wahlperiode abgeschlossen werden, in der es eingebracht wurde. Durch eine Änderung von 2006 wird nunmehr in Kap. 5 Art. 10 der Geschäftsordnung festgelegt , dass eine Vorlage verfällt, wenn der zuständige Ausschuss hierzu bis zum Ende der Wahlperiode keinen Bericht vorgelegt hat. Diese Regelung gilt allerdings nicht, wenn der Riksdag beschlossen hat, die Beratung einer Vorlage auf die erste Sitzungsperiode der neuen Wahlperiode zu verschieben. Eine Vorlage, die während der Sitzungspause des Parlaments bis zur ersten Sitzungsperiode des neuen Parlaments eingebracht wurde, wird so behandelt, als sei sie zu dieser Sitzungsperiode eingebracht worden. Die Entscheidung, die Beratungen in dieser Form fortzusetzen, wird verantwortlich auf Vorschlag des zuständigen Ausschuss getroffen. Die Kammer kann aber auch ohne einen solchen Vorschlag entscheiden, die Beratung einer Vorlage fortzusetzen (Kap. 5 Art. 10, Zusatzbestimmung 5.10.1). Die Empfehlung des parlamentarischen „Normenkontrollausschusses“ (Parliamentary Review Committee), von einer Überweisung von Altvorlagen an die Ausschüsse abzusehen , dient der Arbeitsentlastung der Ausschüsse. Außerdem schlussfolgert der „Normenkontrollausschuss “, dass ein neu gewähltes Parlament nicht mit Altvorlagen belastet werden sollte, wenn sich die politischen Mehrheitsverhältnisse geändert haben. Der Bericht des „Normenkontrollausschusses“ betont, die Ausschüsse sollten sich, wenn sie die Wahl hätten, für ein Fallenlassen der Vorlage entscheiden. Der Normenkontrollausschuss empfiehlt die Abschaffung der Möglichkeit, Altvorlagen in der nächsten Wahlperiode weiter zu beraten, allerdings sollte dies nicht für Unterrichtungen/Berichte etc. gelten, die normalerweise dem Parlament im Frühjahr zugeleitet werden. Ebenfalls in Kap. 5 Art. 10 der Geschäftsordnung sind spezielle Ausnahmen vom Diskontinuitätsprinzip für Haushaltsvorlagen und Gesetzentwürfe betreffend verfassungsrechtlich verbürgte Rechte und Freiheiten enthalten. 3.1.16. Slowakei Es gilt das Prinzip der sachlichen Diskontinuität und findet in der Praxis Anwendung . Es hat seinen Anknüpfungspunkt in der Verfassung und ist ausdrücklich in - 20 - Art. 147 des Geschäftsordnungsgesetzes des Parlaments (Nationalrat) Nr. 350/1996 niedergelegt: Danach werden Beratungsgegenstände aus der alten Wahlperiode nicht in der neuen Legislaturperiode beraten. Ausgenommen sind Petitionen und einige Spezialgesetze . 3.1.17. Slowenien Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität gilt mit Ausnahmen. Es ist in Art. 154 i. V. m. Art. 122 und 126 der Geschäftordnung der Nationalversammlung niedergelegt. Grundsätzlich enden alle gesetzgeberischen Initiativen mit der Wahlperiode (Art. 154 Abs. 1 der Geschäftsordnung). Ausnahmen sind: - Von 5000 Wählern initiierte Vorschläge und - Regierungsvorlagen, wenn die neue Regierung die Weiterberatung innerhalb von 30 Tagen in der neuen Legislaturperiode verlangt. - Der Nationalrat kann ebenfalls die Fortsetzung der Beratung zu Vorlagen verlangen . - Außerdem haben dieses Recht Abgeordnete hinsichtlich Initiativen von einem oder mehr Abgeordneten, wenn sie dies innerhalb von 30 Tagen nach der Konstituierung der Nationalversammlung verlangen. Gemäß Art. 154 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Nationalversammlung können alte Gesetzentwürfe in der neuen Wahlperiode nicht behandelt werden, wenn die erste Beratung mit allgemeiner Aussprache auf Antrag von mindestens 10 Abgeordneten gemäß Art. 122 oder die Ausschussberatung gemäß Art. 126 der Geschäftsordnung bis zum Ende der Wahlperiode noch nicht begonnen hat. 3.1.18. Spanien In Spanien gilt das Prinzip der sachlichen Diskontinuität – für den Senat in einer ersten Ergänzung seiner Geschäftsordnung und für das Abgeordnetenhaus in § 207 der Geschäftsordnung niedergelegt – und findet in der Praxis Anwendung. Ausnahmen hiervon bilden die sog. Erlass-Gesetzgebung in bestimmten Eilfällen gemäß Art. 86 der Verfassung und die Notgesetzgebung und Kriegsrecht gemäß Art. 116 der Verfassung sowie außerordentliche Berichte des Ombudmans. Ergänzend hierzu sieht § 14 des Gesetzes betreffend Volksbegehren vom März 1984 vor, dass auf Bürgerinitiative beruhende Gesetzentwürfe, die ins Parlament eingebracht wurden, in der neuen Wahlperiode gemäß Empfehlung des Parlamentssekretariats erneut überwiesen werden, ohne das erneut Unterschriften für das erforderliche Quorum vorzulegen wären. - 21 - 3.1.19. Tschechische Republik Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität existiert und wird angewendet. Gemäß Art. 121 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses dürfen Vorlagen aus der vorangegangenen Wahlperiode in der neuen grundsätzlich nicht mehr beraten werde. Es gibt aber Ausnahmen von diesem Grundsatz: Dies gilt allerdings nicht für Petitionen und für Vorlagen, über die nach Auflösung des Abgeordnetenhauses der Senat zu entscheiden befugt ist. Letztere Fälle sind in Art. 33 der Verfassung geregelt. Wenn die Abgeordnetenkammer aufgelöst ist, kann der Senat über Gesetzentwürfe entscheiden , deren Beratung nicht vertagt werden kann und die zum Abschluss gebracht werden müssen. Allerdings ist der Senat nicht befugt, Gesetze zu verabschieden betreffend die Verfassung, den Haushalt, Wahlrecht und bestimmte internationale Abkommen. 3.1.20. Vereinigtes Königreich Sowohl im House of Lords als auch im House of Commons gilt das Prinzip der sachlichen Diskontinuität für das Ende der Wahlperiode (so etwa ausdrücklich Ziffer 6.08 des Handbuchs zur Geschäftsordnung des House of Lords). Im britischen Parlamentsrecht gibt es – wie bei der historischen Darstellung des Diskontinuitätsprinzips bereits erwähnt – neben der Wahlperiode aber auch noch die Sitzungsperiode (session) als zeitliche Begrenzung der parlamentarischen Arbeit. Diese dauert in der Regel ein Jahr (November bis zum darauf folgenden November). Nach Ziffer 6.06 des Handbuchs zur Geschäftsordnung des House of Lords gilt, dass sog. Public bills55, die in das House of Commons eingebracht wurden, in der nächsten Sitzungsperiode nicht wieder beraten werden dürfen, wenn ihnen die königliche Zustimmung fehlt. Nach Ziffer 6.07 des Handbuchs zur Geschäftsordnung des House of Lords gilt dies grundsätzlich auch für Gesetzentwürfe, die in das House of Lords eingebracht wurden. In den 90er Jahren haben verschiedene Ausschüsse beider Parlamentskammern empfohlen , dass die Weiterberatung von Gesetzentwürfen über die jeweilige Sitzungsperiode hinaus zur Erleichterung der gesetzgeberischen Beratung möglich sein sollte. Die Parlamentskammern haben daraufhin beschlossen, dass bestimmte Regierungsvorlagen nicht der Diskontinuität unterliegen (sog. carry-over) (ausdrücklich Nr. 80A der Geschäftsordnung des House of Commons). Im House of Lords wird die Entscheidung über die Weiterberatung von Vorlagen in einer weiteren Sitzungsperiode über die üblichen Kanäle (wie z. B. durch Fraktionsge- 55 Die sog. Public bills sind der häufigste Gesetzestyp. Es handelt sich um Gesetze, die allgemeine Gültigkeit erlangen. Sie können von der Regierung stammen oder als sog. Private Members’ bills von Lords oder Abgeordneten eingebracht werden. Im Gegensatz dazu werden die sog. Private bills von nicht dem Parlament zugehörigen Initianten (z. B. Gebietskörperschaften oder Gesellschaften) eingebracht, die bestimmte Rechte erlangen wollen (vgl. auch www.parliament.uk). - 22 - schäftsführungen) getroffen. Über die Weiterberatung wird durch Antrag entschieden. Es ist unwahrscheinlich, dass die Fraktionsgeschäftsführungen der Weiterbehandlung eines Gesetzentwurfs in der neuen Sitzungsperiode zustimmen, wenn noch keine Prüfung im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens (pre-legislative scrutiny) stattgefunden hat. Nach Auskunft des House of Lords fand das „Carry-Over“-Verfahren in der Praxis beim Gesetz über Finanzdienste und –märkte („Financial Services and Markets Bill“) in der Sitzungsperiode 1998-99 bis zur Sitzungsperiode 1999-2000 und beim Verfassungsreformgesetz („Constitutional Reform Bill“) in der Sitzungsperiode 2003-04 bis zur Sitzungsperiode 2004-05 statt. 3.2. Auswertung Zusammenfassend lässt sich folgendes feststellen: Das Prinzip der sachlichen Diskontinuität gilt in den meisten Mitgliedstaaten der EU und findet dort auch in der Praxis Anwendung. Es ist in der Verfassung selbst, in den Geschäftsordnungen der Parlamentskammern verankert oder als Grundsatz ohne ausdrückliche Normierung akzeptiert. Lediglich die Parlamente von Griechenland, Lettland, Litauen und den Niederlanden gaben an, dass das Prinzip der sachlichen Diskontinuität bei ihnen nicht existiere. Zum Teil wurde die Geltung des Diskontinuitätsprinzips im Hinblick auf das Ende der Wahlperiode ohne größere Ausnahmen bejaht (z.B. Dänemark, Estland, Finnland, Österreich, Portugal, Slowakei und Vereinigtes Königreich, das aber hinsichtlich seiner Sitzungsperioden Ausnahmen zulässt). Finnland gab an, dass der Grundsatz lediglich für bestimmte Vorlagen betreffend internationale Angelegenheiten nicht gelte (z. B. EU-Vorlagen). Zum Teil gibt es aber auch weiterreichende Durchbrechungen in Belgien, Italien, Polen, Rumänien, Schweden, Slowenien, Spanien und der Tschechischen Republik. Diese betreffen u. a. Vorlagen, die in der vorangegangenen Wahlperiode bereits einen gewissen Beratungsstand erreicht haben. Für diese ist unter Beachtung bestimmter Verfahrensvoraussetzungen eine Weiterberatung in der neuen Legislaturperiode möglich. Eine weitere Durchbrechung des Prinzips betrifft z.B. die durch Volksbegehren initiierten Gesetzentwürfe aus der vorangegangenen Legislaturperiode. Zumeist ist in der neuen Wahlperiode die Beibringung des erforderlichen Unterschriftenquorums nicht mehr erforderlich (so z. B. in Italien, Spanien und Slowenien).