© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 012/20 Kinderrechte ins Grundgesetz Zum Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz aus November 2019 und seiner Diskussion Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 012/20 Seite 2 Kinderrechte ins Grundgesetz Zum Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz aus November 2019 und seiner Diskussion Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 012/20 Abschluss der Arbeit: 23. Januar 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 012/20 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Über die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz (GG) wird seit langem diskutiert.1 Aktuell gibt es verschiedene Gesetzesinitiativen.2 Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD enthält den Auftrag, Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich zu verankern.3 Im Sommer 2018 wurde die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Kinderrechte ins Grundgesetz“ eingesetzt, die über die konkrete Ausgestaltung beraten und ihren Abschlussbericht am 14. Oktober 2019 vorgelegt hat.4 Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat auf Grundlage der Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Kinderrechte ins Grundgesetz“ einen Gesetzentwurf erarbeitet und Ende November 2019 zur Ressortabstimmung an die Bundesregierung übersandt. Über den konkreten Formulierungsvorschlag wurde in der Presse berichtet.5 Der Gesetzentwurf wurde noch nicht offiziell veröffentlicht. Der Sachstand gibt einen Überblick über den Regelungsinhalt des Gesetzentwurfs des BMJV und über die Berichterstattung zu diesem. 1 Für einen Überblick über vorangegangene Gesetzesinitiativen und andere parlamentarische Vorgänge der 17. und 18. Wahlperiode sowie über ausgewählte Veröffentlichungen der letzten Jahre siehe die Dokumentationen der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages WD 3 - 3000 - 226/17, Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz, vom 30. November 2017 und WD 3 - 3000 - 242/17, Kinderrechte im Grundgesetz – Zur Grundrechtsträgerschaft von Kindern, vom 7. Dezember 2017. 2 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Ergänzung des Artikels 6 zur Stärkung der Kinderrechte) von den Abgeordneten Katja Dörner, Katja Keul, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 19/10552; Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Verankerung von Kinderrechten) von den Abgeordneten Nobert Müller (Potsdam), Alexander Müller, Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE., BT-Drs. 19/10622. Für einen Vergleich der verschiedenen aktuellen Formulierungsvorschläge siehe die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Zur Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz, Gegenüberstellung verschiedener Formulierungsvorschläge zur Verankerung von Kinderrechten in Art. 6 GG, WD 3 - 3000 - 272/19, vom 18. Dezember 2019. 3 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, 21, abrufbar unter: https://www.bundesregierung .de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag -data.pdf?download=1 (letzter Abruf 23. Januar 2020). 4 Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Kinderrechte ins Grundgesetz“ vom 14. Oktober 2019, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/PM/102519_Abschlussbericht_Kinderrechte .pdf?__blob=publicationFile&v=2 (letzter Abruf 23. Januar 2020). 5 Vgl. Janisch, Kinderrechte sollen ins Grundgesetz, Süddeutsche Zeitung, 26. November 2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 012/20 Seite 4 2. Zum Regelungsinhalt des Gesetzentwurfs 2.1. Konkreter Formulierungsvorschlag Medienberichten zufolge6 sieht der Gesetzentwurf des BMJV vor, folgenden Formulierungsvorschlag als neuen Absatz 1a in den Artikel 6 GG aufzunehmen: „Jedes Kind hat das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen , die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör.“ 2.2. Zur Struktur und Positionierung des Formulierungsvorschlages Der Gesetzentwurf sieht die Aufnahme eines eigenständigen neuen Absatzes in Art. 6 GG vor. Dieser soll nach Art. 6 Abs. 1 GG und damit vor das Elternrecht in Abs. 2 eingefügt werden. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe argumentiert in ihrem Abschlussbericht, dass wenn die Kindergrundrechte am Anfang stünden, sie die Ziele von Elternverantwortung und Wächteramt prägen würden. Die Zuständigkeitsverteilung von Eltern und Staat im geltenden Art. 6 Abs. 2 GG würde sich nicht verschieben.7 2.3. Zur Formulierung der verschiedenen Rechte Der Formulierungsvorschlag enthält drei Sätze, die folgende Regelungsbereiche betreffen: In Satz 1 wird neben dem Recht auf Achtung, Schutz und Förderung insbesondere auch das Entwicklungsrecht des Kindes genannt. Satz 2 enthält eine Regelung zur Kindeswohlverpflichtung. Satz 3 betrifft den Regelungsbereich der Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte des Kindes. Der Formulierungsvorschlag sieht kindzentrierte Formulierungen vor, die das Kind subjektiv berechtigten („hat das Recht auf“, hat „Anspruch“). Die Stellung des Kindes als Rechtssubjekt im Grundgesetz wird damit hervorgehoben. Im Hinblick auf die Regelung zur Kindeswohlverpflichtung wird eine kindbezogene Formulierung verwendet, die den Staat objektiv verpflichtet und Kinder als Bezugspunkt dieser Verpflichtungen nimmt. 2.3.1. Recht auf Achtung, Schutz und Förderung Der Formulierungsvorschlag sieht in Satz 1 vor, dass jedes Kind das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft hat. 6 Vgl. Janisch, Kinderrechte sollen ins Grundgesetz, Süddeutsche Zeitung, 26. November 2019. 7 Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (Fn. 4), 116. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 012/20 Seite 5 Der Formulierungsvorschlag setzt eine Empfehlung aus der Literatur um. Hofmann/Donath haben in ihrem Gutachten für das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. aus dem Jahr 2017 vorgeschlagen, für das Kindergrundrecht auf die im internationalen Menschenrechtsregime verbreitete Formulierung des „Achtens, Schützens und Förderns“ zurückzugreifen.8 Die im Jahr 2017 gegründete Bund-Länder- Arbeitsgruppe „Kinderrechte ins Grundgesetz“ hat sich mit dem Wortlaut des Formulierungsvorschlags intensiv auseinandergesetzt und war sich einig, dass die Formulierung ganz überwiegend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtssubjektivität des Kindes entspreche.9 2.3.2. Orientierung am Kindeswohl Der Formulierungsvorschlag sieht eine Verpflichtung vor, wonach das Wohl des Kindes bei allem staatlichen Handeln, das das Kind unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen ist. Der Formulierungsvorschlag weicht insofern von dem Wortlaut der amtlichen Übersetzung des Art. 3 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) ab, nach dem das Kindeswohl „als ein vorrangiger Gesichtspunkt“ (in der authentischen englischen Fassung: „a primary consideration“) zu berücksichtigen ist.10 Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Kinderrechte hat sich mit dem Begriff vorrangig eingehend beschäftigt. Dem Abschlussbericht ist zu entnehmen, dass große Bedenken bestanden haben, „einen solchermaßen missverständlichen Begriff in das Grundgesetz zu übernehmen , wenn zugleich ein unmissverständlicher Begriff, der das Gewollte klar zum Ausdruck bringe (‚angemessen‘), zur Verfügung stehe.“11 2.3.3. Recht auf Beteiligung Der Formulierungsvorschlag beschränkt sich auf die Regelung eines Anspruchs auf rechtliches Gehör bei staatlichen Entscheidungen, die Kinderrechte unmittelbar betreffen. Der Formulierungsvorschlag bildet damit nur einen Teil der in Art. 12 UN-KRK geregelten Mitspracherechte des Kindes ab. Eine weitere Abweichung ist im Hinblick auf die Art und Weise der Betroffenheit von Kinderrechten festzustellen: Der Formulierungsvorschlag beschränkt die staatlichen Entscheidungen auf solche, die die Rechte des Kindes unmittelbar betreffen. Dagegen ist der Begriff der „das Kind berührenden Angelegenheiten“ (in der authentischen englischen 8 Hofmann/Donath, Gutachten bezüglich der ausdrücklichen Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz nach Maßgabe der Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention, 2017, 13 f., abrufbar unter: https://kinderrechte -ins-grundgesetz.de/wp-content/uploads/2018/02/DKHW_Gutachten_KRiGG_Hofmann_Donath.pdf (letzter Abruf: 23. Januar 2020). 9 Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (Fn. 4), 40. 10 Ausführlich hierzu siehe die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz, Gegenüberstellung eines Formulierungsvorschlages mit vier kinderrechtlichen Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention, WD 3 - 3000 - 276/19 vom 16. Dezember 2019. 11 Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (Fn. 4), 63. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 012/20 Seite 6 Fassung: „affect“) aus Art. 12 UN-KRK weit auszulegen.12 Diese textliche Abweichung wurde im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe diskutiert. Im Abschlussbericht wird hierzu festgehalten, dass vereinzelte Entscheidungen von EuGH und EGMR zu kinderspezifischen Beteiligungsrechten deutlich zurückhaltender klingen würden. Beide Gerichte würden kein absolutes Anhörungsrecht des Kindes fordern. Mit Blick auf die Pflicht zur Anhörung in Gerichts- und Verwaltungsverfahren, die Anerkennung der wachsenden Selbstständigkeit des Kindes sowie mit Blick auf die Verbindung zwischen Kindeswohl und Beteiligung würden sich internationales und nationales Recht (in seiner Auslegung durch das BVerfG) nicht wesentlich unterscheiden.13 2.4. Zum Regelungsziel Eine Gesetzesbegründung wurde noch nicht veröffentlicht. Presseberichten zufolge soll der vorgeschlagene neue Absatz in Art. 6 GG „‘die Grundrechte von Kindern im Text des Grundgesetzes besser sichtbar machen‘ und ‚verdeutlichen, welch hohe Bedeutung Kindern und ihren Rechten in unserer Gesellschaft zukommt‘. Elternrecht und Elternverantwortung würden nicht beschränkt, sondern ‚inhaltlich unverändert‘ garantiert. Das Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat solle ‚bewusst nicht angetastet werden‘.“14 Dies deckt sich mit den Prämissen, die sich die Bund-Länder-Arbeitsgruppe gesetzt hat: Unstreitige Prämisse der Arbeitsgruppe war, das in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts austarierte Verhältnis zwischen Kinderrechten und Elternrechten nicht zu ändern.15 3. Zur Berichterstattung über den Gesetzentwurf Die Berichterstattung über den Gesetzentwurf fällt unterschiedlich aus. 3.1. Positive Bewertungen Die Berichterstattung, die den Gesetzentwurf und den konkreten Formulierungsvorschlag begrüßt, ist in der Anlage 1 zusammengestellt. Es werden folgende Gesichtspunkte hervorgehoben: 12 Ausführlich hierzu siehe die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz, Gegenüberstellung eines Formulierungsvorschlages mit vier kinderrechtlichen Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention, WD 3 - 3000 - 276/19 vom 16. Dezember 2019. 13 Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (Fn. 4), 99. 14 Janisch, Kinderrechte sollen ins Grundgesetz, Süddeutsche Zeitung, 26. November 2019. 15 Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (Fn. 4), 25. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 012/20 Seite 7 3.1.1. Besseres Sichtbarmachen der Kinderrechte Die Befürworter begrüßen den Ansatz des Gesetzentwurfs, Kinderrechte besser sichtbar zu machen. Dies könne einen Beitrag leisten, den Blick für das Kindeswohl zu schärfen. Für die grundsätzliche Weichenstellung und die Zusicherung, den Schutz der Kinder und ihre Interessen wirklich ernst zu nehmen, sei das Grundgesetz der richtige Ort.16 3.1.2. Stärkung der Schutz- und Förderrechte und des rechtlichen Gehörs Begrüßt wird, dass der Gesetzentwurf die Schutz- und Förderrechte der Kinder beschreibe.17 Der Formulierungsvorschlag sei geschickt gewählt. Alles staatliche Handeln müsse demnach das Kindeswohl berücksichtigen.18 Der Staat werde stärker in die Pflicht genommen, für kinderfreundliche Strukturen zu sorgen.19 Mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör bei allen staatlichen Entscheidungen , die die Rechte eines Kindes unmittelbar betreffen, nehme der Gesetzentwurf die Lehren aus dem Staufener Missbrauchsfall auf.20 3.1.3. Balance zwischen Staat und Erziehungsrecht der Eltern bleibt gewahrt Zum Teil wird begrüßt, dass der Gesetzentwurf sich zum Ziel gesetzt habe, das austarierte Verhältnis zwischen Kinderrechten und Elternrechten nicht zu ändern. Diese Balance gelte es zu wahren.21 Ängste, dass durch die Kinderrechte ein Keil zwischen Eltern und Kinder getrieben werden könne, seien nicht berechtigt. Das neue Grundrecht stärke die Position des Kindes vielmehr gerade auch gegenüber staatlichen Vorgaben.22 16 Bubrowski, Im Namen der Kinder, FAZ-Sonntagszeitung, 1. Dezember 2019. 17 Interview mit Heinz Hilgers, „Unter Umständen sogar Verschlechterung“, Passauer Neue Presse, vom 27. November 2019. Aufgrund der letztlich aber kritischen Gesamtbewertung findet sich der Artikel in Anlage 2. 18 Fischer, Für die Kinder, Die Rheinlandpfalz, 27. November 2019. 19 Vetter, Ein überfälliger Schritt, Mannheimer Morgen, 27. November 2019. 20 Bubrowski, Im Namen der Kinder, FAZ-Sonntagszeitung, 1. Dezember 2019. 21 Vetter, Ein überfälliger Schritt, Mannheimer Morgen, 27. November 2019. 22 Bubrowski, Im Namen der Kinder, FAZ-Sonntagszeitung, 1. Dezember 2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 012/20 Seite 8 3.2. Kritische Berichterstattung Die Berichterstattung, die den Gesetzentwurf und den konkreten Formulierungsvorschlag kritisch bewertet, ist in der Anlage 2 zusammengestellt. Als Hauptkritikpunkte werden genannt: 3.2.1. Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern Vielfach wird befürchtet, der Gesetzentwurf habe das Potential, in das Erziehungsrecht der Eltern einzugreifen und das austarierte Dreiecksverhältnis von Eltern, Kind und Staat grundlegend zu gefährden. Die Verortung der Kinderrechte in einem neuen Absatz 1a vor dem Elterngrundrecht in Absatz 2 wird in diesem Zusammenhang als problematisch bewertet. Zudem wird bemängelt, es fehle eine Sicherungsklausel, die ausdrücklich bestimme, dass die geplante Grundrechtsergänzung das Elternrecht unberührt lasse und vor einem „Verfassungstrojaner“ gewarnt.23 3.2.2. Reine Symbolpolitik Andere Stimmen kritisieren dagegen, der Entwurf gehe nicht weit genug und sei reine Symbolpolitik . Vor allem wird kritisiert, dass das Wohl des Kindes nur angemessen und nicht vorrangig zu berücksichtigen sein soll. Weitere Defizite werden im Hinblick auf die Teilhaberechte der Kinder gesehen.24 3.2.3. Systematischer Bruch durch Einführung eines Sondergrundrechts Es wird die grundsätzliche Kritik geäußert, dass die Einführung von Kinderrechten einen systematischen Bruch bedeuten würde. Der Grundrechtsschutz des Grundgesetzes sei einheitlich für alle Menschen gleich; bislang seien keine Sonderfreiheitsrechte für bestimmte Personengruppen vorgesehen. Das Bekenntnis zur Gleichwertigkeit jedes menschlichen Individuums solle nicht aufgegeben werden.25 23 Vgl. beispielsweise Uhle, Der Verfassungstrojaner, FAZ, 4. Dezember 2019; Frei, FAZ, 5. Dezember 2019; Liminiski, Das Ermächtigungsgesetz der SPD, Die Tagespost, 05. Dezember 2019. 24 Vgl. beispielsweise Prantl, Kinderhymne, Süddeutsche Zeitung, 04. Januar 2020; Tiedemann, Von Symbolpolitik und Tarnkappen, Frankfurter Rundschau, 02. Januar 2020; Dörner/Keul, Die Rechte der Kinder sind nicht gesichert, FAZ, 19. Dezember 2019; Janisch, Kinderrechte sollen ins Grundgesetz, Süddeutsche Zeitung, 26. November 2019; ders., Kinderrechte, Nur ein Schrittchen, Süddeutsche Zeitung, 26. November 2019. 25 Vgl. beispielsweise Van Lijnden, Im Namen der Kinder, FAZ-Sonntagszeitung, 1. Dezember 2019; zu der grundsätzlichen Kritik siehe auch Wapler, in: Sachverständigenkommission 15. Kinder- und Jugendbericht (Hrsg.), Materialien zum 15. Kinder- und Jugendbericht „Zwischen Freiräumen, Familie, Ganztagsschule und virtuellen Welten – Persönlichkeitsentwicklung und Bildungsanspruch im Jugendalter“, 2017, Kinderrechte im Grundgesetz , 29, abrufbar unter: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2017/15_KJB_Wapler_b.pdf (letzter Abruf 23. Januar 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 012/20 Seite 9 3.2.4. Spannungsverhältnis zu den bestehenden Grundrechten der Kinder Weiter wird eingewandt, dass die Einführung spezieller Kindergrundrechte Fragen zu dem Verhältnis dieser Rechte zu den sonstigen allgemeinen Grundrechten der Kinder aufwerfen könne. Dazu wird in der Literatur vertreten, dass bestehende Grundrechte der Kinder, beispielsweise die aus der Menschenwürde entwickelten grundrechtlichen Gewährleistungen, geschwächt werden könnten und der Grundrechtsschutz der Kinder gespalten würde.26 3.2.5. Spannungsverhältnis zur UN-KRK Schließlich wird vielfach die Kritik geäußert, dass der Gesetzentwurf von den Vorgaben der UN- KRK abweiche und hinter dieser weit zurückbleibe.27 Aus den Abweichungen könnten sich Interpretationsprobleme ergeben.28 Es wird die Befürchtung geäußert, dass sich die Situation für die Kinder unter Umständen sogar verschlechtern könnte.29 3.3. Weitere Berichterstattung Weitere Presseveröffentlichungen mit berichtenden Charakter sind in der Anlage 3 zusammengestellt. *** 26 Vgl. hierzu Kirchhof, Kinderrechte in der Verfassung – zur Diskussion einer Grundgesetzänderung, ZRP 2007, 149 (150); Wapler (Fn. 25), 29; anderer Ansicht aber Höfling, Zur Stärkung von Kinderrechten im Grundgesetz, ZKJ 2017, 354 f. 27 Vgl. beispielsweise Prantl, Kinderhymne, Süddeutsche Zeitung, 4. Januar 2020. 28 So Wapler, Verfassungsblog Kinderrechte ins Grundgesetz: Ein neuer Entwurf bringt nichts Neues vom 6. Dezember 2019, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/kinderrechte-ins-grundgesetz-ein-neuer-entwurf-bringt-nichtsneues / (letzter Abruf: 23. Januar 2020). 29 Interview mit Heinz Hilgers, „Unter Umständen sogar Verschlechterung“, Passauer Neue Presse, vom 27. November 2019; Dörner/Keul, Die Rechte der Kinder sind nicht gesichert, FAZ, 19. Dezember 2019.