Zur Einführbarkeit einer Fachaufsicht über den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 - 012/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Zur Einführungbarkeit einer Fachaufsicht über den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Ausarbeitung WD 3 - 012/08 Abschluss der Arbeit: 29.01.2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Die Erfassung, Verwahrung und Verwaltung der Stasi-Unterlagen obliegt gem. § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (StUG) allein dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU). Als Bundesoberbehörde ist er im Geschäftsbereich des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien angesiedelt (§ 35 Abs. 1 S. 1 StUG), unabhängig und allein dem Gesetz unterworfen (§ 35 Abs. 5 S. 2 StUG). Auf eine Fachaufsicht und damit eine fachliche Weisungsgebundenheit des BStU wurde bei seiner Errichtung aufgrund der historischen Einmaligkeit der Aufgabe und der politisch herausgehobenen Bedeutung der Stasi-Unterlagen-Verwaltung bewusst verzichtet. Um ihn einer Fachaufsicht zu unterstellen, bedürfte es einer Änderung des § 35 Abs. 5 S. 2 StUG, ferner einer konkretisierenden Regelung der Fachaufsicht. Hinsichtlich des Rechtes der Stasi-Unterlagen und ihrer Verwaltung hat der Bund sowohl eine Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache als auch eine Verwaltungskompetenz aus Art. 87 Abs. 3 S. 1 Grundgesetz (GG) für die Errichtung und Organisation der hierfür zuständigen Bundesoberbehörde. Dies schließt die konkrete Ausgestaltung der Aufsicht über diese Behörde mit ein. Eine Unterstellung des BStU unter eine Fachaufsicht verstößt auch nicht gegen gemeinschaftsrechtliche Vorgaben aus der Richtlinie 95/46/EG (sog. Datenschutzrichtlinie), soweit die Kontrolle des Bundesdatenschutzbeauftragten über die Einhaltung der Datenschutzvorschriften im StUG, die der Umsetzung der Richtlinie dienen, gewährleistet ist. Ferner dürften auch die Regelungen des Einigungsvertrages zum Umgang mit den Stasi-Unterlagen, konkretisiert durch Art. 1 Nr. 1 der Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. September 1990, einer solchen Änderung des StUG nicht entgegenstehen. Die Einführung einer Fachaufsicht über den BStU steht somit im politischen Ermessen . Inhalt 1. Einleitung 4 2. Aufsicht über den BStU nach der bestehenden Rechtslage 5 3. Meinungsstand zu der bisherigen Konstruktion 6 4. Allgemeine verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für die Regelung der Fachaufsicht über den BStU 7 5. Mögliche entgegenstehende Erwägungen für eine Fachaufsicht über den BStU 8 5.1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben aus der Europäischen Datenschutzrichtlinie 8 5.2. Einigungsvertrag und Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages zwischen der BRD und der DDR vom 18. September 1990 9 5.2.1. Aussagen zu dem künftigen gesamtdeutschen Stasi-Unterlagen- Gesetz 9 5.2.2. Frage der Bindungswirkung für den Bundesgesetzgeber 10 6. Ergebnis 11 7. Literatur 13 - 4 - 1. Einleitung Der Einigungsvertrag vom 31. August 19901 enthält eine vorläufige Regelung über den Umgang mit den Stasi-Unterlagen. In Art. 1 Nr. 9 der Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. September 19902 wurde darüber hinaus dem ersten gesamtdeutschen Gesetzgeber aufgegeben, unverzüglich nach dem 3. Oktober 1990 gesetzliche Regelungen zur Sicherung und Nutzung der durch die Staatssicherheit der DDR gewonnenen personenbezogenen Informationen zu schaffen. Dem kam der 12. Deutsche Bundestag am 20. Dezember 1991 durch das „Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz – StUG)“3 nach. Die Bezeichnung „Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“ (BStU) wird durch das StUG sowohl für die gesamte Behörde4 als auch für die Amtsbezeichnung des Behördenleiters 5 verwendet (sog. institutioneller und personeller Behördenbegriff).6 Gem. § 2 Abs. 1 StUG obliegt allein dem BStU die Erfassung, Verwahrung, Verwaltung und Verwendung der Stasi-Unterlagen nach Maßgabe des StUG. Als Behörde im institutionellen Sinne ist er eine Bundesoberbehörde und im Geschäftsbereich der für Kultur und Medien zuständigen obersten Bundesbehörde angesiedelt, § 35 Abs. 1 S. 1 StUG. Seit dem 27. Oktober 1998 ist dies der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM)7, in dessen Geschäftsbereich der BStU sich seit dem 1. Januar 2005 befindet. Obwohl der BStU als Bundsoberbehörde Verwaltungsaufgaben8 nach dem StUG für das ganze Bundesgebiet wahrnimmt, unterscheidet er sich von anderen Bundesoberbehör- 1 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – (BGBl. II 1990, S. 885ff.). 2 Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (BGBl. II 1990, S. 885ff. [S. 1239ff.]. 3 BGBl. I 1991, S. 2272-2287; neugefasst durch Bekanntmachung vom 18. Februar 2007 (BGBl. I 2007, S. 162-178). 4 Vgl. § 35 Abs. 1 S. 1 StUG. 5 Vgl. § 35 Abs. 2 S. 3 StUG; seit September 2000 Marianne Birthler. 6 Im Folgenden wird die gesetzliche (maskuline) Behördenbezeichnung verwendet. 7 Ziff. IV des Organisationserlasses des Bundeskanzlers vom 27. Oktober 1998 (BGBl. I 1998, S. 3288). 8 So prüft und entscheidet der BStU beispielsweise gem. § 19 Abs. 3 S. 1 StUG im Einzelfall, „ob sich ein Ersuchen um Mitteilung, Einsichtnahme oder Herausgabe [von bzw. in Unterlagen des ehem. MfS/AfNS] auf einen zulässigen Verwendungszweck bezieht, im Rahmen der Aufgaben des Empfängers liegt und inwieweit die Verwendung für den angegebenen Zweck erforderlich ist.“. - 5 - den grundlegend. Der Behördenleiter ist kein Beamter im statusrechtlichen Sinne, sondern steht in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum Bund, § 35 Abs. 5 S. 1 StUG. Er wird auf Vorschlag der Bundesregierung vom Deutschen Bundestag gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt, § 35 Abs. 2 StUG. Bei der Ausübung seines Amtes ist er zudem unabhängig und ausschließlich dem Gesetz unterworfen, § 35 Abs. 5 S. 2 StUG. Wegen dieser Besonderheiten im Vergleich zu herkömmlichen Bundesbehörden wird der BStU daher auch als Exekutivorgan mit besonderem parlamentarischen Zugriff bezeichnet.9 Im Folgenden soll geprüft werden, ob der BStU der Fachaufsicht unterworfen werden könnte. Es wird in diesem Zusammenhang auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen sowie Vorgaben aus dem Europarecht und dem Einigungsvertrag eingegangen . 2. Aufsicht über den BStU nach der bestehenden Rechtslage Die hierarchisch strukturierte unmittelbare (Bundes-)Verwaltung stellt den Normalfall öffentlicher Verwaltung dar. Nachgeordnete Einrichtungen unterliegen hierbei der Aufsicht durch übergeordnete Instanzen, auf Bundesebene letztlich einer obersten Bundesbehörde . Hierbei beinhaltet das Aufsichtsrecht der übergeordneten Instanz ein Weisungsrecht , mit dem eine Gehorsamspflicht der nachgeordneten Einrichtung korrespondiert . Bei der Ausübung der Aufsicht wird zwischen Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht unterschieden :10 Rechtsaufsicht bedeutet die Beaufsichtigung der Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde, insbesondere der gesetzmäßigen Erfüllung ihrer hoheitlichen Kompetenzen. Gem. § 35 Abs. 5 S. 3 StUG untersteht der BStU der Rechtsaufsicht der Bundesregierung . Rechtsaufsichtliche Beanstandungen bedürfen einer Kabinettsentscheidung.11 Die Dienstaufsicht hat hingegen den internen Dienstbetrieb wie die Geschäftsführung oder Personalangelegenheiten der nachgeordneten Einrichtung zum Gegenstand. Die Dienstaufsicht übt gem. § 35 Abs. 5 S. 4 StUG die für Kultur und Medien zuständige oberste Bundesbehörde, der BKM, aus. Die Fachaufsicht geht über die Rechtsaufsicht hinaus. Sie hat die Überwachung der Recht- und Zweckmäßigkeit der Aufgabenerledigung zum Gegenstand. Zweckmäßig- 9 Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen auf Grundlage des StUG, S. 127; Kruse, Der öffentlich-rechtliche Beauftragte, S. 242. 10 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 22, Rn. 31f. 11 Schmidt/Dörr, Stasi-Unterlagengesetz, § 35, Rn. 5. - 6 - keitsentscheidungen betreffen insbesondere Fälle, in denen Auslegungs- Beurteilungsund Ermessenspielräume wahrgenommen werden. Während bei der Rechtsaufsicht die Ausübung dieser Spielräume toleriert werden muss, unterliegt sie im Rahmen der Fachaufsicht der Kontrolle durch die übergeordnete Instanz. Durch Weisung und Selbsteintritt können die Zweckmäßigkeitserwägungen der nachgeordneten Einrichtung durch die der übergeordneten Instanz ersetzt werden. Wie bereits eingangs erwähnt, bestimmt § 35 Abs. 5 S. 2 StUG die Unabhängigkeit und alleinige Unterworfenheit des BStU unter das Gesetz. Gesetzgeberischer Hintergrund dieser Regelung war die Schaffung einer Behörde, die auch im Verhältnis zur Regierung persönlich und sachlich unabhängig, „möglichst unbehelligt von politischer Einflussnahmen“12, über den Zugang zu den Stasi -Unterlagen entscheiden kann.13 Von eine Fachaufsicht und damit einer fachlichen Weisungsgebundenheit des BStU wurde daher abgesehen.14 3. Meinungsstand zu der bisherigen Konstruktion Im Gesetzgebungsverfahren wurde diese Konstruktion vereinzelt als „irregulär“ bezeichnet . Insbesondere das fehlende Fachweisungsrecht der obersten Bundesbehörde gegenüber dem BStU als Bundesoberbehörde wurde mit Blick auf die parlamentarische Verantwortlichkeit der Exekutive als bedenklich angesehen.15 Hiergegen wurde jedoch eingewandt, dass das, was an exekutiver Aufsicht fehle und daher mit Blick auf die parlamentarische Verantwortlichkeit und die demokratische Legitimation problematisch erscheine, durch einen parlamentarischen Zugriff auf die Behörde durch Wahl ihres Leiters sowie die Berichtspflichten des BStU gegenüber dem Deutschen Bundestag wieder ausgeglichen werde.16 Gerechtfertigt wurde die Fachweisungsfreiheit zudem mit der historisch beispiellosen Aufgabe, die widerstreitenden Interessen im Umgang mit den Stasi-Unterlagen einer gesetzlichen Lösung zuzuführen .17 Einerseits müssten die von der Staatssicherheit unter Verletzung rechtstaatlicher Grundsätze gewonnenen und gespeicherten personenbezogenen Informationen durch eine staatliche Unterlagenverwaltung geschützt werden. Andererseits hätten Staat und Politik selbst ein Interesse an der Verwendung der Informationen für ihre Zwecke.18 Auch in der Gesetzesbegründung wurde die Konstruktion des BStU als eine fachwei- 12 Weberling, Stasi-Unterlagen-Gesetz, § 35, Rn. 6. 13 Sommermann, in: v.Mangold/Klein/Starck, Art. 20 Abs. 2, Rn. 180. 14 Pietrkiewicz/Burth, in: Geiger/Klinghardt, Stasi-Unterlagen-Gesetz, § 35, Rn. 13; Schmidt/Dörr, Stasi-Unterlagengesetz, § 35, Rn. 4. 15 Badura, Schriftliche Stellungnahme vom 10. August 1991 zur Sitzung des Innenausschusses vom 27. August 1991, S. 489 (513). 16 Trute, JZ 1992, 1043 (1046f.). 17 Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen auf Grundlage des StUG, S.128. 18 Kruse, Der öffentlich-rechtliche Beauftragte, S. 242-243, m.w.N. - 7 - sungsfreie Behörde mit dem Hinweis auf die außerordentliche Aufgabenstellung und die damit verbundene herausgehobene politische Bedeutung begründet.19 4. Allgemeine verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für die Regelung der Fachaufsicht über den BStU Grundsätzlich hat der Bund sowohl die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung des Rechts der Stasi-Unterlagen kraft Natur der Sache20 als auch die Verwaltungskompetenz für die Errichtung einer hierfür zuständigen Bundesoberbehörde gem. Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG21. Dies schließt die konkrete Ausgestaltung der Aufsicht über diese Behörde mit ein. Von beidem wurde bereits beim Erlass und bei den Änderungen des StUG Gebrauch gemacht. Die Konstruktion einer fachlich weisungsfreien Bundesoberbehörde stellt – wie gezeigt – einen Sonderfall von dem Prinzip der hierarchisch strukturierten öffentlichen Verwaltung dar, der zwar unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht per se unzulässig ist22, aber trotzdem eine nur in engen Grenzen zulässige Ausnahme darstellt. Derartige „ministerialfreie Räume“ sind nach deutschem Verfassungsrecht nur als Ausnahme zulässig, denn das Demokratiegebot erfordert grundsätzlich die Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung. Eine Unterstellung des BStU unter die Fachaufsicht einer obersten Bundesbehörde würde somit dem verfassungsrechtlichen Normalfall entsprechen. In diesem Zusammenhang wird auch bzgl. der Sonderstellung des BStU darauf hingewiesen, dass die derzeitige Organisationsform – entsprechend der außerordentlichen, aber zeitigen Aufgabenstellung – nicht als Dauereinrichtung konzipiert ist.23 19 BT-Drs. 12/1093, S. 27. 20 Weberling, Stasi-Unterlagen-Gesetz, Vorbemerkungen, Rn. 4; Badura, Schriftliche Stellungnahme vom 10. August 1991zur Sitzung des Innenausschusses vom 27. August 1991, S. 489 (515); zum Streit über die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundesgesetzgebers vgl. Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen auf der Grundlage des StUG, S. 180-187. 21 Pietrkiewicz/Burth, in: Geiger/Klinghardt, Stasi-Unterlagen-Gesetz, § 35, Rn. 1; Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen auf der Grundlage des StUG, S. 188-190. 22 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 65, Rn. 96-106; Sommermann, in: v. Mangold /Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 2, 178-180. 23 Weberling, Stasi-Unterlagen-Gesetz, § 35, Rn. 6; Kruse, Der öffentlich-rechtliche Beauftragte, § 37, Rn. 12. - 8 - 5. Mögliche entgegenstehende Erwägungen für eine Fachaufsicht über den BStU 5.1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben aus der Europäischen Datenschutzrichtlinie Fraglich ist zunächst, ob sich aus der Richtlinie 95/46/EG Vorgaben im Hinblick auf eine fachweisungsfreie Verwaltung der Stasi-Unterlagen ergeben.24 Artikel 28 der Richtlinie (RL) bestimmt: „Kontrollstelle (1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, daß eine oder mehrere öffentliche Stellen beauftragt werden, die Anwendung der von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften in ihrem Hoheitsgebiet zu überwachen. Diese Stellen nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahr. (…)“ Das StUG sieht unter anderem in den §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 7-9, 44 und 45 Regelungen zum Schutz personenbezogener Daten vor. Fraglich ist jedoch, ob der BStU auch eine Kontrollstelle im Sinne des Art. 28 Abs. 1 RL ist. Denn nur dann würde gemeinschaftsrechtlich eine „völlige Unabhängigkeit“ zu fordern sein. Die RL unterscheidet terminologisch zwischen der „überwachenden Kontrollstelle“ (Art. 28 Abs. 1 RL) und dem „für die Verarbeitung Verantwortlichen“ (Art. 2 lit. d RL). „Für die Verarbeitung verantwortlich“ ist gem. Art. 2 lit. d RL die „(...) Behörde, (...), die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet.“ Hiermit ist der Normadressat bezeichnet, den die meisten datenschutzrechtlichen Verpflichtungen treffen.25 Das Erfassen, Verwahren, Verwalten und Verwenden der Unterlagen nach Maßgabe des StUG liegt gem. § 2 Abs. 1 StUG in der ausschließlichen Befugnis des BStU.26 Er ist somit die für die Verarbeitung verantwortliche Stelle. 24 Hierauf hinweisend Pietrkiewicz/Burth, in: Geiger/Klinghardt, § 35, Rn. 11. 25 Damman/Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, Art. 2, Rn. 11. 26 Weberling, Stasi-Unterlagen-Gesetz, § 2, Rn. 1; Pietrkiewicz/Burth, in: Geiger/Klinghardt, § 2, Rn. 2. - 9 - § 42 S. 1 StUG ordnet den Vorrang des StUG gegenüber anderen Vorschriften an, welche die Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener Informationen regeln. Das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)27 findet daher gem. § 43 S. 2 StUG grundsätzlich keine Anwendung. Hiervon sind jedoch ausdrücklich die Datenschutzkontrollrechte des Bundesdatenschutzbeauftragten gem. §§ 24 – 26 BDSG ausgenommen. Der BStU unterliegt somit der Kontrolle des Bundesdatenschutzbeauftragten. Somit spricht vieles dafür, dass der BStU keine „überwachende Kontrollstelle“ im Sinne von Art. 28 RL ist. Eine Unterstellung des BStU unter eine Fachaufsicht verstößt somit wohl nicht gegen die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben aus der Datenschutzrichtlinie, soweit die Kontrolle des Bundesdatenschutzbeauftragten bzgl. der Einhaltung der Datenschutzvorschriften im StUG, die der Umsetzung der Richtlinie dienen, gewährleistet ist. 5.2. Einigungsvertrag und Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages zwischen der BRD und der DDR vom 18. September 1990 5.2.1. Aussagen zu dem künftigen gesamtdeutschen Stasi-Unterlagen-Gesetz Im Einigungsvertrag (EV) wurde für den Umgang mit den Stasi-Unterlagen eine Sonderregelung 28 als Übergangslösung bis zu einer gesetzlichen Regelung durch den ersten gesamtdeutschen Gesetzgeber geschaffen.29 Diese wurde durch eine Ergänzungsvereinbarung gem. Art. 9 Abs. 3 EV am 18. September 199030 weiter konkretisiert. In Art. 1 Nr. 1 Ergänzungsvereinbarung brachten die Vertragsparteien die Erwartung zum Ausdruck , „(…), dass der gesamtdeutsche Gesetzgeber die Grundsätze, wie sie in dem von der Volkskammer am 24. August 1990 verabschiedeten Gesetz über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheitsdienstes/Amt für Nationale Sicherheit zum Ausdruck kommen, umfassend berücksichtigt.“31 27 BGBl. I 2003, S. 66; zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22.8.2006, BGBl. I 2006, 1970. 28 Anlage I Kapitel II Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 2 lit. b EV (BGBl. II 1990, S. 885 [912]). 29 Weberling, Stasi-Unterlagen-Gesetz, Einführung, Rn. 11-13; Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen auf Grundlage des StUG, S. 33-34. 30 Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31. August 1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – (BGBl. II 1990, S. 885 [1239ff.]). - Anlage - 31 BGBl. II 1990, S. 885 (1239), Hervorhebungen durch den Bearbeiter. - 10 - Nach Art. 1 Nr. 9 Ergänzungsvereinbarung sind die Gesetzgebungsarbeiten unverzüglich nach dem 3. Oktober 1990 aufzunehmen, wobei das Volkskammergesetz in Verbindung mit dem Einigungsvertrag als Grundlage zu dienen hat. Offen gelassen wurde hierbei, welche Grundsätze des Volkskammergesetzes gemeint sind.32 Zwar sahen § 5 Abs. 1 S. 5 i. V .m. Abs. 5 S. 2 des Volkskammergesetzes vom 24. August 199033 vor, dass die Beauftragten der neuerrichteten Landes- und Zentralarchive „in Ausübung ihres Amtes unparteiisch, unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen“ sind. Zu konstatieren ist jedoch, dass in den späteren abstrakten Ausführungen der Nummern 2-8 von Art. 1 der Ergänzungsvereinbarung keine Aussagen mehr über die Organisationsform der künftigen Behörde gemacht wurden. Vor diesem Hintergrund erscheint es bereits fraglich, ob die Unabhängigkeit der Stasi-Unterlagen-Behörde zu den beachtenswerten Grundsätzen gehört. 5.2.2. Frage der Bindungswirkung für den Bundesgesetzgeber Unterstellt man, dass die Unabhängigkeit des BStU ein solcher beachtenswerter Grundsatz ist, stellt sich des Weiteren die Frage, inwieweit der Gesetzgeber dadurch gebunden ist und an einer auf die Beseitigung der Unabhängigkeit des BStU abzielenden Gesetzesänderung gehindert wäre. Zu den Rechtswirkungen des EV ist grundsätzlich anzumerken, dass ihm ein völkerrechtlicher und staatsrechtlicher Doppelcharakter zugemessen wird.34 Einigungsvertrag nebst Ergänzungsvereinbarung sind durch Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 GG35 in das Recht der Bundesrepublik aufgenommen worden, soweit sie sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen.36 Art. 45 Abs. 2 EV ordnet trotz Wegfall des völkerrechtlichen Geltungsgrundes und der DDR als einer der Vertragsparteien die Fortgeltung der Vertragsregelungen als einfaches Bundesrecht an.37 Die Meinungen über die Frage, ob der Gesetzgeber durch das Vereinbarte im EV einer Bindung unterliegt bzw. im Laufe der künftigen Entwicklungen Korrekturen vornehmen 32 Geiger/Klinghardt, Stasi-Unterlagen-Gesetz, Einführung, Rn. 22. 33 GBl. 1990, S. 1419ff. 34 Stern, Staatsrecht, Band V, S. 1976; Badura, in: Kirchhof/Isensee, HdbStR, Band VIII, S. 192, Rn. 36. 35 Vgl. BGBl. II 1990, S. 885-1246. 36 Badura, in: Kirchhof/Isensee, HdbStR, Band VIII, S. 192, Rn. 38. 37 Badura, in: Kirchhof/Isensee, HdbStR, Band VIII, S. 192, Rn. 37, 39; nicht den Rang von Bundesrecht haben die Art. 4 i.V.m. mit Art. 1 EV enthaltenen Grundgesetzänderungen, die Verfassungsrecht geworden sind, ders, in: Kirchhof/Isensee, HdbStR, Band VIII, S. 192, Rn. 39. - 11 - kann, sind kontrovers.38 Nach der Gesetzesbegründung dient Art. 45 Abs. 2 EV (auch) der Klarstellung, dass durch den Vertrag geschaffenes Bundesrecht durch den Bundesgesetzgeber geändert werden kann. Der Gesetzgeber hat allerdings die im Vertrag vorgesehenen Regelungen zu beachten, durch die besondere Rechte auf Dauer garantiert werden (vgl. Art. 41 Abs. 3 EV).39 Unter Berücksichtung dieser Einschränkung wird der weitgehende Vorrang des später erlassenen Gesetzes vor dem früheren anerkannt (lex posterior Regel). D.h., dass das von dem Vertrag geschaffene Bundesrecht nach den allgemeinen Bestimmungen des Grundgesetzes geändert werden kann.40 Aus dem EV fortbestehende Rechte sind von diesem Änderungsrecht grundsätzlich ausgenommen 41 und können gem. Art. 44 EV durch die neuen Bundesländer geltend gemacht werden. Die Regelungen und Empfehlung aus Art. 1 Ergänzungsvereinbarung werden nicht zu den fortbestehenden Rechten aus dem EV im Sinne von Art. 44 EV gerechnet, die einer nachträglichen Änderung durch den Gesetzgeber grundsätzlich entzogen wären.42 Es wird vielmehr angenommen, dass die Erwartung, der Bundesgesetzgeber habe die Grundsätze, wie sie im Volkskammergesetz vom 24. August 1990 zum Ausdruck kämen , umfassend zu berücksichtigen, und die Annahme, dieses Gesetz solle in Verbindung mit dem Einigungsvertrag als Grundlage dienen, lediglich als politisch beachtliche Empfehlung in Rechnung gestellt werden müssten, nicht aber rechtlich bindend seien.43 Die Einführung einer Fachaufsicht über den BStU dürft somit letztlich nicht gegen rechtlich beachtliche Vorgaben aus dem EV und Art. 1 Ergänzungsvereinbarung verstoßen, die im Zweifel durch Bundesgesetz nicht überwunden werden könnten. 6. Ergebnis Nach alledem begegnet die Einführung einer Fachaufsicht über den BStU keinen rechtlichen Bedenken. Die Entscheidung liegt letztlich im politischen Ermessen. Es bedürfte einer Änderung des StUG, nämlich der Aufhebung der in § 35 Abs. 5 S. 2 38 Höch, Der Einigungsvertrag zwischen völkerrechtlichem Vertrag und nationalem Gesetz, S. 22ff; Stern, Staatsrecht, Band V, S. 1979. 39 Denkschrift zum Einigungsvertrag, BT-Drs. 11/7760, S. 355 (377). 40 Stern, Staatsrecht, Band V, S. 1976; Badura, in: Kirchhof/Isensee, HdbStR, Band VIII, S. 192, Rn. 40, sowie 41-48. 41 Denkschrift zum Einigungsvertrag, BT-Drs. 11/7760, S. 355 (377); Badura, in: Kirchhof/Isensee, HdbStR, Band VIII, S. 192, Rn. 40, sowie 41-48. 42 Badura, Schriftliche Stellungnahme vom 10. August 1991zur Sitzung des Innenausschusses vom 27. August 1991, S. 489 (516). 43 Badura, Schriftliche Stellungnahme vom 10. August 1991zur Sitzung des Innenausschusses vom 27. August 1991, S. 489 (516); im Ergebnis ähnlich: Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi- Unterlagen auf der Grundlage des StUG, S. 178-179. - 12 - StUG statuierten Unabhängigkeit des BStU, ferner einer Regelung, welche oberste Bundesbehörde für die Fachaufsicht zuständig ist. Denkbar wäre eine solche Regelung als Ergänzung zu dem bisherigen, die Rechtsaufsicht betreffenden § 35 Abs. 5 S. 3 StUG. - 13 - 7. Literatur - Damman, Ulrich/Simitis, Spiros, EG-Datenschutzrichtlinie, Kommentar, Baden- Baden 1997. - Engel, Albert, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen auf der Grundlage des StUG, Berlin 1995. - Geiger, Hansjörg/Klinghardt, Heinz (Hrsg.), Stasi-Unterlagen-Gesetz, Kommentar, 2. Auflage, Stuttgart 2006. - Kirchhof, Paul/Josef, Isensee (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VIII, Die Einheit Deutschlands – Entwicklung und Grundlagen –, Heidelberg 1995. - Kruse, Julia, Der öffentlich-rechtliche Beauftragte, Berlin 2007. - v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Band 2, Art. 20-82 GG, 5. Auflage, München 2005. - Maunz, Theodor/Dürig, Günter, Grundgesetz, Kommentar, Band IV, Artikel 28-69, München, Loseblatt. - Maurer, Hartmut, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Auflage, München 2002. - Schmidt, Dietmar/Dörr, Erwin, Stasi-Unterlagengesetz, Kommentar für Betroffene, Wirtschaft und Verwaltung, Köln 1993. - Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V, Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000. - Trute, Hans-Heinrich, Die Regelungen des Umgangs mit den Stasi-Unterlagen im Spannungsfeld von allgemeinem Persönlichkeitsrecht und legitimen Verwendungszwecken , JZ 1992, 1043ff. - Weberling, Johannes, Stasi-Unterlagen-Gesetz, Kommentar, Köln, u.a. 1993