© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 011/16 Überhangmandate im Einstimmenwahlrecht zum ersten Deutschen Bundestag Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 011/16 Seite 2 Überhangmandate im Einstimmenwahlrecht zum ersten Deutschen Bundestag Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 011/16 Abschluss der Arbeit: 15. Januar 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 011/16 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt ist, wie es sich erklären lässt, dass es nach dem Wahlergebnis zum ersten Bundestag 1949 zwei Überhangmandate gab, obwohl der Wähler nur eine Stimme hatte (sog. Einstimmenwahlrecht). 2. Antwort Das Wahlgesetz zum ersten Bundestag und zur ersten Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Juni 19491 (nachfolgend: BWahlG 1949) regelte das Wahlsystem wie folgt: Nach § 8 Abs. 1 S. 1 BWahlG 1949 bestand der Bundestag aus mindestens 400 Abgeordneten. Es gab feste Länderkontingente, wie viele Abgeordnete in einem Bundesland jeweils zu wählen waren (§ 8 Abs. 1 S. 2 BWahlG 1949). Die zugeteilten Sitze sollten in den Ländern zwischen Wahlkreisen und „Landesergänzungsvorschlägen“ (heute: Landeslisten) im ungefähren Verhältnis 60 zu 40 verteilt werden (§ 8 Abs. 2 BWahlG 1949). Ausgehend von der Mindestgröße von 400 Abgeordneten ergab sich daraus bundesweit eine Verteilung von 242 in den Wahlkreisen zu wählenden Abgeordneten und 158 über die Landeslisten zu vergebenden Sitze. Nach § 9 BWahlG 1949 war – ebenso wie nach dem geltenden Wahlrecht – gewählt, wer die meisten Stimmen im Wahlkreis auf sich vereinigt. Nach § 10 Abs. 1 BWahlG 1949 wurden die für jede Partei erzielten Zweitstimmen ermittelt und aus dieser Summe die dieser Partei zustehenden Sitze im jeweiligen Land errechnet. Wie auch heute, wurden sodann die direkt gewonnenen Mandate hierauf angerechnet und der überschießende Rest der Sitze aus dem jeweiligen Landesergänzungsvorschlag der Partei besetzt (§ 10 Abs. 2 BWahlG 1949). Auch bei dem Einstimmenwahlrecht von 1949 konnten Überhangmandate entstehen. Denn nach § 10 Abs. 3 BWahlG 1949 verblieben einer Partei auch dann die direkt gewonnen Sitze, wenn diese im jeweiligen Bundesland die Zahl der nach dem Zweitstimmenanteil ermittelten Sitze überstiegen. So bestand der erste Bundestag nicht allein aus der damaligen gesetzlichen Mindestzahl von 400 Abgeordneten, sondern aufgrund von zwei Überhangmandaten der SPD und CDU aus 402 Abgeordneten (sowie acht Abgeordneten aus West-Berlin mit eingeschränktem Stimmrecht).2 In einem Einstimmenwahlrecht sind also Überhangmandate nicht zwingend ausgeschlossen. Dies hängt vielmehr von der Ausgestaltung des jeweiligen Wahlsystems ab. Ende der Bearbeitung 1 BGBl. I 1949, S. 21 ff., abzurufen über das Intranet des Bundestages unter „Wissen, Bundesgesetzblatt“: http://www1.recht.makrolog.de/irfd/show?normid=bd_bgbl_1949S21B24bX0021_H2®ion=bund. 2 Siehe auch Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Die parlamentarische Geburtsstunde der Bundesrepublik , abzurufen unter: http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/189950/erste-bundestagswahl-1949-13-08- 2014; Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1999, Bd. I, 1999, S. 287.