AUSARBEITUNG Thema: Auswirkungen von Privatisierungen auf das Petitionswesen und die parlamentarische Kontrolle Fachbereich III Verfassung und Verwaltung Tel.: ( Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: 16. Februar 2005 Reg.-Nr.: WF III - 011/05 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Zusammenfassung 3 2. Petitionswesen 3 2.1. Das Petitionsgrundrecht des Einzelnen aus Art. 17 GG 3 2.1.1. Wirkungsweise des Petitionsgrundrechts in staatlich verwalteten Bereichen 4 2.1.2. Auswirkungen von Privatisierungen auf die Einschlägigkeit der Tatbestandsmerkmale des Art. 17 GG 5 2.1.2.1. Die Merkmale „zuständige Stellen“ und „Volksvertretung“ 5 2.1.2.2. Das Merkmal „Bitten oder Beschwerden“ 7 2.1.2.2.1. Die Staatsgerichtetheit des Grundrechts (Art. 1 Abs. 3 GG) 7 2.1.2.2.2. Das Erfordernis eines Petitums 8 2.1.2.2.3. Sinn und Zweck des Petitionsgrundrechts 8 2.1.2.2.4. Einschränkungen aus der Kompetenzordnung 8 2.1.2.2.5. Ergebnis 12 2.2. Der Petitionsinformationsanspruch des Bundestages bzw. seines Petitionsausschusses 12 2.2.1. Informationsansprüche aus §§ 1, 2, 4 und 7 PetAG 13 2.2.2. Informationsansprüche unmittelbar aus Art. 17 GG 13 3. Parlamentarische Kontrolle 14 3.1. Untersuchungsausschuss (Art. 44 GG) 14 3.2. Sonstige parlamentarische Informationsrechte 15 4. Literaturverzeichnis 16 5. Anlage 16 - 3 - 1. Zusammenfassung Privatisierungen wirken sich auf die Möglichkeiten des Einzelnen, über das Petitionswesen (Art. 17 GG) an der Gestaltung des privatisierten Bereichs teilzunehmen, zunächst dahin gehend aus, dass sämtliche staatliche Stellen, die aufgrund einer Privatisierung weggefallen sind bzw. sich aus dem nunmehr privatisierten Bereich zurückgezogen haben, nicht mehr als Petitionsadressaten zur Verfügung stehen. Erhalten bleibt aber weiterhin die Möglichkeit, sich an die Volksvertretung zu wenden und diese in ihrer Funktion als Gesetzgeber, um eine andere Gestaltung des privatisierten Bereichs zu bitten. Mangels staatlicher Akteure im privatisierten Bereich gehen auch die Informationsrechte aus dem Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages (im Folgenden: PetAG) sowie aus Art. 17 GG ins Leere; denn diese richten sich nur gegen staatliche Stellen. Parlamentarische Kontrolle ist Kontrolle der Regierung durch das Parlament. Wo die Regierung oder die ihr unterstehende Verwaltung nicht (mehr) tätig wird (z.B. in privatisierten Bereichen), kann es also auch keine parlamentarische Kontrolle mehr geben. Das heißt aber nicht, dass das Parlament sich mit diesen Bereichen überhaupt nicht mehr befassen dürfte. Es kann sich mit ihnen z.B. als Gesetzgeber befassen und sich insoweit zum Zwecke der Informationsbeschaffung teilweise sogar derselben Instrumentarien bedienen, derer es sich zum Zwecke der parlamentarischen Kontrolle bedient, z.B. der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen. Die nachstehenden Ausführungen konzentrieren sich auf das Petitionswesen auf Bundesebene (Art. 17 GG). Im Hinblick auf das Problem der parlamentarischen Kontrolle sei auf das als Anlage beigefügte Gutachten von Magiera zu dem Thema „Parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Bundesunternehmen“ verwiesen. 2. Petitionswesen Im Hinblick auf das „Petitionswesen“ ist zwischen den sich aus Art. 17 GG ergebenden Möglichkeiten des Einzelnen und den im Zusammenhang mit der Behandlung von Petitionen stehenden Informationsrechten des Bundestages aus dem PetAG oder Art. 17 GG zu differenzieren. 2.1. Das Petitionsgrundrecht des Einzelnen aus Art. 17 GG Um zu klären, wie sich Privatisierungen auf das Petitionsgrundrecht oder, genauer gesagt, die tatsächlichen Möglichkeiten des Einzelnen, von diesem Grundrecht Gebrauch zu machen, auswirken, ist es sinnvoll, - 4 - − zunächst darzustellen, welchen Inhalt das Petitionsgrundrecht aus Art. 17 GG nach allgemeiner Ansicht hat und welche Petitionsmöglichkeiten sich hieraus im Hinblick auf staatliche Tätigkeiten für den Einzelnen unstreitig ergeben, − und dann zu untersuchen, wie sich diese Möglichkeiten verändern, wenn der fragliche Sektor privatisiert wird. 2.1.1. Wirkungsweise des Petitionsgrundrechts in staatlich verwalteten Bereichen Gemäß Art. 17 GG hat jedermann „das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und die Volksvertretung zu wenden.“ Eine Bitte oder Beschwerde (eine Petition) liegt nach herrschender Ansicht nur vor, wenn ein bestimmtes Verhalten der zuständigen Stelle bzw. der Volksvertretung verlangt wird (je nachdem, an wen die Bitte oder Beschwerde adressiert ist);1 bloße Meinungsäußerungen sollen hingegen nicht ausreichen.2 Der Begriff der „Stelle“ umschließt sämtliche Institutionen der unmittelbaren und mittelbaren Staatsorganisation, die nicht Volksvertretungen sind, und zwar unabhängig von der öffentlich- oder privatrechtlichen Organisationsform.3 Zuständig ist eine Stelle, wenn der Gegenstand der Petition nach Maßgabe des jeweiligen Organisationsrechts in ihre Zuständigkeit fällt,4 d.h., wenn sie dem Begehren des Petenten abhelfen bzw. zur Abhilfe beitragen kann.5 Die Befassungskompetenz des Bundestages unterliegt zwar nach dem Wortlaut des Art. 17 GG, der nur von „Volksvertretung“, nicht von „zuständiger Volksvertretung“ spricht, keiner solchen Einschränkung.6 Dennoch ist er nach allgemeiner Ansicht nicht allzuständig, sondern kann nur jene Angelegenheiten prüfen, für die er nach der verfassungsrechtlich normierten Kompetenzverteilung zuständig ist.7 1 Vgl. Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 24; Rauball, in: von Münch / Kunig, GG5, Art. 17 Rn. 10; Dollinger, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 17 Rn. 20 f.; Stein, in: Denninger u.a., AK-GG3, Art. 17 Rn. 12; Stettner, in: Dolzer u.a., BK-GG, Art. 17 Rn. 42; Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 17 Rn. 14; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 28, der allerdings auch ein Verlangen auf Tätigwerden Dritter für ausreichend hält; a.A. Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 31. 2 Vgl. Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 25; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 29; Rauball, in: von Münch / Kunig, GG5, Art. 17 Rn. 10; Stein, in: Denninger u.a., AK-GG3, Art. 17 Rn. 12; Stettner, in: Dolzer u.a., BK-GG, Art. 17 Rn. 47; a.A. Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 31. 3 Vgl. Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 30; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 52 f.; Krüger / Pagenkopf, in: Sachs, GG3, Art. 17 Rn. 10; Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 45; Dollinger, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 17 Rn. 33; Stettner, in: Dolzer u.a., BK- GG, Art. 17 Rn. 67; Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 17 Rn. 54. 4 Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 30, 36; Rauball, in: von Münch / Kunig, GG5, Art. 17 Rn. 12. Allerdings muss die unzuständige Stelle, die Petition an die zuständige weiterleiten und ist insoweit zuständig, vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 17 Rn. 64; Stettner, in: Dolzer u.a., BK-GG, Art. 17 Rn. 67. 5 Vgl. Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 46; Stein, in: Denninger u.a., AK-GG3, Art. 17 Rn. 16. 6 Worauf Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 55, zu Recht hinweist. 7 Vgl. Dollinger, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 17 Rn. 32; Krüger / Pagenkopf, in: Sachs, GG3, Art. 17 Rn. 11; Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 36; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 56, 58 f.; Stettner, in: Dolzer u.a., BK-GG, Art. 17 Rn. 69, 82; Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 17 Rn. 63; Vitzthum, Petitionsrecht, S. 41 ff.; weiter allerdings Krings, in: Friauf / - 5 - Der Petitionsadressat hat die Petition nicht nur entgegenzunehmen, sondern sich mit ihr auch zu befassen und sie zu bescheiden; einen Anspruch auf Vornahme der begehrten Handlung oder Unterlassung gewährt Art. 17 GG jedoch nicht.8 Wird ein bestimmter Bereich staatlich verwaltet, so sind die hierfür zuständigen staatlichen Stellen nach dem oben Gesagten zugleich „zuständige Stellen“ im Sinne des Art. 17 GG. Das heißt, der Einzelne kann sich gemäß dieser Vorschrift mit Bitten und Beschwerden an sie wenden. Darüber hinaus kann er sich, soweit eine Bundeszuständigkeit gegeben ist, auch an den Bundestag wenden. Hierbei lässt sich grundsätzlich zwischen zwei Arten von Petitionen unterscheiden: Zum einen kann er den Bundestag als „Kontrollorgan“ der Bundesexekutive ansprechen. Das ist der Fall, wenn er vom Bundestag Hilfe im Hinblick auf ein bestimmtes behördliches Handeln verlangt. Zum anderen kann er den Bundestag aber auch als Gesetzgeber ansprechen. Das ist der Fall, wenn ein bestimmtes behördliches Handeln oder Nichthandeln in den Augen des Bürgers nur Ausdruck einer unzureichenden Gesetzeslage ist.9 2.1.2. Auswirkungen von Privatisierungen auf die Einschlägigkeit der Tatbestandsmerkmale des Art. 17 GG 2.1.2.1. Die Merkmale „zuständige Stellen“ und „Volksvertretung“ Durch eine Privatisierung fallen zunächst „zuständige Stellen“ im Sinne des Art. 17 Variante 1 GG, nämlich die staatlichen Einrichtungen, die den nunmehr privatisierten Bereich verwaltet haben, weg.10 Die jetzt in diesem Bereich autonom agierenden Privaten sind keine Institutionen der Staatsorganisation mehr. Nicht verloren geht die Eigenschaft als „zuständige Stelle“ im Sinne des Art. 17 GG jedoch bereits dadurch, dass ein Träger öffentlicher Gewalt sich zur Erfüllung seiner Höfling, GG, Art. 17 Rn. 56, der die Zuständigkeitsbegrenzung nur für das „Wie“ der Erledigung, nicht für das „Ob“ der Befassung gelten lassen will; unklar BVerfG, NJW 1992, S. 3033 (3033), das einerseits von einer „formelle[n] Allzuständigkeit der Parlamente für alle in den Kompetenzbereich des Bundes oder der Länder fallenden Petitionen“ spricht, aber andererseits eben nur von „den“ Parlamenten , nicht von „jedem“ Parlament spricht. Das kann man auch so verstehen, dass die Volksvertretungen insgesamt für alles zuständig sind, dass es also nicht eine Angelegenheit gibt, die nicht in die Zuständigkeit irgendeiner Volksvertretung fiele. 8 BVerfGE 2, 225 (230); 13, 54 (90); Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 33; Krüger / Pagenkopf, in: Sachs, GG3, Art. 17 Rn. 8, 13; Dollinger, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 17 Rn. 12, 36 f.; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 47 ff.; Rauball, in: von Münch / Kunig, GG5, Art. 17 Rn. 14; Stein, in: Denninger u.a., AK-GG3, Art. 17 Rn. 28; Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 69 ff.; Stettner, in: Dolzer u.a., BK-GG, Art. 17 Rn. 79; Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 17 Rn. 5 ff. 9 Vgl. Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 28; Rauball, in: von Münch / Kunig, GG5, Art. 17 Rn. 10. 10 So wohl auch Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 31: beträchtliche Nebenfolgen für Kreis der Petitionsadressaten; vgl. ferner Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 52: Private kommen als „zuständige Stelle“ nicht in Betracht. - 6 - Aufgaben der Formen des Privatrechts bedient.11 Dies folgt schon aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG, wonach gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt schlechthin an die Grundrechte gebunden sind und nicht nur dann, wenn sie hoheitlich tätig werden. Darüber hinaus widerspräche es aber auch dem Sinn und Zweck des Art. 1 Abs. 3 GG, wenn der Staat sich durch eine „Flucht ins Privatrecht“ seiner Grundrechtsbindung entziehen könnte. Entsprechendes gilt, wenn Private mit der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe beliehen sind und die beleihende Stelle für die Eingabe aufgrund der Beleihung nicht mehr zuständig ist.12 Nur im Falle einer echten Privatisierung kommt es also zum Wegfall „zuständiger Stellen“ im Sinne des Art. 17 GG. Auch hier gilt aber zu beachten, dass, wenn nur teilweise privatisiert wird, es auch nur teilweise zu einem Wegfall „zuständiger Stellen“ kommt. Behält sich der Staat z.B. in Form einer Aufsichtsbehörde über den privatisierten Bereich eine Kontrollmöglichkeit vor, so ist diese Behörde „zuständige Stelle“ im Sinne des Art. 17 GG13 – freilich nur, soweit ihre Zuständigkeit reicht.14 Während die „zuständigen Stellen“ im Gefolge einer echten Privatisierung – wie gesehen – schlicht wegfallen und schon deshalb im Hinblick auf den privatisierten Bereich keine Petitionen gemäß Art. 17 Variante 1 GG mehr möglich sind, werden die Volksvertretungen in keiner Weise durch die Privatisierung in ihrem Bestand berührt. Sie stünden prinzipiell als Petitionsadressaten im Sinne des Art. 17 Variante 2 GG also noch zur Verfügung. Wenn trotzdem Ansicht vertreten wird, dass „[a]lles, was nunmehr in der privatrechtlich ausgestalteten Unternehmensstruktur wahrgenommen wird, … nicht mehr petitionsbelastet“ sei bzw. „aus der Kompetenz des Petitionsausschusses herausgefallen“ sei,15 kann dem nur ein schlüssiger Begründungsansatz zugrunde liegen : Dass es sich bei Bitten oder Beschwerden, die sich auf privatisierte Bereiche beziehen , nicht um „Bitten oder Beschwerden“ im Sinne des Art. 17 GG handelt. 11 Vgl. Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 54; Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 31; Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 45; Stettner, in: Dolzer u.a., BK-GG, Art. 17 Rn. 67. 12 So Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 52. 13 Vgl. Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 31. 14 Vgl. Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 68 im Hinblick auf die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post. Für den privatisierten Bereich wurde eine Schlichtungsstelle bei der Regulierungsbehörde eingerichtet, vgl. Krüger / Pagenkopf, in: Sachs, GG3, Art. 17 Rn. 11; zur Problematik der Postprivatisierung auch Schefold, NVwZ 2002, S. 1085 ff. 15 Krüger / Pagenkopf, in: Sachs, GG3, Art. 17 Rn. 11: „Aus der Kompetenz des Petitionsausschusses herausgefallen sind die nunmehr privatisierten Bereiche ehemaliger Hoheitsverwaltung wie Post und Bahn, … Alles, was nunmehr in der privatrechtlich ausgestalteten Unternehmensstruktur wahrgenommen wird, ist nicht mehr petitionsbelastet“; möglicherweise auch Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 54, 68: „Nimmt der Staat hingegen wie jeder andere Private am allgemeinen Wirtschaftsverkehr teil, beispielsweise auch in Form einer Beteiligung an einem privatwirtschaftlichen Unternehmen, so kann sein Handeln nicht Gegenstand einer Petition sein; das Petitionsrecht ist stets staatsgerichtet“ (Rn. 54). Denn das müsste erst Recht für privatautonomes Handeln Privater gelten, mit der Folge, dass ihr Handeln nicht Gegenstand einer Petition sein kann. - 7 - 2.1.2.2. Das Merkmal „Bitten oder Beschwerden“ Art. 17 GG spricht von „Bitten oder Beschwerden“, nicht von „Bitten oder Beschwerden , die sich auf staatliches Handeln beziehen“. Aus dem Wortlaut des Art. 17 GG ergibt sich also nicht, dass Verhalten von Privatpersonen nicht Gegenstand einer Petition sein kann. 2.1.2.2.1. Die Staatsgerichtetheit des Grundrechts (Art. 1 Abs. 3 GG) Möglicherweise folgt aus der in Art. 1 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebrachten Staatsgerichtetheit der Grundrechte, dass Verhalten von Privatpersonen nicht Gegenstand einer Petition sein kann.16 Aus der Staatsgerichtetheit der Grundrechte ergibt sich, dass Art. 17 GG nicht in einer Weise interpretiert werden darf, dass sich die aus diesem Grundrecht folgende Pflicht zur Befassung mit Petitionen – über die „zuständigen Stellen“ und die „Volksvertretung “ hinaus – auch auf Private erstreckt. Subsumiert man unter „Bitten oder Beschwerden “ auch Bitten und Beschwerden, die sich auf privates Verhalten beziehen, dann wird dadurch jedoch keinesfalls ein Privater zur Befassung mit der Petition verpflichtet . Allein dadurch, dass ein Privater Gegenstand der Befassungspflicht ist, wird er noch nicht zum Adressaten der Befassungspflicht. Zwar können aus der Befassung indirekt Pflichten für ihn resultieren. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Bundestag als Folge seiner Befassung mit der Petition zu dem Schluss kommt, dem Petenten helfen zu müssen und deshalb im Wege der Gesetzgebung Pflichten statuiert, die (auch) den Privaten treffen, dessen Verhalten Gegenstand der Petition war. Doch solche indirekten Rückwirkungen sind im grundrechtlichen Kontext nichts Außergewöhnliches. So erzeugt der Gesetzgeber bei Erfüllung seiner aus den Grundrechten abgeleiteten Pflicht, grundrechtlich geschützte Güter (auch) vor Beeinträchtigungen nicht grundrechtsgebundener Dritter zu schützen, ebenfalls häufig Pflichten für Private, ohne dass hiergegen das Argument der Staatsgerichtetheit der Grundrechte ins Feld geführt wird.17 Dabei sind die indirekten Rückwirkungen hier sogar noch größer und zwangsläufiger als beim Petitionsgrundrecht. Denn im Gegensatz zum Petitionsgrundrecht ist die Staatsgewalt bei den Schutzpflichten sogar verpflichtet, gegen die privaten Störer der grundrechtlich geschützten Güter vorzugehen. 16 Das dürfte wohl das Argument von Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 54, sein, wenn er unter Hinweis auf die Staatsgerichtetheit des Petitionsrechts zu dem Ergebnis kommt, dass, wenn der Staat „wie jeder andere Private“ am allgemeinen Wirtschaftsverkehr teilnehme, sein Handeln nicht Gegenstand einer Petition sein könne. Was für den Staat gilt, wenn er „wie jeder andere Private“ handelt, muss erst recht für Private selbst gelten. 17 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG2, Vorb. Rn. 101 ff. - 8 - Aus Art. 1 Abs. 3 GG ergibt sich also nicht, dass „Bitten oder Beschwerden“ sich nur auf staatliches Handeln beziehen können. 2.1.2.2.2. Das Erfordernis eines Petitums Wie gesehen, liegt sowohl eine „Bitte“ als auch eine „Beschwerde“ nach herrschender Ansicht nur vor, wenn der Private ein bestimmtes Verhalten des Petitonsadressaten verlangt (sog. Petitum). Das ist aber der Fall, wenn er sich an den Bundestag wendet und ihn auffordert, ihm gegenüber einem anderen Privaten zu helfen. 2.1.2.2.3. Sinn und Zweck des Petitionsgrundrechts Eine Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Bitte oder Beschwerde“ dahin gehend, dass sie nichts mit dem Verhalten Privater zu tun haben dürfen, ist dann geboten, wenn Art. 17 Variante 2 GG ausschließlich ein weiteres Mittel der parlamentarischen Kontrolle ist. Denn Gegenstand der parlamentarischen Kontrolle ist ausschließlich exekutives Handeln . Eine Beschränkung des Zwecks des Art. 17 Variante 2 GG auf die parlamentarische Kontrolle entspricht allerdings nicht der überwiegenden Ansicht. Hiernach flankiert und verstärkt Art. 17 GG zwar die Kontrolle des Parlaments über Regierung und vollziehende Gewalt.18 Darüber hinaus komme ihm aber auch eine Partizipations-, Integrationsund Informationsfunktion zu: Das Parlament soll erfahren, wo den Bürger „der Schuh drückt“; dieser soll sein „Herz ausschütten“ können.19 Diese Funktionen würden nur unvollkommen erreicht, wenn das Parlament sich auf die Befassung mit dem Verhalten der ihrer Kontrolle unterstehenden Exekutive beschränkte und sich der Befassung mit gesellschaftlichen Missständen, auf die der Bürger hinweist, verweigerte. Auch aus dem Sinn und Zweck des Petitionsrechts ergibt sich also nicht, dass Verhalten Privater nicht Gegenstand einer Petition sein kann. 2.1.2.2.4. Einschränkungen aus der Kompetenzordnung Nach Ansicht der herrschenden Meinung ergibt sich eine gegenständliche Einschränkung der Befassungspflicht der Volksvertretung aus der bundesstaatlichen Zuständigkeitsverteilung . Der Bundestag sei nicht für alle Angelegenheiten zuständig, sondern nur für solche, die in die Zuständigkeit des Bundes fallen.20 Falle die Angelegenheit hingegen in die Zuständigkeit der Länder, sei er nur zur Weiterleitung an die Volksver- 18 Vgl. Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 21. 19 Vgl. Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 4; ähnlich Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 13; Dollinger, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 17 Rn. 11; Stettner, in: Dolzer u.a., BK- GG, Art. 17 Rn. 24 f. 20 Siehe die Nachweise oben in Fn. 7. - 9 - tretung des zuständigen Landes verpflichtet.21 Es stellt sich die Frage, ob sich hieraus Einschränkungen im Hinblick auf die Pflicht des Bundestages ergeben, sich mit Bitten und Beschwerden zu befassen, die sich auf privates Verhalten beziehen. Die bundesstaatlichen Kompetenzverteilung ist in Art. 30, 70 ff., 83 ff., 92 ff. GG geregelt . Allerdings ist dort nirgends von der „Befassung mit Petitionen“ (oder ähnlichem) die Rede, sondern nur von „Gesetzgebung“, „Verwaltung“ und „Rechtsprechung“. Streng genommen würde daraus folgen, dass „Befassung mit Petitionen“ unter die Grundregel des Art. 30 GG fällt, mit der Folge, dass der Bundestag nie für die Befassung mit Petitionen (und damit natürlich auch nie mit solchen, die sich auf privates Verhalten beziehen) zuständig wäre. Das kann aber nicht richtig sein, da Art. 17 GG mit „Volksvertretung“ auch den Bundestag meint. Um dieses offensichtlich groteske Ergebnis zu vermeiden, könnte man überlegen, ob in Art. 17 Variante 2 GG selbst eine (stillschweigende) bundesstaatliche Zuständigkeitsregelung enthalten ist, die als lex specialis Art. 30 GG, was die Befassung mit Petitionen angeht, verdrängt. Folge dieser Interpretation wäre, dass sich jede Volksvertretung mit jeder Bitte und Beschwerde (und folglich auch mit jeder Bitte und Beschwerde, die sich auf privates Verhalten bezieht) befassen müsste.22 Eine solche Allzuständigkeit, wie sie etwa Krings vertritt,23 stößt jedoch auf mehrere Bedenken. Bereits im Wortlaut des Art. 17 GG klingt an, dass nicht jede Volksvertretung für alles zuständig sein soll. Denn es heißt „an die Volksvertretung“, nicht „an die Volksvertretungen“. Vor allem hätte ein Allzuständigkeit der Volksvertretung aber zur Folge, dass sie sich auch mit solchen Petitionen befassen müsste, bei denen sie dem Petenten, selbst wenn sie sein Petitum für begründet erachtet, in keiner Weise helfen kann. Denn dass aus Art. 17 GG keine Abhilfe - bzw. Erledigungskompetenz folgt, ist unbestritten.24 Es ist äußerst zweifelhaft, ob durch die Pflicht zur Befassung mit einer Petition, bei der der angeschriebene Petitionsadressat absolut nichts für den Petenten „bewegen“ kann, der Zweck des Petitionsgrundrechts noch erreicht wird. Das gilt selbst dann, wenn man das Zweck des Art. 17 GG schon dann als erfüllt ansieht, wenn der Bürger Gelegenheit hatte, sein „Herz auszuschütten “.25 Denn es dürfte – zumindest in der Regel – doch eher frustrierend sein gesagt zu bekommen, dass man mit seinem Anliegen zwar „an sich“ durchaus an der 21 Vgl. oben Fn. 4. 22 Dass nicht alles staatliche Handeln unter die Art. 70 ff., 83 ff. oder 92 ff. GG zu pressen ist, zeigt BVerfGE 105, 252 (270 f.) für das Informationshandeln der Bundesregierung; insbesondere bejaht das BVerfG hier parallele Zuständigkeiten (also im gewissen Sinne Allzuständigkeiten) von Bundesund Landesregierungen. 23 Vgl. Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 56 (der dabei allerdings das Problem der sich auf privates Verhalten beziehenden Petitionen offenbar nicht im Blick hat). 24 So betont insbesondere Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 56, dass zwischen dem „Ob“ der Befassung und dem „Wie“ der Erledigung getrennt werden müsse. 25 Vgl. hierzu Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 17 Rn. 1. - 10 - richtigen Stelle sei, diese aber mangels rechtlicher Möglichkeiten leider absolut nichts für einen tun könne. Einleuchtender erscheint es daher Erledigungs- und Befassungskompetenz miteinander zu verknüpfen: Kann die angeschriebene Volksvertretung dem Petenten in keiner Weise helfen – weder durch rechtlich bindende Maßnahmen noch durch die Ausübung (legalen ) politischen Drucks –, dann ist sie auch nicht verpflichtet, sich mit der Petition zu befassen (sondern nur dazu, sie an die zuständige Volksvertretung weiterzuleiten).26 Solche Grenzen der Befassungspflicht ergeben sich dann allerdings nicht nur aus den bundestaatlichen Kompetenznormen (wie es die herrschende Meinung wohl im Auge hat)27, sondern z.B. auch aus den Regeln über die horizontale Gewaltenteilung. Denn es kann keinen Unterschied machen, ob die angeschriebene Volksvertretung aus Gründen der vertikalen Gewaltenteilung (Bundesstaat), aus Gründen der horizontalen Gewaltenteilung (der Petent fordert die Aufhebung eines rechtskräftigen Urteils) oder aus anderen verfassungsrechtlichen Gründen nichts für ihn unternehmen kann.28 Im Hinblick auf Petitionen, mit denen vom Bundestag verlangt wird, das Verhalten anderer Privater zu steuern, ist also zu fragen, ob ihm Möglichkeiten zur Verfügung stehen, diesem Ansinnen in irgendeiner Weise nachzukommen. Nur soweit das der Fall ist, ist er zur Befassung mit solchen Petitionen verpflichtet. Auf privates Verhalten Einfluss nehmen kann der Bundestag als Gesetzgeber. Entsprechende Gesetzgebungskompetenzen ergeben sich aus Art. 73, 74 GG. Genannt seien hier nur Art. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (bürgerliches Recht) und Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft). Darüber hinaus steht dem Bundestag in seiner Funktion als verfassungsändernder Gesetzgeber bis zur Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG auch der Zugriff auf Materien offen, die nach Art. 70 Abs. 1 GG in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen. 26 A.A. wohl jene, die betonen, dass der Umstand, dass mit der Petition etwas Verbotenes verlangt wird, nicht ihrer Zulässigkeit entgegenstehe; möglicherweise haben viele dabei aber auch nur Verstöße gegen einfaches Recht, nicht eine verfassungsrechtliche Unmöglichkeit, im Blick (vgl. Stein, in: Denninger u.a., AK-GG3, Art. 17 Rn. 23 f.; Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 29). 27 Siehe nur Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 56, 58 f.: Beachtung der bundesstaatlichen Kompetenzordnung, jedoch nicht der horizontalen Kompetenzverteilung; nicht ganz klar Stettner, in: Dolzer u.a., BK-GG, Art. 17 Rn. 69, 82: nur Beachtung des föderalen Kompetenzrahmens , nicht aber des vertikalen (in Rn. 78 sagt er dann aber, dass Petitionen, die etwas rechtlich Verbotenes, z.B. die Aufhebung eines rechtskräftigen Urteils verlangen, unzulässig seien); wie hier die Einschätzung von Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 56. 28 Zu beachten ist allerdings, dass, wie gesagt, auch die Erzeugung legalen politischen Drucks eine Möglichkeit der Hilfe ist; völlig zutreffend insoweit deshalb Stettner, in: Dolzer u.a., BK-GG, Art. 17 Rn. 69, wenn er sagt, die Volkvertretung sei verpflichtet, auch über Petitionen zu entscheiden, obwohl sie aus Gründen der Gewaltenteilung hinsichtlich administrativer oder justizieller Belange keine bindenden Entscheidungen treffen könne, und Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 77, wenn er darauf hinweist, dass die Beschlüsse des Bundestages im Verhältnis zur Exekutive nur empfehlenden Charakter haben, gleichwohl aber (politisch) wirksam sein können. - 11 - Ausgeschlossen ist wegen Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG (und, soweit er nicht greift, Art. 3 Abs. 1 GG) jedoch in der Regel eine Steuerung privaten Verhaltens durch ein Einzelfall - bzw. Einzelpersonengesetz. Mit einer unmissverständlich hierauf gerichteten Petition , z.B. der Bundestag möge dem privaten Unternehmer X gesetzlich gebieten, dem Privaten Y eine bestimmte Leistung zu gewähren, muss er sich folglich nicht befassen. Fraglich ist, ob die Mittel des Bundestages zur Steuerung privaten Verhaltens sich in den skizzierten gesetzgeberischen Möglichkeiten erschöpfen. Denn auch auf das Verhalten der Exekutive kann der Bundestag schließlich nicht nur als Gesetzgeber einwirken , sondern auch dadurch, dass er z.B. durch rechtlich unverbindliche Parlamentsbeschlüsse politischen Druck ausübt. Die Frage ist, ob er auch gegenüber Privaten solche nichtregulativen Instrumente einsetzen darf. Ist das zu bejahen, wäre er auch zur Befassung mit Petitionen verpflichtet, mit denen begehrt wird, einen bestimmten Privaten X zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Hiergegen ist jedoch einzuwenden, dass die Ausübung politischen Drucks auf die Exekutive Teil einer vom Grundgesetz gewollten Kontrolle der Exekutive durch das Parlament ist. Eine vergleichbare Kontrollkompetenz des Parlaments gegenüber dem Individuum bzw. „der Gesellschaft“ lässt sich dem Grundgesetz aber nicht entnehmen. Dem Einzelnen im Einzelfall gegenüberzutreten ist - wie auch der oben erwähnte Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG bestätigt – vielmehr Aufgabe der Exekutive, das Parlament tritt dem Einzelnen als Gesetzgeber gegenüber. Der Bundestag würde dem Einzelnen durch einen Beschluss der oben erwähnten Art jedoch nicht nur unter Ausschaltung der an sich hierfür zuständigen Exekutive gegenüber treten und damit deren Aufgaben usurpieren. Vielmehr würde er es auch noch in einer Weise tun, wie es die eigentlich zuständige Exekutive nicht einmal tun könnte. Denn tritt die Exekutive dem Einzelnen fordernd gegenüber, so kann sie es wegen der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte in der Regel nur aufgrund eines Gesetzes tun. Der bloße Parlamentsbeschluss ist jedoch kein Gesetz und kann ihm auch nicht funktional gleichgestellt werden. Denn die Legitimation zur Freiheitsbeschränkung gewinnt das Gesetz nicht nur dadurch, dass es von der Volksvertretung verabschiedet wurde, sondern auch durch das spezielle Verfahren (Art. 76 ff GG), in dem es verabschiedet wurde. Selbst wenn man ihn aber insoweit dem Gesetz gleichstellen wollte, würde das nichts daran ändern, dass die – auch aus Gründen der Freiheitssicherung – an sich zwischen Gesetz und Einzelfall stehende Exekutive übersprungen und Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG umgangen wird. Der denkbare Einwand, dass faktischer Druck nicht mit rechtlichem Zwang ohne weiteres gleichgesetzt und damit auch nicht ohne denselben rechtlichen Regelungen, die für jenen gelten (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG, grundrechtliche Gesetzesvorbehalte), unterworfen werden kann, ist grundsätzlich sicherlich richtig. Doch kann er nicht mehr greifen, wenn faktischer Druck gezielt als Ersatz für nach diesen Regeln nicht möglichen rechtlichen Zwang eingesetzt - 12 - wird. „Durch Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents“ können diese Regeln nicht umgangen werden.29 2.1.2.2.5. Ergebnis Folglich bleibt es dabei, dass sich der Bundestag – zumindest grundsätzlich – mit Petitionen , die von ihm die Steuerung eines privaten Verhaltens begehren, nur befassen muss, wenn es sich um Bitten zur Gesetzgebung (einschließlich verfassungsändernder Gesetzgebung ) handelt bzw. sie sich als solche auslegen lassen. Im Ergebnis zutreffend werden diese Zusammenhänge von der Nr. 2.1. der „Grundsätze des Petitionsausschusses über die Behandlung von Bitten und Beschwerden (Verfahrensgrundsätze)“ eingefangen. „Beschwerden“ werden dort zwar - rein staatsbezogen – als „Beanstandungen, die sich gegen ein Handeln oder Unterlassen von staatlichen Organen, Behörden oder sonstigen Einrichtungen wenden, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen“, interpretiert. Doch bei den „Bitten“ wird – ohne gegenständliche Einschränkung – klargestellt, dass hierzu „insbesondere Vorschläge zur Gesetzgebung“ gehören. Soweit ein bislang staatlicher Bereich also privatisiert wird, hat das also die beschriebenen „einschränkenden“30 Rückwirkungen auf das Petitionsgrundrecht. Soweit der Staat allerdings weiterhin „seine Finger im Spiel“ hat, etwa in Form von Kontrolleinrichtungen , oder soweit er sich nur der Formen des Privatrechts bedient, liegt staatliches Verhalten vor, auf welches der Bundestag weitergehende – insbesondere politische – Einflussmöglichkeiten hat als auf privates Verhalten. Dann „erweitern“31 sich im entsprechenden Maße auch seine Petitionsbefassungspflichten. Es gilt das oben32 zum Vorliegen einer „zuständigen Stelle“ Gesagte entsprechend. 2.2. Der Petitionsinformationsanspruch des Bundestages bzw. seines Petitionsausschusses Art. 45c Abs. 2 GG ermächtigt den Bundesgesetzgeber, die Befugnisse des Petitionsausschusses im Hinblick zur Überprüfung von Beschwerden zu regeln. Davon hat dieser Gebrauch gemacht, indem er dem Petitionsausschuss in §§ 1, 2, 4 und 7 PetAG bestimmte Informationsrechte eingeräumt hat. Darüber hinaus leitet die herrschende Mei- 29 Das Zitat stammt aus BVerfGE 105, 279 (303): Dort hat das Bundesverfassungsgericht für von der der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ausgehende mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen entschieden: „Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt hierfür keine darüber [d.h. über die Aufgabe der Bundesregierung zur Staatsleitung, F.R.] hinausgehende besondere Ermächtigung durch den Gesetzgeber, es sei denn, die Maßnahme stellt sich nach der Zielsetzung und ihren Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme dar, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist. Durch Wahl eines solche funktionalen Äquivalents eines Eingriffs kann das Erfordernis einer besonderen gesetzlichen Grundlage nicht umgangen werden.“ 30 Streng genommen verändert sich das Petititonsgrundrecht natürlich gar nicht. Es passiert nur nicht mehr soviel, das in seinen Anwendungsbereich fällt. 31 Vgl. die Bemerkung in Fn. 30. 32 Unter 2.1.2.1. - 13 - nung unmittelbar aus Art. 17 GG einen Petitionsinformationsanspruch der Volksvertretung ab.33 Es fragt sich, welche Auswirkungen Privatisierungen auf die tatsächlichen Möglichkeiten, von diesen Rechten Gebrauch zu machen, haben. 2.2.1. Informationsansprüche aus §§ 1, 2, 4 und 7 PetAG Die Aktenvorlage-, Auskunftserteilungs- und Zutrittsrechte nach §§ 1 und 2 PetAG bestehen expressis verbis nur gegenüber der Bundesregierung, den Behörden des Bundes sowie gegenüber bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts in dem Umfang, in dem sie der Aufsicht der Bundesregierung unterstehen. Gegenüber Privatpersonen stehen dem Petitionsausschuss diese Rechte folglich nicht zu. Letzteres gilt selbstredend auch für das Recht auf Amtshilfe gegenüber Gerichten und Behörden nach § 7 PetAG. Gemäß § 4 PetAG kann der Petitionsausschuss zwar neben dem Petenten auch Zeugen und Sachverständige anhören. Diese Art der Informationsbeschaffung könnte auch von Nutzen sein, wenn er sich mit einer Petition befasst, die sich auf einen privatisierten Bereich bezieht. Allerdings folgt aus § 4 PetAG kein Recht, das Erscheinen oder die Aussage zu erzwingen.34 2.2.2. Informationsansprüche unmittelbar aus Art. 17 GG Wie gesagt, folgt nach einer weit verbreiteten Ansicht bereits unmittelbar aus Art. 17 GG ein Informationsrecht der Volksvertretung. Dieses soll aber nur gegen staatliche Stellen gerichtet sein,35 nicht gegen Private.36 Auch wenn man in Rechnung stellt, dass die herrschende Meinung dabei die oben aufgezeigten Möglichkeiten von Petitionen in privatisierten Bereichen übersehen hat, kommt eine Erweiterung des Kreises der zur Information Verpflichteten um Private nicht in Betracht. Denn schon die Ableitung eines Informationsrechts einer staatlichen Institution gegen eine andere staatliche Institution aus einem Grundrecht ist ein System- 33 So Dollinger, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 17 Rn. 38; Magiera, in: Sachs, GG3, Art. 45c Rn. 10; Stettner, in: Dolzer u.a., BK-GG, Art. 17 Rn. 82; Bauer, in: Dreier, GG2, Art. 17 Rn. 34; Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 17 Rn. 72; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 18, 62.; a.A. Krüger / Pagenkopf, in: Sachs, GG3, Art. 17 Rn. 8; Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 75. 34 Magiera, in: Sachs, GG3, Art. 45c Rn. 13. 35 Vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 17 Rn. 75; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 63; Magiera, in: Sachs, GG3, Art. 45c Rn. 10; Stettner, in: Dolzer u.a., BK-GG, Art. 17 Rn. 84. 36 Vgl. Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG4, Art. 17 Rn. 67 f. am Beispiel der Postprivatisierung ; Stettner, in: Dolzer u.a., BK-GG, Art. 17 Rn. 87; so auch Röper, Der Staat 1998, S. 249 (282 ff.); ders., ZParl 1999, S. 749 (759 ff.), der nur die rechtspolitische Forderung nach einer Ausweitung des Petitionsinformationsrechts auf Private, sofern sie in Bereichen der Daseinsvorsorge eine monopolartige Stellung besitzen, befürwortet. - 14 - bruch.37 Es wäre aber gewissermaßen ein doppelter Systembruch und eine völlige Umkehr der Wirkrichtung der Grundrechte, aus einem Grundrecht ein Recht einer staatlichen Institution gegenüber einem Privaten abzuleiten. 3. Parlamentarische Kontrolle „Parlamentarische Kontrolle“ ist Kontrolle der Regierung durch das Parlament, nicht Kontrolle der Gesellschaft durch das Parlament. In (wirklich) privatisierten Bereichen kann es also schon begrifflich keine parlamentarische Kontrolle mehr geben, es sei denn, die Regierung hat sich Einflussmöglichkeiten in diesen Bereichen vorbehalten. Dann bezieht sich die parlamentarische Kontrolle hierauf. Von der parlamentarischen Kontrolle „als solcher“ zu unterscheiden sind allerdings die verschiedenen Rechte bzw. rechtlichen Instrumentarien, die diesem Zwecke dienen. Diese können nämlich neben der parlamentarischen Kontrolle noch anderen Zwecken dienen, deren Erfüllung durch eine Privatisierung nicht obsolet geworden ist. Das soll im Folgenden anhand des Untersuchungsausschussrechts (Art. 44 GG) und der aus Art. 43 Abs. 1 bzw. Art. 38 Abs. 1 GG folgenden Informationsrechte gezeigt werden. 3.1. Untersuchungsausschuss (Art. 44 GG) Das Recht, „einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt“, ist schon nach dem Wortlaut des Art. 44 Abs. 1 GG nicht gegenständlich beschränkt und wird auch nicht so ausgelegt.38 Demgemäß können Untersuchungsausschüsse nicht nur zur Aufdeckung von Missbräuchen und sonstigen Unzulänglichkeiten im staatlichen Bereich – also zur parlamentarischen Kontrolle – eingesetzt werden (sog. Missstandsenqueten im engeren Sinne), sondern auch zur Aufdeckung von Missbräuchen und Unzulänglichkeiten im nichtstaatlichen Bereich des öffentlichen Lebens (sog. Skandalenqueten) sowie schlicht zur Informationsbeschaffung vor allem im Bereich der Gesetzgebung (sog. Sachstands- bzw. Gesetzgebungsenqueten). Privatisierte Bereiche sind dem parlamentarischen Untersuchungsausschussrecht also keineswegs schlechthin entzogen. Allerdings muss beachtet werden, dass die Durchführung von parlamentarischen Untersuchungen staatliches Handeln im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG ist und damit ihre Grenzen in den Grundrechten – durch die Beweiserhebung oder die Untersuchung als solche – Privater finden kann.39 Grundsätzlich sind Skandalenqueten zur Aufklärung von Miss- 37 Vgl. Krüger / Pagenkopf, in: Sachs, GG3, Art. 17 Rn. 8; Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 17 Rn. 75. 38 Vgl. (auch zum Folgenden) Magiera, in: Sachs, GG3, Art. 44 Rn. 4 ff. 39 Vgl. (auch zum Folgenden) Magiera, in: Sachs, GG3, Art. 44 Rn. 10. - 15 - ständen im gesellschaftlichen Bereich jedoch zulässig, wenn daran ein öffentliches Interesse von hinreichendem Gewicht besteht. Im Einzelfall muss unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geprüft werden, ob das Interesse der Allgemeinheit an einer parlamentarischen Untersuchung das Interesse des Einzelnen an dem grundrechtlichen Schutz seiner Privatsphäre überwiegt. 3.2. Sonstige parlamentarische Informationsrechte Aus Art. 43 Abs. 1 GG folgt nach herrschender Meinung eine Pflicht der Mitglieder der Bundesregierung, dem Bundestag und seinen Ausschüssen „Rede und Antwort“ zu stehen.40 Ferner wird aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ein Informationsanspruch des einzelnen Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung abgeleitet.41 Diese Ansprüche sollen einerseits zur Kontrolle der Regierung durch das Parlament beitragen.42 Insoweit kann ihr Gegenstand – jedenfalls grundsätzlich – nur exekutivisches Handeln sein. Privatisierte Bereiche fallen – soweit die Regierung sich hier nicht Einflussmöglichkeiten erhalten hat – somit aus dem Anwendungsbereich dieser Ansprüche heraus.43 Hinter diesen Rechten steht jedoch noch ein weiterer Zweck. Als Spitze der Bundesexekutive verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse, die den Abgeordneten nicht ohne weiteres zur Verfügung stehen, die ihnen aber bei ihrer parlamentarischen Arbeit (etwa bei der Gesetzgebung) von Nutzen sein können. Über die genannten Informationsrechte wird dem Parlament ein Zugang zu diesen Erkenntnissen verschafft.44 Unter diesem Aspekt können auch Erkenntnisse über Vorgänge oder Zustände in privatisierten Bereichen Gegenstand der Informationsrechte sein, vorausgesetzt die Bundesregierung verfügt über die solche Erkenntnisse. ( ) 40 Vgl. Magiera, in: Sachs, GG3, Art. 43 Rn. 6. 41 Vgl. Magiera, in: Sachs, GG3, Art. 38 Rn. 41. 42 Vgl. Schreiber, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 38 Rn. 117. 43 Vgl. das als Anlage beigefügte Gutachten von Magiera. 44 Vgl. BVerfGE 70, 324 (355 f.); Schreiber, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 38 Rn. 117. - 16 - 4. Literaturverzeichnis − Denninger, Erhard u.a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, AK-GG, Reihe Alternativkommentare, 3. Auflage, Neuwied u.a., Loseblatt, Stand (Grundwerk) 2001. − Dolzer, Rudolf u.a. (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Heidelberg, Loseblatt, Stand (Grundwerk) 2004. − Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, Präambel, Artikel 1-19, 2. Auflage, Tübingen 2004. − Friauf, Karl Heinrich / Höfling, Wolfram (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Berlin, Loseblatt, Stand (Grundwerk) 2000. − Mangoldt, Hermann von / Klein, Friedrich / Starck, Christian, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, 4. Auflage, Band 1: Präambel, Artikel 1 bis 19, München 1999. − Maunz, Theodor / Dürig, Günter, Grundgesetz, Kommentar, München, Loseblatt, Stand (Grundwerk) 2003. − Münch, Ingo von / Kunig, Philip (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 5. Auflage, Band 1 (Prämbel bis Art. 19), München 2002. − Röper, Erich, Parlamentarische Kontrolle privatisierter öffentlicher Daseinsvorsorge , in: Der Staat 37 (1998), S. 249 ff. − Ders., Petitionsrecht und Privatisierung – ein Spannungsverhältnis, in: ZParl 1999, S. 748 ff. − Sachs, Michael (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Auflage, München 2003. − Schefold. Dian, Privatisierung und Petitionsinformationsrecht, in: NVwZ 2002, S. 1085 ff. − Umbach, Dieter C. / Clemens, Thomas (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Band I, Art. 1 – 37 GG, Heidelberg 2002. − Vitzthum, Wolfgang Graf, Petitionsrecht und Volksvertretung, Zu Inhalt und Schranken es parlamentarischen Petitionsbehandlungsrechts, Rheinbreitbach 1985. 5. Anlage − Magiera, Siegfried, Gutachten zum Thema „Parlamentarische Kontrolle (teil-) privatisierter Bundesunternehmen.“