© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 010/21 Verfassungsrechtliche Aspekte der sogenannten 15-Kilometer-Regel Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 010/21 Seite 2 Verfassungsrechtliche Aspekte der sogenannten 15-Kilometer-Regel Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 010/21 Abschluss der Arbeit: 20. Januar 2021 (auch letzter Abruf der Internet-Quellen) Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 010/21 Seite 3 1. Einleitung Am 5. Januar 2021 haben sich die Bundesregierung und die Landesregierungen auf weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verständigt.1 Dabei wurde unter anderem beschlossen, dass die Länder für Landkreise mit einer 7-Tages-Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern weitere lokale Maßnahmen ergreifen, insbesondere eine Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den Wohnort. Im neuen Bund-Länder-Beschluss vom 19. Januar 2021 ist diese Maßnahme nicht mehr genannt.2 Die Länder haben den Beschluss vom 5. Januar 2021 im Wege der Rechtsverordnung in unterschiedlicher Weise umgesetzt (Stand: 20. Januar 2021). So verbietet etwa Brandenburg – bei einer entsprechenden Inzidenz – den Aufenthalt im öffentlichen Raum zur Ausübung von Sport oder zur Bewegung an der frischen Luft außerhalb der 15-Kilometer-Grenze.3 Das Saarland hingegen verbietet „tagestouristische Ausflüge“.4 In Berlin ist das Verlassen des Stadtgebiets nur bis zu einer Grenze von 15 Kilometern erlaubt.5 Auch die Frage, ab welchem Punkt die Bemessung der 15 Kilometer erfolgt, wird unterschiedlich gehandhabt. Während einige Länder die Bemessung ab der Wohnadresse bzw. der Adresse des gewöhnlichen Aufenthalts vornehmen (so etwa das Saarland), erfolgt die Bemessung in anderen Ländern ab der Grenze des jeweiligen Landkreises oder der kreisfreien Stadt (so etwa in Brandenburg ). In einigen Bundesländern wird es den Kommunen überlassen, entsprechende Regelungen durch Allgemeinverfügung zu erlassen.6 Einzelne Länder wollen bislang völlig auf 15-Kilometer-Regeln 1 Der Beschluss ist abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/resource /blob/997532/1834306/75346aa9bba1050fec8025b18a4bb1a3/2021-01-05-beschluss-mpk-data.pdf?download=1. 2 Siehe https://www.bundesregierung.de/resource /blob/997532/1840868/1c68fcd2008b53cf12691162bf20626f/2021-01-19-mpk-data.pdf?download=1. 3 § 4 Abs. 2 Vierte Verordnung über befristete Eindämmungsmaßnahmen aufgrund des SARS-CoV-2-Virus und COVID-19 im Land Brandenburg (Vierte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung - 4. SARS-CoV-2-EindV) vom 8. Januar 2021 (GVBl. II, Nr. 3, S. 1). Allerdings ist in Brandenburg der Aufenthalt im öffentlichen Raum nach § 4 Abs. 1 der Verordnung ohnehin nur zu bestimmten, ausdrücklich genannten Zwecken erlaubt. 4 § 13 Abs. 1 Verordnung zur Änderung infektionsrechtlicher Verordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 8. Januar 2021 (ABl. I, Nr. 1, S. 2). 5 § 2 Abs. 1a SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 12. Januar 2021 (GVBl. Nr. 3, S. 26). 6 Siehe etwa für Niedersachsen § 18 S. 3 Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2, in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 8. Januar 2021 (GVBl. Nr. 1, S. 3). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 010/21 Seite 4 verzichten. So weist etwa die Baden-Württembergische Landesregierung darauf hin, dass solche Regelungen nicht den gewünschten Effekt hätten.7 Die Ausarbeitung befasst sich mit verfassungsrechtlichen Aspekten der 15-Kilometer-Regelungen. Aufgrund der Tatsache, dass es sich um rein landesrechtliche Vorschriften handelt und diese sich zudem wesentlich voneinander unterscheiden, kann allerdings keine umfassende verfassungsrechtliche Prüfung erfolgen. Zudem wurden wesentliche Punkte zu Mobilitätsbeschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie bereits in der Ausarbeitung Regionale Ausreisesperren als Maßnahme zur Pandemiebekämpfung, WD 3 - 3000 - 175/20, Anlage, behandelt. Dort sind unter anderem bereits die (je nach Ausgestaltung der Regelung) möglicherweise betroffenen Grundrechte aufgeführt, beispielsweise die Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Die Arbeit enthält grundsätzliche Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit von Mobilitätsbeschränkungen , auch in Bezug auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG.8 Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf weitergehende Anmerkungen. 2. Ermächtigungsgrundlage Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sind § 28 Abs. 1 und § 28a Abs. 1 IfSG. Nach § 32 IfSG können die Maßnahmen auch im Wege der Rechtsverordnung erlassen werden. Der § 28a Abs. 1 IfSG sieht in seinen einzelnen Nummern Regelbeispiele vor. Fraglich ist, unter welche Regelbeispiele die 15-Kilometer-Regeln gefasst werden können.9 Eine Regelung, die Sport und Bewegung an frischer Luft betrifft, dürfte unter die Nr. 8 fallen, die eine Untersagung oder Beschränkung der Sportausübung ermöglicht. Regelungen, die tagestouristische Ausflüge oder das Verlassen der 15-Kilometer-Grenze insgesamt untersagen, können möglicherweise unter Nr. 11 (Untersagung oder Beschränkung von Reisen) gefasst werden. Zum Teil wird von der Rechtswissenschaft auch die Nr. 3 (Ausgangsbeschränkungen) als Ermächtigungsgrundlage angenommen.10 7 Siehe https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/aktuelle-infos-zu-corona/aktuelle-corona-verordnungdes -landes-baden-wuerttemberg/. 8 Zu beachten ist, dass zum Zeitpunkt der beigefügten Ausarbeitung der § 28a IfSG noch nicht existiert hat. Die Ausarbeitung diskutiert daher die Frage, ob Mobilitätsbeschränkungen auf die Generalklausel des § 28 IfSG gestützt werden können. Diese Diskussion hat sich durch die Einführung von § 28a IfSG im Wesentlichen erledigt. 9 Soweit ersichtlich, zitieren die Rechtsverordnungen jeweils den § 28a Abs. 1 IfSG, ohne einzelne Nummern anzugeben . 10 So Kingreen, siehe Spiegel Online vom 7. Januar 2021, „Lokales Fehlverhalten, pauschale Verbote“, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/corona-massnahmen-ist-der-15-kilometer-radius-rechtmaessig-a- 5b053df8-34f9-457e-8c35-eef4c1de4c79. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 010/21 Seite 5 3. Verhältnismäßigkeit Einschränkungen der Bewegungsfreiheit greifen in Grundrechte ein (siehe dazu die oben genannte Ausarbeitung). Sie müssen daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dies setzt voraus, dass sie ein legitimes Ziel in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise verfolgen.11 3.1. Legitimer Zweck Die einzelnen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sollen dem Schutz der Gesundheit und des Lebens der Bevölkerung sowie der Verhinderung einer Überlastung des Gesundheitssystems dienen. Dabei handelt es sich um legitime Zwecke für Grundrechtseingriffe.12 3.2. Geeignetheit Die Mobilitätsbeschränkungen müssten zum Erreichen des legitimen Zwecks geeignet sein. Ausreichend ist dabei bereits, dass der Zweck gefördert wird.13 Dem Staat kommt bei der Beurteilung der Geeignetheit einer Maßnahme ein Einschätzungsspielraum zu.14 Das Coronavirus überträgt sich nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen vor allem durch soziale Kontakte. Daher sind Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, soziale Kontakte zu verringern oder zu verhindern, grundsätzlich geeignet, die Gesundheit der Bevölkerung und das Funktionieren des Gesundheitssystems zu schützen. Gleiches gilt für Maßnahmen, durch die im Falle eines Kontakts die Ansteckungsgefahr verringert wird. Ob eine 15-Kilometer-Regel tatsächlich zu einer Reduzierung der Infektionsgefahr führt, hängt von ihrer genauen Ausgestaltung ab. Problematisch könnten in dieser Hinsicht Regelungen sein, die Aktivitäten im Freien verbieten. Wissenschaftlichen Studien zufolge ist die Ansteckungsgefahr im Freien um ein Vielfaches geringer als in geschlossenen Räumen.15 Die Geeignetheit der 15-Kilometer -Regelungen erscheint auch deshalb bedenklich, weil die Mobilitätsbeschränkung zwangsläufig dazu führen kann, dass die untersagten Tätigkeiten innerhalb des erlaubten Gebiets vorgenommen werden. Dies kann sogar ein höheres Infektionsrisiko darstellen, weil sich die Menschen weniger verteilen. 11 Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 314. 12 Vgl. etwa BVerfG, NVwZ 2020, 1040 (1041). 13 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 92. EL August 2020, Art. 20 VII Rn. 112. 14 Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 45. Edition Stand: 15. November 2020, Art. 20 Rn. 195. 15 Vgl. etwa Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, „Inzidenz“, 17. Januar 2021, S. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 010/21 Seite 6 Sollte es bei der Reglung darauf ankommen, große Ansammlungen von Menschen an bestimmten Ausflugs- oder Wintersportzielen zu vermeiden, von denen in den letzten Wochen berichtet wurde,16 könnte eine Schließung dieser Stätten bzw. ein Verbot des Aufenthalts an diesen Orten geeigneter sein.17 Durch diese Maßnahmen würden auch die Personen, die innerhalb der 15-Kilometer-Grenze leben, davon abgehalten werden, sich an diesen Zielen aufzuhalten. Geht man davon aus, dass Mobilitätsbeschränkungen grundsätzlich geeignet zur Pandemiebekämpfung sind, da sie eine Verbreitung der Krankheit in andere Regionen unterbinden können, so steht zu bedenken, dass die Beschränkungen im Wesentlichen nur dann eine Wirkung zeigen können, wenn die Gebiete, zwischen denen die Personen sich ohne die Regelungen bewegen könnten, eine erheblich unterschiedliche Infektionsrate aufweisen. In Gegenden mit ähnlich hohen Infektionsraten besteht kein wesentlicher Unterschied, ob sich Personen innerhalb oder außerhalb der 15- Kilometer-Grenze bewegen.18 Die Rechtsprechung hat sich bereits zu 15-Kilometer-Regeln geäußert und ist dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Eine im Frühjahr 2020 in Sachsen eingeführte Regelung, wonach Sport und Bewegung im Freien vorrangig im Umfeld des Wohnbereichs erfolgen müsse, wurde zum damaligen Zeitpunkt vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Bautzen bestätigt.19 Das Gericht bemaß das „Umfeld des Wohnbereichs“ mit etwa 10 bis 15 Kilometern. Das Gericht war der Ansicht, dass dem Ziel, „eine durch massenhafte Reise- und Ausflugstätigkeit verursachte Ansteckungsgefahr möglichst zu vermeiden“, durch die Regelung Rechnung getragen werde. Die aktuelle Regelung aus Brandenburg, die ebenfalls Sport und Bewegung im Freien betrifft, wurde im Eilverfahren durch das OVG Berlin-Brandenburg bestätigt.20 Die Maßnahme sei dem Ziel, die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen, jedenfalls förderlich, auch wenn die von den eingeschränkten Tätigkeiten ausgehende Ansteckungsgefahr gering sein könnte. Das Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden hat hingegen einem Eilantrag gegen die durch Allgemeinverfügung ergangene Beschränkung für 16 Siehe etwa zdf.de, „Deutsche Skigebiete überfüllt – Rodeln trotz Corona-Shutdown“, 2. Januar 2021, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-skigebiet-ueberfuellt-winterberg-100.html. 17 So auch Kingreen, Spiegel Online vom 7. Januar 2021, „Lokales Fehlverhalten, pauschale Verbote“, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/corona-massnahmen-ist-der-15-kilometer-radius-rechtmaessig-a- 5b053df8-34f9-457e-8c35-eef4c1de4c79. 18 So auch Volkmann, Hessenschau.de, „Verfassungsexperte bezweifelt Rechtmäßigkeit der 15-km-Regel“, 8. Januar 2021, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/interview-verfassungsexperte-bezweifelt-rechtmaessigkeit-der- 15-km-regel,corona-15-kilometer-regel-100.html. 19 Beschluss vom 7. April 2020, 3 B 111/20, COVuR 2020, 41. 20 Beschluss vom 14. Januar 2021, 11 S 3/21. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 010/21 Seite 7 tagestouristische Ausflüge im Landkreis Limburg-Weilburg stattgegeben.21 Das Gericht äußerte ernsthafte Zweifel an der Effektivität der Maßnahme.22 3.3. Erforderlichkeit Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn kein weniger belastendes Mittel zur Verfügung steht, das dem Zweck der Maßnahme in gleicher Weise dient.23 Auch bei dieser Frage steht dem Gesetzbzw . Verordnungsgeber ein Einschätzungsspielraum zu.24 Bei den Regelungen, die touristische Ausflüge verbieten, käme als milderes Mittel die bereits oben erwähnte Schließung von besonders stark frequentierten Zielen bzw. ein Aufenthaltsverbot in Betracht .25 Auf diese Weise blieben Ausflüge zu wenig besuchten Zielen, an denen daher ein geringeres Infektionsrisiko herrscht, weiterhin möglich. Ob auf diese Weise das Ziel der Regelungen in gleicher Weise gefördert werden könnte, lässt sich an dieser Stelle allerdings nicht beurteilen. Problematisch in Bezug auf die Erforderlichkeit sind insbesondere Regelungen, die ein Verlassen der 15-Kilometer-Grenze vollständig untersagen, ohne nach der angestrebten Tätigkeit zu differenzieren . Das Infektionsrisiko ist abhängig davon, ob eine Person mit anderen Personen in Kontakt kommt. Beispielsweise dürfte von jemandem, der alleine einen Waldspaziergang unternimmt und dazu mit dem eigenen Fahrzeug anreist, kein Infektionsrisiko ausgehen. Zwar können Gesetze und Rechtsverordnungen nicht jeden denkbaren Einzelfall gesondert regeln; allerdings erscheint es in einem solchen Fall, in dem die Gefahrenlage gerade von der Art der Handlung abhängt, nicht verhältnismäßig , wenn keine Differenzierung der Mobilitätsbeschränkung nach der mit der Fortbewegung bezweckten Handlung vorgenommen wird. Es wäre ein wesentlich milderes Mittel, wenn Handlungen, von denen kein ernstzunehmendes Infektionsrisiko ausgeht, von der Beschränkung ausgenommen würden. 3.4. Angemessenheit Die Angemessenheit einer Maßnahme ist gewahrt, wenn der Grundrechtseingriff nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck steht.26 Es ist somit zu prüfen, ob die Schwere des Eingriffs, d.h. der Nachteil für die Betroffenen, noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht und der 21 Beschluss vom 15. Januar 2021, 7 L 31/21.WI, noch nicht veröffentlicht. 22 Pressemitteilung des VG Wiesbaden vom 19. Januar 2021, abrufbar unter https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen .de/pressemitteilungen/allgemeinverf%C3%BCgung-des-landkreises-limburg-weilburg-teilweise-rechtswidrig. 23 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 314. 24 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 316; siehe in Bezug auf Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie beispielsweise OVG Greifswald, Beschluss vom 8. April 2020, 2 KM 236/20, BeckRS 2020, 5637 Rn. 24. 25 So auch VG Wiesbaden, Beschluss vom 15. Januar 2021, 7 L 31/21.WI, noch nicht veröffentlicht. 26 BVerfGE 50, 217 (227); 80, 103 (107); 99, 202 (212 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 010/21 Seite 8 Dringlichkeit der durch die Maßnahme geförderten Gemeinwohlbelange steht.27 Dabei ist neben der Wertigkeit der jeweiligen Rechte, Rechtsgüter oder sonstigen Belange auch der Grad ihrer Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Die Beurteilung der Angemessenheit ist zum einen von der Ausgestaltung der konkreten Regelung abhängig. Während eine Regelung, die nur die sportliche Betätigung außerhalb der 15-Kilometer- Grenze verbietet, eher geringfügig in Grundrechte eingreift,28 ist eine Regelung, die das Verlassen des eingegrenzten Gebiets völlig verbietet, sehr einschneidend. Des Weiteren hängt die Frage, ob die Grundrechte des Einzelnen das Interesse des Staates überwiegen, bei Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie vom aktuellen (regionalen) Infektionsgeschehen, der Zahl der Toten und der Belastung des Gesundheitssystems ab. Eine abstrakte Beurteilung kann daher nicht erfolgen. Grundsätzlich ist Folgendes zu beachten: Den Staat trifft eine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bevölkerung, welche sich auch in dem Anspruch auf Schutz vor Infektionskrankheiten konkretisiert .29 Durch die 15-Kilometer-Regeln beabsichtigen die Verordnungsgeber, diese Schutzpflicht für Leben und Gesundheit zu erfüllen, und damit zwei der höchsten Rechtsgüter30 zu schützen. Der Schutz dieser Rechtsgüter dürfte grundsätzlich auch empfindliche Grundrechtseingriffe rechtfertigen . Bezüglich der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie hat die Rechtsprechung bisher in einer Vielzahl von Fällen entschieden, dass die Grundrechte des Einzelnen zurücktreten müssen.31 4. Gleichbehandlung Das allgemeine Gleichheitsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG verbietet eine Ungleichbehandlung von „wesentlich gleichen“ Sachverhalten, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist.32 Grundsätze zum Gleichheitsgebot in Bezug auf Mobilitätsbeschränkungen wurden schon in der beigefügten Ausarbeitung geprüft. Im Folgenden wird daher nur auf Besonderheiten eingegangen, die sich bei den 15-Kilometer-Regeln ergeben. Bei Regelungen, bei denen die 15 Kilometer ab der Wohnadresse berechnet werden, kann es insbesondere zu einer Ungleichbehandlung von Stadt- und Landbewohnern kommen. Ein Stadtbewohner hat innerhalb eines Radius von 15 Kilometern üblicherweise mehr Handlungsmöglichkeiten als ein Landbewohner. Ob es zu einer Ungleichbehandlung kommt, hängt allerdings davon ab, welche Tätigkeiten durch die Regelung eingeschränkt sind. Wenn nur eine sportliche Betätigung außerhalb der 15-Kilometer-Grenze untersagt ist, schränkt dies die Einwohner auf dem Land grundsätzlich nicht stärker ein als die Stadtbewohner. Verbietet die Vorschrift das Überschreiten der 15-Kilometer- 27 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 92. EL August 2020, Art. 20 VII, Rn. 117. 28 Siehe dazu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Januar 2021, 11 S 3/21, juris Rn. 24 f. 29 OVG Greifswald, Beschluss vom 8.4.2020, 2 KM 236/20, BeckRS 2020, 5637 Rn. 29. 30 BVerfGE 39, 1 (42): „Das menschliche Leben stellt, wie nicht näher begründet werden muss, innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte.“ 31 Siehe etwa Bayerischer VGH, Beschluss vom 14. Dezember 2020, 20 NE 20.2907, juris Rn. 42; OVG Berlin-Brandenburg , Beschluss vom 14. Januar 2021, 11 S 3/21, juris Rn. 25. 32 Kischel, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 45. Edition Stand: 15. November 2020, Art. 3 Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 010/21 Seite 9 Grenze vollständig, stellt dies für Landbewohner eine erheblich stärkere Einschränkung dar. Diese erscheint nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt, denn die Infektionsgefahr dürfte aufgrund der Bevölkerungsdichte in Städten wesentlich höher sein. Ebenfalls problematisch sind Regelungen, die die Berechnung des Radius ab der Grenze des jeweiligen Landkreises oder der kreisfreien Stadt vornehmen. Bei einer solchen Regelung hängt der zulässige Bewegungsradius von der Größe des betreffenden Gebiets ab. Sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung zwischen größeren und kleineren Gebieten sind nicht ersichtlich, da das Infektionsrisiko in keiner Verbindung zur Größe des Gebiets, sondern nur zur Bevölkerungsdichte steht. ***