© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 009/18 Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 009/18 Seite 2 Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 009/18 Abschluss der Arbeit: 09.01.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 009/18 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand thematisiert die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages. Er zeigt weiterhin Beispiele für gekündigte völkerrechtliche Verträge sowie für parlamentarische Anträge auf, die die Kündigung entsprechender Verträge zum Ziel hatten. 2. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen Nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der h.M. in der juristischen Literatur ziehen einseitige völkerrechtliche Akte keine Zustimmungspflicht gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG nach sich. Zu den einseitigen völkerrechtlichen Akten zählt auch die Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages.1 Lediglich von einzelnen Literaturstimmen wird hingegen gefordert, dass für die Kündigung von Verträgen im Sinne des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG auch die Beteiligung des Gesetzgebers erforderlich ist.2 Die Kündigung fällt in die Kompetenz der Bundesregierung . 3. Beispiele für gekündigte Verträge Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, bestehen folgende Beispiele für gekündigte völkerrechtliche Verträge: - Internationaler Vertrag betreffend die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee außerhalb der Küstengewässer, vom 6. Mai 1882 (RGBl. 1884 II S. 55), mit Zusatzabkommen , vom 3. Juni 1955 (BGBl. II 1957, S. 213), am 23. August 1969 gekündigt (BGBl. II 1977, S. 16); - Internationale Übereinkunft zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebs unzüchtiger Veröffentlichungen, vom 12. September 1923 (RGBl. 1925 II S. 287), am 25. Januar 1974 gekündigt (BGBl. II 1974, S. 912); - Übereinkommen Nr. 96 der Internationalen Arbeitsorganisation über Büros für entgeltliche Arbeitsvermittlung, vom 1. Juli 1949 (BGBl. II 1954, S. 456), am 10. Juli 1992 gekündigt (BGBl. II 1994, S. 387); 1 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 2 BvL 1/12 –, juris Rn. 55; BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1984 – 2 BvE 13/83 –, juris Rn. 131 ff; Butzer/Haas, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, 13. Aufl. 2014, Art. 59 GG Rn. 66 m.w.N. 2 Vgl. etwa: Nettesheim, in: Maunz/Dürig, 81. EL September 2017 Art. 59 GG Rn. 140; Ehm, Die Beteiligung des Bundestags bei der Kündigung völkerrechtlicher Verträge (BLJ 2012, 45), S. 50, abrufbar unter: http://law-journal .de/archiv/jahrgang-2012/heft-2/die-beteiligung-des-bundestags-bei-der-kundigung-volkerrechtlicher-vertrage / (Stand: 08.01.2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 009/18 Seite 4 - Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern, vom 6. Mai 1963 (BGBl. II 1969, S. 1954), am 21. Dezember 2001 gekündigt (BGBl. II 2002, S. 171); - Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der Föderativen Republik Brasilien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, vom 27. Juni 1975 (BGBl. II 1975, S. 2246), am 7. April 2005 gekündigt (BGBl. II 2005, S. 599); - Übereinkommen über einen Verhaltenskodex für Linienkonferenzen, vom 6. April 1974 (BGBl. II 1983, S. 62, 64), am 26. September 2007 gekündigt (BGBl. II 2009, S. 712); - Übereinkommen Nr. 45 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Beschäftigung von Frauen bei Untertagearbeiten in Bergwerken jeder Art, vom 21. Juni 1935 (BGBl. II 1954, S. 624, 625), am 25. April 2008 gekündigt (BGBl. II 2010, S. 634); - Abkommen zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige, vom 12. Juni 1902 (RGBl. 1904 S. 240) u. Protokoll über den Beitritt zu diesem Abkommen, vom 28. November 1923 (RGBl. 1924 II S. 363, 366), am 27. November 2008 gekündigt (BGBl. II 2009, S. 290).3 4. Beispiele für Anträge auf Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages Als Beispiele für Anträge auf Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages, die im Bundestag eingebracht wurden, können angeführt werden: - Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN vom 17.05.1988 mit dem Titel: „Aufkündigung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika“, Drucksache 11/2310 Anlage 1 - Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 24.09.2014 mit dem Titel: „Kündigung des bilateralen Atomabkommens mit Brasilien“, Drucksache 18/2610 Anlage 2 - Antrag der Fraktion DIE LINKE. vom 02.06.2016 mit dem Titel: „Die NATO durch ein kollektives System für Frieden und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands ersetzen “, Drucksache 18/8656 Anlage 3 3 Die Aufzählung ist entnommen bei: Ehm, Die Beteiligung des Bundestags bei der Kündigung völkerrechtlicher Verträge (BLJ 2012, 45), Fn. 5 abrufbar unter: http://law-journal.de/archiv/jahrgang-2012/heft-2/die-beteiligungdes -bundestags-bei-der-kundigung-volkerrechtlicher-vertrage/ (Stand: 08.01.2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 009/18 Seite 5 - Antrag der Fraktion DIE LINKE. vom 21.03.2017 mit dem Titel: „EU-Förderung von Atomenergie stoppen - EURATOM-Vertrag beenden“, Drucksache 18/11595 Anlage 4 Die Aufzählung zeigt lediglich Beispiele auf, ohne den Anspruch der Vollständigkeit zu erheben. Sämtliche aufgezeigten Anträge wurden abgelehnt. ***