Deutscher Bundestag Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der gesetzlichen Begrenzung von Mieterhöhungen bei Neuvertragsmieten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 009/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 009/13 Seite 2 Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der gesetzlichen Begrenzung von Mieterhöhungen bei Neuvertragsmieten Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 009/13 Abschluss der Arbeit: 29. Januar 2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 009/13 Seite 3 1. Einleitung In den letzten Jahren wird vermieteter Wohnraum zumindest in den deutschen Ballungszentren immer teurer. Dies betrifft insbesondere Neuvermietungen bereits bestehenden, nicht preisgebundenen Wohnraums.1 Hier greifen die gesetzlichen Grenzen für eine Mieterhöhung in den §§ 557 ff. BGB2 nicht, die den Anstieg bei Bestandsmieten auf maximal 20 % innerhalb von drei Jahren begrenzen (§ 558 Abs. 3 BGB). Für den Abschluss von neuen Mietverträgen gelten nur die allgemeinen vertragsrechtlichen Bedingungen, so dass ein Mietvertrag wegen Mietwuchers gegen § 138 BGB verstoßen und damit nichtig sein könnte. Ferner können Vermieter, wenn sie unter Ausnutzung des Wohnungsmangels handeln und einen Mietzins verlangen, der 20% über der Vergleichsmiete3 liegt, ordnungswidrig (§ 5 WiStrG4) handeln oder sich bei einem Übersteigen um 50 %5 sogar wegen Mietwuchers strafbar machen (§ 291 StGB6). In der folgenden Ausarbeitung wird geprüft, ob es verfassungsrechtlich zulässig wäre, für Neuvermietungen von Wohnraum eine gesetzliche Begrenzung der Miethöhe einzuführen, die sich an den ortsüblichen Vergleichsmieten oder ähnlichen Parametern orientieren muss. 2. Vereinbarkeit einer Begrenzung der Miethöhe bei Neuvermietungen mit dem Recht auf Eigentum, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG Eine gesetzliche Begrenzung der Miethöhe bei der Neuvermietung von Wohnungen könnte das Recht auf Eigentum, das Art. 14 GG gewährleistet, verletzen. Das Eigentumsrecht schützt das Recht am Eigentum von Grund und Boden; Wohneigentum ist von diesem Recht umfasst7. Eine Begrenzung der Miethöhe bei Neuvermietungen schränkt den Eigentümer bei der wirtschaftlichen Verwertung seines Eigentums ein. Dies könnte als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG aber gerechtfertigt sein. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG stellt den Gebrauch des Eigentums in den Dienst des „Wohles der Allgemeinheit “. Daher geht die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung um 1 Tabelle Nettokaltmieten bei Neuvermietungen auf der Grundlage des F+B Mietenbarometer Wohnen 2012, im Internet abrufbar unter: http://www1.wdr.de/themen/politik/mieten100.html sowie die Tabelle als Anlage 1. 2 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2749) geändert worden ist. 3 BGH, Urt. v. 28.01.2004 - VIII ZR 190/03 - ZMR 2004, 410 und BGH, Urt. v. 13.04.2005 - VIII ZR 44/04 - ZMR 2005, 530. 4 Wirtschaftsstrafgesetz 1954 in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Juni 1975 (BGBl. I S. 1313), das zuletzt durch Artikel 55 des Gesetzes vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1864) geändert worden ist. 5 BGHSt 30, 280 (281). 6 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2425) geändert worden ist. 7 BVerfG, Beschluss vom 28. Juli 2000 - BvR 1460/99, NJW 2000, S. 2658 ff, S. 2659. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 009/13 Seite 4 so weiter, je mehr die Nutzung des Eigentums in einem sozialen Kontext steht. Die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers ist insbesondere weit, wenn Dritte die Nutzung des Eigentums für die Verwirklichung ihrer verantwortlichen Lebensgestaltung bedürfen, wie dies im Wohnungsmietrecht der Fall ist.8 Bei Einschränkungen der Befugnisse von Eigentümern hat der Gesetzgeber allerdings den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen.9 Äußerste Grenze einer Inhalts - und Schrankbestimmung ist, dass das Eigentumsrecht nicht in seiner Substanz verletzt werden darf.10 2.1. Verhältnismäßigkeit einer Miethöhenbegrenzung Der Gesetzgeber muss ein dem öffentlichen Interesse dienendes Ziel mit der Regelung verfolgen .11 Ziel der Begrenzung von Neuvertragsmieten ist, für alle Bevölkerungsschichten bezahlbaren Wohnraum in den Gemeinden zu erhalten. Er verfolgt damit ein der sozialen Funktion des Eigentums dienendes Ziel. Die gesetzliche Regelung müsste zur Erreichung dieses Zieles geeignet und erforderlich sein12, wobei dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum bei der Beurteilung dieser Kriterien zusteht.13 Die Begrenzung der Miethöhe auch bei Neuvermietungen ist geeignet, den Preisanstieg für Wohnraummieten zu dämpfen. Dies gilt umso mehr, als die Miethöhe von neuen Vertragsabschlüssen in die Berechnung der ortsübliche Vergleichsmiete einbezogen wird, die auch für die Berechnung einer angemessenen Mieterhöhung bei Bestandsmieten gemäß § 558 BGB herangezogen wird. Zwar könnte eine Stärkung des sozialen Wohnungsbaus ebenfalls bezahlbaren Wohnraum auch für finanziell schwächere Bevölkerungsschichten zur Verfügung stellen. Allerdings würde selbst eine solche Stärkung nicht sofort, sondern erst längerfristig zu einer Dämpfung des Mietanstiegs führen. Angesichts steigender Mieten insbesondere in den Ballungszentren kann die Begrenzung daher – zumindest zeitlich begrenzt, bis andere Maßnahmen greifen könnten – als erforderlich angesehen werden. Die Begrenzung von Neuvertragsmieten muss ferner in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der Regelung verfolgten Zweck stehen.14 Der Gesetzgeber muss im Rahmen einer solchen Regelung versuchen, „die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen“.15 Angewendet auf zwingende Normen 8 BVerfGE 84, 382 (385). 9 BVerfGE 75, 78 (97 f).; 76, 220 (238); 92, 262 (273); 110, 1 (28); Jarass in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Auflage 2012, Art. 14, Rn. 38 ff. 10 BVerfGE 75, 78 (97 f.); 76, 220 (238); 92, 262 (273); 110, 1 (28); Jarass (Fn.9), Art. 14, Rn. 38 ff. 11 Vgl. die die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 1986 (BVerwG NJW-RR 1986, 1139, Tz. 19) über die Verfassungsmäßigkeit der Mietpreisbindung für Altbauwohnungen in Berlin . 12 Jarass (Fn.9), Art. 14, Rn. 38a. 13 St. Rspr., vgl. Nachweise bei BVerfGE 90, 145, 173. 14 Jarass (Fn. 3), Art. 14, Rn. 39. 15 BVerfGE 68, 361 (368). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 009/13 Seite 5 des sozialen Mietrechts bedeutet dies, dass der Gesetzgeber die zum Teil divergierenden Interessen von Vermieter und Mieter zu beachten und sie dabei mit Rücksicht auf diverse mögliche Konstellationen unterschiedlich zu gewichten hat.16 Zwar hat der Eigentümer ein Interesse an der rentabelsten Verwertung seines Eigentums. Dieses Interesse ist aber verfassungsrechtlich nicht geschützt.17 Auf der anderen Seite steht die Sozialbindung des Eigentums, die gerade in Bereichen, in denen ein großer Teil der Bevölkerung auf die Nutzung fremden Eigentums wie bspw. bei Wohnungen angewiesen sind, eine stärkere Einschränkung des Eigentumsrechts rechtfertigt. Grundsätzlich ist die Begrenzung der Miethöhe für Neuvermietungen von Wohnungen – zumindest in Gebieten mit Wohnraumknappheit, begrenzt auf die Dauer der Wohnraumknappheit – daher verfassungsrechtlich möglich. 2.2. Keine Substanzverletzung Allerdings darf sich aus der Begrenzung der Miethöhe keine Substanzverletzung ergeben, da sonst die Bestandgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG verletzt wäre. Die Substanz des Eigentums ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht bereits dann verletzt, wenn sich nicht die höchstmögliche Rendite aus dem Eigentum erzielen lässt, sondern erst, wenn sich aus der Vermietung die Gefahr von Verlusten für den Eigentümer ergibt.18 Daher muss zumindest die allgemeine Preissteigerung – und ggf. auch die hiervon abweichende Steigerung im Baugewerbe für Instandhaltungskosten sowie sonstige für das Grundeigentum typische Kosten – durch Mieterhöhungen ausgeglichen werden können. Auch müssen Modernisierungsmaßnahmen in angemessenem Umfang bei Neuvermietungen Berücksichtigung finden können. 3. Ergebnis Eine Begrenzung der Höhe von Neuvertragsmieten für Wohnraum ist nur mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn sie nicht in die Substanz des Wohneigentums eingreift und verhältnismäßig ist. Die Substanz des Wohneigentums wäre verletzt, wenn durch die Vermietung Verluste ausgelöst würden und etwa keine Mieterhöhung zum Inflationsausgleich sowie zur Deckung der laufenden Kosten ermöglicht würde. Ferner müsste die Kappung auf die Dauer der Wohnraumknappheit in bestimmten Gebieten begrenzt werden, um als erforderlich und damit verhältnismäßig zu gelten. 16 BVerfGE 71, 230 (247). 17 BVerfGE 71, 230 (250). 18 BVerfGE 71, 230 (250).