Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen Rechtliche Voraussetzungen - Ausarbeitung - © 2009 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 -009/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen Rechtliche Voraussetzungen Ausarbeitung WD 3 - 3000 -009/09 Abschluss der Arbeit: 3.2.2009 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - Zusammenfassung - Gemäß § 22 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) kann eine Aufenthaltserlaubnis in besonderen Fällen für Einzelpersonen erteilt werden, die sich zum Zeitpunkt der Aufenthaltsgewährung noch nicht im Bundesgebiet aufhalten. Dies geschieht aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen. Die Aufenthaltserlaubnis ist zu erteilen , wenn das Bundesministerium des Innern oder die von ihm bestimmte Stelle zur Wahrung polit ischer Interessen der Bundesrepub lik Deutschland die Aufnahme erklärt hat (§ 22 Satz 2 AufenthG). § 23 Abs. 1 AufenthG eröffnet den obersten Landesbehörden die Möglichkeit, anzuordnen , dass für bestimmte (erst einreisende oder schon hier aufhältige) Ausländergruppen aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik eine Aufenthaltserlaubnis, in besonders gelagerten Fällen sogar eine Niederlassungserlaubnis, erteilt wird (Gruppenregelung). § 23 Abs. 2 AufenthG eröffnet dem Bund die Möglichkeit, im Falle besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik aufgrund einer Anordnung des Bundesministeriums des Innern im Wege unmittelbarer Verwaltung noch nicht eingereiste und nach Gruppenmerkmalen definierte Ausländer aufzunehmen. Die Tatbestandsvoraussetzung des besonders gelagerten politischen Interesses ist keiner gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Unter diesen Umständen kann eine Ermessensreduzierung auf Null nicht stattfinden. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Aufenthaltserlaubnis für Einzelpersonen in besonders gelagerten Fällen 4 3. Aufenthaltserlaubnis für bestimmte Gruppen von Ausländern 5 3.1. Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen 5 3.2. Rechtsnatur der Anordnung 7 3.3. Zustimmung des Bundesministeriums des Innern 9 4. Besonderes Aufnahmeverfahren des Bundes 9 - 4 - 1. Einleitung Die innenpolitischen Diskussionen über eine Aufnahme von Häftlingen aus dem Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba werden begleitet von Fragen nach den rechtlichen Voraussetzungen einer solchen Maßnahme. Es werden grundsätzliche Aspekte des deutschen Aufenthaltsrechts berührt. Einschlägig ist Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)1, der mit Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen überschrieben ist. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Aufnahme aus dem Ausland in Einzelfällen (§ 22 AufenthG) und der Aufnahme bestimmter Gruppen von Ausländern (§ 23 AufenthG). 2. Aufenthaltserlaubnis für Einzelpersonen in besonders gelagerten Fä llen Gemäß § 22 Satz 1 AufenthG kann eine Aufenthaltserlaubnis in besonderen Fällen für Einzelpersonen erteilt werden, die sich zum Zeitpunkt der Aufenthaltsgewährung noch nicht im Bundesgebiet aufhalten2. Dies geschieht aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen. Die Aufenthaltserlaubnis ist zu erteilen, wenn das Bundesministerium des Innern oder die von ihm bestimmte Stelle zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme erklärt hat (§ 22 Satz 2 Aufenth G). Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt im letzteren Falle auch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (§ 22 Satz 3 AufenthG). Die Aufenthaltserlaubnis wird im normalen Sichtvermerksverfahren (§ 6 AufenthG) mit Zustimmung der Ausländerbehörde (§ 31 Abs. 1 Aufenthaltsverordnung) von der Auslandsvertretung als Visum erteilt. Die Anwendbarkeit von § 22 AufenthG ist subsidiär auf Einzel- und Ausnahmefälle beschränkt , soweit ein Aufenthaltsgrund oder –zweck für die Erteilung einer anderen Aufenthaltsgenehmigung nicht vorliegt. Die Vorschrift ist also nicht als allgemeine Härtefallregelung gedacht 3. § 22 AufenthG gewährt Ausländern keinen Rechtsanspruch auf Entscheidung über eine Aufenthaltsgewährung oder auf Erklärung der Aufnahme durch das Bundesministerium des Innern. Die Entscheidung über die Aufnahme ist vielmehr Ausdruck autonomer Ausübung staatlicher Souveränität4. Die Norm hat folglich für Ausländer keine rechtsbegründende Funktion, sondern für die mit der Ausführung der Gesetze betrauten Behörden die klarstellende und ermächtigende Bedeutung, dass aus den genannten Gründen Aufenthalt gewährt wird. Der Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltser- 1 In der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1a des Gesetzes vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2965). 2 BayVGH, Beschluss vom 9.3.2005, - 10 CS 05. 455 - . 3 Storr, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 3. 4 Begründung zu Art. 1 § 22 des Gesetzentwurfs (BT -Drs. 15/420). - 5 - laubnis entsteht allerdings mit der Aufnahmeerklärung5. § 22 Satz 2 AufenthG dient der Wahrung innen- oder außenpolitischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Die Entscheidung über das Vorliegen politischer Interessen ist deshalb dem Bund vorbeha lten , dem hierbei ein großer Beurteilungsspielraum zusteht 6. Die Entscheidung über die Aufnahme soll aber grundsätzlich im Einvernehmen mit den Ländern, in denen der Ausländer aufgenommen werden soll, getroffen werden. Die Ausländerbehörde hat bei der Anwendung von § 22 Satz 2 AufenthG nur zu prüfen, ob der Antrag aufgrund einer Übernahmeerklärung des Bundesministeriums des Innern eingereicht ist und ob die Passpflicht nach § 5 Abs. 1 i.V.m. § 3 erfüllt ist, die Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG vorliegen und ein Einreiseverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG 7 besteht. Von den Voraussetzungen des § 5 AufenthG kann nach Maßgabe des § 5 Abs. 3 AufenthG abgesehen werden8. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 22 Satz 2 AufenthG berechtigt nach Satz 3 kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Als völkerrechtliche Gründe für eine Aufenthaltserlaubnis kommen (nur) alle völkerrechtlichen Verträge über die Aufnahme oder Übernahme von Flüchtlingen in Betracht. Eine generelle völkerrechtliche Pflicht zur Übernahme ohne individuellen Nachweis eines Abschiebungsverbots ist hier nicht gemeint, ebenso wenig wie die völkerrechtlichen Verpflichtungen (wie z. B. aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvent ion ) in solchen Einzelfällen9. Dringende humanitäre Gründe liegen vor, wenn die Aufnahme im Hinblick auf eine außergewöhnliche Sondersituation gegenüber anderen Ausländern gerechtfertigt ist, wenn es sich z. B. um eine humanitäre Hilfele istung in einer Notsituation handelt10. 3. Aufenthaltserlaubnis für bestimmte Gruppen von Ausländern 3.1. Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen § 23 Abs. 1 AufenthG eröffnet den obersten Landesbehörden die Möglichkeit, anzuordnen , dass für bestimmte Ausländergruppen aus völkerrechtlichen oder humanitären 5 Storr (Fn. 3), § 22 Rn. 5. 6 Storr (Fn. 3), § 22 Rn. 5. 7 § 11 Abs. 1 lautet: „Ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, darf nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Die in den Sätzen 1 und 2 bezeichneten Wirkungen werden auf Antrag in der Regel befristet. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Eine Befristung erfolgt nicht, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58 a aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen von Satz 5 zulassen.“ 8 Insbesondere bei Erteilung eines Aufenthaltstitels zum vorübergehenden Schutz (§ 24 AufenthG) und aus humanitären Gründen (§ 25 AufenthG). 9 Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblatt, Stand: Februar 2008, § 54 Rn. 17. 10 Storr (Fn. 3), § 22 Rn. 4 - 6 - Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik eine Aufenthaltserlaubnis , in besonders gelagerten Fällen sogar eine Niederlassungserlaubnis, erteilt wird (Gruppenregelung). Die Vorschrift betrifft ausschließlich die Erteilung von Aufenthaltstiteln an Ausländer, die nach kollektiven oder gruppenbezogenen Merkmalen umschrieben sind, und nach diesen Merkmalen als Gruppe aufgenommen werden sollen. Sie befasst sich nicht mit der Aufnahme von Einzelpersonen, für die § 22 Aufenth G gilt. Die Aufnahmemöglichkeiten nach § 23 AufenthG stehen neben denen auf europäischer Ebene nach der Richtlinie 2001/55/EG vom 20.7.2001, die durch § 24 AufenthG (Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz) in innerstaatliches Recht umgesetzt ist. Auch insoweit handelt es sich um ein Instrument zur kollektiven Aufnahme. Die Richtlinie berührt die Rechte der Mitgliedstaaten, in nationaler Souveränität aus humanitären und politischen Erwägungen Drittstaatsangehörigen Aufenthaltsrechte zu gewähren , nicht. Dies folgt allerdings nicht aus Art. 7 Abs. 1 RL11, der nur den Fall im Auge hat, dass bezüglich eines Herkunftsstaates oder einer Herkunftsregion auf europäischer Ebene bereits von dem Mechanismus der Richtlinie Gebrauch gemacht worden ist. Vielmehr ist dies die Folge des von vorneherein beschränkten Rechtsanwendungsbefehls der Richtlinie. § 23 Abs. 1 AufenthG ermöglicht nicht nur die Aufnahme von Ausländern, die sich noch außerhalb des Bundesgebietes befinden, sondern ermöglicht auch die Legalisierung von Aufenthalten bereits eingereister Ausländer. § 23 Abs. 2 AufenthG setzt hingegen zwingend voraus, dass eine Einreise noch nicht erfolgt ist. Die Vorschrift eröffnet dem Bund die Möglichkeit, im Falle besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik aufgrund einer Anordnung des Bundesministeriums des Innern im Wege unmittelbarer Verwaltung noch nicht eingereiste und nach Gruppenmerkmalen definierte Ausländer aufzunehmen. Diese Bestimmung soll (sowohl in ihrer ursprünglichen wie auch in der aktuell geltenden Fassung) die mit dem Zuwanderungsgesetz erfolgte Aufhebung des „Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge“ (so genanntes Kontingentflüchtlingsgesetz) kompensieren und in vergleichbarer Weise die Einräumung eines Daueraufenthaltsrechts ermöglichen, ohne aber gleichzeitig die Rechtstellung nach den Artikeln 2 bis 34 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zu gewähren12. Als humanitärer Grund im Sinne des § 23 Abs. 1 wie aber auch nach allgemeinen sprachlichen Verständnis wird der Einsatz zugunsten anderer Menschen aufgrund mora- 11 Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Loseblatt, Stand: 30. Aktualisierungslieferung Dez. 2008, § 23 AufenthG Rn. 3; anderer Ansicht Hailbronner (Fn. 9), § 23 Rn. 25. 12 Vgl. BT-Drs. 14/420, S. 77 f. - 7 - lischer oder sittlicher Überlegungen, jedoch ohne zwingende rechtliche Verpflichtung verstanden. Es ist der Einsatz aufgrund einer menschenfreundlichen Haltung zugunsten anderer gemeint, die sich in Not oder allgemein in Bedrängnis befinden13. Worin diese Not ihre Ursache hat, ist prinzipiell unerheblich, sofern sie nur nicht als Einzelschicksal zu verstehen ist. Die betroffenen und gefährdeten Rechtsgüter werden im Wesentlichen sein Leib oder Leben, aber auch Freiheitsrechte, wie die persönliche Freiheit oder die Religionsfreiheit14. Anders als etwa im Falle des § 22 AufenthG, der das Vorliegen „dringender humanitärer Gründe“ voraussetzt, ist hier eine besondere Qualifizierung und Schwere nicht erforderlich, weshalb nicht einmal schwere Rechtsgutbeeinträcht igungen vorliegen müssen. Es genügen Nachteile und Rechtsgutsbeeinträchtigungen von Gewicht, die nicht nur Lästigkeiten sein dürfen. Anders als im Falle des § 60 a Abs. 1 AufenthG können hier auch Integrationsschwierigkeiten von erheblichem Gewicht im Falle der Rückkehr in das Heimatland eine Anordnung begründen. Politische Gründe und Interessen, die mit einer Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG gewahrt werden sollen, können von vorneherein rechtlich nicht gesteuert und gebunden sein; es sind Gründe politischer Opportunität. Eine Begrenzung erfährt der Begriff jedoch insoweit, als maßgeblich nur Interessen der Bundesrepublik Deutschland sein können. Da hierzu aber auch außenpolitische Interessen zählen, ist der Rahmen auch weiter über die Bundesrepublik hinaus gestreckt. Die Definitionsmacht der Exekutive erfährt allerdings insofern Beschränkungen, als dass alles das, was von Verfassungs wegen oder aber auch durch einfaches Gesetz untersagt ist, nicht als Interesse der Bundesrepublik Deutschland definiert werden darf. Nicht im Interesse der Bundesrepublik liegen würde daher eine strikte nach rassistischen Merkmalen oder dem Geschlecht vorgenommene Auswahl15. 3.2. Rechtsnatur der Anordnung Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts16, die noch zu § 32 des Ausländergesetzes 1990 ergangen ist und von der abzuweichen unter der Geltung des Aufenthaltsgesetztes keine Veranlassung besteht, hat eine Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG) nicht die Qualität eines Rechtssatzes. Vielmehr handelt es sich um eine (zwingend) erforderliche Verwaltungsvorschrift bzw. Verwaltungsanweisung für die nachgeordneten Ausländerbehörden zur Steuerung eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 23 AufenthG, weshalb auch nicht unmittelbar aus der Anordnung Rechtsansprüche des begünstigten Personenkrei- 13 BVerfG, Urteil vom 17.2.1992, NVwZ 1993, 187. 14 Funke-Kaiser (Fn. 11), § 23 Rn. 10. 15 Funke-Kaiser (Fn. 11), § 23 Rn. 13. 16 BVerwG, Urteil vom 19.9.2000, NVwZ 2001, 2010. - 8 - ses erwachsen können. Es besteht allerdings nach Maßgabe der von der obersten La ndesbehörde geübten Anwendungspraxis ein Anspruch auf Gleichbehandlung. Daraus folgt, dass die Anordnung nicht wie eine Rechtsvorschrift aus sich heraus, sondern als Willenserklärung der obersten Landesbehörde unter Berücksichtigung des wirklichen Willens der Erklärenden und der tatsächlichen Handhabung, d. h. der vom Urheber gebilligten oder hingenommenen tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen und anzuwenden ist17. Weicht die Ausländerbehörde von der landeseinheitlichen Handhabung der Anordnung ab, so erwächs t dem Ausländer aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der tatsächlichen Anwendung der Anordnung. Es ist gerade Sinn der Regelung, eine einheitliche Anwendung innerhalb eines Bundeslandes zu erreichen. Die Gerichte haben deshalb nachzuprüfen, ob der Gleichheitssatz bei der Anwendung innerhalb des Geltungsbereichs der Anordnung gewahrt worden ist. Allerdings ist es der obersten Landesbehörde unbenommen, aus Anlass eines konkreten Einzelfalles für die Zukunft eine bestimmte Verwaltungspraxis mit Allgemeingültigkeit zu Lasten der bisher Begünstigten zu ändern, solange diesen noch kein Aufenthaltstitel erteilt war. Sofern nicht überwiegende schutzwürdige Interessen bestehen, wird dies auch für bereits anhängige Einzelfälle geschehen können. Eine Gleichbehandlung kann allerdings immer nur innerhalb des konkreten Bundeslandes angefordert werden, nicht aber im Verhältnis zu einem anderen Bundesland, wenn dieses etwa eine günstigere Regelung getroffen haben sollte18. Häufig beruhen Anordnungen nach § 23 Abs. 1 Aufenth G auf vorangegangenen Beschlüssen der so genannten Innenministerkonferenz. Weder über § 23 Abs. 1 AufenthG noch über Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz besteht aber eine Verpflichtung jedes einzelnen Bundeslandes, diese Beschlüsse vollständig und mit der gleichen Reichweite umzusetzen. Dieses folgt auch nicht aus dem Einvernehmenserfordernis zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit19. Bei der Entscheidung, ob die oberste Landesbehörde die Tatbestandsvoraussetzungen der völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründe bejaht oder letztlich auch verneint, handelt diese ausschließlich aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung, eine gerichtlich nicht überprüfbare politische Leitentscheidung treffen zu dürfen20. Es wird die Auffassung vertreten, dass demzufolge für die potenziell als Begünstigte in Betracht kommenden Ausländer nicht einmal ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entsche idung besteht, ob und ggfs. mit welchem Inhalt eine Anordnung getroffen 17 BVerwG, Urteil vom 2.3.1995, NVwZ 1997, 73. 18 VGHBW, Urteil vom 20.4.2002, GzAR 015, 29. 19 BVerfG, Beschluss vom 14.3.1997, NVwZ-RR 1997, 568; Hailbronner (Fn. 9), § 23 AufenthG Rn. 19 f. 20 Hailbronner (Fn. 9) § 23 AufenthG Rn. 6. - 9 - wird21. Da somit die oberste Landesbehörde durch den Erlass der Anordnung nicht dem Schutz und der Verwirklichung von Grundrechten der Ausländer Rechnung trägt, sche idet namentlich auch eine gerichtliche Anwendung und Auslegung am Maßstab einschlägiger Grundrechte mit dem Ziel aus, deren Durchsetzung zu effektivieren und zu optimieren. Grundsätzlich steht es im weiten – allenfalls durch das Rechtsstaatsgebot und das Willkürverbot begrenzten - Ermessen der obersten Landesbehörde, welchen Kategorien von Ausländern die Anwesenheit im Bundesgebiet ermöglicht wird. Der Ausschluss bestimmter Ausländer kann daher nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen rechtswidrig sein, wenn die fehlende Berücksichtigung dieser Personen nicht mehr verständlich und deshalb als willkürlich erscheint.22 In allen Fällen eines willkürlichen Ausschlusses einer Gruppe vermag das Gericht allenfalls eine Feststellung im Sinne des § 43 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu treffen, dass der oder die Betroffenen unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht in den Anwendungsbereich der Anordnung einbezogen wurde; insoweit kann ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis nicht verneint werden. Hierfür besteht in der Regel auch ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis , da im Falle einer solchen Feststellung es immerhin in Betracht kommen kann, dass die Anordnung entsprechend geändert wird. 3.3. Zustimmung des Bundesministeriums des Innern Nach § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist die Anordnung nur dann wirksam23, wenn das Bundesministerium des Innern zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit seine Zustimmung erteilt hat. Aus dem Merkmal der Bundeseinheitlichkeit kann nicht abgeleitet werden, dass in allen Bundesländern vollständig identische Regelungen bestehen müssen , erforderlich ist nur, dass die Anordnungen über die Aufnahme von Gruppen von Ausländern im Wesentlichen gleichen Grundsätzen folgen. 4. Besonderes Aufnahmeverfahren des Bundes Nach § 23 Abs. 2 AufenthG kann das Bundesministerium des Innern zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Benehmen mit den obersten Landesbehörden anordnen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage erteilt. Den betroffenen Ausländern ist entsprechend der Aufnahmezusage eine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wobei letztere mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage versehen werden kann. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. 21 Funke-Kaiser (Fn. 11), § 23 AufenthG Rn. 18. 22 HessVGH, Urteil vom 20.9.1994, EZAR 015, Nr. 4; Hailbronner (Fn. 11), § 23 Rn. 12. 23 BVerwG, Beschluss vom 14.3.1997, NVWZ-RR 1997, 568. - 10 - Der Begriff der „politischen Interessen“ ist nicht anders zu bestimmen als nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, wobei diese allerdings von hervorgehobenem („besonderem“) Gewicht sein müssen. Dabei ist die Tatbestandsvoraussetzung – vom krassen Fall eines offensichtlich nicht Bestehens abgesehen – ebenfalls keiner gerichtlichen Überprüfung zugänglich24. Unter diesen Umständen kann eine Ermessensreduzierung auf Null nicht stattfinden. Das Verwaltungsverfahren ist dreistufig aufgebaut. An erster Stelle steht der Erlass einer Anordnung des Bundesministeriums des Innern. Diese ergeht im Benehmen aller obersten Landesbehörden. Eine Zustimmung ist somit nicht erforderlich. Eine ordnungsgemäße Durchführung des Beteiligungsverfahrens ist im Interesse eines effektiven Schutzes der Länderinteressen25 Gültigkeitsvoraussetzung der Anordnung und kann auch nicht heilend nachgeholt werden, da es im nachhinein seinen Zweck, nämlich die Möglichkeit einer inhaltlichen Einflussnahme zu gewährleisten, nicht mehr erfüllen kann. Auf der Grundlage dieser Anordnung erteilt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sodann an die noch nicht eingereisten Ausländer eine konkrete und individuelle Aufnahmezusage, die einen angreifbaren Verwaltungsakt darstellt. Vor Erhebung der Verpflichtungslage ist ein Vorverfahren nicht durchzuführen (§ 23 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Die Klage ist gemäß § 52 Nr. 2 Satz 1 und 2 VwGO beim Verwaltungsgericht Ansbach zu erheben. Nach der Einreise wird dann aufgrund und nach Maßgabe der vom Bundesamt vorgenommenen Verteilung von der sachlich und örtlich zuständigen Ausländerbehörde des Landes der konkrete Aufenthaltstitel erteilt. Auch wenn dies bislang (in der Aufenthaltsverordnung) nicht ausdrücklich geregelt ist, wird man aus der Struktur des Verfahrens abzuleiten haben, dass mit der Zusage eine titelfreie Einreise möglich ist (vgl. § 39 ff. Aufenthaltsverordnung). 24 Funke-Kaiser (Fn. 11), § 23 Rn. 36. 25 Vgl. BT-Drs. 16/4444, S. 7.