© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 008/21 Zur sogenannten 15-Kilometer-Regel am Beispiel des Saarlands Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 008/21 Seite 2 Zur sogenannten 15-Kilometer-Regel am Beispiel des Saarlands Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 008/21 Abschluss der Arbeit: 21. Januar 2021 (auch letzter Aufruf der Internetquellen) Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 008/21 Seite 3 1. Einleitung Am 5. Januar 2021 haben sich die Bundesregierung und die Landesregierungen auf weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verständigt.1 Dabei wurde unter anderem beschlossen, dass die Länder für Landkreise mit einer 7-Tages-Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern weitere lokale Maßnahmen ergreifen, insbesondere eine Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den Wohnort. Im neuen Bund-Länder-Beschluss vom 19. Januar 2021 ist diese Maßnahme nicht mehr genannt.2 Die Länder haben den Beschluss vom 5. Januar 2021 im Wege der Rechtsverordnung in unterschiedlicher Weise umgesetzt (Stand: 21. Januar 2021). So verbietet etwa Brandenburg – bei einer entsprechenden Inzidenz – den Aufenthalt im öffentlichen Raum zur Ausübung von Sport oder zur Bewegung an der frischen Luft außerhalb der 15-Kilometer-Grenze.3 In Berlin ist das Verlassen des Stadtgebiets nur bis zu einer Grenze von 15 Kilometern erlaubt.4 Das Saarland hingegen verbietet „tagestouristische Ausflüge“.5 Auch die Frage, ab welchem Punkt die Bemessung der 15 Kilometer erfolgt, wird unterschiedlich gehandhabt. Während einige Länder die Bemessung ab der Wohnadresse bzw. der Adresse des gewöhnlichen Aufenthalts vornehmen (so etwa das Saarland), erfolgt die Bemessung in anderen Ländern ab der Grenze des jeweiligen Landkreises oder der kreisfreien Stadt (so etwa in Brandenburg ). In einigen Bundesländern wird es den Kommunen überlassen, entsprechende Regelungen durch Allgemeinverfügung zu erlassen.6 Einzelne Länder wollen bislang völlig auf 15-Kilometer-Regeln 1 Der Beschluss ist abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/resource /blob/997532/1834306/75346aa9bba1050fec8025b18a4bb1a3/2021-01-05-beschluss-mpk-data.pdf?download=1. 2 Siehe https://www.bundesregierung.de/resource /blob/997532/1840868/1c68fcd2008b53cf12691162bf20626f/2021-01-19-mpk-data.pdf?download=1. 3 § 4 Abs. 2 Vierte Verordnung über befristete Eindämmungsmaßnahmen aufgrund des SARS-CoV-2-Virus und COVID-19 im Land Brandenburg (Vierte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung - 4. SARS-CoV-2-EindV) vom 8. Januar 2021 (GVBl. II, Nr. 3, S. 1). Allerdings ist in Brandenburg der Aufenthalt im öffentlichen Raum nach § 4 Abs. 1 der Verordnung ohnehin nur zu bestimmten, ausdrücklich genannten Zwecken erlaubt. 4 § 2 Abs. 1a SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 12. Januar 2021 (GVBl. Nr. 3, S. 26). 5 § 13 Abs. 1 Verordnung zur Änderung infektionsrechtlicher Verordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 8. Januar 2021 (ABl. I, Nr. 1, S. 2). 6 Siehe etwa für Niedersachsen § 18 S. 3 Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2, in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 8. Januar 2021 (GVBl. Nr. 1, S. 3). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 008/21 Seite 4 verzichten. So weist etwa die Baden-Württembergische Landesregierung darauf hin, dass solche Regelungen nicht den gewünschten Effekt hätten.7 Die Ausarbeitung befasst sich mit verfassungsrechtlichen Aspekten der 15-Kilometer-Regelungen am Beispiel der saarländischen Vorschrift. Aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine rein landesrechtliche Vorschrift handelt, kann allerdings keine umfassende verfassungsrechtliche Prüfung durch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages erfolgen. Zudem wurden wesentliche Punkte zu Mobilitätsbeschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie bereits in der Ausarbeitung Regionale Ausreisesperren als Maßnahme zur Pandemiebekämpfung, WD 3 - 3000 - 175/20, Anlage, behandelt. Dort sind unter anderem bereits die (je nach Ausgestaltung der Regelung) möglicherweise betroffenen Grundrechte aufgeführt, beispielsweise die Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Die Arbeit enthält grundsätzliche Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit von Mobilitätsbeschränkungen , auch in Bezug auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG.8 Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf weitergehende Anmerkungen. 2. Ermächtigungsgrundlage Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sind § 28 Abs. 1 und § 28a Abs. 1 IfSG. Nach § 32 IfSG können die Maßnahmen auch im Wege der Rechtsverordnung erlassen werden. Der § 28a Abs. 1 IfSG sieht in seinen einzelnen Nummern Regelbeispiele vor. Eine Regelung, die tagestouristische Ausflüge untersagt, kann möglicherweise unter Nr. 11 (Untersagung oder Beschränkung von Reisen) gefasst werden. Zum Teil wird von der Rechtswissenschaft auch die Nr. 3 (Ausgangsbeschränkungen) als Ermächtigungsgrundlage angenommen.9 3. Verhältnismäßigkeit Einschränkungen der Bewegungsfreiheit greifen in Grundrechte ein (siehe dazu die oben genannte Ausarbeitung). Sie müssen daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dies setzt voraus, dass sie ein legitimes Ziel in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise verfolgen.10 7 Siehe https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/aktuelle-infos-zu-corona/aktuelle-corona-verordnungdes -landes-baden-wuerttemberg/. 8 Zu beachten ist, dass zum Zeitpunkt der beigefügten Ausarbeitung der § 28a IfSG noch nicht existiert hat. Die Ausarbeitung diskutiert daher die Frage, ob Mobilitätsbeschränkungen auf die Generalklausel des § 28 IfSG gestützt werden können. Diese Diskussion hat sich durch die Einführung von § 28a IfSG im Wesentlichen erledigt. 9 So Kingreen, siehe Spiegel Online vom 7. Januar 2021, „Lokales Fehlverhalten, pauschale Verbote“, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/corona-massnahmen-ist-der-15-kilometer-radius-rechtmaessig-a- 5b053df8-34f9-457e-8c35-eef4c1de4c79. 10 Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 314. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 008/21 Seite 5 3.1. Legitimer Zweck Die einzelnen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sollen dem Schutz der Gesundheit und des Lebens der Bevölkerung sowie der Verhinderung einer Überlastung des Gesundheitssystems dienen. Dabei handelt es sich um legitime Zwecke für Grundrechtseingriffe.11 3.2. Geeignetheit Die Mobilitätsbeschränkung müsste zum Erreichen des legitimen Zwecks geeignet sein. Ausreichend ist dabei bereits, dass der Zweck gefördert wird.12 Dem Staat kommt bei der Beurteilung der Geeignetheit einer Maßnahme ein Einschätzungsspielraum zu.13 Das Coronavirus überträgt sich nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen vor allem durch soziale Kontakte. Daher sind Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, soziale Kontakte zu verringern oder zu verhindern, grundsätzlich geeignet, die Gesundheit der Bevölkerung und das Funktionieren des Gesundheitssystems zu schützen. Gleiches gilt für Maßnahmen, durch die im Falle eines Kontakts die Ansteckungsgefahr verringert wird. Ob eine 15-Kilometer-Regel tatsächlich zu einer Reduzierung der Infektionsgefahr führt, hängt von ihrer genauen Ausgestaltung ab. Problematisch könnten in dieser Hinsicht Regelungen sein, die Aktivitäten im Freien verbieten. Darunter kann auch die saarländische Vorschrift fallen, die tagestouristische Ausflüge betrifft. Wissenschaftlichen Studien zufolge ist die Ansteckungsgefahr im Freien um ein Vielfaches geringer als in geschlossenen Räumen.14 Die Geeignetheit der 15-Kilometer -Regelung erscheint auch deshalb bedenklich, weil die Mobilitätsbeschränkung zwangsläufig dazu führen kann, dass die untersagten Tätigkeiten innerhalb des erlaubten Gebiets vorgenommen werden. Dies kann sogar ein höheres Infektionsrisiko darstellen, weil sich die Menschen weniger verteilen. Sollte es bei der Reglung darauf ankommen, große Ansammlungen von Menschen an bestimmten Ausflugs- oder Wintersportzielen zu vermeiden, von denen in den letzten Wochen berichtet wurde,15 könnte eine Schließung dieser Stätten bzw. ein Verbot des Aufenthalts an diesen Orten geeigneter 11 Vgl. etwa BVerfG, NVwZ 2020, 1040 (1041). 12 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 92. EL August 2020, Art. 20 VII Rn. 112. 13 Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 45. Edition Stand: 15. November 2020, Art. 20 Rn. 195. 14 Vgl. etwa Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, „Inzidenz“, 17. Januar 2021, S. 9. 15 Siehe etwa zdf.de, „Deutsche Skigebiete überfüllt – Rodeln trotz Corona-Shutdown“, 2. Januar 2021, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-skigebiet-ueberfuellt-winterberg-100.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 008/21 Seite 6 sein.16 Durch diese Maßnahmen würden auch die Personen, die innerhalb der 15-Kilometer-Grenze leben, davon abgehalten werden, sich an diesen Zielen aufzuhalten. Geht man davon aus, dass Mobilitätsbeschränkungen grundsätzlich geeignet zur Pandemiebekämpfung sind, da sie eine Verbreitung der Krankheit in andere Regionen unterbinden können, so steht zu bedenken, dass die Beschränkungen im Wesentlichen nur dann eine Wirkung zeigen können, wenn die Gebiete, zwischen denen die Personen sich ohne die Regelungen bewegen könnten, eine erheblich unterschiedliche Infektionsrate aufweisen. In Gegenden mit ähnlich hohen Infektionsraten besteht kein wesentlicher Unterschied, ob sich Personen innerhalb oder außerhalb der 15- Kilometer-Grenze bewegen.17 Die Rechtsprechung hat sich bereits zu 15-Kilometer-Regeln geäußert und ist dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Eine im Frühjahr 2020 in Sachsen eingeführte Regelung, wonach Sport und Bewegung im Freien vorrangig im Umfeld des Wohnbereichs erfolgen müsse, wurde zum damaligen Zeitpunkt vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Bautzen bestätigt.18 Das Gericht bemaß das „Umfeld des Wohnbereichs“ mit etwa 10 bis 15 Kilometern. Das Gericht war der Ansicht, dass dem Ziel, „eine durch massenhafte Reise- und Ausflugstätigkeit verursachte Ansteckungsgefahr möglichst zu vermeiden“, durch die Regelung Rechnung getragen werde. Das Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden hat hingegen einem Eilantrag gegen die durch Allgemeinverfügung ergangene Beschränkung für tagestouristische Ausflüge im Landkreis Limburg-Weilburg stattgegeben.19 Das Gericht äußerte ernsthafte Zweifel an der Effektivität der Maßnahme.20 3.3. Erforderlichkeit Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn kein weniger belastendes Mittel zur Verfügung steht, das dem Zweck der Maßnahme in gleicher Weise dient.21 Auch bei dieser Frage steht dem Gesetzbzw . Verordnungsgeber ein Einschätzungsspielraum zu.22 16 So auch Kingreen, Spiegel Online vom 7. Januar 2021, „Lokales Fehlverhalten, pauschale Verbote“, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/corona-massnahmen-ist-der-15-kilometer-radius-rechtmaessig-a- 5b053df8-34f9-457e-8c35-eef4c1de4c79. 17 So auch Volkmann, Hessenschau.de, „Verfassungsexperte bezweifelt Rechtmäßigkeit der 15-km-Regel“, 8. Januar 2021, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/interview-verfassungsexperte-bezweifelt-rechtmaessigkeit-der- 15-km-regel,corona-15-kilometer-regel-100.html. 18 Beschluss vom 7. April 2020, 3 B 111/20, COVuR 2020, 41. 19 Beschluss vom 15. Januar 2021, 7 L 31/21.WI, noch nicht veröffentlicht. 20 Pressemitteilung des VG Wiesbaden vom 19. Januar 2021, abrufbar unter https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen .de/pressemitteilungen/allgemeinverf%C3%BCgung-des-landkreises-limburg-weilburg-teilweise-rechtswidrig. 21 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 314. 22 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 316; siehe in Bezug auf Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie beispielsweise OVG Greifswald, Beschluss vom 8. April 2020, 2 KM 236/20, BeckRS 2020, 5637 Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 008/21 Seite 7 Bei einer Regelung, die touristische Ausflüge verbietet, käme als milderes Mittel die bereits oben erwähnte Schließung von besonders stark frequentierten Zielen bzw. ein Aufenthaltsverbot in Betracht.23 Auf diese Weise blieben Ausflüge zu wenig besuchten Zielen, an denen daher ein geringeres Infektionsrisiko herrscht, weiterhin möglich. Ob auf diese Weise das Ziel der Regelungen in gleicher Weise gefördert werden könnte, lässt sich an dieser Stelle allerdings nicht beurteilen. 3.4. Angemessenheit Die Angemessenheit einer Maßnahme ist gewahrt, wenn der Grundrechtseingriff nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck steht.24 Es ist somit zu prüfen, ob die Schwere des Eingriffs, d.h. der Nachteil für die Betroffenen, noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht und der Dringlichkeit der durch die Maßnahme geförderten Gemeinwohlbelange steht.25 Dabei ist neben der Wertigkeit der jeweiligen Rechte, Rechtsgüter oder sonstigen Belange auch der Grad ihrer Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Die Beurteilung der Angemessenheit ist zum einen von der Ausgestaltung der konkreten Regelung abhängig. Eine Regelung, die tagestouristische Ausflüge außerhalb der 15-Kilometer-Grenze verbietet , greift in eher geringem Maße in Grundrechte ein, da sie ausschließlich die Freizeitgestaltung betrifft. Die Frage, ob das staatliche Interesse an der Durchführung der Maßnahmen das grundrechtliche Interesse des Einzelnen überwiegt, hängt bei Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie allerdings vom aktuellen (regionalen) Infektionsgeschehen, der Zahl der Toten und der Belastung des Gesundheitssystems ab. Eine abstrakte Beurteilung kann daher nicht erfolgen. Grundsätzlich ist Folgendes zu beachten: Den Staat trifft eine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bevölkerung , welche sich auch in dem Anspruch auf Schutz vor Infektionskrankheiten konkretisiert.26 Durch die 15-Kilometer-Regeln beabsichtigen die Verordnungsgeber, diese Schutzpflicht für Leben und Gesundheit zu erfüllen, und damit zwei der höchsten Rechtsgüter27 zu schützen. Der Schutz dieser Rechtsgüter dürfte grundsätzlich auch empfindliche Grundrechtseingriffe rechtfertigen. Bezüglich der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie hat die Rechtsprechung bisher in einer Vielzahl von Fällen entschieden, dass die Grundrechte des Einzelnen zurücktreten müssen.28 23 So auch VG Wiesbaden, Beschluss vom 15. Januar 2021, 7 L 31/21.WI, noch nicht veröffentlicht. 24 BVerfGE 50, 217 (227); 80, 103 (107); 99, 202 (212 f.). 25 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 92. EL August 2020, Art. 20 VII, Rn. 117. 26 OVG Greifswald, Beschluss vom 8.4.2020, 2 KM 236/20, BeckRS 2020, 5637 Rn. 29. 27 BVerfGE 39, 1 (42): „Das menschliche Leben stellt, wie nicht näher begründet werden muss, innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte.“ 28 Siehe etwa Bayerischer VGH, Beschluss vom 14. Dezember 2020, 20 NE 20.2907, juris Rn. 42; OVG Berlin-Brandenburg , Beschluss vom 14. Januar 2021, 11 S 3/21, juris Rn. 25. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 008/21 Seite 8 4. Gleichbehandlung Das allgemeine Gleichheitsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG verbietet eine Ungleichbehandlung von „wesentlich gleichen“ Sachverhalten, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist.29 Grundsätze zum Gleichheitsgebot in Bezug auf Mobilitätsbeschränkungen wurden schon in der beigefügten Ausarbeitung geprüft. Im Folgenden wird daher nur auf eine Besonderheit eingegangen, die sich bei den 15-Kilometer-Regeln ergibt. Bei einer Regelung wie der saarländischen, bei der die zulässigen 15 Kilometer ab der Wohnadresse berechnet werden, kann es insbesondere zu einer Ungleichbehandlung von Stadt- und Landbewohnern kommen. Ein Stadtbewohner hat innerhalb eines Radius von 15 Kilometern üblicherweise mehr Handlungsmöglichkeiten als ein Landbewohner. Diese Ungleichbehandlung erscheint nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt, denn die Infektionsgefahr dürfte aufgrund der Bevölkerungsdichte in Städten wesentlich höher sein. *** 29 Kischel, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 45. Edition Stand: 15. November 2020, Art. 3 Rn. 14.