© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 008/20 Zur Zustimmungsbedürftigkeit einer Regelung zur Festlegung von sicheren Herkunftsstaaten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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In Art. 16 Abs. 3 S.2 GG ist eine widerlegbare Vermutung der fehlenden Verfolgung geregelt, die vor allem verfahrensrechtliche Bedeutung hat. Für Asylanträge von Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsstaaten gilt ein modifiziertes (verkürztes) Asylverfahren. Die Bestimmung von Staaten als sichere Herkunftsstaaten erfolgt nach Art. 16a Abs. 3 S. 1 GG durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Neben Asyl nach Art. 16a GG wird in einem Asylverfahren in Umsetzung des entsprechenden Unionsrechts auch die Gewährung von internationalem Schutz geprüft. Dieser umfasst den Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention und den sog. subsidiären Schutz. Eine eigenständige Regelung zum Konzept des sicheren Herkunftsstaates findet sich in Art. 36 und Art. 37 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie)1. Gemäß Art. 37 Verfahrensrichtlinie können die Mitgliedstaaten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zum Zwecke der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz beibehalten oder erlassen, aufgrund deren sie im Einklang mit Anhang I der Verfahrensrichtlinie sichere Herkunftsstaaten bestimmen. § 29a Asylgesetz (AsylG) regelt in Abs. 1, dass der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat im Sinne des Art. 16a Abs. 3 S. 1 GG als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht. Nach allgemeiner Ansicht in Literatur und Praxis erstreckt sich aufgrund der entsprechenden Änderung des § 29a Abs. 1 AsylG durch das Integrationsgesetz aus dem Jahr 20162 die widerlegbare Vermutungswirkung des § 29a AsylG nicht nur auf das Verfahren über die Gewährung von Asyl nach Art. 16a GG, sondern auf das Verfahren insgesamt und damit insbesondere auch auf die Gewährung internationalen Schutzes.3 § 29a Abs. 2 AsylG bestimmt schließlich in Verbindung mit Anlage II zu § 29a AsylG, welche konkreten Herkunftsstaaten als sicher eingestuft sind. Gefragt wird nach der Zustimmungsbedürftigkeit einer Regelung zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten für andere Schutzarten als das Asylgrundrecht nach Art. 16a GG. Weiter wird nach den rechtlichen Auswirkungen gefragt, die sich aus einer solchen Regelung ergeben würden. 1 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes. 2 Integrationsgesetz, BGBl. 2016, I 1939. 3 Vgl. Heusch, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 24. Edition 1.11.2019, AsylG § 29a Rn. 35. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 008/20 Seite 4 2. Zur Zustimmungsbedürftigkeit Bei Zustimmungsgesetzen ist gemäß Art. 78 Var. 1 GG das Zustandekommen des Gesetzes von einer ausdrücklichen Zustimmung des Bundesrates abhängig.4 Ein Gesetz bedarf nur dann der Zustimmung des Bundesrates, wenn dies im Grundgesetz ausdrücklich angeordnet ist.5 Die Verfassung zählt die Fälle der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen abschließend auf.6 Ausnahmen von diesem Enumerationsprinzip für zustimmungspflichtige Gesetze kennt das Grundgesetz nicht.7 Maßgeblich für die Zustimmungsbedürftigkeit ist allein die verfassungsrechtliche Einordnung des Gesetzes.8 Sinn und Zweck der im Grundgesetz geregelten Zustimmungsvorbehalte ist es, die Länder davor zu schützen, dass der Bund gegen den Willen der Bundesratsmehrheit Maßnahmen durchsetzt, die das föderale System zum Nachteil der Länder verändern.9 Das Bundesverfassungsgericht betont dabei jedoch, dass das Grundgesetz die Zustimmungsbedürftigkeit lediglich ausnahmsweise und nur für Fälle einer besonders gewichtigen Berührung der föderalen Ordnung und des Interessenbereichs der Länder vorsieht.10 Ist keine Zustimmung des Bundesrates ausdrücklich normiert, liegt ein Einspruchsgesetz vor.11 Bei Einspruchsgesetzen kommt das Gesetz zustande, wenn der Bundesrat keinen Antrag nach Art. 77 Abs. 2 GG auf Einberufung eines Vermittlungsausschusses stellt, keinen fristgemäßen Einspruch einlegt, ihn zurücknimmt oder wenn der Einspruch vom Bundestag überstimmt wird (Art. 78 GG). 3. Zur Zustimmungsbedürftigkeit einer Regelung zur Festlegung sicherer Herkunftsstaaten für andere Schutzarten als das Asylgrundrecht nach Art. 16a GG Die in Art. 16a Abs. 3 S. 1 GG ausdrücklich vorgesehene Zustimmungsbedürftigkeit gilt dem Wortlaut nach nur für Gesetze, die Staaten in Bezug auf die Gewährung von Asyl nach Art. 16a GG als sichere Herkunftsstaaten bestimmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Gesetz, das ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz ändert, nicht allein aus diesem Grund zustimmungsbedürftig. 4 Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 42. Edition, Stand 1. Dezember 2019, Art. 77 Rn. 19. 5 Vgl. BVerfGE 37, 363 (381). 6 Eine Auflistung der Artikel, die gegenwärtig eine Zustimmung des Bundesrates vorsehen, findet sich bei: Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 88. EL August 2019, Art. 77 Rn. 95. 7 Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 88. EL August 2019, Art. 77 Rn. 96. 8 Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, BeckOK Grundgesetz, 42. Edition, Stand 1. Dezember 2019, Art. 77 Rn. 20. 9 BVerfGE 37, 363 (379 f.). 10 BVerfGE 61, 149 (206). 11 Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 88. EL August 2019, Art. 77 Rn. 95 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 008/20 Seite 5 Eine Zustimmungsbedürftigkeit besteht aber dann, wenn das Gesetz Vorschriften abändert, die ursprünglich zustimmungsbedürftig waren, oder selbst zustimmungsbedürftige Vorschriften enthält .12 Der ursprüngliche Erlass des § 29a AsylG (in seiner damaligen Bezeichnung als § 29a Asylverfahrensgesetz ) erging aufgrund der Bestimmung des Art. 16 Abs. 3 S. 1 GG mit Zustimmung des Bundesrates.13 Die Aufnahme der Verweisungen auf § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 AsylG in § 29a Abs. 1 S. 1 AsylG zur Klarstellung, dass sich die widerlegbare Vermutung fehlender Verfolgung auch auf die Fälle des internationalen Schutzes bezieht, erfolgte allerdings erst später durch das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016.14 Dieses war laut der Gesetzesmaterialien nicht zustimmungsbedürftig. Demnach würde eine Regelung, die nur den Teil des § 29a Abs. 1 S. 1 AsylG betrifft, der sich auf den internationalen Schutz bezieht, formal nicht eine Vorschrift abändern, die ursprünglich die Zustimmungsbedürftigkeit ausgelöst hat. Vor dem Hintergrund des Gebots der Folgerichtigkeit15 wäre allerdings eine Änderung, die zu widersprüchlichen Festlegungen von sicheren Herkunftsstaaten führen würde, nicht unproblematisch. Zu prüfen ist weiter, ob ein Gesetz zur Festlegung sicherer Herkunftsstaaten in Bezug auf internationalen Schutz (ohne Geltung für Asyl nach Art. 16a GG) eine eigenständige Zustimmungsbedürftigkeit auslöst. Denkbar wäre insofern etwa eine Zustimmungsbedürftigkeit aufgrund der Vorgaben des Art. 104a Abs. 4 GG. Danach bedürfen Bundesgesetze, die Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten begründen und von den Ländern als eigene Angelegenheit oder nach Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG im Auftrag des Bundes ausgeführt werden, der Zustimmung des Bundesrates, wenn daraus entstehende Ausgaben von den Ländern zu tragen sind. Durch eine Regelung weiterer sicherer Herkunftsstaaten dürfte sich die Zahl der Schutzsuchenden erhöhen, die dann unter die widerlegbare Vermutungsregelung fallen. Sollten auch für diese Schutzsuchenden aus sicheren Herkunftsstaaten im Sinne der Verfahrensrichtlinie besondere Regelungen für Sozialleistungen, Unterbringung und Beschäftigung gelten (vgl. dazu unter 4.), müsste im Einzelnen geprüft werden, welche finanziellen Auswirkungen dies für die Länder hätte und ob dadurch eine Ausgabenlast im Sinne von Art. 104a Abs. 4 GG für die Länder begründet werden würde. Letztlich ist dies eine Frage der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung. 4. Rechtsfolgen für Schutzsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten An die Fälle des § 29a AsylG knüpfen sich verschiedene Rechtsfolgen. So kommen beispielsweise die Regelungen zur Beschleunigung des Verfahrens zur Anwendung (§ 30a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), es besteht eine Verpflichtung zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung (§ 30a Abs. 3 S. 1 und S. 2 12 Vgl. BVerfGE 37, 363 (382 f.). 13 Vgl. Gesetz zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften vom 30. Juni 1993, BGBl. 1993, I 1062. 14 Art. 6 Nr. 8 Integrationsgesetz, BGBl. 2016, I 1939 (1947). 15 Zum Prinzip der Folgerichtigkeit siehe Kirchhof, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 88. EL August 2019, Art. 3 Rn. 404 ff. (406). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 008/20 Seite 6 Nr. 2 b, § 47 Abs. 1a AsylG) und ein Beschäftigungsverbot (§ 61 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 3, Abs. 2 S. 4 AsylG). Die entsprechenden Vorschriften verweisen auf § 29a AsylG. Sollte eine weitere Gesetzesgrundlage für die Festlegung von sicheren Herkunftsstaaten für internationale Schutzfälle geschaffen werden, käme es auf die konkrete Regelung an, ob diese Verweisungen weiter greifen oder nicht. ***