© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 008/19 Rechtsprechung zur Rückführung von anerkannten Schutzberechtigten nach Griechenland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/19 Seite 2 Rechtsprechung zur Rückführung von anerkannten Schutzberechtigten nach Griechenland Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 008/19 Abschluss der Arbeit: 22. Januar 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 4 3. Rechtsprechung 5 4. Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte 6 4.1. Rechtsprechung, die eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK in Griechenland bejaht 6 4.1.1. VG Aachen, Beschluss vom 3. Juli 3017, 4 L 782/17.A 6 4.1.2. VG Berlin, Urteil vom 30. November 2017, 23 K 463.17 A 7 4.1.3. VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Mai 2017, 12 L 1978/17.A 8 4.2. Rechtsprechung, die eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK in Griechenland verneint 8 4.2.1. VG Hamburg, Beschluss vom 11. Mai 2017, 9 AE 2728/17 8 4.2.2. VG Ansbach, Beschluss vom 29. September 2018, AN 14 S 18.50697 9 4.2.3. VG Berlin, Beschluss vom 6. Dezember 2018, 9 L 703.18 A 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/19 Seite 4 1. Fragestellung Ein Asylantrag ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 Asylgesetz (AsylG)1 unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Asylsuchenden bereits internationalen Schutz gewährt hat. In diesen Fällen wird dem Ausländer gemäß § 35 AsylG die Abschiebung in den Staat angedroht, in dem ihm Schutz gewährt wurde. Nach § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)2 darf allerdings ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)3 ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Art. 3 EMRK bestimmt, dass niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Eine Abschiebung ist somit unzulässig, wenn im Zielstaat eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung droht. Dies wird von den Verwaltungsgerichten teilweise für Griechenland angenommen. Der Sachstand stellt auftragsgemäß Rechtsprechung zur Abschiebung von Schutzberechtigten nach Griechenland zusammen.4 Die Verwaltungsgerichte beurteilen die Frage nach einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK vielfach unterschiedlich. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat 2017 Maßstäbe für die Beurteilung dieser Frage aufgestellt. Der Sachstand beschränkt sich hinsichtlich der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte auf solche, die nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ergangen ist. 2. Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bei der Überprüfung der Einhaltung der EMRK sind als Auslegungshilfe auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu berücksichtigen. Dies beruht auf der Orientierungs- und Leitfunktion, die der Rechtsprechung des EGMR für die Auslegung der EMRK auch über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus zukommt.5 Nach der Rechtsprechung des EGMR kann die Rückführung eines Flüchtlings in einen anderen Staat, der die EMRK unterzeichnet hat (sog. Konventionsstaat) eine Verletzung von Art. 3 EMRK 1 Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2250). 2 Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147). 3 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685). 4 Zu beachten ist, dass sich der Sachstand aufgrund der Beschränkung auf anerkannte Schutzberechtigte nicht auf Überstellungen im sog. Dublin-Verfahren bezieht. Seit 2011 waren Überstellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-III-Verordnung aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 21. Januar 2011 (M.S.S. gegen Griechenland und Belgien, 30696/09) ausgesetzt. Die Aussetzung wurde mit systemischen Mängeln des griechischen Asylverfahrens begründet und galt daher nicht für anerkannte Schutzberechtigte. Im Dezember 2016 empfahl die EU-Kommission, aufgrund der Verbesserung des griechischen Asylverfahrens ab März 2017 wieder Überstellungen nach Griechenland vorzunehmen (vgl. Empfehlung der Kommission vom 8. Dezember 2016 an die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Wiederaufnahme der Überstellungen nach Griechenland gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, ABl. L 340/60 vom 15. Dezember 2016). 5 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. August 2013, 2 BvR 1380/08, juris Rn. 28 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/19 Seite 5 auch durch den rückführenden Staat darstellen, wenn den Behörden bekannt ist oder bekannt sein muss, dass dort Bedingungen herrschen, die gegen Art. 3 EMRK verstoßen. Solche Bedingungen könnten angenommen werden, wenn ein Flüchtling über einen langen Zeitraum gezwungen sei, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln auf der Straße zu leben.6 Bei der Prüfung komme es nicht nur auf die generellen Verhältnisse im Zielstaat, sondern auch auf die individuellen Umstände des Betroffenen an. Bestünden etwa im Hinblick auf eine Erkrankung des Betroffenen ernsthafte Zweifel über die Folgen der Abschiebung, so müssten individuelle Zusicherungen des Zielstaates eingeholt werden.7 Es sei zudem erforderlich, dass die gewährleisteten Rechte praktisch und effektiv und nicht nur theoretisch zur Verfügung stehen.8 Art. 3 EMRK verpflichte allerdings nicht dazu, jeder Person ein Obdach zu gewähren oder ihr einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen.9 Allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse im Falle der Abschiebung bedeutend geschmälert würden, begründe keine Verletzung von Art. 3 EMRK.10 Die Verantwortlichkeit eines Staates könne jedoch dann begründet sein, wenn der Betroffene vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sei und trotz ausdrücklich verankerter Rechte behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehe, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinde , dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar sei.11 3. Rechtsprechung Das BVerfG12 hob 2017 zwei Beschlüsse des Verwaltungsgerichts (VG) Minden zur Rückführung eines syrischen Schutzberechtigten nach Griechenland auf und führte aus: „In Fällen, in denen es um die Beurteilung der Aufnahmebedingungen in einem Drittstaat als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Beurteilung solcher möglicherweise gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Aufnahmebedingungen muss daher, jedenfalls wenn diese ernsthaft zweifelhaft sind, etwa weil dies in der jüngsten Vergangenheit noch von der Bundesregierung und der EU-Kommission bejaht wurde und damit der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erschüttert ist, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen 6 Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, 30696/09, M.S.S. gegen Griechenland und Belgien, Rn. 263 f. und 365 ff., NVwZ 2011, 413 (416). 7 Vgl. EGMR, Urteil vom 13. Dezember 2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rn. 187 und 191. 8 Vgl. EGMR (Fn. 7), Rn. 182. 9 Vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013, 27725/10, Mohammed Hussein gegen Italien und die Niederlande, Rn. 70. 10 Vgl. EGMR (Fn. 9), Rn. 70. 11 Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, 30696/09, M.S.S. gegen Griechenland und Belgien, NVwZ 2011, 413 (415). 12 BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 2017, 2 BvR 157/17, NVwZ 2017, 1196. So auch BVerfG, Beschluss vom 31. Juli 2018, 2 BvR 714/18. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/19 Seite 6 Grundlage beruhen. [...] Dabei kann es sowohl verfassungsrechtlich als auch konventionsrechtlich geboten sein, dass sich die zuständigen Behörden und Gerichte vor einer Rückführung in den Drittstaat über die dortigen Verhältnisse informieren und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen.“ Diesen Maßstäben sei das VG Minden nicht gerecht geworden. Der Beschwerdeführer habe zahlreiche Berichte vorgelegt, aus denen hervorgehe, dass anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland nicht einmal dieselben geringen Unterstützungsleistungen zustünden wie Antragstellern im Asylverfahren. Anerkannt Schutzberechtigte hätten keinen Zugang zu Arbeit oder Sozialleistungen, erhielten keine Unterstützung bei der Wohnungssuche und müssten dennoch unmittelbar nach der Anerkennung die Flüchtlingsunterkunft verlassen, womit ihnen die Obdachlosigkeit drohe. Integrationsmaßnahmen würden nicht angeboten. Zwar stehe anerkannt Schutzberechtigten nach Art. 20 ff. der Qualifikationsrichtlinie13 und nach den Wohlfahrtsvorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention14 im Wesentlichen nur ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zu. Das VG habe sich aber nicht damit auseinandergesetzt, dass nach Art. 34 der Qualifikationsrichtlinie Integrationsmaßnahmen gefordert würden, die in Griechenland nicht angeboten würden. Zudem knüpften die Sozialleistungen in Griechenland an einen bis zu 20-jährigen legalen Aufenthalt an, sodass Schutzberechtigte hiervon faktisch ausgeschlossen seien. Des Weiteren bedürfe es einer Auseinandersatzung mit der Einschätzung des EGMR, dass es sich bei Schutzberechtigten ebenso wie bei Asylbewerbern um eine besonders verletzliche Gruppe handle, die zumindest für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe bei der Integration angewiesen sei. Es hätte daher weiterer Feststellungen des VG bedurft, ob und wie bei nach Griechenland abgeschobenen Schutzberechtigten zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft der Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt werde. Könnten entsprechende Erkenntnisse und Zusicherungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht eingeholt werden, so sei es zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes geboten, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. 4. Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte 4.1. Rechtsprechung, die eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK in Griechenland bejaht 4.1.1. VG Aachen, Beschluss vom 3. Juli 3017, 4 L 782/17.A Das VG Aachen entschied im Juli 2017 im Rahmen eines Prozesskostenhilfeverfahrens, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK bei Schutzberechtigten in Griechenland naheliege. Es gebe belastbare Anhaltspunkte dafür, dass Schutzberechtigten in Griechenland nicht einmal die geringen 13 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337/9 vom 20. Dezember 2011). 14 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/19 Seite 7 Unterstützungsleistungen zugänglich seien, die Asylbewerbern zustünden. Ausweislich einer Stellungnahme von Pro Asyl erhielten Schutzberechtigte keinen Zugang zu den ihnen zustehenden Rechten. Oft seien sie gezwungen, in menschenunwürdigen Unterkünften unterzukommen, in denen nicht einmal grundlegende humanitäre Standards sichergestellt seien. Viele Schutzberechtigte lebten in verlassenen Häusern oder in unter der Hand vermieteten und überfüllten Wohnungen in schlechtem Zustand, in verlassenen Gebäuderuinen, auf Baustellen oder in leeren Fabrikhallen. Manche Schutzberechtigte verblieben noch Monate nach ihrer Anerkennung in temporären Camps oder vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR gestellten Unterkünften. Der Zugang zu Essen, Wasser, Strom, sanitären Einrichtungen, Schutz und Sicherheit sei für Schutzberechtigte nicht immer gesichert. Die meisten der betroffenen Flüchtlinge würden nur unzureichend über ihre Rechte und Verpflichtungen informiert. In vielen Fällen bliebe ihnen aufgrund von strikten Gesetzen und der Alltagspraxis der Zugang zu Sozialleistungen, zur Gesundheitsversorgung und zum Bildungssystem versperrt. Es mangele an jeglichem Integrationskonzept für anerkannte Flüchtlinge. Ähnliche Aussagen ließen sich dem Länderbericht 2016 der "Asylum Information Database“ entnehmen. Danach führten bürokratische Hürden, fehlende staatliche Organisation, ineffektive behördliche Umsetzung der gesetzlichen Regelungen sowie die Auswirkungen der Wirtschaftskrise dazu, dass anerkannte Schutzberechtigte nicht in den Genuss ihrer Rechte kämen. Zwar hätten anerkannt Schutzberechtigte nach dem Gesetz im gleichen Maße Zugang zu Unterkünften wie sich rechtmäßig in Griechenland aufhaltende Drittstaatsangehörige. In der Praxis seien die Unterbringungsmöglichkeiten für Obdachlose in Griechenland jedoch generell begrenzt. Plätze, die speziell anerkannten Schutzberechtigten zugewiesen seien, existierten nicht. Zudem gäbe es keine finanzielle Unterstützung für Lebenshaltungskosten. Zwar stünde Schutzberechtigten grundsätzlich auch der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt offen. Allerdings würde die tatsächliche Integration von anerkannt Schutzberechtigten durch die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise, hohe Arbeitslosenzahlen und faktische Wettbewerbsnachteile im Vergleich zu Muttersprachlern oder griechisch sprechenden Ausländern faktisch erschwert. 4.1.2. VG Berlin, Urteil vom 30. November 2017, 23 K 463.17 A Das VG Berlin urteilte im November 2017, dass nach der Auswertung der aktuellen Erkenntnislage anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK drohe.15 Schutzberechtigte stünden behördlicher Gleichgültigkeit gegenüber, obwohl sie sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befänden, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar sei. Die Befriedigung der elementarsten Bedürfnisse (Wohnraum, Nahrungsmittel und Zugang zu sanitären Einrichtungen) sei nicht einmal für eine Übergangszeit gewährleistet. Den Schutzberechtigten drohe Obdachlosigkeit und Verelendung. Sie hätten keine reelle Chance, sich in Griechenland ein Existenzminimum aufzubauen. Grundsätzlich hätten Schutzbedürftige zwar in Griechenland den gleichen Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Arbeits- und Wohnungsmarkt und Sozialleistungen wie Inländer; aufgrund der schlechten wirtschaftlichen und staatlichen-administrativen Situation und der Untätigkeit der griechischen Behörden stünden ihnen diese Rechte aber nur theoretisch zur Verfügung. Sogar in einem offiziellen Informationsdokument der griechischen Asylbehörden werde darauf hingewiesen, 15 So auch VG Berlin, Beschluss vom 12. Juni 2018, 23 L 287.18 A und VG Berlin, Beschluss vom 22. Dezember 2018, 23 L 896.17 A. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/19 Seite 8 dass der Staat anerkannten Schutzberechtigten weder eine Unterkunft noch den Zugang zu Sozialleistungen und zum Arbeitsmarkt gewähren könne. Eine sozialversicherungspflichtige Arbeit zu erlangen, sei in der Praxis nahezu unmöglich. Eine Bereitstellung von Wohnungen erfolge zudem nicht. Die Asylbewerberunterkünfte müssten Schutzberechtigte innerhalb von sechs Monaten nach der Anerkennung verlassen. Das Unterkommen in einer Obdachlosenunterkunft sei aufgrund des Mangels an Plätzen nahezu unmöglich. Obwohl 2017 ein „soziales Solidaritätseinkommen“ eingeführt worden sei, das grundsätzlich auch Schutzberechtigte beantragen könnten, sei es in der Praxis für Schutzberechtigte nicht möglich, die Voraussetzungen der Gewährung zu erfüllen. Voraussetzung für die Beantragung sei die Angabe der Steuer- und der Sozialversicherungsnummer, eines Mietvertrags oder einer Bescheinigung der Obdachlosigkeit sowie einer Kontonummer. Die benötigten Dokumente würden Schutzberechtigten oftmals von den Behörden vorenthalten. Hinsichtlich der medizinischen Versorgung hätten Schutzberechtigte zwar den gleichen Anspruch wie griechische Staatsbürger. Aufgrund des generellen Zusammenbruchs des Gesundheitssystems hätten die Krankenhäuser aber bereits Schwierigkeiten, die einheimische Bevölkerung zu versorgen. 4.1.3. VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Mai 2017, 12 L 1978/17.A Das VG Düsseldorf entschied im Mai 2017, dass jedenfalls für Schutzberechtigte, die der Gruppe der besonders schutzbedürftigen Personen16 unterfallen, in Griechenland die Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung drohe. Die Antragsteller waren ein Ehepaar mit zwei Kindern im Alter von 4 und 7 Jahren. Die Frau war zudem schwanger. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass im Falle der Abschiebung mit überwiegende Wahrscheinlichkeit die Obdachlosigkeit und damit eine existentielle Notlage drohe. Dabei sei von besonderer Bedeutung, dass Schutzberechtigte anders als griechische Staatsbürger nicht über ein familiäres Netzwerk verfügten, das in Griechenland bei der sozialen Absicherung besonders wichtig sei. 4.2. Rechtsprechung, die eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK in Griechenland verneint 4.2.1. VG Hamburg, Beschluss vom 11. Mai 2017, 9 AE 2728/17 Das VG Hamburg entschied im Mai 2017, dass Schutzberechtigten, die nicht zu den besonders schutzbedürftigen Personen gehörten, keine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK drohe. Nach den vorliegenden Erkenntnissen seien Schutzberechtigte in Griechenland den griechischen Staatsangehörigen formal gleichgestellt. Sie hätten prinzipiell Zugang zu Bildung, Gesundheitsdienstleistungen , dem Arbeitsmarkt und Sozialhilfe. Seit Januar 2017 gebe es landesweit das sog. soziale Solidaritätseinkommen des griechischen Arbeits- und Sozialministeriums. Dieses beinhalte neben einem monatlichen Betrag von 200 Euro den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung, die Gewährung von Schulmahlzeiten und die Weiterleitung an soziale Fürsorgedienste. Die griechische Regierung teste zudem eine Reihe von Programmen, etwa zur Subventionierung von Strom 16 Besonders schutzbedürftig sind nach Art. 21 der sog. Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen [Neufassung ], ABl. L 180/96 vom 29. Juni 2013) unter anderem Minderjährige, Schwangere, Behinderte und Personen mit psychischen Störungen oder schweren körperlichen Erkrankungen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/19 Seite 9 und zur Gewährleistung von Mietzuschüssen. Alle Personen mit Flüchtlingsstatus hätten Anspruch auf medizinische Grund- und Notfallversorgung. 4.2.2. VG Ansbach, Beschluss vom 29. September 2018, AN 14 S 18.50697 Ebenso entschied das VG Ansbach im September 2018. Nach der aktuellen Auskunftslage gewähre Griechenland inzwischen auch anerkannten Schutzberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, zum Arbeitsmarkt und zur Sozialversicherung. In der Praxis sorge allerdings die schlechte wirtschaftliche und staatlich-administrative Lage des Landes für starke Einschränkungen bei der tatsächlichen Inanspruchnahme dieser Rechte. Es existiere zwar eine nationale Integrationsstrategie , doch es fehle an zielgerichteten Maßnahmen. Allerdings gebe es gegenwärtig über 50 sog. Integrationsräte, die das Ziel verfolgten, Integrationsprobleme zu erkennen und dem zuständigen Gemeinderat Vorschläge für die Integration zu unterbreiten. Hinzu kämen Initiativen kommunaler und zivilgesellschaftlicher Akteure. Staatlicherseits seien weder für Zuwanderer noch für Einheimische Sozialwohnungen, Mietsubventionen , Fördermittel oder sonstige Hilfen verfügbar. Im Falle der Obdachlosigkeit müssten Flüchtlinge mit einheimischen Obdachlosen um die geringen Hilfsmöglichkeiten der lokalen Behörden konkurrieren. Der Zugang zu Sozialhilfe habe nicht leicht erfüllbare Voraussetzungen. Dies gelte aber für griechische Staatsbürger und Schutzberechtigte gleichermaßen. Auch im Bereich der medizinischen Versorgung hätten Schutzberechtigte den gleichen Anspruch wie Einheimische. Letztlich hätten somit Schutzberechtigte die gleichen Rechte wie griechische Staatsbürger. Zwar könnten die Lebensumstände von Schutzberechtigten in Griechenland sehr schwierig sein, es herrschten allerdings nicht derart eklatante Missstände, dass eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung angenommen werden könne. Nur besondere individuelle Umstände könnten im Einzelfall dazu führen, dass eine Verletzung der Rechte nach Art. 3 EMRK zu befürchten sei.17 4.2.3. VG Berlin, Beschluss vom 6. Dezember 2018, 9 L 703.18 A Das VG Berlin kam im Dezember 2018 zu dem Ergebnis, dass eine aktuelle Gesamtwürdigung der Berichte und Stellungnahmen vor allem von Nichtregierungsorganisationen keine Verletzung von Art. 3 EMRK in Griechenland belege. Eine solche Verletzung setze ein Mindestmaß an Schwere voraus, wofür das Bestehen einiger Mängel nicht ausreiche. Anhaltspunkte dafür, dass Schutzberechtigte in Griechenland behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstünden und ihre elementarsten Bedürfnisse nicht erfüllen könnten, bestünden nicht. Die griechischen Behörden hätten mittlerweile zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Schutzberechtigten getroffen. Das griechische Ministerium für Migrationspolitik habe mit Schreiben vom 8. Januar 2018 an das Bundesministerium des Innern erklärt, dass die griechischen Behörden die Qualifikationsrichtlinie in griechisches Recht umgesetzt hätten. Schutzberechtigte würden alle darin festgelegten Rechte unter Beachtung der EMRK erhalten. Somit habe Griechenland unter anderem den Zugang zu Beschäftigung und Bildung, Sozialhilfeleistungen, medizinischer Versorgung und Wohnraum zugesichert. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich Griechenland nicht an diese Zusicherung gebunden fühle. 17 Das VG verweist auf den Fall einer Frau, die in Griechenland zur Prostitution gezwungen worden war, siehe VG München, Beschluss vom 12. Januar 2018, M 28 S 17.35846. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/19 Seite 10 Zwar hätten Schutzberechtigte aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit sowie aufgrund von Sprachbarrieren nur geringe Chancen, Zugang zu qualifizierter Arbeit zu finden. Die staatliche Arbeitsagentur habe bereits für griechische Arbeitslose kaum Ressourcen für die Arbeitsvermittlung. Die Gefahr, dass Schutzberechtigte keine Unterkunft finden könnten, bestehe aber nicht. Zwar gewähre Griechenland Schutzberechtigten keine Wohnungen, dies gelte aber auch für andere Drittstaatenangehörige sowie für griechische Staatsbürger. Schutzberechtigte hätten die Möglichkeit , weiterhin in Asylunterkünften zu wohnen. Zwar müssten sie diese offiziell innerhalb von sechs bzw. zwölf Monaten nach der Anerkennung verlassen. Dies werde aber in der Praxis nicht durchgesetzt. Gegen die Annahme einer unzureichenden Unterbringung von Schutzberechtigten spreche auch die Tatsache, dass Amnesty International im Report zu Griechenland vom 22. Februar 2018 nicht darüber berichte. Es sei auch nicht ernsthaft zu befürchten, dass sich Schutzberechtigte nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen könnten. Im Falle der staatlichen Unterbringung bezögen sie EUfinanzierte Geldleistungen im Rahmen sog. Cash-Card-Programme. Seien sie nicht staatlich untergebracht , so hätten sie Zugang zu Leistungen der im Februar 2017 eingeführten staatlichen Grundsicherung . Während bis Anfang 2018 der Bezug für Schutzberechtigte kaum möglich gewesen sei, seien nun Zugangshürden entfallen. Es gebe zudem eine große Anzahl von Nichtregierungsorganisationen , die Schutzberechtigte bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen und der Arbeitssuche unterstützten. Auch der Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung sei gewährleistet , da ein Anspruch auf weitgehend kostenlose Krankenbehandlung in Krankenhäusern bestehe. ***