© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 008/18 Gesetzliche Grundlagen einer Untersuchung zur Altersbestimmung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/18 Seite 2 Gesetzliche Grundlagen einer Untersuchung zur Altersbestimmung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 008/18 Abschluss der Arbeit: 22.01.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/18 Seite 3 Dieser Sachstand basiert in weiten Teilen auf der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 044/16 (Zuständigkeitsfragen zur Altersbestimmung bei minderjährigen Ausländern und zum Eintritt der Volljährigkeit ) vom 8. Februar 2016. 1. Rechtsgrundlagen ärztlicher Untersuchungen 1.1. Achtes Sozialgesetzbuch Mit dem am 1. November 2015 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher1 wurde die Vorschrift des § 42f in das Achte Sozialgesetzbuch (SGB VIII) aufgenommen, welche die Jugendämter im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme ermächtigt, in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. In der Regel wird die Untersuchung erst nach Beginn der Inobhutnahme erfolgen. Sie kann aber auf Antrag auch durchgeführt werden, nachdem die Behörde abgelehnt hat, den jungen Menschen in Obhut zu nehmen, weil sie ihn für volljährig hält. Voraussetzung der ärztlichen Untersuchung ist, dass eine Altersfeststellung durch die Einsichtnahme von Ausweispapieren oder mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme der betroffenen Person nicht zweifelsfrei getroffen werden kann, etwa weil Unsicherheiten hinsichtlich der Richtigkeit der mündlichen Angaben oder der Ausweispapiere der betroffenen Person bestehen. Routinemäßige Untersuchungen prophylaktischer Art sind hingegen unzulässig.2 Des Weiteren setzt eine körperliche Untersuchung zur Altersbestimmung die Einwilligung der betroffenen Person und ihres gesetzlichen Vertreters voraus. 1.2. Aufenthaltsgesetz Eine weitere Rechtsgrundlage zur körperlichen Untersuchung zwecks Altersbestimmung findet sich in § 49 Absatz 3 in Verbindung mit Absatz 6 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Danach können Behörden bei Zweifeln „Messungen und ähnliche Maßnahmen, einschließlich körperlicher Eingriffe“ zur Altersfeststellung vornehmen, wenn „dem Ausländer die Einreise erlaubt, ein Aufenthaltstitel erteilt oder die Abschiebung ausgesetzt werden soll oder es zur Durchführung anderer Maßnahmen nach diesem Aufenthaltsgesetz erforderlich ist“. Was unter „ähnlichen Maßnahmen“ zu verstehen ist, wird in den Gesetzesmaterialien nicht weiter ausgeführt. Die Formulierung orientiert sich an § 81b Strafprozessordnung (StPO), der erkennungsdienstliche Maßnahmen regelt. Als Voraussetzungen formuliert § 49 Absatz 6 Satz 1 und 2 AufenthG, dass „kein Nachteil für die Gesundheit des Ausländers zu befürchten ist“ und dass er das 14. Lebensjahr zweifelsfrei vollendet haben muss. 1 BGBl. I 2015, 1802. 2 Winkelmann, Holger, in: Bergmann, Jan/Dienelt, Klaus, Ausländerrecht, 11. Auflage, 2016, § 49, Rdn. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 008/18 Seite 4 2. Auswahl der ärztlichen Untersuchungsmethoden Weder § 42f SGB VIII noch § 49 Absatz 6 AufenthG enthalten spezielle Vorgaben zur Auswahl der Untersuchungsmethode. Aus der Grundrechtsrelevanz des körperlichen Eingriffes (Art. 2 Absatz 2 Grundgesetz) folgt, dass bei der Auswahl der Maßnahme der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren ist. Die zuständige Behörde muss mithin diejenige Untersuchungsmethode auswählen, die angesichts der individuellen Umstände des Einzelfalles geeignet, erforderlich und angemessen erscheint. Welche Untersuchungsmethoden grundsätzlich in Betracht kommen und welche nicht, wird in der juristischen Fachliteratur uneinheitlich bewertet. Insbesondere inwieweit eine Genitaluntersuchung oder eine Röntgenmaßnahme verhältnismäßig sein können, ist höchst umstritten.3 Die Gesetzesbegründung für die aktuelle Fassung des § 49 Absatz 6 AufenthG benennt zwar Röntgenuntersuchungen ausdrücklich als eine mögliche invasive Maßnahme.4 Einige halten Röntgenmaßnahmen deshalb grundsätzlich für zulässig, wenn sie nicht ausnahmsweise aus wichtigem Grund unzumutbar sind. Dies könne beispielsweise der Fall sein, wenn die betroffene Person bereits in erheblichem Umfang Röntgenbestrahlung ausgesetzt gewesen war, so dass eine weitere Bestrahlung wegen der damit verbundenen Überdosierung eine Gesundheitsgefahr darstellen würde.5 Eine starke Stimme in der Literatur sieht Röntgenuntersuchungen grundsätzlich als verfassungsrechtlich bedenklich an und hält sie insbesondere aufgrund der großen Streuweite der Ergebnisse nicht, jedenfalls nicht als alleinigen Maßstab zur Altersbestimmung , für zulässig.6 Das European Asylum Support Office kam in einer vergleichenden Studie über die Praxis der EU-Mitgliedstaaten zur Altersbestimmung zu dem Ergebnis, dass keine der bislang angewandten Methoden mit Sicherheit das genaue Alter einer Person bestimmen könne.7 Dieser Umstand ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung, insbesondere bei der Frage der Geeignetheit des Mittels, grundsätzlich zu berücksichtigen. Solange eine Altersspanne Ergebnis der Untersuchung ist, die unter 18 Jahren beginnt, ist die betroffene Person nicht ohne „Zweifel“ jenseits der Volljährigkeitsgrenze und mithin als minderjährig zu behandeln.8 *** 3 Hörich, Carsten, in: Kluth, Winfried/Heusch, Andreas, Beck Online Kommentar Ausländerrecht, 16. Auflage, 2017, § 49 AufenthG, Rdn. 36.1 mit weiteren Nachweisen zu Literatur und Rechtsprechung. 4 Drucksache 16/5065, S. 179. 5 Kirchhoff, Guido/Rudolf, Ernst, Altersfeststellung bei unbegleiteten Ausländern vor Inobhutnahme durch Jugendämter , in: NVwZ 2017, S. 1167 ff (S. 1172). 6 Hörich, ebenda, Rdn. 36.1. 7 European Asylum Support Office, Handbuch „Praxis der Altersbestimmung in Europa“, Dezember 2013, S. 6. 8 Sowohl Hörich, ebenda, Rdn. 36, als auch Kirchhoff, ebenda, S. 1172.