© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 007/19 Kindernachzug zum Vater mit Flüchtlingsstatus Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Nachzug zu beiden personensorgeberechtigten Eltern bzw. dem allein personensorgeberechtigten Elternteil, § 32 Abs. 1 AufenthG 7 3.1.2. Nachzug zu einem Elternteil bei gemeinsamen Sorgerecht, § 32 Abs. 3 AufenthG 7 3.1.3. Kriterium der Personensorgeberechtigung 8 3.2. Kindernachzug zur Vermeidung einer besonderen Härte, § 32 Abs. 4 AufenthG 9 3.3. Familiennachzug zu sonstigen Familienangehörigen gem. § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 007/19 Seite 4 1. Einleitung Gefragt wird nach den Voraussetzungen des Kindernachzugs zum in Deutschland als Flüchtling anerkannten Vater nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Konkret geht es hier um die Frage, ob es verfassungs- bzw. völkerrechtlich zulässig ist, dabei hinsichtlich der rechtlichen bzw. biologischen Vaterschaft zu differenzieren. 2. Verfassungs- und völkerrechtliche Rahmenbedingungen 2.1. Schutz der familiären Beziehung mit dem biologischen Vater nach Art. 6 Grundgesetz Das Bundesverfassungsgericht hat 2003 in einer Entscheidung festgestellt, dass vom Schutzbereich des Art. 6 GG auch der leibliche bzw. biologische Vater, der nicht rechtlicher Vater eines Kindes ist, umfasst sein kann, wenn eine sozial-familiäre Beziehung zwischen ihm und dem Kind besteht.1 Dass „im Einzelfall entgegen der [in § 1592 BGB verankerten] gesetzlichen Vermutung die rechtliche und die leibliche Vaterschaft auseinander fallen können“ sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.2 Das Kind habe dann „zwei Väter, die sich beide auf ihre durch Art. 6 II 1 GG geschützte Elternschaft berufen können.“3 Allerdings mache der Schutz dieser Elternschaft „allein noch nicht den biologischen Vater neben dem rechtlichen Vater zum Träger des Elternrechts aus Art. 6 II 1 GG“, das nur der rechtliche Vater innehaben könne.4 Wird eine einmal begründete sozialfamiliäre Beziehung zwischen dem leiblichen Vater und dem Kind etwa durch Entscheidungen der personensorgeberechtigten rechtlichen Eltern unmöglich, begründe zwar weder Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG noch Art. 6 Abs. 1 GG einen Anspruch des leiblichen, aber nicht rechtlichen Vaters auf Fortsetzung seines verantwortlichen Handelns gegenüber dem Kind.5 Allerdings nimmt das BVerfG eine Nachwirkung des Schutzes der zuvor bestehenden sozial-familiären Beziehung an. Dabei schütze Art. 6 Abs. 1 GG die Beziehung zwischen dem Kind und seinem Elternteil und nicht etwa nur die Interessen eines einzelnen Familienmitglieds. Denn Art 6 Abs. 1 GG könne „dem Einzelnen nur ein Recht vermitteln, das mit dem Interesse des anderen, mit ihm verbundenen Familienmitglieds korrespondiert und dem Schutz der familiären Beziehung dient. Ein Recht des biologischen Vaters auf Umgang mit seinem Kind zur Aufrechterhaltung der zwischen ihnen bestehenden sozialen Beziehung besteht deshalb nur insoweit, als dies dem Wohl des Kindes dient.“6 Art. 6 GG vermittelt allerdings keinen Anspruch von ausländischen Familienangehörigen auf Nachzug zu ihren berechtigterweise in der Bundesrepublik Deutschland lebenden ausländischen 1 BVerfG, Beschluss vom 9. 4. 2003, Az. 1 BvR 1493/96 u.a., juris. 2 BVerfG, aaO, juris Rz. 56. 3 BVerfG, aaO, juris Rz. 56. 4 BVerfG, aaO, juris Rz. 57. 5 BVerfG, aaO, juris Rz. 93. 6 BVerfG, aaO, juris Rz. 97. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 007/19 Seite 5 Ehegatten oder Familienangehörigen.7 Insofern besteht ein Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Bei Entscheidungen über das Aufenthaltsrecht von Familienangehörigen hat die zuständige Behörde die familiären Bindungen aufgrund des Rechts auf den Schutz der Familie aus Art. 6 GG im Rahmen der Ermessenausübung angemessen zu berücksichtigen.8 2.2. Schutz des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention Einen völkerrechtlichen Rahmen des Familiennachzugs bildet insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).9 Obwohl die EMRK als völkerrechtlicher Vertrag lediglich den Rang eines einfachen Gesetzes einnimmt, misst das Bundesverfassungsgericht ihr aufgrund des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes eine besondere Bedeutung zu.10 Daraus folgt, dass die gesamte deutsche Rechtsordnung, einschließlich der Grundrechte, im Lichte der EMRK auszulegen ist, soweit dies mit dem Wortlaut des Grundgesetzes vereinbar ist.11 Art. 8 EMRK schützt u.a. das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.12 Zum Familienleben zählen sämtliche sozialen, moralischen und kulturellen Beziehungen zwischen Familienmitgliedern .13 Dabei ist es unerheblich, ob zwischen den Eltern und ihren Kindern eine Verwandtschaft im rechtlichen Sinne besteht, vielmehr kommt es auf die tatsächlich gelebten Verhältnisse, also auf ein „effektives Zusammenleben“ an.14 Die Beziehung eines biologischen Vaters zu seinem Kind ist daher grundsätzlich nur dann vom Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst, wenn weitere Anhaltspunkte auf eine enge persönliche Beziehung hinweisen.15 Art. 8 EMRK gewährt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) allerdings weder ein subjektives Recht auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung in einem bestimmten Land noch eine generelle Verpflichtung für Staaten, die Wahl des Aufenthalts- 7 BVerfGE 76, 1 (47). 8 BVerfGE 80, 81 (93). 9 Neben der EMRK kommt auch die VN-Kinderrechtskonvention (KRK) als einschlägiges Völkerrecht in Betracht. Zur Vereinbarkeit etwa der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte mit der KRK, s. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Vereinbarkeit der Regelungen des Asylpakets II betreffend die Aussetzung des Familiennachzugs für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit der VN-Kinderrechtskonvention (KRK), WD 2-3000-026/16. 10 Ausführlich dazu Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Bedeutung der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die deutsche Gesetzgebung, WD 3 - 3000 - 162/16. 11 BVerfGE 111, 307 (317) – Görgülü. 12 Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 4. Auflage 2017, Art. 8 Rn. 1. 13 Eichenhofer, in: Huber/Eichenhofer/Endres de Oliveira, Aufenthaltsrecht, 2017, Rn. 709. 14 Eichenhofer, in: Huber/Eichenhofer/Endres de Oliveira, Aufenthaltsrecht, 2017, Rn. 709. 15 Eichenhofer, in: Huber/Eichenhofer/Endres de Oliveira, Aufenthaltsrecht, 2017, Rn. 709. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 007/19 Seite 6 orts von Migranten zu respektieren und Familiennachzug in ihr Hoheitsgebiet zu gestatten.16 Bei der Auslegung und Anwendung des nationalen (Aufenthalts-)Rechts – etwa im Rahmen der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis – haben die Staaten das Privat- und Familienleben allerdings umfassend zu beachten.17 Der EGMR zieht bei Entscheidungen über den Familiennachzug verschiedene Kriterien heran, um eine mögliche Verletzung von Art. 8 EMRK zu beurteilen. Dazu zählen u.a. die Fragen, inwieweit tatsächlich ein Familienleben gelebt wird, welchen Bindungen zum Aufnahmestaat bestehen, ob ein Familienleben im Herkunftsland unüberwindbaren Hindernissen ausgesetzt ist, oder ob Gründe der öffentlichen Ordnung dem Nachzug entgegenstehen.18 In einem Urteil zum Umgangsrecht des biologischen Vaters eines Kindes hat der EGMR entschieden , dass der Schutzbereich des Art. 8 EMRK auch dann eröffnet sein kann, wenn bislang keine familiären Bindungen zwischen Vater und Kind existieren.19 Der EGMR stellte dabei zunächst fest, dass grundsätzlich die „biologische Verwandtschaft zwischen einem leiblichen Elternteil und einem Kind allein - d.h. ohne weitere rechtliche oder tatsächliche Merkmale, die auf das Vorliegen einer engen persönlichen Beziehung hindeuten - nicht aus[reiche], um unter den Schutz von Artikel 8 zu fallen“; vielmehr sei das Zusammenleben in der Regel eine Voraussetzung für die Annahme eines Familienlebens.20 Allerdings vertritt der EGMR die Auffassung, „dass auch ein beabsichtigtes Familienleben ausnahmsweise unter Artikel 8 fallen kann, und zwar vor allem dann, wenn der Umstand, dass das Familienleben noch nicht vollständig hergestellt war, nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen war“.21 „Sofern es die Umstände rechtfertigen, muss sich das ‚Familienleben‘ insbesondere auch auf die potentielle Beziehung erstrecken, die sich zwischen einem nichtehelichen Kind und dessen leiblichem Vater entwickeln kann. Maßgebliche Kriterien, die in diesen Fällen für das tatsächliche und praktische Vorliegen enger persönlicher Bindungen maßgeblich sein können, sind unter anderem die Art der Beziehung zwischen den leiblichen Eltern sowie das nachweisbare Interesse an dem Kind und Bekenntnis zu ihm seitens des leiblichen Vaters sowohl vor als auch nach der Geburt.“22 Daneben wies der EGMR darauf hin, dass enge 16 Vgl. EGMR, Urteil vom 19. Februar 1996, Az. 23218/94 (Gül) Rn. 38 m. w. N.; Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 4. Auflage 2017, Art. 8 Rn. 76; Groenendijk, Familienzusammenführung als Recht nach Gemeinschaftsrecht, ZAR 2006, 191 (193). 17 Eichenhofer, in: Huber/Eichenhofer/Endres de Oliveira, Aufenthaltsrecht, 2017, Rn. 707. 18 Zu allen Kriterien EGMR, Urteil vom 31. Januar 2006, Az. 50435/99 (Rodrigues da Silva u.a.), Rn. 39. 19 Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Dezember 2010, Az. 20578/07 (Anayo), Rn. 56 ff.; bestätigt sogar für den nur mutmaßlich biologischen Vater in EGMR, Urteil vom 15. September 2011, Az. 17080/07 (Schneider). 20 EGMR, Urteil vom 21. Dezember 2010, Az. 20578/07 (Anayo), Rn. 56. 21 EGMR, Urteil vom 21. Dezember 2010, Az. 20578/07 (Anayo), Rn. 57. 22 EGMR, Urteil vom 21. Dezember 2010, Az. 20578/07 (Anayo), Rn. 57; so auch bereits EGMR, Entscheidung vom 29. Juni 1999, Az. 27110/95 (Nylund) und EGMR, Entscheidung vom 19. Juni 2003, Az. 46165/99 (Nekvedavicius). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 007/19 Seite 7 Beziehungen, die nicht als Familienleben qualifiziert würden, jedenfalls vom Privatleben des Mannes nach Art. 8 umfasst seien.23 3. Kindernachzug nach dem Aufenthaltsgesetz Die Regelungen des Familiennachzugs in §§ 27 ff. AufenthG dienen ausweislich des ausdrücklichen Wortlauts von § 27 Abs. 1 AufenthG der Gewährleistung des Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 GG. 3.1. Familiennachzug zu den personensorgeberechtigten Eltern Der Nachzug von Kindern zu ihren ausländischen Eltern nach § 32 Abs. 1 bzw. 3 AufenthG bezweckt die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit den Eltern bzw. einem Elternteil.24 3.1.1. Nachzug zu beiden personensorgeberechtigten Eltern bzw. dem allein personensorgeberechtigten Elternteil, § 32 Abs. 1 AufenthG Gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG hat ein minderjähriges lediges Kind einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis als anerkannter Flüchtling gemäß § 25 Abs. 2 Alt. 1 AufenthG haben bzw. hat.25 Soll der Kindernachzug zum als Flüchtling anerkannten Vater erfolgen, so muss dieser also das alleinige Personensorgerecht für das Kind besitzen. Dabei ist der Begriff des alleinigen Personensorgerechts aufgrund des Art. 4 Abs. 1 lit. c) der Familienzusammenführungsrichtlinie 26 unionsrechtskonform auszulegen.27 Danach ist ein Elternteil allein sorgeberechtigt, wenn dem anderen Elternteil bei der Ausübung der Personensorge keine substantiellen Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes.28 3.1.2. Nachzug zu einem Elternteil bei gemeinsamen Sorgerecht, § 32 Abs. 3 AufenthG Besitzen die Eltern das gemeinsame Sorgerecht (und der Nachzug soll nur zu dem Vater erteilt werden), findet § 32 Abs. 3 AufenthG Anwendung. Danach soll die Ausländerbehörde dem Kind eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, wenn der andere Elternteil sein Einverständnis mit dem 23 EGMR, Urteil vom 21. Dezember 2010, Az. 20578/07 (Anayo), Rn. 58. 24 Marx, Aufenthalts-, Asyl und Flüchtlingsrecht, 6. Auflage 2017, § 6 Rn. 131. 25 Marx, Aufenthalts-, Asyl und Flüchtlingsrecht, § 6 Rn. 135. 26 RL 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251/2003, S. 12). 27 Marx, Aufenthalts-, Asyl und Flüchtlingsrecht, § 6 Rn. 133. 28 BVerwGE 133, 329 (336). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 007/19 Seite 8 Aufenthalt des Kindes in Deutschland erklärt hat oder eine entsprechende rechtsverbindliche Entscheidung einer zuständigen Stelle vorliegt.29 Anders als im Fall des § 32 Abs. 1 AufenthG besteht demnach kein Anspruch auf den Nachzug, stattdessen liegt eine sogenannte Sollvorschrift vor. Das Ermessen der Behörde ist also darauf beschränkt, in atypischen Ausnahmefällen den Kindesnachzug zu versagen, ansonsten muss sie eine Aufenthaltserlaubnis erteilen.30 3.1.3. Kriterium der Personensorgeberechtigung Aus den Ausführungen ergibt sich, dass der Kindernachzug nach § 32 Abs. 1 und 3 AufenthG die Personensorgeberechtigung des Vaters voraussetzt. Ein rein tatsächlich bestehendes, gelebtes Kind-Eltern-Verhältnis, ohne Übertragung des Sorgerechts auf den betreffenden Elternteil, reicht nicht aus.31 Die Frage der Personensorge bestimmt sich gemäß Art. 21 EGBGB nach dem Recht desjenigen Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.32 Nach deutschem Recht ist die Personensorge gemäß § 1626 Abs. 1 S. 2 BGB die Sorge um die Person des Kindes33 und Teil der elterlichen Sorge (§ 1626 Abs. 1 S. 1 BGB).34 Eltern des Kindes sind die Mutter, als Frau, die das Kind geboren hat (§ 1591 BGB), und der Vater. Die Vaterschaft kann ein Mann gemäß § 1592 BGB dadurch begründen, dass er entweder 1. zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, 2. die Vaterschaft anerkennt oder 3. die Vaterschaft nach § 1600d oder § 182 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gerichtlich festgestellt wird. Die Personensorge kann nach deutschem Recht somit nur der rechtliche Vater eines Kindes innehaben. Liegt eine ausländische Sorgerechtsentscheidung vor, so wird diese grundsätzlich inzident anerkannt (Grundsatz der Inzidentanerkennung, § 108 Abs. 1 FamFG).35 Gemäß § 97 Abs. 1 FamFG gehen allerdings Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften des FamFG vor.36 Geht es 29 Marx, Aufenthalts-, Asyl und Flüchtlingsrecht, § 6 Rn. 138. 30 Marx, Aufenthalts-, Asyl und Flüchtlingsrecht, § 6 Rn. 142. 31 Welte, ZAR 2014, 19 (20). 32 BVerwG, NVwZ 2013, 947 (948). 33 Sie umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen (§ 1631 Abs. 1 BGB). 34 Tewocht, in: Kluth/Heusch, Ausländerrecht, § 28 Rn. 24a. 35 Marx, Aufenthalts-, Asyl und Flüchtlingsrecht, § 6 Rn. 133. 36 BVerwG, NVwZ 2013, 947 (948). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 007/19 Seite 9 um den Nachzug von Kindern, ist das Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA)37 i. d. R. einschlägig.38 „Ein förmliches Anerkennungsverfahren sieht das Abkommen nicht vor. Als Grenze der gegenseitigen Anerkennung enthält Art. 16 MSA nur den Vorbehalt, dass die Bestimmungen dieses Übereinkommens in den Vertragsstaaten unbeachtet bleiben dürfen, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist (ordre public).“39 Ein Anwendungshindernis für die ausländische Sorgerechtsentscheidung liegt danach erst dann vor, wenn „das Ergebnis der ausländischen Entscheidung zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint.“40 In materieller Hinsicht steht dabei die Wahrung des Kindeswohls im Mittelpunkt der Prüfung, in verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zu prüfen, ob das Kind angehört wurde, bzw. bei jüngeren Kindern ein funktionales Äquivalent stattgefunden hat.41 3.2. Kindernachzug zur Vermeidung einer besonderen Härte, § 32 Abs. 4 AufenthG § 32 Abs. 4 AufenthG sieht die Möglichkeit des Kindernachzugs zu den Eltern in Härtefällen als Ermessensentscheidung der Behörde vor. Nach § 32 Abs. 4 S. 1 AufenthG kann dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn dies im Einzelfall zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist. Kriterien dafür sind gemäß § 32 Abs. 4 S. 2 AufenthG das Kindeswohl sowie die familiäre Situation. Im Rahmen der Ermessenentscheidung hat die Behörde also das Wohl des Kindes mit den öffentlichen Interessen abzuwägen.42 Maßgeblich für das Gewicht der familiären Belange des Kindes ist die Lebenssituation des Kindes im Heimatland.43 Im Fall dieser Härtefallregelung ist das Vorhandensein einer Personensorgeberechtigung des in Deutschland als Flüchtling anerkannten Vaters, zu dem der Zuzug beantragt wird, anders als nach § 32 Abs. 1 und 3 AufenthG keine Voraussetzung.44 Wer das Sorgerecht innehat, kann aber im Rahmen der Ermessensentscheidung eine Rolle spielen, da diese Frage die nach § 32 Abs. 4 AufenthG zu berücksichtigende familiäre Situation und das Wohl des Kindes betrifft.45 37 Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 (BGBl. II 217). 38 BVerwG, NVwZ 2013, 947 (949). 39 BVerwG, NVwZ 2013, 947 (949). 40 BVerwG, NVwZ 2013, 947 (949). 41 BVerwG, NVwZ 2013, 947 (949). 42 Marx, Aufenthalts-, Asyl und Flüchtlingsrecht, § 6 Rn. 143. 43 BVerwG, InfAuslR 1998, 161 (162). 44 Welte, ZAR 2014, 19 (21). 45 Göbel-Zimmermann/Eichhorn, in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Auflage 2016, § 32 Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 007/19 Seite 10 Da § 32 Abs. 4 AufenthG nicht an das Kriterium der Personensorgeberechtigung anknüpft, könnte die Norm also auch dem „Kind eines Ausländers“, der (nur) dessen biologischer, nicht aber dessen rechtlich anerkannter Vater ist, eine Möglichkeit auf Nachzug vermitteln. Der Wortlaut des Abs. 4 schließt dies jedenfalls nicht aus, da allein die Bezeichnung „Kind“ – auch mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 6 GG46 – nicht nur die Beziehung zu den rechtlich anerkannten Eltern, sondern auch die sozial-familiäre Beziehung und leibliche Abstammung einer minderjährigen Person beschreibt. Systematisch ließe sich einwenden, dass auch der nur die rechtlichen Eltern erfassende § 32 Abs. 1 AufenthG den Begriff des „minderjährigen ledigen Kind[es]“ verwendet. Allerdings enthält dieser ausdrücklich das zusätzliche Kriterium der Personensorgeberechtigung der Eltern/-teile. Erst daraus ergibt sich die Voraussetzung der rechtlichen Vaterschaft für den Kindernachzug nach § 32 Abs. 1 AufenthG (s.o.). In einer Eilrechtsentscheidung von 2003 ließ das OVG Hamburg ausdrücklich offen, ob den Kindern eines biologischen ausländischen Vaters, der nicht der rechtliche ist, ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den Vorschriften, die zum maßgeblichen Zeitpunkt den „Kindernachzug“ regelten, zustand. Jedenfalls aber seien die Vorschriften zum Aufenthaltsrecht von (sonstigen) „Familienangehörigen“ auch auf Kinder anwendbar, die mit dem nur biologischen Vater in einer sozial-familiären Beziehung leben.47 Nach dem Gesagten scheint die Anwendung des § 32 Abs. 4 AufenthG auf das Kind eines (nur) biologischen Vaters zumindest nicht ausgeschlossen . Dagegen spricht auch nicht, dass das OVG Hamburg in einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 2018 die Auffassung vertrat, dass der nicht rechtlich anerkannte, nur biologische Vater kein „Elternteil“ eines deutschen Kindes im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG sei, sondern nur sonstiger Familienangehöriger, auf den gemäß § 28 Abs. 4 AufenthG (a. F. 2004) die Regelung des § 36 Abs. 2 AufenthG entsprechende Anwendung fänden (dazu sogleich unter 3.3.).48 Denn § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (a. F. 2004) regelt nach seinem Wortlaut nur den Nachzug eines Elternteils zu einem minderjährigen ledigen deutschen Kind zur Ausübung der Personensorge. Die Reduzierung des Anwendungsbereichs von § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG (a. F. 2004) auf die „rechtlichen Eltern“ ergibt sich mithin wie bei § 32 Abs. 1 AufenthG (n. F.) erst mittelbar durch das Kriterium der Personensorge. 3.3. Familiennachzug zu sonstigen Familienangehörigen gem. § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG Zuletzt kommt ein Nachzug des Kindes zu seinem biologischen Vater als sonstigem Familienangehörigen gemäß § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG in Betracht. Dieser bestimmt: „Sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers kann zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist.“ Das OVG Hamburg hat den nicht rechtlichen, aber biologischen Vater vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des 46 S. unter 2.1. 47 OVG Hamburg, Beschluss vom 25 August 2003, Az. 1 Bs 227/03, s. InfAuslR 2003, 417 f. 48 OVG Hamburg, Beschluss vom 20. März 2018, Az. 1 Bs 25/18; so bereits 2014 das VG Berlin, Urteil vom 10. Oktober 2014, Az. 22 K 93.14 V. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 007/19 Seite 11 Bundesverfassungsgerichts zu Art. 6 GG in zwei Entscheidungen49 jedenfalls als sonstigen Familienangehörigen des leiblichen Kindes angesehen, wenn zwischen ihnen eine tatsächliche sozialfamiliäre Beziehung besteht.50 Zu beachten ist, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte nach § 36 Abs. 2 AufenthG höhere Anforderungen zu stellen sind als an das Vorliegen einer besonderen Härte nach § 32 Abs. 4 AufenthG.51 *** 49 OVG Hamburg, InfAuslR 2003, 417f.; OVG Hamburg, Beschluss vom 20. März 2018, Az. 1 Bs 25/18, Rn. 13. 50 Vgl. 3.2. 51 BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013, Az. 1 C 15/12, juris Rz. 13.