Deutscher Bundestag Verhältnismäßigkeit des Punktesystems im Seefischereigesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 006/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 006/11 Seite 2 Verhältnismäßigkeit des Punktesystems im Seefischereigesetz Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 006/11 Abschluss der Arbeit: 28. Januar 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 006/11 Seite 3 1. Einleitung Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat einen (innerhalb der Bundesregierung noch nicht abschließend abgestimmten) Gesetzentwurf zur Änderung des Seefischereigesetzes1 (SeeFischG) und zur Änderung schifffahrtsrechtlicher Vorschriften nach § 48 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien vorgelegt.2 Nach § 13 Abs. 1 SeeFischG sind zur Sicherstellung eines wirkungsvollen Vollzuges der Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik im Falle schwerer Verstöße gegen diese Vorschriften die in § 13 Abs. 2 bis 8 SeeFischG genannten Maßnahmen (Punktesystem) zu ergreifen. Weitere Regelungen werden durch Rechtsverordnung getroffen (§ 15 Abs. 1 Nr. 17 SeeFischG), die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Die Vorschriften dienen der Durchführung des Art. 92 der (insbesondere auf Art. 37 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – heute Art. 43 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - gestützten) Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 vom 20. November 20093 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Kontrollregelung zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik und zur Änderung und Aufhebung bestimmter Verordnungen4 (im Folgenden: Kontrollverordnung). Art. 92 Abs. 1 der Kontrollverordnung schreibt vor, dass die Mitgliedstaaten ein Punktesystem anwenden für schwere Verstöße gegen die Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik im Sinne des Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 1005/2008 des Rates vom 29. September 2008 über ein Gemeinschaftssystem zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei. Nach dem Punktesystem wird der Inhaber einer Fanglizenz bei einem schweren Verstoß gegen die Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik mit einer angemessenen Anzahl von Punkten belegt. Art. 92 Abs. 2 bis 4 der Kontrollverordnung macht bestimmte Vorgaben für die Ausgestaltung des Punktesystems. Gemäß Art. 92 Abs. 5 der Kontrollverordnung werden Durchführungsbestimmungen zu Art. 92 nach dem Verfahren gemäß Art. 119 der Kontrollverordnung erlassen. Die EU-Kommission hat dazu einen Entwurf vorgelegt, der aber noch nicht in konsolidierter Fassung existiert. Nach Art. 93 Abs. 6 der Kontrollverordnung richten die Mitgliedstaaten auch ein Punktesystem ein, bei dem der Kapitän eines Schiffes, der gegen die Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik einen schweren Verstoß begangen hat, mit einer angemessenen Zahl von Punkten belegt wird. Demgemäß gelten die Punktesysteme jeweils für den Inhaber einer Fanglizenz (§ 13 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SeeFischG) und für den Kapitän eines Fischereifahrzeugs, der auf Grund eines Befähigungszeugnisses der Bundesrepublik Deutschland für den nautischen Dienst auf Fischereifahr- 1 Seefischereigesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Juli 1998 (BGBl. I S. 1791), das zuletzt durch Art. 39 des Gesetzes vom 9. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1934) geändert worden ist. 2 Datenblattnr. 1710069. 3 ABl. L 343 vom 22. Dezember 2008, S. 1. 4 Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 847/96, (EG) Nr. 2371/2002, (EG) Nr. 811/2004, (EG) Nr. 768/2005, (EG) Nr. 2115/2005, (EG) Nr. 2166/2005, (EG) Nr. 388/2006, (EG) Nr. 509/2007, (EG) Nr. 676/2007, (EG) Nr. 1098/2007, (EG) Nr. 1300/2008, (EG) Nr. 1342/2008; Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 2847/93, (EG) Nr. 1627/94 und (EG) Nr. 1966/2006. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 006/11 Seite 4 zeugen zum Führen von Fischereifahrzeugen befugt ist (§ 13 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SeeFischG). Die Punkte werden gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 SeeFischG für jeden Verstoß durch die den schweren Verstoß feststellende Behörde verhängt und der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zur Eintragung in die nationale Verstoßkartei nach § 14 SeeFischG unverzüglich mitgeteilt. Die näheren Einzelheiten zum Punktesystem in den Fällen des § 13 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 See- FischG (Inhaber einer Fanglizenz), einschließlich der für einen schweren Verstoß jeweils geltenden Punktzahl, bestimmen sich nach der noch zu erlassenden Verordnung der EU-Kommission mit Durchführungsbestimmungen zur Kontrollverordnung (§ 13 Abs. 2 SeeFischG ) und sind europarechtlich determiniert. Die Ausgestaltung des Punktesystems in den Fällen des § 13 Abs. 1 Satz 2 Nr.2 SeeFischG (Kapitän eines Fischereifahrzeuges) ist Sache des nationalen Gesetzgebers und wird in § 13 Abs. 3 bis 8 SeeFischG in Verbindung mit der Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 1 Nr. 17 SeeFischG vorgenommen. Diese Regelungen lehnen sich inhaltlich eng an den Verordnungsentwurf der EU-Kommission an.5 Nach § 13 Abs. 3 SeeFischG wird für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nach den §§ 18 und 19 SeeFischG eine bestimmte Anzahl von Punkten verhängt, wobei jede einzelne Tat nach der Schwere der Zuwiderhandlung und nach den Folgen der Tat mit einem Punkt bis zu zwölf Punkten nach näherer Bestimmung durch die Rechtsverordnung auf Grund des § 15 Abs. 1 Nr. 17 SeeFischG zu bewerten ist. Bei mehreren Zuwiderhandlungen durch eine Handlung wird nur die Zuwiderhandlung mit der höchsten Punktzahl eingetragen. Bei der Verhängung der Punkte ist die zuständige Behörde an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die bestandskräftige oder rechtskräftige Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit gebunden (§ 13 Abs. 3 SeeFischG). Hat der Kapitän zwölf Punkte oder mehr erreicht, gilt er nach § 13 Abs. 4 SeeFischG im Sinne der Vorschriften über die Erteilung von Befähigungszeugnissen für den nautischen Dienst auf Fischereifahrzeugen für die Anzahl an Monaten als unzuverlässig, die der Anzahl der erreichten Punkte entspricht. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie ordnet für diesen Zeitraum das Ruhen des Befähigungszeugnisses an, das der Kapitän unverzüglich zu übergeben hat. Nach dem Ablauf der Frist werden alle Punkte gelöscht, wenn innerhalb der Frist keine weiteren Punkte gegen ihn verhängt worden sind. Anderenfalls verlängert sich die Frist und das Ruhen des Befähigungszeugnisses je Punkt um einen weiteren Monat (§ 13 Abs. 4SeeFischG). Hat der Kapitän eines Fischereifahrzeugs zum dritten Mal oder mehr zwölf Punkte oder mehr erreicht , gilt er abweichend von Abs. § 13 Abs. 4 SeeFischG über § 8 Absatz 2 Satz 1 der Schiffsoffizier -Ausbildungsverordnung6 als persönlich ungeeignet für den Erwerb oder den Besitz eines Befähigungszeugnisses für den nautischen Dienst auf Fischereifahrzeugen. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hat das Befähigungszeugnis zu entziehen, im Übrigen ist § 23 Abs. 5 und 6 der Schiffsoffizier-Ausbildungsverordnung anzuwenden. Ist die Entziehung des Befähigungszeugnisses in Folge der Unzuverlässigkeit bestandskräftig angeordnet worden, wer- 5 Laut telefonischer Auskunft des zuständigen Referats im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 25. Januar 2011. 6 Danach kann eine Person als unzuverlässig angesehen werden, die gegen verkehrsstrafrechtliche Vorschriften außerhalb des Seeschiffsverkehrs erheblich verstoßen hat und deswegen rechtskräftig verurteilt worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 006/11 Seite 5 den alle Punkte gelöscht. Ein Befähigungszeugnis darf, unbeschadet der Vorschriften der Schiffsoffizier -Ausbildungsverordnung, frühestens ein Jahr nach Wirksamkeit der Entziehung wiedererteilt werden. Fristbeginn ist die Übergabe des Befähigungszeugnisses nach § 23 Abs. 5 Satz 2 der Schiffsoffizier-Ausbildungsverordnung (§ 13 Abs. 5 SeeFischG). Wenn gegen den Kapitän eines Fischereifahrzeugs, der noch nicht mindestens zwölf Punkte erreicht hat, nach der letzten Entscheidung über die Verhängung von Punkten keine weiteren Punkte verhängt worden sind, wird nach Ablauf von jeweils zwölf Monaten jeweils ein Punkt gelöscht, nach Ablauf von drei Jahren alle Punkte, es sei denn, sie sind für eine Straftat verhängt worden sind. Dann erfolgt die Löschung erst nach fünf Jahren (§ 13 Abs. 6 SeeFischG). Ab einem Punktestand von zehn Punkten weist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung den Kapitän auf das Drohen des Ruhens oder der Entziehung des Befähigungszeugnisses durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hin (§ 13 Abs. 7 SeeFischG). Begeht ein Kapitän, der über ein Befähigungszeugnis eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union verfügt, auf einem Fischereifahrzeug, das berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen, oder bei Ausübung der Seefischerei im Küstenmeer oder in der Ausschließlichen Wirtschaftszone einen schweren Verstoß gegen die Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik, tritt in den genannten einschlägigen Vorschriften des § 13 SeeFischG an die Stelle des Befähigungszeugnisses der Anerkennungsvermerk nach § 21 Abs. 2 Schiffsoffizier-Ausbildungsverordnung (§ 13 Abs. 8 SeeFischG). Bei der Regelung des Punktesystems handelt es sich um einen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG, der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verhältnismäßig sein muss.7 Wegen des Vorrangs des Unionsrechts gegenüber nationalem Recht, auch nationalem Verfassungsrecht, unterliegt das SeeFischG der Verhältnismäßigkeitsüberprüfung aber nur insoweit, als es nicht durch die Kontrollverordnung europarechtlich determiniert ist.8 Das heißt, dass das Punktesystem für den Kapitän als solches (§ 13 Abs. 1 Satz 2 Nr.2 und Abs. 2 SeeFischG) nicht zur Disposition des deutschen Gesetzgebers steht (Art. 92 Abs. 6 der Kontrollverordnung). Er hat nur die notwendigen Vorschriften zur Einrichtung dieses Systems zu erlassen, was in den nationalen Regelungen des § 13 Abs. 3 bis 8 See- FischG geschehen ist. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung, an deren Anfang üblicherweise die Überprüfung der Verfolgung eines legitimen Regelungszwecks steht, hat sich darauf nicht zu erstrecken , da der Regelungszweck durch Art. 92 Abs. 6 in Verbindung mit den Erwägungsgründen der Kontrollverordnung festgelegt und im Hinblick auf seine Legitimität nicht mehr zu überprüfen ist: Durchführung einer wirksamen Kontrollregelung, die in der Kontrollverordnung im Rahmen eines umfassenden und integrierten Ansatzes zur Kontrolle, Inspektion und Durchsetzung festgelegt worden ist, um die Einhaltung aller Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik zu 7 BVerfGE 61, 291 (312); 68, 272 (282). 8 BVerfGE 121, 1 (15); 125, 260 (306 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 006/11 Seite 6 gewährleisten9 und schwere Verstöße gegen die Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik durch Abschreckung zu verhindern. Bei der Durchführung von Art. 92 Abs. 6 der Kontrollverordnung hat der Gesetzgeber innerhalb der ihm belassenen Entscheidungsfreiheit die Mittel zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Maßnahme (effet utile) unter Berücksichtigung des Zwecks der Kontrollverordnung am besten eignen.10 An diesem Grundsatz hat sich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung von § 13 Abs. 3 bis 8 SeeFischG zu orientieren. Sie hat sich in folgenden Schritten zu vollziehen: - Geeignetheit der Regelung zur Erreichung dieses Zwecks, - Erforderlichkeit der Regelung, - Angemessenheit der Regelung. 2. Geeignetheit des Mittels Eine Maßnahme ist im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geeignet, wenn mit ihrer Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann.11 Es reicht aus, dass das Mittel der Zweckerreichung dient; es braucht nicht unbedingt optimal zu sein.12 Der Gesetzgeber besitzt im Rahmen seiner wirtschafts-, arbeits- und sozialpolitischen Entscheidungsfreiheit einen grundsätzlich nicht nachprüfbaren Prognosespielraum bzw. eine Einschätzungsprärogative, was die Ungewissheit über die Auswirkungen eines Gesetzes angeht. Das BVerfG hat sich darauf beschränkt, unter Berücksichtigung des zu prüfenden Sachbereichs, der Beurteilungsmöglichkeit und der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter eine Evidenzkontrolle,13 eine Vertretbarkeitskontrolle14 durchzuführen , wobei der vom Gesetzgeber angestrebte Erfolg bei einer ex-ante-Betrachtung zumindest als möglich erscheinen muss.15 Wenn das eingesetzte Mittel „objektiv untauglich“16, „objektiv ungeeignet“17 oder „schlechthin ungeeignet“18 ist, verstößt es als ungeeignet gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . Die Rechtsprechung verlangt vom Gesetzgeber, sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Datenmaterials zu orientieren und die ihnen zugänglichen Erkenntnisquellen auszuschöpfen, um die voraussichtlichen Auswirkungen der Regelung so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können.19 Das BVerfG kann sich über Wer- 9 Erwägungsgrund 2 der Kontrollverordnung. 10 Grundlegend (für die Richtlinienumsetzung) EuGH, Rs. 48/75, Slg. 1976, 497, Rn. 69/73 a.E. (Royer). 11 BVerfGE 30, 292 (316); 115, 276 (308). 12 Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Auflage 2004, Vorb. Art. 1 Rn. 147. 13 BVerfGE 37, 1 (20); 40, 196 (223). 14 BVerfGE 25, 1 (2 ff.); 77, 84 (106). 15 BVerfGE 25, 1 (12 f.); 96, 10 (23). 16 BVerfGE 16, 147 (181). 17 BVerfGE 17, 306 (317) betr. Mitfahrerzentralen – Untauglichkeit des Mittels bejaht. 18 BVerfGE 19, 119 (127); 73, 301 (317). 19 BVerfGE 50, 229 (333 f.); 90, 145 (173). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 006/11 Seite 7 tungen und tatsächliche Beurteilung des Gesetzgebers nur dann „hinwegsetzen, wenn sie widerlegbar sind“.20 Die Ausgestaltung des Punktesystems § 13 Abs. 3 bis 8 SeeFischG erweist sich im Zusammenspiel mit anderen Sanktionen, ex ante betrachtet, durchaus als ein geeignetes Mittel, um schwere Verstöße gegen die Gemeinsame Fischereipolitik zu verhindern, zumindest drastisch zu reduzieren . 3. Erforderlichkeit des Mittels Erforderlichkeit bedeutet, dass sich der Zweck der staatlichen Maßnahme nicht durch ein anderes , gleich wirksames Mittel erreichen lässt, welches das betroffene Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkt.21 Es muss also ein „milderes Mittel mit gleicher Effektivität ersichtlich sein“.22 Wirksamkeit und Beeinträchtigungsintensität sind zusammenfassend zu bewerten.23 Die Judikatur gewährt dem Gesetzgeber – wie bei der Eignung – einen Beurteilungs- und Prognosespielraum 24 und beanstandet nur Fälle eindeutig fehlender Erforderlichkeit.25 Im vorliegenden Fall ergibt sich die Erforderlichkeit bereits daraus, dass das bisherige rechtliche Instrumentarium es nicht vermocht hat, die Zahl schwerer Verstöße gegen die Regelung zur Gemeinsamen Fischereipolitik wirksam zu bekämpfen und eine spürbare Reduzierung der Verstöße herbeizuführen. Wenn der Gesetzgeber anordnet, dass der Kapitän ab der Erreichung einer bestimmten Punktzahl als unzuverlässig gilt, und für einen bestimmten Zeitraum das Ruhen des Befähigungszeugnisses (§ 13 Abs. 4 SeeFischG) und bei wiederholtem Erreichen einer bestimmten Punktzahl die Entziehung des Befähigungszeugnisses (§ 13 Abs. 4 SeeFischG) als Sanktion vorsieht, hält er sich damit im Rahmen seines Spielraums zur Beurteilung der Abschreckungswirkung der Maßnahme. In Betracht käme zwar auch die bloße Verhängung eines Bußgeldes, doch ist es gerade das Wesen des Prognose-und Beurteilungsspielraums, dass die Einschätzung der Effektivität eines Mittels beim Gesetzgeber und nicht etwa beim BVerfG liegt. 4. Angemessenheit Bei der Angemessenheit handelt es sich um die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Proportionalität . Sie wird durch Herstellung einer Zweck-Mittel-Relation eruiert, um eine übermäßige 20 BVerfGE 45, 187 (239). 21 BVerfGE 30, 292 (316); 78, 38 (50); 90, 145 (172). 22 BVerfGE 91, 207 (222). 23 Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Auflage 2009, Art. 20 Rn. 153. 24 BVerfGE 102, 197 (218); 115, 276 (309); 116, 220 (225). 25 Ständige Rechtsprechung, BVerfGE 98, 265 (308 f.); 101, 331 (349 f.); 102, 197 (218); 104, 337 (347 f.); 117, 163 (189). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 006/11 Seite 8 Belastung des Betroffenen ermitteln zu können und festzustellen, ob die Maßnahme bei einer Güterabwägung dem Betroffenen zumutbar ist. Das BVerfG sieht den Sinn dieser Prüfung darin, „die als geeignet und erforderlich erkannten Maßnahmen einer gegenläufigen Kontrolle im Blick darauf zu unterwerfen, ob die eingesetzten Mittel unter Berücksichtigung der davon ausgehenden Grundrechtsbeschränkungen für den Betroffenen noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem dadurch erreichbaren Rechtsgüterschutz stehen (…). Daraus folgt, dass unter Umständen der an sich in legitimer Weise angestrebte Schutz zurückstehen muss, wenn das eingesetzte Mittel zu einer unangemessenen Beeinträchtigung der Rechte des Betroffenen führen würde.“26 Prinzipiell vom Gesetzgeber zu beantworten ist die „Frage der Wertung, mit welchem Gewicht die konkreten öffentlichen Interessen in die Rechtsgüterabwägung einfließen und mit welchem Abwägungsergebnisse gegen die Intensität des Grundrechtseingriffs saldiert werden“.27 Das BVerfG prüft nur, ob „bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt“ ist,28 die den Einzelnen „treffende(n) Belastung noch in einem vernünftigen Verhältnis zu dem der Allgemeinheit erwachsenden Vorteile“ steht.29 Die Sicherstellung eines wirkungsvollen Vollzuges der Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik stellt ein hohes Gemeingut dar, das nautische Zuverlässigkeit und persönliche Eignung beim Führen eines Fischereifahrzeuges verlangt. Das Punktesystem für schwere Verstöße trägt diesem Erfordernis in einer abgestuften Form Rechnung, welche der Schwere der Zuwiderhandlungen und ihren Folgen durch die Anzahl der Punkte Rechnung trägt und eine „Rehabilitierung “ durch Löschung der Punkte ermöglicht (§ 13 Abs. 6 SeeFischG, der Art. 92 Abs 4 der Kontrollverordnung nachgebildet ist). Dies erscheint auch im Hinblick auf die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vertretbar, um einen schwerwiegenden Rechtsverstoß zu sanktionieren und die erstrebte Abschreckungswirkung zu erzielen. Schließlich ist der Betroffene der Störer, der in den Vollzug der Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik rechtswidrig eingreift. 26 BVerfGE 90, 145 (185). 27 Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 13. Auflage 2008, Rn. 465. 28 BVerfGE 68, 272 (282). 29 BVerfGE 76, 1( 51).