© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 005/14 Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene Verfassungsrechtliche Situation im Hinblick auf die föderale Struktur Deutschlands und Rechtslage in Österreich und der Schweiz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 2 Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene Verfassungsrechtliche Situation im Hinblick auf die föderale Struktur Deutschlands und Rechtslage in Österreich und der Schweiz Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 005/14 Abschluss der Arbeit: 17. Februar 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Parlamentarische Initiativen 5 2.1. Vorschläge der Verfassungskommissionen 6 2.2. Gesetzentwürfe 6 3. Argumentationslinien in der verfassungsrechtlichen Würdigung 9 3.1. Position 1: Vereinbarkeit des doppelten Länderquorums mit Art. 79 Abs. 3 GG 9 3.2. Position 2: Unvereinbarkeit des doppelten Länderquorums mit Art. 79 Abs. 3 GG 10 3.2.1. Konsequenz: Ausschluss der Volksgesetzgebung auf Bundesebene 11 3.2.2. Konsequenz: Ausnahmsweiser Verzicht der Ländermitwirkung bei der Volksgesetzgebung verfassungsrechtlich zulässig und ggf. Lösung über Alternativvorschlag des Bundesrates 11 4. Beispiele föderaler Staaten mit Volksbegehren und/oder Volksentscheid auf Bundesebene 11 4.1. Österreich 11 4.2. Schweiz 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 4 1. Einleitung In der Bundesrepublik Deutschland sind in allen Landesverfassungen Regelungen zu direktdemokratischen Instrumenten enthalten.1 Dabei werden in der Regel die Begriffe Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid verwandt.2 Die Volksinitiative ist darauf gerichtet, das Parlament mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung zu befassen. Neben dieser Befassungspflicht entstehen keine weiteren rechtlichen Bindungswirkungen. Insbesondere folgt aus ihr kein Anspruch auf eine bestimmte Sachentscheidung. Weiter als die Volksinitiative geht das Volksbegehren. Es stellt grundsätzlich einen Antrag an das Parlament dar, einen konkreten Gesetzesbeschluss zu fassen, der ggfs. durch eine unmittelbare Abstimmung des Volkes ersetzt werden kann.3 Dabei muss das Vorhaben in die Gesetzgebungskompetenz des Landes fallen. In einigen Bundesländern kann sich ein Volksbegehren auch auf einen bestimmten Gegenstand der politischen Willensbildung beziehen4. In diesen Fällen ist das Volksbegehren auf die Fassung eines schlichten Parlamentsbeschlusses gerichtet. Als Volksentscheid wird in der nachfolgenden Darstellung der Gesetzesbeschluss durch das Volk über einen durch Volksbegehren vorgelegten Gesetzentwurf verstanden (auch Volksgesetzgebung genannt).5 Für die Bundesebene gilt: In Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz (GG) ist verankert, dass das Volk die Staatsgewalt in „Wahlen und Abstimmungen6“ ausübt. Abstimmungen sieht das Grundgesetz allerdings nur in bestimmten Fällen vor. So werden in Art. 29 GG die direktdemokratischen Mittel der Volksbefragung, des Volksbegehrens und des Volksentscheids für eine Neugliederung des Bundesgebietes (sog. Territorialplebiszite7) genannt. Die Volksbefragung wird auch in dem allein 1 Die nachfolgenden Ausführungen zu direktdemokratischen Elementen in den Bundesländern sind entnommen aus: , Zu etwaigen Sperrwirkungen von Plebisziten am Beispiel des Volksbegehrens zum Flughafen Berlin-Tempelhof, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 3 - 261/07; einen guten Überblick über die Rechtslage in den Bundesländern bietet auch: , Direkte Demokratie: Rechtsgrundlagen und Praxis in den deutschen Bundesländer, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste WF III - 336/04. 2 Art. 71 VerfSachs verwendet den Begriff des Volksantrags anstelle Volksinitiative; siehe zu den Begrifflichkeiten im Ganzen ausführlich: Jürgens, Direkte Demokratie, 1992, S. 36 ff. 3 Allerdings sehen alle Landesverfassungen vor, dass Volksbegehren auf einzelnen Sachgebieten unzulässig sind. Dies betrifft in erster Linie Personalangelegenheiten und haushaltsrelevante Fragen. 4 Art. 77 Abs. 1 VerfBra; Art. 62 Abs. 1 S. 2 VerfBln; Art. 50 Abs. 1 S. 1 VerfHmb und Art. 42 Abs. 1 S. 1 VerfSchlH. 5 Jürgens, S. 40. Der Begriff„Volksentscheid“ wird mitunter auch weitergehend im Sinne einer Entscheidung über einen Gesetzentwurf oder eine Sachfrage verwendet. 6 Hervorhebung durch Verfasserin. 7 Grzeszick, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz-Kommentar, 69. Ergänzungslieferung 2013, Art. 20 Rn. 112 (Stand: Januar 2010, Lfg. 57). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 5 aus verfassungshistorischen Gründen im Grundgesetz weiterhin enthaltenen, inhaltlich aber obsoleten Art. 118 GG erwähnt,8 der sich mit der Neugliederung im Südwesten befasst. Ob und unter welchen Voraussetzungen weitere direktdemokratische Instrumente auf Bundesebene eingeführt werden könnten und sollten, ist seit Entstehung des Grundgesetzes Gegenstand der politischen Diskussion und wissenschaftlichen Erörterung. Dabei geht es auch um die Frage, ob die Einführung direktdemokratischer Instrumente auf Bundesebene mit der föderalen Struktur in seiner grundgesetzlichen Ausprägung vereinbar ist. Einigkeit dürfte darüber bestehen, dass die im Grundgesetz bestehenden Verfahrensvorgaben für die Ländermitwirkung im Gesetzgebungsverfahren gemäß Art. 76 ff. GG, d.h. die Einwirkungsmöglichkeiten über den Bundesrat (Art. 77 GG und Art. 78 GG), nicht kompatibel mit der unmittelbaren Volksgesetzgebung sind, bei der das Volk über einen durch Volksbegehren vorgelegten Gesetzentwurf entscheidet.9 Im Ergebnis wäre daher die Einführung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene nur über eine Verfassungsänderung denkbar, die die Ziele und Bedürfnisse einer Volksgesetzgebung einschließlich des föderalen Elements in angemessenen Verfahrensvorgaben realisiert. Zentraler Anknüpfungspunkt in der Diskussion um die Zulässigkeit einer solchen Verfassungsänderung ist die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG, die die „grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei Gesetzgebung“ als einen der Grundgesetzänderung unzugänglichen Grundsatz bestimmt. Nachfolgend werden zunächst in Bezug auf den Aspekt der föderalen Struktur Deutschlands die parlamentarischen Initiativen zu Volksbegehren und Volksentscheid beschrieben (2.), sodann die Argumentationslinien in der verfassungsrechtlichen Würdigung aufgezeigt (3.) und schließlich am Beispiel Österreichs und der Schweiz dargestellt, in welcher Form andere föderal organsierte Staaten die Volksgesetzgebung auf Bundesebene geregelt haben (4.). 2. Parlamentarische Initiativen10 Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung keimte die politische Diskussion über eine mögliche Ergänzung des Grundgesetzes um direktdemokratische Elemente und gegebenenfalls zu beachtende föderale Aspekte auf. 8 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl., 2012, Art. 118 Rn. 1. 9 Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 120 f.; Jung, in: Direkte Demokratie und Föderalismus, in: Festschrift für Hans Herbert von Arnim (FS von Arnim) 2004, S. 352 ff., S. 352. 10 Siehe ausführlich hierzu auch: Jung, in: Härtel (Hrsg.), § 35 Rn. 245 bis 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 6 2.1. Vorschläge der Verfassungskommissionen11 So wurde in der 1991 eingesetzten „Kommission Verfassungsreform des Bundesrates“ u.a. eine im Kommissionsbericht als „Minderheitenvorschlag“ bezeichnete Initiative Nordrhein-Westfalens erörtert, die zur Berücksichtigung der „grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung “ nach Art. 79 Abs. 3 GG beim Volksentscheid über Gesetzentwürfe ein doppeltes Länderquorum vorsah. Der Vorschlag des Art. 20b Abs. 3 S. 3 und 4 GG-Entwurf, der letztlich keine ausreichende Mehrheit fand, lautete12: „Ein Gesetzentwurf oder eine sonstige Vorlage ist durch Volksentscheid angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden, jedoch mindestens ein Drittel der Stimmberechtigten, bei einem verfassungsändernden Gesetz zwei Drittel der Abstimmenden, jedoch mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten, zustimmen. Bei Gesetzentwürfen müssen Mehrheiten im Sinne des Satzes 3 zugleich in der Mehrzahl der Länder, gemessen an der jeweiligen Stimmenzahl im Bundesrat, erreicht werden.“ Die Ende 1991 eingesetzte Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat beriet ebenfalls über verschiedene Vorschlägen zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid, lehnte diese aber im Ergebnis ab.13 Im Hinblick auf den Föderalismus führt der Bericht folgende, eher verfassungspolitische Erwägungen an: „Plebiszite zögen unweigerlich die Schwächung föderaler Strukturen14 nach sich. Daran ändere sich auch nichts durch die Einführung eines Länderquorums. Dem Bundesrat, der nicht lediglich eine Summe der Länder, sondern eine selbständige Einheit innerhalb unseres Systems sei, wäre die Möglichkeit der Mitgestaltung genommen. Damit ginge die ausgewogene Balance zwischen zentral- und gliedstaatlichen Entscheidungsbefugnissen in der Bundesgesetzgebung, vermittelt durch das Miteinander von Bundestag und Bundesrat, verloren.“15 2.2. Gesetzentwürfe In den zur Änderung des Grundgesetzes in den Deutschen Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfen zur Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid fand das föderale Element zu- 11 Siehe zu plebiszitären Elementen auch den Schlussbericht der „Enquetekommission Verfassungsreform“, BT-Drs. 7/5924, S. 9 ff., aber ohne Erörterung des föderalen Aspekts. 12 Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92, S. 31 Rn. 191. Ein ebensolches doppeltes Quorum findet sich im entsprechenden Vorschlag Hamburgs, Rn. 192. 13 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 83 ff. 14 Hervorhebung durch Verfasserin. 15 BT-Drs. 12/6000, S. 86. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 7 nächst keine Berücksichtigung. Das Problembewusstsein für diesen Aspekt nahm aber seit Beginn der 1990er Jahre zu.16 Zunächst gestaltete ein Gesetzentwurf der Gruppe der PDS/Linke Liste über die Annahme einer neuen Verfassung nach Art. 146 GG aus dem Jahr 199417 den Volksentscheid, bei der das Volk über einen Gesetzentwurf verbindlich abstimmt, rein unitarisch aus, d.h. für die erfolgreiche Durchführung des Volksentscheids reichte die Mehrheit der Abstimmenden über einfache Gesetze und eine Zweidrittelmehrheit der Abstimmenden im Falle eines verfassungsändernden Gesetzes aus. Ein Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einführung von Volksantrag, Volksbegehren und Volksabstimmung im Grundgesetz aus dem Jahr 199818 enthielt ebenfalls nur diese Mehrheitserfordernisse. Gesetzentwürfe der Gruppe der PDS von 199719 und von 199920 sahen die verfassungsrechtliche Vorgabe der grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung gemäß Art. 79 Abs. 3 GG durch die Möglichkeit als erfüllt an, dass der Bundesrat einen eigenen konkurrierenden Gesetzentwurf beschließen kann.21 In der rot-grünen Koalition gab es erstmals eine Regierungsinitiative zur Volksgesetzgebung. Sie suchte föderale Belange durch ein doppeltes Länderquorum nach schweizerischem Vorbild22 für Zustimmungsgesetze und verfassungsändernde Gesetze unter Beachtung des Stimmenverteilungsschlüssels im Bundesrat gemäß Art 51 Abs. 2 GG zu berücksichtigen.23 Im Jahr 2002 legte die damalige Regierungskoalition einen solchen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz24 vor, der aber die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag nicht erreichte.25 Dort heißt es unter Art. 1 in Art. 82c (Volksentscheid): „… 16 Jung, in: Härtel (Hrsg.), § 35 Rn. 39. 17 BT-Drs. 12/6570. 18 BT-Drs. 13/10261. 19 BT-Drs. 13/9280. 20 BT-Drs. 14/1129. 21 BT-Drs. 13/9280, Art. 2 § 4 Abs. 3 S. 2 und Begründung, S. 15; BT-Drs. 14/1129, Art. 2 § 4 Abs. 3 S. 2, Begründung, S. 8. 22 Zur Rechtslage in der Schweiz siehe 4.2. 23 Jung, in: Härtel (Hrsg.), § 35 Rn. 40. 24 BT-Drs. 14/8503. 25 Siehe Informationen des Dokumentations- und Informationssystems des Deutschen Bundestages (DIP), abzurufen unter: http://dip.bundestag.de/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 8 (3) Ein Gesetzentwurf ist angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat und mindestens zwanzig vom Hundert der Stimmberechtigten sich an der Abstimmung beteiligt haben. (4) Ein verfassungsändernder Gesetzentwurf ist angenommen, wenn zwei Drittel der Abstimmenden zugestimmt und mindestens vierzig vom Hundert der Stimmberechtigten sich an der Abstimmung beteiligt haben. (5) Bei Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen und bei verfassungsändernden Gesetzen gilt das Ergebnis der Abstimmung in einem Land als Abgabe seiner Bundesratsstimme.“ Diese Lösung wird im Gesetzentwurf wie folgt ausführlich begründet26: „Diese Regelung trägt dem bundesstaatlichen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland Rechnung . Vorbild für die Länderbeteiligung beim Volksentscheid ist das bewährte Modell des schweizerischen „Volks- und Ständemehr“ (Artikel 142 Abs. 3 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft). Bei Verfassungsänderungen und bei Gesetzen, die im parlamentarischen Verfahren der Zustimmung des Bundesrates bedürften (zustimmungspflichtige Gesetze) werden die Stimmen doppelt gezählt: Das Ergebnis in einem Land gilt als die Abgabe seiner Bundesratsstimmen . Demnach muss bei zustimmungspflichtigen Gesetzen die Mehrheit der Abstimmenden in so vielen Ländern dem Gesetzentwurf zustimmen, dass deren Stimmen einer Mehrheit im Bundesrat entsprechen. Bei Verfassungsänderungen ist die Mehrheit in so vielen Ländern erforderlich , dass deren Stimmen einer Zweidrittelmehrheit im Bundesrat entsprechen. Diese Regelung fügt den Volksentscheid in das föderale System der Bundesrepublik Deutschland ein. Die Gewichtung der Bundesländer im Bundesrat bei der parlamentarischen Gesetzgebung setzt sich im Abstimmungsverfahren des Volksentscheids fort. Die erforderliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung Artikel 79 Abs. 3) ist hierdurch sichergestellt. Denn Artikel 79 Abs. 3 erklärt nur die grundsätzliche Mitwirkung für unantastbar und garantiert weder den bisherigen Umfang noch das bestehende Verfahren der ausschließlichen Mitwirkung durch den Bundesrat. Da beim Volksentscheid die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar und nicht vermittelt durch Repräsentativorgane entscheiden, kann die Mitwirkung der Länder ebenfalls nur unmittelbar erfolgen. Die Berücksichtigung der Abstimmungsergebnisse in den einzelnen Bundesländern realisiert somit deren erforderliche Mitwirkung.“ Weitere parlamentarische Initiativen sind diesem Muster des doppelten Länderquorums zur Gewährleistung der Länderbeteiligung gefolgt27, so dass diese Lösung seither in der Parlamentspraxis als Standardmodell zur Verwirklichung des föderalen Aspekts in Gesetzentwürfen zur Einführung einer Volksgesetzgebung auf Bundesebene bezeichnet werden kann.28 26 BT-Drs. 14/8503, S. 6. 27 Mit Abweichungen im Detail: Gesetzentwurf der der Fraktion der FDP, BT-Drs. 16/747; Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/680; Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 16/1411; Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, BT-Drs. 17/13873. 28 So auch Jung, in: Härtel (Hrsg.), § 35 Rn. 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 9 3. Argumentationslinien in der verfassungsrechtlichen Würdigung Wie bereits unter 1. erwähnt, steht bei der verfassungsrechtlichen Diskussion um die Einführung einer Volksgesetzgebung auf Bundesebene unter dem Gesichtspunkt der föderalen Struktur Deutschlands die Frage im Mittelpunkt, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Vorgabe der grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung gemäß Art. 79 Abs. 3 GG eingehalten werden kann. Die Argumentationslinien lassen sich wie folgt skizzieren: 3.1. Position 1: Vereinbarkeit des doppelten Länderquorums mit Art. 79 Abs. 3 GG Nach einer Ansicht ist die oben als Standardmodell vorgestellte Lösung des doppelten Länderquorums nach schweizerischem Vorbild in Kombination mit einer Gewichtung der Stimmen nach Art. 51 GG Abs. 2 GG mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar und könnte durch entsprechende Verfassungsänderung ins Grundgesetz eingefügt werden.29 Eine so ausgestaltete Volksgesetzgebung entspreche der grundgesetzlichen Vorgabe der grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung. Denn Art. 79 Abs. 3 GG verlange lediglich die „grundsätzliche“ Mitwirkung“. Aus dieser inhaltlichen Einschränkung des für unantastbar erklärten Kernbereichs komme zum Ausdruck, dass die Beteiligung der Länder nicht über ein bestimmtes Verfahren, wie etwa über den Bundesrat, erfolgen müsse.30 Auch bestehe keine Garantie für ein bestimmtes Ausmaß der Länderbeteiligung an der Bundesgesetzgebung.31 Allerdings müsse eine effektive Einflussnahme der Länder auf die Bundesgesetzgebung gewährleistet sein, also eine Beteiligung der Länder bei der Volksgesetzgebung zumindest bei Gesetzgebungsgegenständen , die nur mit Zustimmung des Bundesrates geregelt werden könnten.32 Beim doppelten Abstimmungsquorum nach schweizerischem Modell würde sowohl die Stimmbürgerschaft im Bund als auch in den Ländern tätig.33 Die Schweiz eigne sich als Vergleichsland, auch wenn sich der dortige Föderalismus vom deutschen unterscheide. Denn wenn schon die mehr staatenbündisch organisierte Schweiz es ihren Kantonen zumute, dass das Ergebnis der Volksabstimmung im Kanton die Standesstimmen des Kantons ersetze, dann müsse eine solche Lösung doch erst recht für das eher unitarisch organisierte Deutschland akzeptabel sein.34 Von dieser verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterscheiden sei das rein verfassungspolitische Argument, dass die föderalen Strukturen durch die Einführung einer Volksgesetzgebung auf 29 Blasche, Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung, 2006, S. 246 f.; Hufschlag, S. 122; im Ergebnis auch: Jung, in: Härtel (Hrsg.), § 35 Rn. 50 ff. 30 Hufschlag, S. 122. 31 Hufschlag, S. 122. 32 Hufschlag, S. 123. 33 Hufschlag, S. 124. 34 Jung, in: Härtel (Hrsg.), § 35 Rn. 54. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 10 Bundesebene geschwächt würden35, weil bei dem Lösungsmodell des doppelten Stimmenquorums das abstimmende Volk bei einem Bund-Länder-Interessenkonflikt auf die Abgabe einer Stimme beschränkt sei und damit der Einfluss von Landesinteressen nicht in der Intensität Berücksichtigung fände wie bei den Mitwirkungsbefugnissen des Bundesrates. Eine Relativierung dieses Problems sei aber durch den quantitativen Vorrang des parlamentarischen gegenüber dem plebiszitären Gesetzgebungsverfahren gegeben.36 Zum Teil wird in diesem Kontext vorgeschlagen, dass der Bürger bei Volksentscheiden auf Bundesebene zwei Stimmzettel für die Bundes- bzw. Landesstimme erhalten solle.37 3.2. Position 2: Unvereinbarkeit des doppelten Länderquorums mit Art. 79 Abs. 3 GG Die Gegner des Länderquorums nach schweizerischem Vorbild führen an, dass die Vorgabe der grundsätzlichen Ländermitwirkung gemäß Art. 79 Abs. 3 GG durch diese Lösung verletzt sei, weil der Grundgesetzgeber dabei die Länder als unterscheidbare, eigenständige Handlungssubjekte vor Augen gehabt habe. Die bloße Fiktion einer Bundesratsstimme über ein Teilergebnis eines bundesweiten Volksentscheids in einem Land sei in diesem Sinne nicht ausreichend.38 Zudem dürfe das jeweilige Landesvolk nicht mit einem Teil des Bundesvolkes gleichgesetzt und letzteres nicht als Summe der Landesvölker angesehen werden. Da den Bürgern nur eine Stimme gegeben werde, scheide eine Rückführbarkeit der ausgeübten Staatsgewalt auf eine der beiden Ebenen aus.39 Außerdem sei die „Mitwirkung der Länder“ im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG bei dieser Lösung zu bezweifeln, weil es nicht um ein aktives Eingreifen in den Gesetzgebungsprozess gehe, sondern um eine rein rechnerische Komponente ohne Mitgestaltungsmöglichkeit.40 Das schweizerische Modell sei mangels ausreichender Vergleichbarkeit mit dem deutschen Föderalismus nicht übertragbar, weil es in der Schweiz zum einen keine Bestimmung gebe, die mit Art. 79 Abs. 3 vergleichbar sei41 und zum andern aufgrund der stärkeren föderalistischen Prägung der Bund dort nicht von einem einheitlichen Bundesvolk getragen werde, sondern bei einer Abstimmung auf Bundesebene ein Zusammenschluss der Kantonsvölker auftrete.42 35 Hufschlag, S. 291; so auch Bosbach, Mit der Staatsform spielt man nicht, in: Stiftung Marktwirtschaft, Argumente zu Marktwirtschaft und Politik, Nr. 68, August 2002, S. 4 ff., S. 6. 36 Hufschlag, S. 291 f. 37 Jung, in: FS von Arnim 2004, S. 352 ff., S. 364. 38 Engelken, Volksgesetzgebung auf Bundesebene, in: DÖV 2006, S. 550 ff., 551. 39 Estel, Bundesstaatsprinzip und direkte Demokratie im Grundgesetz, 2006, S. 295 f. 40 Estel, S. 298. 41 Engelken, in: DÖV 2006, S. 550 ff., S. 556, Fn. 16. 42 Estel, S. 297. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 11 3.2.1. Konsequenz: Ausschluss der Volksgesetzgebung auf Bundesebene Zum Teil ziehen die Gegner des doppelten Länderquorums die Konsequenz, dass die Volksgesetzgebung auf Bundesebene sowohl nach diesem Modell als auch bei der Lösung über eine alternative Bundesratsbeteiligung nicht mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar wäre.43 Weniger einschneidende direktdemokratische Elemente unterhalb des vollplebiszitären Erlasses von Bundesgesetzen seien dagegen möglich.44 3.2.2. Konsequenz: Ausnahmsweiser Verzicht der Ländermitwirkung bei der Volksgesetzgebung verfassungsrechtlich zulässig und ggf. Lösung über Alternativvorschlag des Bundesrates Zum Teil wird nur die Lösung über ein doppeltes Länderquorum abgelehnt. Für einzig praktikabel und auch mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar wird im Ergebnis der ausnahmsweise Verzicht der Länderbeteiligung bei der Volksgesetzgebung betrachtet, da die Verfassungsbestimmung von „grundsätzlich“ spreche und Plebiszite in der Verfassungswirklichkeit nicht so häufig seien, als dass eine fehlende Länderbeteiligung an diesem besonderen Gesetzgebungsverfahren eine umfassende Verschiebung der Gewichte zwischen Bund und Ländern in Richtung einer Schwächung der Länder bewirke.45 Da Art. 79 Abs. 3 GG eine Einflussnahme der Länder im Sinne einer körperschaftlich verfassten Organisation der Mitwirkung verlange, sei die Einbeziehung des Bundesrates in ein eigens für die Volksgesetzgebung geschaffenes Verfahren in Betracht zu ziehen. Eine Einbindung des Bundesrates über die Möglichkeit eines Alternativvorschlages könne als verfassungskonforme Umsetzung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene angesehen werden.46 Dies könnte ein probates Mittel zur Milderung bundesstaatlicher Auswirkungen darstellen.47 4. Beispiele föderaler Staaten mit Volksbegehren und/oder Volksentscheid auf Bundesebene Zu nennen sind hier die europäischen Nachbarländer Schweiz und Österreich. 4.1. Österreich Österreich kennt auf Bundesebene verschiedene Instrumente direkter Demokratie (Volksbegehren , Bürgerinitiative, Volksabstimmung und Volksbefragung).48 Es gibt aber keine Volksgesetzgebung in der unter 1. genannten Definition, d. h. ein Verfahren, das mit einem Gesetzesbeschluss (Volksentscheid) durch das Volk über einen durch Volksbegehren vorgelegten Gesetzentwurf 43 Engelken, in: DÖV 2006, S. 550 ff., S. 555. 44 Engelken, in: DÖV 2006, S. 550 ff., S. 555. 45 Estel, S. 300. 46 Estel. S. 300. 47 Estel, S. 301. 48 Siehe hierzu die Darstellung bei: Storr, Die Maßgaben der österreichischen Bundesverfassung für sachunmittelbare Demokratie in Bund und Ländern, in: Neumann/Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009, 2010, S. 96 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 12 endet. Vorgesehen ist allerdings die Möglichkeit eines Volksbegehrens über eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit, das in Form einer Gesetzesvorlage gestellt werden kann. Ist das erforderliche Quorum von 100.000 Stimmberechtigten oder je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder erreicht, so ist der Antrag dem Nationalrat zur Behandlung vorzulegen (Art. 41 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz-B-VG49). Es folgt also nicht der Volksentscheid, sondern lediglich die Beratung im Nationalrat.50 Weitere Verfahrensmodalitäten ergeben sich aus den Ausführungsbestimmungen (Volksbegehrensgesetz-VolksbegG51). Außerdem findet sich im Bundesverfassungsgesetz i. V. m. dem Volksabstimmungsgesetz (VAbst G)52 die Volksabstimmung in vier Varianten: 1. Volksabstimmung über einen Gesetzesbeschluss (Art. 43 B-VG), 2. obligatorische Volksabstimmung über eine Gesamtänderung der Bundesverfassung (Art. 44 Abs. 3 B-VG), 3. fakultative Volksabstimmung über eine Teiländerung der Verfassung (Art. 44 Abs. 3 B-VG) 4. Volksabstimmung zur Absetzung des Bundespräsidenten (Art. 60 Abs. 6 B-VG). Bei Variante 1 bis 3 werden Gesetzesbeschlüsse bzw. Verfassungsänderungen, die im regulären Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen sind, nachträglich einer Entscheidung durch das Volk unterzogen. Bei der Volksabstimmung entscheidet die unbedingte Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen (Art. 45 Abs. 1 B-VG). Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die föderale Komponente in Österreich bei den Verfahrensarten der direkten Demokratie auf Bundesebene, bei denen es um Gesetzentwürfe geht, jedenfalls dadurch realisiert wird, dass Gesetzentwürfe, die vom Volk ausgehen (Volksbegehren) oder vom Volk bestätigt werden (Volksabstimmung), wie alle anderen Gesetze das Gesetzgebungsverfahren auch unter Beteiligung der Länderkammer (Bundesrat) (Art. 42 B-VG) und ggf. der Länder selbst bei Zustimmungsgesetzen (Art. 42a BB-VG) durchlaufen. 4.2. Schweiz Die schweizerische Bundesverfassung (BV)53 sieht eine Volksinitiative auf Total- oder Teilrevision der Verfassung vor (Art. 138 BV und 139 BV). Die Volksinitiative kann die Form einer Anregung oder eines ausgearbeiteten Gesetzentwurfs haben (Art. 139 Abs. 2 BV). Außerdem gibt es das direktdemokratische Instrument des obligatorischen und fakultativen Referendums (Art. 140 BV 49 BGBl. Nr. 1/1930 (WV), abzurufen unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000138. 50 Storr, in: Neumann/Renger (Hrsg.), S. 96 ff., S. 97. 51 Volksbegehrengesetz 1973 BGBl. Nr. 344/1973, abzurufen unter: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000532. 52 Volksabstimmungsgesetz 1972, BGBl. Nr. 79/1973, abzurufen unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000530. 53 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (Stand am 3. März 2013), abzurufen unter: http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/index.html#a8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 005/14 Seite 13 und Art. 141 BV). Ein obligatorisches Referendum wird z. B. bei der Änderung der Bundesverfassung (Art. 140 Abs. 1a. BV), im Falle einer Volksinitiative auf Totalrevision der Bundesverfassung (Art. 140 Abs. 2a. BV) sowie auf Teilrevision in Form einer allgemeinen Anregung, wenn sie von der Bundesversammlung abgelehnt wurde (Art. 140 Abs. 2b. BV), durchgeführt. Fakultativ können Referenden etwa zu Bundesgesetzen stattfinden, wenn es 500.000 Stimmberechtigte verlangen oder acht Kantone innerhalb von 100 Tagen seit der amtlichen Veröffentlichung des Erlasses (Art. 141 Abs. 1 a. BV). Eine allgemeine Volksinitiative im Sinne einer Gesetzesinitiative aus dem Volk wurde 2009 abgeschafft.54 Die föderale Komponente findet in der Schweiz – wie bereits im Zusammenhang mit den parlamentarischen Initiativen zum doppelten Länderquorum (siehe 2.) beschrieben – in besonderer Weise durch die Festlegung der erforderlichen Mehrheit „von Volk und Ständen“ Berücksichtigung . Diese Mehrheit ist nur dort erforderlich, wo eine Abstimmung nicht nur durch das Volk, sondern auch durch die Stände ausdrücklich in der Verfassung vorgesehen ist, so z. B. bei bestimmten obligatorischen Referenden. Wie das sog. Ständemehr zu ermitteln ist, ergibt sich aus Art. 142 BV. Dieser lautet: „Art. 142 Erforderliche Mehrheiten 1 Die Vorlagen, die dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden, sind angenommen, wenn die Mehrheit der Stimmenden sich dafür ausspricht. 2 Die Vorlagen, die Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet werden, sind angenommen, wenn die Mehrheit der Stimmenden und die Mehrheit der Stände sich dafür aussprechen. 3 Das Ergebnis der Volksabstimmung im Kanton gilt als dessen Standesstimme. 4 Die Kantone Obwalden, Nidwalden, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden haben je eine halbe Standesstimme.“ 54 Christmann, Sachunmittelbare Demokratie in der Schweiz – Überblick und aktuelle Entwicklungen, in: Neumann/ Renger (Hrsg.), S. 57 ff., S. 72.