© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 004/21 Zum parlamentarischen Fragerecht und zum Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 004/21 Seite 2 Zum parlamentarischen Fragerecht und zum Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 004/21 Abschluss der Arbeit: 22. Januar 2021 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 004/21 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand befasst sich mit der Frage, inwieweit das parlamentarische Fragerecht durch Geheimhaltungsinteressen Dritter an Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen begrenzt werden kann. Hintergrund ist die Tatsache, dass die Beantwortung einer Schriftlichen Frage an die Bundesregierung zu Entschädigungszahlungen im Rahmen der Stilllegung eines Kohlekraftwerks abgelehnt wurde, da es sich um Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnisse handle.1 Da zudem nach dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit gefragt wurde, wird auch der Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz dargestellt. 2. Parlamentarisches Fragerecht der Abgeordneten 2.1. Grundlagen Das parlamentarische Frage- und Informationsrecht (Interpellationsrecht) ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich normiert. Das Bundesverfassungsgericht2 wie auch die Literatur3 leiten das Interpellationsrecht aus dem Status des Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ab. Die Ausgestaltung des Fragerechts erfolgt in der Geschäftsordnung des Bundestages (§§ 100 ff. GO-BT). Die GO-BT sieht insbesondere die Instrumente der Kleinen und Großen Anfragen sowie die Fragen einzelner Mitglieder des Bundestages vor. Mit dem Fragerecht der Abgeordneten korrespondiert grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung .4 Diese Antwortpflicht ist aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts Voraussetzung für eine sachgerechte Verwirklichung der parlamentarischen Kontrolle.5 2.2. Umfang und Grenzen Die Frage- und Informationsrechte der Abgeordneten gelten nicht unbegrenzt. Die Bundesregierung ist nur insoweit zur Information verpflichtet, als sich das Informationsbegehren auf einen zulässigen Gegenstand richtet und der Informationsweitergabe keine verfassungsrechtlichen Gründe entgegenstehen . Entsprechend der verfassungsrechtlichen Grundlage im Demokratieprinzip und in der daraus folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament dürfen sich Fragen nur auf 1 BT-Drs. 19/25571, S. 63. 2 Vgl. BVerfGE 124, 161 (188); 137, 185 (230 f.). 3 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 92. EL August 2020, Art. 43 Rn. 81 ff.; Schröder, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 208. EL November 2020, Art. 43 Rn. 25. 4 BVerfGE 124, 161 (188); 137, 185 (231). 5 BVerfGE 137, 185 (231 ff.). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 004/21 Seite 4 Sachverhalte aus dem Verantwortungsbereich der Regierung (einschließlich des Verantwortungsbereichs nachgeordneter Behörden) beziehen.6 Allgemeine Voraussetzung für die Einordnung eines Sachverhalts als im Verantwortungsbereich der Regierung stehend ist, dass die Bundesregierung entsprechende Einwirkungsrechte innehat. Innerhalb dieses Rahmens hat die Bundesregierung grundsätzlich alle Informationen mitzuteilen, über die sie verfügt oder die sie mit zumutbarem Aufwand erlangen kann.7 Der Bundesgesetzgeber hat es bislang unterlassen, Regelungen zur Begrenzung parlamentarischer Informationsansprüche zu normieren. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings Fallgruppen entwickelt, die die Beantwortungspflicht einschränken. Diese orientieren sich vor allem daran, ob durch eine erschöpfende Beantwortung parlamentarischer Anfragen berechtigte Geheimhaltungsinteressen , Grundrechte Dritter oder der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung verletzt werden würden.8 Im Folgenden wird auf die hier relevanten Geheimhaltungsinteressen eingegangen. 2.2.1. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als Grenze des Fragerechts Von Bedeutung ist insoweit vor allem der von Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Er verbietet die unbefugte Weitergabe von Unternehmensdaten, die nicht offenkundig sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat.9 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse „alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat“.10 Das danach erforderliche berechtigte Geheimhaltungsinteresse des Geheimnisträgers besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn die Offenlegung der Information geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu 6 BVerfGE 124, 161 (189); 147, 50 (133 f.); siehe in diesem Zusammenhang auch Nr. 2 der Anlage 4 zur GO-BT (Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen): „Zulässig sind Fragen aus den Bereichen, für die die Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist.“ 7 BVerfGE 147, 50 (147). 8 Lennartz/Kiefer, Parlamentarische Anfragen im Spannungsfeld von Regierungskontrolle und Geheimhaltungsinteressen , in: DÖV 2006, 185 (186). 9 Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 30 Rn. 9. 10 BVerfGE 115, 205 (230). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 004/21 Seite 5 machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen.11 Als Beispiele nennt das Bundesverfassungsgericht unter anderem Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit sowie Kalkulationsunterlagen.12 Ob es sich bei den hier relevanten Entschädigungszahlungen um Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnisse handelt, kann an dieser Stelle nicht überprüft werden, da dies einer gerichtlichen Beweiswürdigung unterläge. Jedenfalls erscheint diese Beurteilung nicht ausgeschlossen. 2.2.2. Die Beantwortung über die Geheimschutzstelle als milderes Mittel Das Spannungsverhältnis zwischen verfassungsrechtlichem Auskunftsrecht des Parlaments und den ihm entgegenstehenden Positionen ist durch eine einzelfallbezogene Abwägung, d.h. durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, aufzulösen.13 Vor allem dann, wenn durch die Offenlegung Geheimhaltungs- oder Persönlichkeitsinteressen Einzelner betroffen sind, ist im Rahmen der Abwägung zu prüfen, ob als milderes Mittel die Möglichkeit besteht, sensible Daten durch Geheimnisschutzmaßnahmen vor einer öffentlichen Preisgabe zu bewahren. Ist dies der Fall, bleibt die Regierung regelmäßig zur Antwort verpflichtet.14 Bei Fragen der Abgeordneten besteht für die Bundesregierung grundsätzlich die Möglichkeit, ihre Antworten unter Verweis auf Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse in der Geheimschutzstelle des Bundestages zu hinterlegen. Die Bundesregierung hat folglich zu überprüfen, ob eine Geheimhaltung durch die Anwendung der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages15 zu gewährleisten wäre.16 Ist dies möglich, hat dieser Weg als milderes Mittel Vorrang vor einer Verweigerung der Antwort.17 3. Anspruch auf Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz Mit dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) existiert seit 2006 auf Bundesebene ein subjektiv-öffentliches , voraussetzungsloses Jedermannrecht auf Informationszugang. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 IFG hat „jeder“ nach Maßgabe des IFG gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Der Begriff der amtlichen Information ist dabei in § 2 Nr. 1 IFG legaldefiniert . Danach ist unter den Begriff jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung, zu fassen. 11 BVerwG, NVwZ 2009, 1113 (1114). 12 BVerfGE 115, 205 (231). 13 Vgl. Müller, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 89. 14 Glauben/Edinger, Parlamentarisches Fragrecht in den Landesparlamenten, in: DÖV 1995, 941 (945). 15 Anlage 3 zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. 16 Vgl. Butzer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 45. Edition Stand: 15. November 2020, Art. 38 Rn. 171 f.; BVerfGE 124, 161 (193); 146, 1 (43 f.). 17 Butzer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 45. Edition Stand: 15. November 2020, Art. 38 Rn. 171. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 004/21 Seite 6 Das Verhältnis des IFG zu Spezialvorschriften bestimmt sich nach § 1 Abs. 3 IFG. Danach gehen Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen dem IFG – mit Ausnahme der Regelungen zur Akteneinsicht durch Beteiligte nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz und dem Zehnten Buch des Sozialgesetzbuches – vor. Die Frage, ob Bundestagsabgeordnete nach dem IFG überhaupt auskunftsberechtigt sind, ist gerichtlich nicht entschieden und in der Literatur umstritten.18 Das parlamentarische Informationsrecht könnte vorrangig zum Anspruch nach dem IFG sein.19 Beschränkt wird der Informationszugangsanspruch des IFG insbesondere durch die in den §§ 3 bis 6 IFG normierten Ausnahmetatbestände, die dem Schutz bestimmter öffentlicher und privater Interessen dienen. Von Relevanz ist für die vorliegende Fragestellung der Ausschlussgrund des § 6 S. 2 IFG, wonach ein Zugang zu Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen nur gewährt werden darf, soweit der Betroffene eingewilligt hat. Der Begriff der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wird vom IFG selbst nicht definiert. Es kann insoweit auf die zuvor angesprochene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgestellt werden. Für das Vorliegen des Ausschlussgrundes besteht eine behördliche Darlegungslast. In der Begründung zu § 6 S. 2 IFG wird klargestellt, dass die Entscheidung darüber, ob der Betroffene ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung hat, allein von der zuständigen Behörde zu treffen ist.20 Dem Betroffenen ist nach § 8 IFG dafür Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Bejaht die Behörde das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses, so hängt der Informationszugang nach § 6 S. 2 IFG von der Einwilligung des Betroffenen ab. Bei der Entscheidung der Behörde handelt es sich um eine rechtlich gebundene Verwaltungsentscheidung , bei der kein Ermessensspielraum besteht.21 Die Entscheidung unterliegt vollständiger gerichtlicher Kontrolle. Die Behörde muss gegenüber dem Antragsteller substantiiert und plausibel darlegen, dass und warum die begehrten Informationen auf Grund eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses nicht zugänglich sind.22 Die Begründung muss es insbesondere ermöglichen, das Vorliegen von Ausschlussgründen anhand von Tatsachen überprüfen zu können.23 18 Siehe zur Diskussion Schoch, in: derselbe, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 83. 19 Dagegen aber Schoch, in: derselbe, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 83. 20 BT-Drs. 15/4493, S. 14. 21 Siehe die Nachweise bei Schoch, in: derselbe, IFG, 2. Aufl. 2016, § 6 Rn. 109. 22 Schoch, in: derselbe, IFG, 2. Aufl. 2016, § 6 Rn. 109 unter Verweis auf VG Berlin, Urteil vom 11. November 2010, 2 K 35/10, juris Rn. 33. 23 VG Berlin, Urteil vom 11. November 2010, 2 K 35/10, juris Rn. 33. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 004/21 Seite 7 Sowohl einige Informationsfreiheitsgesetze der Länder24 als auch das Umweltinformationsgesetz des Bundes25 sehen vor, dass auch bei zu wahrenden schutzwürdigen öffentlichen oder privaten Interessen ein Informationsanspruch besteht, sofern das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt. In § 6 S. 2 IFG fehlt es hingegen an einer solchen Abwägungsmöglichkeit.26 Dieser Umstand wird von Teilen der Wissenschaft und Praxis kritisch bewertet.27 *** 24 Siehe etwa § 7 Berliner Informationsfreiheitsgesetz vom 15. Oktober 1999 (GVBl. 1999, 561), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 12. Oktober 2020 (GVBl. S. 807). 25 Siehe die §§ 8 und 9 Umweltinformationsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Oktober 2014 (BGBl. I S. 1643), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 17 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2808). 26 Siehe dazu Kloepfer/Greve, Das Informationsfreiheitsgesetz und der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen , NVwZ 2011, 577 (584). 27 Siehe etwa Ziekow/Debus/Musch, Evaluation des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes, 2012, S. 6 und 13, abrufbar unter https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Informationsfreiheit /EvaluierungsberichtIFG.pdf (zuletzt abgerufen am 22. Januar 2021).