WD 3 - 3000 - 003/21 (12.01.2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Gefragt wird nach den verfassungsrechtlichen Grenzen, die bestehen würden, wenn bei der Bemessung des Elterngeldes nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz1 (BEEG) bestimmte Einkommenseinbußen während des zwölfmonatigen Bemessungszeitraums – bspw. aufgrund der Zahlung von Krankengeld oder bei Kurzarbeit – aus dem Bemessungszeitraum ausgeklammert werden können sollen, andere Einkommenseinbußen – bspw. aufgrund der Zahlung von Arbeitslosengeld – dagegen nicht.2 Eine unterschiedliche Berücksichtigung verschiedener Lohnersatzzahlungen bei der Bemessung der Höhe des Elterngeldes könnte gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen . Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung setzt voraus, dass vergleichbare Personengruppen oder auch Sachverhalte betroffen sind. Die Feststellung, ob die übereinstimmenden oder die verschiedenen Einzelmerkmale zweier Personengruppen den Ausschlag geben sollen, ist nur möglich, wenn man ein Differenzierungsmerkmal auswählt, anhand dessen der Vergleich angestellt wird.3 Abgestellt werden kann auf die Gruppe der Elterngeldbezieher, die während des Bemessungszeitraums zeitweilig Arbeitslosengeld bezogen und dadurch ein geringeres Einkommen hatten, sowie die Gruppe von Elterngeldbezieher, die während des Bemessungszeitraums aufgrund von Krankheit oder Kurzarbeit ein geringeres Einkommen hatten. Die Ungleichbehandlung bestünde darin, wenn für letztere die Möglichkeit eingeräumt werden würde, dass die Monate, in denen Einkom- 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Januar 2015 (BGBl. I S. 33), das zuletzt durch Artikel 23 des Gesetzes vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3096) geändert worden ist . 2 Siehe hierzu auch die Kurzinformation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages „Zur Ausklammerung von Einkommenseinbußen beim Elterngeld“, WD 9 - 3000 - 001/21. 3 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 3 Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Verfassungsrechtliche Grenzen einer unterschiedlichen Behandlung verschiedener Einkommenseinbußen bei der Bemessung des Elterngeldes Kurzinformation Verfassungsrechtliche Grenzen einer unterschiedlichen Behandlung verschiedener Einkommenseinbußen bei der Bemessung des Elterngeldes Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 menseinbußen zu verzeichnen waren, unberücksichtigt bleiben und eine entsprechende Möglichkeit der Gruppe der Elterngeldbezieher, die im Bemessungszeitraum Einkommenseinbußen aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld zu verzeichnen hatten, nicht zuteil kommen würde. Nicht jede Ungleichbehandlung von vergleichbaren Personengruppen ist verfassungswidrig; vielmehr kann die Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein. Für die Frage der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung kommt es darauf an, ob zwischen den Vergleichsgruppen Unterschiede solcher Art bestehen, dass eine Ungleichbehandlung durch einen „hinreichend gewichtigen Grund“4 sachlich gerechtfertigt ist. Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG „je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die stufenlos von gelockerten , auf ein Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen reichen können“5. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind dem Gesetzgeber umso engere Grenzen gesetzt, „je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann“6. Für einen strengeren Kontrollmaßstab spricht zudem die Unverfügbarkeit der Differenzierungskriterien für den Einzelnen.7 Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben , dass die „Anforderungen bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen […] umso strenger [sind], je größer die Gefahr ist, dass eine Anknüpfung an Persönlichkeitsmerkmale, die mit denen des Art. 3 Abs. 3 GG vergleichbar sind, zur Diskriminierung einer Minderheit führt“8. Eine Regelung, die die grundsätzliche Möglichkeit vorsieht, durch verschiedene Umstände verursachte Einkommenseinbußen bei der Bemessung des Elterngeldes zu berücksichtigen, den Bezug von Arbeitslosengeld dabei aber von dieser Möglichkeit ausnimmt, greift in kein grundrechtlich geschütztes Freiheitsrecht ein. Insbesondere würde nicht in Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der Familie) eingegriffen. Zwar begründet Art. 6 Abs. 1 GG für den Staat die Pflicht, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern; nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat allerdings nicht gehalten, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen zu entlasten.9 Durch die Regelung werden Familien zudem nicht in ihrer Existenz bedroht. Die Regelung bezieht sich auf die Berechnung der Höhe des Elterngeldes und führt zu keinem Ausschluss. Derzeit ist zudem vorgesehen, dass unabhängig von der Einkommensverhältnissen ein Mindestbetrag von 300 Euro gezahlt wird, § 2 Abs. 4 BEEG. 4 BVerfGE 100, 138 (174). 5 BVerfGE 129, 49 (1. Leitsatz), Hervorhebungen nur hier; vgl. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 16. Auflage 2020, Art. 3 Rn. 16. 6 BVerfGE 95, 267 (316 f.), Hervorhebung nur hier. Weitere Nachweise bei Nußberger, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 3 Rn. 32. 7 Nußberger, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 3 Rn. 32 mit Rechtsprechungsnachweisen. 8 BVerfGE 88, 87 (96); 124, 199 (220); 130, 240 (254). 9 BVerfGE 87, 1 (34). Kurzinformation Verfassungsrechtliche Grenzen einer unterschiedlichen Behandlung verschiedener Einkommenseinbußen bei der Bemessung des Elterngeldes Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Ein Anknüpfen an den Bezug von Arbeitslosengeld knüpft auch nicht an Persönlichkeitsmerkmale an, die mit denen des Art. 3 Abs. 3 GG vergleichbar sind. Da dieses Differenzierungskriterium zudem für den Einzelnen verfügbar ist, da er sich bei Kündigung bzw. Beendigung seines Arbeitsverhältnisses um ein neues bemühen kann, wäre für die Rechtfertigung der Willkürmaßstab eines sachlichen Grundes anzulegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit einen großen Gestaltungsspielraum einräumt.10 Insofern gilt es für den Gesetzgeber zu begründen, welche sachlichen Gründe die Differenzierung zwischen Arbeitslosengeld auf der einen Seite sowie Krankengeld und Kurzarbeitergeld auf der anderen Seite rechtfertigen können. Dies setzt eine vertiefte Analyse der konkreten rechtlichen Ausgestaltung dieser verschiedenen Leistungen voraus. Zudem gilt es, die unterschiedlichen Folgen der Berücksichtigung bzw. Ausklammerung dieser verschiedenen Leistungen bei der Bemessung des Elterngeldes jeweils in Rechnung zu stellen. Eine solche vertiefte Analyse kann hier ohne einen konkreten Regelungsvorschlag mit entsprechender Begründung und ggfs. Gesetzesfolgenabschätzung nicht geleistet werden. *** 10 Siehe nur BVerfGE 11, 50 (60); BVerfGE 78, 104 (121).