© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 003/14 Verfassungsmäßigkeit polizeirechtlicher Vorschriften zur Bestimmung von Gefahrengebieten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 003/14 Seite 2 Verfassungsmäßigkeit polizeirechtlicher Vorschriften zur Bestimmung von Gefahrengebieten Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 003/14 Abschluss der Arbeit: 14. Januar 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 003/14 Seite 3 1. Fragestellung Die Fragestellung zielt auf die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift des Hamburgischen Landesrechts . Konkret wird gefragt, ob die Ausweisung eines Gefahrengebietes nach der Vorschrift des § 4 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG)1 im Einklang mit dem Grundgesetz – insbesondere den Grundrechten und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – steht. Ferner wird gefragt, inwieweit diese Verfassungsbestimmungen eine räumliche und zeitliche Begrenzung einer solchen Ausweisung erfordern. Im Hinblick auf ein derzeit beim Oberverwaltungsgericht Hamburg anhängiges Berufungsverfahren 2, in dem auch die Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 2 S. 1 PolDVG zu beurteilen ist, sowie angesichts der Tatsache, dass die Vorschrift außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Bundesgesetzgebers liegt, ist Ziel dieser Ausarbeitung nicht eine abschließende Bewertung der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift, sondern vielmehr ein Überblick über die maßgeblichen Anforderungen des Grundgesetzes. 2. Inhalt und Struktur der Vorschrift § 4 Abs. 2 S. 1 PolDVG lautet: „Die Polizei darf im öffentlichen Raum in einem bestimmten Gebiet Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen, soweit auf Grund von konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden und die Maßnahme zur Verhütung der Straftaten erforderlich ist.“ Zur Feststellung der Identität dürfen nach § 4 Abs. 3 PolDVG Namen, frühere Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Anschrift erhoben werden. Hierzu darf die Polizei nach § 4 Abs. 4 S. 1 PolDVG die erforderlichen Maßnahmen treffen; diese werden durch Satz 2 der Vorschrift konkretisiert. Danach darf die Polizei 1. den Betroffenen anhalten , 2. den Betroffenen oder Auskunftspersonen nach seiner Identität befragen, 3. verlangen, dass der Betroffene mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt, 4. den Betroffenen festhalten , 5. den Betroffenen und die von ihm mitgeführten Sachen nach Gegenständen durchsuchen , die zur Identitätsfeststellung dienen können, 6. den Betroffenen zur Dienststelle bringen, 7. in den Fällen des § 4 Abs. 1 PolDVG unter den Voraussetzungen des § 7 PolDVG erkennungsdienstliche Maßnahmen durchführen. Die eingriffsintensiveren Maßnahmen nach den Nummern 4 bis 6 dürfen gemäß § 4 Abs. 4 S. 3 PolDVG nur getroffen werden, wenn die Identität auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Angaben unrichtig sind. § 4 Abs. 2 S. 1 PolDVG stellt eine Spezialermächtigungsgrundlage zur Identitätsfeststellung sowie zur Inaugenscheinnahme mitgeführter Sachen dar. Eine wie auch immer geartete „Ausweisung eines Gefahrengebietes“ schreibt der Wortlaut zunächst nicht vor. Das Verwaltungsgericht 1 HmbGVBl. 1991, S. 187. 2 Aktenzeichen 4 Bf 226/12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 003/14 Seite 4 Hamburg3 hat jedoch entschieden, dass die Norm dahingehend auszulegen ist, dass nicht der einzelne Polizeivollzugsbeamte zeitgleich mit der Kontrolle über das Vorliegen eines „bestimmten Gebietes“ entscheidet, sondern die Vorschrift vielmehr ein gestuftes Verfahren erfordert: Zunächst muss durch eine übergeordnete polizeiliche Entscheidungsebene ein Gebiet im Sinne der Vorschrift bestimmt werden. Daran schließen sich auf einer zweiten Stufe die einzelnen Kontrollen an. Tatbestandliche Voraussetzung für die erste Stufe, die als „Gebietsausweisung“ umschrieben werden kann, ist nach dieser Auslegung, dass aufgrund konkreter Lageerkenntnisse anzunehmen ist, dass in dem bestimmten Gebiet, das im öffentlichen Raum gelegen sein muss, Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden. Tatbestandliche Voraussetzung für die zweite Stufe, also die konkrete Kontrollmaßnahme, ist, dass erstens eine derartige Gebietsausweisung vorliegt und zweitens die konkrete Maßnahme zur Verhütung derartiger Straftaten von erheblicher Bedeutung erforderlich ist. 3. Vereinbarkeit der Regelung zur Gebietsausweisung mit dem Grundgesetz 3.1. Formelle Verfassungsmäßigkeit Der Hamburgische Landesgesetzgeber war für den Erlass der Vorschrift zuständig, da die Länder die Gesetzgebungsbefugnis für das Gefahrenabwehrrecht innehaben (Art. 70 Abs. 1 GG) und die mit der Vorschrift bezweckte Verhütung von Straftaten zur Gefahrenabwehr zählt. Weitere formale Anforderungen an landesrechtliche Vorschriften ergeben sich nicht aus dem Grundgesetz, sondern aus den Bestimmungen der Landesverfassungen. 3.2. Materielle Verfassungsmäßigkeit In materieller Hinsicht darf die Regelung zur Gebietsausweisung insbesondere keine Grundrechte verletzen. 3.2.1. Eingriff in den Schutzbereich von Grundrechten § 4 Abs. 2 PolDVG statuiert die Verpflichtung kontrollierter Personen, Angaben zu ihrer Identität zu machen und Ausweispapiere auszuhändigen und greift damit in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein. Soweit die Vorschrift der Polizei die Befugnis einräumt, kontrollierte Personen zur Feststellung der Identität festzuhalten und zur Dienststelle zu bringen, liegt auch ein Eingriff in das von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 104 GG geschützte Grundrecht auf Freiheit der Person vor. Die Regelung zur Gebietsausweisung, also die „erste Stufe“ der Vorschrift, dürfte allerdings keinen eigenständigen Grundrechtseingriff darstellen. Bei dieser Gebietsausweisung handelt sich weder um eine Allgemeinverfügung noch um eine Polizeiverordnung noch um eine sonstige au- 3 VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 76 ff. (Anlage). Gegen das Urteil ist Berufung eingelegt worden, die beim OVG Hamburg unter dem Aktenzeichen 4 Bf 226/12 anhängig ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 003/14 Seite 5 ßenwirksame Regelung grundrechtlich geschützten Verhaltens. Die Gebietsausweisung dürfte ihrer Rechtsnatur nach eine innerdienstliche Weisung darstellen. Die Grundrechtseingriffe liegen erst in den durch die zweite Stufe der Vorschrift eingeräumten Kontrollbefugnissen. Die Gebietsausweisung ist hierfür Tatbestandsvoraussetzung, sie eröffnet die Kontrollbefugnisse gewissermaßen. Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Grundrechtseingriffe spielt die Regelung der Gebietsausweisung gleichwohl eine Rolle. Denn für die Frage, ob die mit den Kontrollbefugnissen einhergehenden Grundrechtseingriffe verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind, ist die durch die Tatbestandsmerkmale definierte Eingriffsschwelle entscheidend, da diese die Eingriffsbefugnisse erst eröffnen. 3.2.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Sowohl das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch das Recht auf Freiheit der Person können durch Gesetz eingeschränkt werden. Bei der Bestimmung der Schranken der berührten Grundrechte ist der Gesetzgeber allerdings nicht frei. Insbesondere muss er dem Bestimmtheitsgrundsatz , dem Wesentlichkeitsgebot und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. 3.2.2.1. Bestimmtheitsgrundsatz Nach dem aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten abzuleitenden Bestimmtheitsgrundsatz müssen grundrechtsbeschränkende Gesetze hinreichend konkrete Maßgaben für das Verwaltungshandeln aufstellen, um dieses nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen, den Bürgern Klarheit über mögliche belastende Maßnahmen zu verschaffen und eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle anhand eindeutiger Maßstäbe zu ermöglichen.4 Mit steigender Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme steigen die Anforderungen an die gesetzliche Konkretisierung: Je intensiver der Eingriff ist, desto bestimmter müssen die zu ihm ermächtigenden Befugnisnormen sein.5 Unter Beachtung dieser Grundsätze darf der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden , deren nähere Konkretisierung dann der Rechtsprechung obliegt. Die fragliche Vorschrift des § 4 Abs. 2 S. 1 PolDVG dürfte dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen.6 Der unbestimmte Rechtsbegriff der „erheblichen Straftaten“ wird in § 1 Abs. 4 PolDVG legaldefiniert. Die dort verwendeten Begriffe erscheinen hinreichend konkret. Auch der Begriff der „konkreten Lageerkenntnisse“ ist richterlicher Konkretisierung zugänglich. Nach der Rechtsprechung umfasst der Begriff solche Erkenntnisse, die „durch eine Auswertung und Zusammenschau einer Vielzahl von verfügbaren Indiztatsachen, Umständen, Gegebenheiten und Entwicklungen im Hinblick auf einen bestimmten polizeirechtlich relevanten Einzelfall unter Berücksichtigung polizeilicher Erfahrung gewonnen werden.“7 4 BVerfGE 113, 348 (375 ff.); zuletzt BVerfG, Beschluss vom 17.9.2013, 2 BvR 2436/10, 2 BvE 6/08, Rn. 126. 5 Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2011, Rn. 173. 6 So auch VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 50 ff. 7 VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 60. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 003/14 Seite 6 3.2.2.2. Wesentlichkeitsgebot Nach den Anforderungen der sogenannten Wesentlichkeitstheorie verpflichten das Rechtsstaatsund das Demokratieprinzip den Gesetzgeber insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen.8 Die Einhaltung dieses Gebots ist vorliegend insoweit nicht unproblematisch, als die Vorschrift es der Verwaltung überlässt, die Kontrollgebiete zu bestimmen und damit die tatbestandliche Voraussetzung für verdachtsunabhängige Kontrollen selbst zu schaffen. Allerdings stellt das Gesetz selbst materielle Voraussetzungen für diese Gebietsausweisung auf. Diese ist nur zulässig, „soweit auf Grund von konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden“. Es müssen danach konkrete Umstände und Erkenntnisse darauf hindeuten, dass in dem betreffenden Gebiet die Gefahr der Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung besteht. Damit eine solche Prognoseentscheidung sachgerecht getroffen werden kann, ist in formaler Hinsicht erforderlich, dass im Vorfeld einer Gebietsausweisung sämtliche vorhandenen Informationen ausgewertet und aus diesen ein umfassendes Lagebild erstellt wird. Da für eine derartige Gesamtwürdigung aller verfügbaren Informationen ein ausreichender Überblick erforderlich ist, muss diese Entscheidung – nach der durch die Rechtsprechung getroffenen Auslegung9 – Funktionsträgern auf einer höheren Entscheidungsebene vorbehalten sein (vgl. das oben genannte gestufte Verfahren). Für die Gebietsausweisung durch die Polizei besteht damit eine gesetzlich vorgegebene Schwelle, mit der nach der Rechtsprechung dem Wesentlichkeitsgebot Genüge getan wird.10 3.2.2.3. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Schließlich müsste die Vorschrift auch dem im Rechtsstaatsprinzip sowie in den Grundrechten wurzelnden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, d.h. ein legitimes Ziel verfolgen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein. Mit dem bereits im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck gebrachten Zweck der Vorschrift – der Verhütung erheblicher Straftaten – verfolgt der Gesetzgeber ein legitimes Ziel. Da der Eingriffstatbestand des § 4 Abs. 2 S. 1 PolDVG abweichend vom klassischen Polizeirecht nicht an eine konkrete polizeiliche Gefahr anknüpft, sondern anknüpfend an eine gewisse „Gefährlichkeit “ eines Gebietes verdachtsunabhängige Maßnahmen im Vorfeld konkreter Gefahren zulässt, bedarf dieser nach der Rechtsprechung besonderer Rechtfertigung und ist deshalb in spezifischer Weise am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen.11 Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die klassischen polizeilichen Eingriffsbefugnisse durch die Anknüpfung an eine 8 BVerfGE 49, 89 (126 f.); 77, 170 (231); 83, 130 (142); BVerfG, Beschluss vom 4.5.1997, NJW 1998, 669 (670); vgl. auch Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Abschnitt E Rn. 723. 9 VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 76 ff. 10 VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 70 ff. 11 VGH Baden-Württemberg, NVwZ 2004, 498 (501 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 003/14 Seite 7 konkrete Gefahr eine grundrechtssichernde Eingriffsschwelle markieren, die bei Gefahrenvorsorgemaßnahmen im Vorfeld einer konkreten Gefahr unterschritten werde. Einer Ausuferung polizeilicher Eingriffskompetenzen im Vorfeld von Gefahren sei daher durch eine spezifische Verhältnismäßigkeitsprüfung entgegenzuwirken.12 Unter Zugrundelegung dieser gesteigerten Anforderungen hat das Verwaltungsgericht Hamburg die Vorschrift für mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit „noch vereinbar“ erachtet.13 Maßgebliche Erwägungen im Rahmen der Angemessenheit des Eingriffs waren dabei, dass bei der Identitätskontrolle keine höchstpersönlichen Daten mit gesteigerter Schutzbedürftigkeit erhoben würden, sondern der Einzelne lediglich seiner Anonymität beraubt werde und dass alle Maßnahmen offen und nicht verdeckt und nur in bestimmten zeitlich und örtlich begrenzten Sondersituationen erfolgten. Diese Eingriffe seien mit Blick auf das gewichtige Gemeinwohlinteresse in Gestalt der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erheblicher Bedeutung „von noch hinnehmbarer Intensität“.14 In der Konsequenz dieser Güterabwägung erachtet das Verwaltungsgericht Hamburg den Eingriff insgesamt für gerechtfertigt und die Vorschrift für verfassungsgemäß. 4. Erforderlichkeit einer zeitlichen und örtlichen Begrenzung der Ausweisung eines Gefahrengebietes Ausdrücklich schreibt § 4 Abs. 2 S. 1 PolDVG weder in zeitlicher noch in örtlicher Hinsicht eine Begrenzung der Ausweisung eines Gefahrengebietes vor. Dies unterscheidet die Norm etwa von der vergleichbaren Vorschrift des § 27a Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg- Vorpommern15 (SOG MV), die die Polizei zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung zu verdachtsunabhängigen Anhalte- und Sichtkontrollen im öffentlichen Verkehrsraum ermächtigt. Voraussetzung dieser Maßnahmen ist eine durch den Behördenleiter aufgrund polizeilicher Lageerkenntnisse erlassene Anordnung, die gemäß § 27a S. 2 2. Hs. SOG MV „in örtlicher und zeitlicher Hinsicht zu beschränken“ ist. Obwohl ein entsprechendes Tatbestandsmerkmal in § 4 Abs. 2 S. 1 PolDVG fehlt, erfährt die Gebietsausweisung auch durch dessen Tatbestandsvoraussetzungen eine gewisse örtliche und zeitliche Begrenzung: Zum einem ist die Gebietsausweisung nur „im öffentlichen Raum“ zulässig. Wohnungen oder private Ladengeschäfte sind also von vornherein aus dem Gefahrengebiet ausgeklammert . Zum anderen ist die Ausweisung nur zulässig, soweit auf Grund von konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden. Das Wort „soweit“ dürfte die Gebietsausweisung an eine in örtlicher und zeitlicher Hinsicht bestehende Gefahrenprognose koppeln. Aus Sicht des Verwaltungsgerichts Hamburg wird durch dieses Tatbestandsmerkmal „sowohl ausgeschlossen, dass ein Gebiet zeitlich 12 VGH Baden-Württemberg, NVwZ 2004, 498 (501 f.); VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 80. 13 VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 80. 14 VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 89 ff. 15 GVOBl. MV 2011, S. 246. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 003/14 Seite 8 unbegrenzt als Gefahrengebiet angesehen werden kann, als auch, dass es sich über große Teile Hamburgs oder das gesamte Stadtgebiet erstreckt.“16 Das Gericht belässt es allerdings nicht bei dieser einfachgesetzlichen Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen , sondern lässt in mehreren Passagen des Urteils erkennen, dass es die örtliche und zeitliche Begrenzung für geradezu elementar für die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs und damit für die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift insgesamt gehalten hat. So stelle die genannte Tatbestandsvoraussetzung „eine notwendige Begrenzung sowohl in zeitlicher als auch örtlicher Hinsicht“ dar.17 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wird ausgeführt, dass die höhere Eingriffsintensität, die die von einer konkreten Gefahr oder Störereigenschaft unabhängigen Kontrollmaßnahmen auch gegenüber unbeteiligten Personen mit sich bringen, dadurch kompensiert werde, dass „eine zeitlich und örtlich begrenzte, durch eine schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit gekennzeichnete Sondersituation vor[liege] und […] der Aufenthalt in diesem Gebiet während der Dauer dieser Sondersituation zumindest grundsätzlich vermeidbar [sei]“.18 Soweit ein Aufenthalt in dem ausgewiesenen Gefahrengebiet ausnahmsweise nicht vermeidbar sei, stelle dies einen noch schwerwiegenderen Eingriff dar, der „deshalb noch hinnehmbar [sei], weil auch auf Grundlage von § 4 Abs. 2 PolDVG ein Gefahrengebiet wegen der Begrenzung durch die o.g. Tatbestandsmerkmale und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eben nicht zeitlich und räumlich unbegrenzt, sondern nur in erheblichen Sondersituationen angeordnet werden kann.“19 16 VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 72. 17 VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 72, Hervorhebungen d. Verf. 18 VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 93 f., Hervorhebungen d. Verf. 19 VG Hamburg, Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11 – juris, Rn. 95, Hervorhebungen d. Verf.