Deutscher Bundestag Gesetzliche Mindestquote für Männer und Frauen in Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und dem EU-Recht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 001/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 2 Gesetzliche Mindestquote für Männer und Frauen in Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und dem EU-Recht Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 001/11 Abschluss der Arbeit: 2. Februar 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der Gesetzentwurf der Assemblée nationale 5 2.1. Die Stellung von Aufsichts- und Verwaltungsrat im französischen Gesellschaftsrecht 5 2.2. Vorschriften für die Besetzung des Aufsichts- und Verwaltungsrats nach dem Gesetzentwurf der Assemblée nationale 6 3. Vereinbarkeit einer gesetzlichen Regelung zur verpflichtenden Besetzung des Aufsichtsrats mit mindestens 40 % der Vertreter jeden Geschlechts mit dem Grundgesetz 7 3.1. Vereinbarkeit einer Geschlechterquote mit Artikel 14 Abs. 1 GG 7 3.1.1. Aktienbesitz vom Schutzbereich des Artikel 14 GG umfasst 7 3.1.2. Einführung einer Quote im Aufsichtsrat als verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung? 7 3.2. Vereinbarkeit einer Geschlechterquote mit der Vereinigungsfreiheit gemäß Artikel 9 GG. 12 3.3. Vereinbarkeit einer Geschlechterquote mit der Berufsfreiheit nach Artikel 12 GG 13 3.4. Vereinbarkeit einer Quote mit dem Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (Artikel 3 Abs. 3 GG) 13 3.5. Vereinbarkeit einer Geschlechterquote mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 15 4. Vereinbarkeit mit EG-Recht 16 4.1. Möglicher Verstoß gegen die Richtlinie zur Chancengleichheit in Arbeitsfragen 16 4.2. Möglicher Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (Artikel 49 AEUV) 17 4.3. Möglicher Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Artikel 63 AEUV) 18 5. Ergebnis 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 4 1. Einleitung Seit einigen Jahren wird in Deutschland, aber auch im europäischen Ausland sowie in den USA, über eine bessere Repräsentanz beider Geschlechter, und insbesondere der Frauen, auf der Führungsebene großer Konzerne diskutiert. In Deutschland liegt der Schwerpunkt der Diskussion bei der Besetzung der Aufsichtsräte und Vorstände börsennotierter Unternehmen. In den 30 im Deutschen Aktienindex (DAX 30) notierten Unternehmen lag der Frauenanteil unter den Vorstandsmitgliedern 2009 bei 0,55 Prozent und 2010 bei 2,16 Prozent. In den Aufsichtsräten der 30 DAX- Unternehmen lag der Frauenanteil auf der Anteilseignerseite 2009 bei 6,54 Prozent und 2010 bei 7,42 Prozent.1 In den Aufsichtsräten der 200 größten Unternehmen in Deutschland nahmen Frauen im Durchschnitt des Jahres 2010 10,6 Prozent der Plätze ein; 70 Prozent dieser Frauen sind als Vertreterinnen der Arbeitnehmerschaft aufgrund der Mitbestimmungsregelungen in den Aufsichtsrat gelangt.2 Die Bundesregierung bemüht sich ebenfalls seit Jahren, diesen Frauenanteil zu erhöhen. So wurde bereits am 2. Juli 2001 eine „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft“3 geschlossen. Am 19. Mai 2010 hat die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex unter anderem die Aufnahme einer Empfehlung in den Deutschen Governance Kodex (DCGK)4 zur Vielfalt („diversity“) in den Führungsfunktionen großer Unternehmen beschlossen. Die Vielfalt soll sich insbesondere auf eine bessere Berücksichtigung beider Geschlechter auf der Führungsebene der Unternehmen beziehen.5 1 „Aktionärinnen fordern Gleichberechtigung – Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen insbesondere Aufsichtsratspositionen deutscher Unternehmen“ – Studie des Deutschen Juristinnenbundes, gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend , vorgelegt am 1. Dezember 2010, im Internet abrufbar unter http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Aktion_C3_A4rinnenfordern -Gleichberechtigung,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (Abruf: 10.1.2011). 2 Holst, Elke und Schimeta, Julia: „29 von 906: Weiterhin kaum Frauen in Top-Gremien großer Unternehmen “, Wochenbericht des DIW Nr. 3, 2011, S. 2-10. 3 Siehe http://www.dihk.de/ressourcen/downloads/chancengleichheit.pdf (Abruf: 20. Januar 2011) 4 Mit der Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger am 2.Juli 2010 in Kraft getretenen Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), eBAnz AT68 2010 B1, im Internet abrufbar unter https://www.ebundesanzeiger.de/ebanzwww/wexsservlet?page.navid=toofficialpublication. Ausführlich zu den Änderungen Hecker, Andreas und Peters, Marc Die Änderungen des DCGK im Jahr 2010, BB 2010, 2251 (2253f.) sowie Ringleb, Henrik-Michael; Kremer, Thomas; Lutter, Marcus und v. Werder, Die Kodex-Änderungen vom Mai 2010, NZG 2010, 1161 (Rn 661a ff). 5 Ziffer 4.1.5 lautet: Der Vorstand soll bei der Besetzung von Führungsfunktionen im Unternehmen auf Vielfalt (Diversity) achten und dabei insbesondere eine angemessene Berücksichtigung von Frauen anstreben. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 5 Im Folgenden wird zunächst (Gliederungspunkt 2) der wesentliche Inhalt des von der Assemblée nationale vorgelegten „Gesetzentwurfes über die gleichberechtigte Vertretung von Frauen und Männern in Verwaltungs- und Aufsichtsräten und über die berufliche Gleichstellung“6 in der durch den Senat am 27. Oktober 2010 geänderten Fassung dargestellt. Danach wird (Gliederungspunkt 3) geprüft werden, ob eine entsprechende Regelung in Deutschland mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Unter Gliederungspunkt 4 findet sich eine kurze Prüfung der Vereinbarkeit des Vorschlages mit den Vorgaben des Unionsrechts. 2. Der Gesetzentwurf der Assemblée nationale 2.1. Die Stellung von Aufsichts- und Verwaltungsrat im französischen Gesellschaftsrecht Nach französischem Gesellschaftsrecht nehmen die Verwaltungsratsmitglieder in Aktiengesellschaften , die nach französischer Tradition im monistischen Modell organisiert sind, eine Kontrollfunktion gegenüber dem Geschäftsführer (directeur général) wahr. Der Verwaltungsrat besteht aus drei bis 18 Mitgliedern, die durch die Hauptversammlung für höchstens sechs Jahre gewählt werden und jederzeit abrufbar sind. Seine Mitglieder müssen Aktionäre der Aktiengesellschaft sein. Eine Mandatshäufung ist nur eingeschränkt möglich. „Sitzungsgelder“ (jetons de présence) als Hauptbestandteil der Bezüge der Verwaltungsratsmitglieder werden einmal jährlich global von der Hauptversammlung festgelegt. Der französische Verwaltungsrat steht gesellschaftsrechtlich zwischen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat nach deutschem Recht. Aktiengesellschaften, die nach französischem Recht nach dem dualistischen Organisationsschema aufgebaut sind, werden von einem Geschäftsführer oder dem Vorstand (directeur général unique oder directoire) geleitet, der der Kontrolle des Aufsichtsrats (conseil de surveillance) unterliegt . Die Mitglieder des Aufsichtsrates werden von der Hauptversammlung gewählt und können jederzeit ihres Amtes enthoben werden.7 6 Proposition de loi, modifiée par le sénat, relative à la représentation équilibrée des femmes et des hommes au sein des conseils d’administration et de surveillance et à l’égalité professionnelle, Assemblée nationale Nr. 2923. 7 Ausführlich zum Ganzen Sonnenberger, Hans Jürgen und Dammann, Reinhard, Französisches Handels - und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., 2008, S. 189 – 198; beide warnen aber davor, den französischen Verwaltungs- und Aufsichtsrat mit dem deutschen Aufsichtsrat gleichzusetzen (insb. S. 196). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 6 2.2. Vorschriften für die Besetzung des Aufsichts- und Verwaltungsrats nach dem Gesetzentwurf der Assemblée nationale Nach dem Gesetzentwurf soll künftig der Anteil der Verwaltungsratsmitglieder eines jeden Geschlechts von börsennotierten Aktiengesellschaften sowie von Gesellschaften, die im dritten Jahr in Folge im Durchschnitt eine Stammbelegschaft von mindestens 500 Mitarbeitern haben und einen Nettoumsatz bzw. eine Bilanzsumme von mindestens 50 Millionen Euro verzeichnen, bei mindestens 40 % liegen (Art. L. 225-18-1 Handelsgesetzbuch). Ernennungen, die einen Verstoß gegen diese Vorschrift darstellen, sind nichtig, führen aber nicht zur Nichtigkeit der Beschlüsse, an denen ein unrechtmäßig ernanntes Verwaltungsratsmitglied beteiligt war. Der Verwaltungsrat ist verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten nach Freiwerden eines Sitzes im Verwaltungsrat vorläufige Neuernennungen vorzunehmen. Die Kandidaten für die Wahl der Verwaltungsratsmitglieder auf der Hauptversammlung müssen abwechselnd auf den Listen aufgestellt sein (Art. 225- 28 Abs. 6 Satz 2 des Handelsgesetzbuches). Artikel 2 des Gesetzentwurfs dehnt die Anwendung der gleichen Vorschriften auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der entsprechenden Gesellschaften aus. Auch in den Verwaltungs- und Aufsichtsräten von Unternehmen des öffentlichen Sektors, die der Mitbestimmung unterliegen, müssen jeweils mindestens 40 % des jeweiligen Geschlechts vertreten sein. Sanktioniert werden die Bestimmungen durch die Nichtigkeit der rechtswidrigen Ernennung von Verwaltungs- und Aufsichtsratsmitgliedern. Ferner wird die Zahlung des gesetzlich vorgesehenen Sitzungsgeldes ausgesetzt. Das Gesetz sieht Übergangsfristen vor. Nach Artikel 3 soll es am 1. Januar des sechsten auf die Veröffentlichung des Gesetzes folgenden Jahres in Kraft treten; die Besetzung der Führungsgremien muss erst nach der ersten auf das Inkrafttreten des Gesetzes folgenden ordentlichen Hauptversammlung den Vorgaben des Gesetzes entsprechen. Nach Abschluss der ersten ordentlichen Hauptversammlung, die nach dem 1. Januar des dritten auf die Veröffentlichung des Gesetzes folgenden Jahres stattfindet, darf der Anteil jedes Geschlechts an den Führungsgremien nicht unter 20 % liegen. Die Leitungsgremien mitbestimmungspflichtiger Betriebe des öffentlichen Sektors müssen ab dem Tag der ersten Neubesetzung nach Veröffentlichung des Gesetzes zu je mindestens 20 % mit Vertretern beider Geschlechter, ab dem Tag der zweiten Neubesetzung zu je 40 % besetzt sein. Das Gesetz sieht ferner eine Berichtspflicht der Regierung gegenüber beiden Kammern des Parlaments über die Stellung der Frauen in den Führungsgremien der öffentlich-rechtlichen Anstalten und Wirtschaftsanstalten vor und schreibt dem Verwaltungs- und Aufsichtsrat der privatrechtlichen Gesellschaften die Verabschiedung einer Politik zur beruflichen Gleichstellung und zur Gleichheit der Entlohnung vor. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 7 3. Vereinbarkeit einer gesetzlichen Regelung zur verpflichtenden Besetzung des Aufsichtsrats mit mindestens 40 % der Vertreter jeden Geschlechts mit dem Grundgesetz Eine dem französischen Vorbild nachgestaltete Quotenregelung müsste mit den vom Grundgesetz (GG) garantierten Grundrechten übereinstimmen. Dem französischen Vorbild entspräche im deutschem Recht in etwa eine entsprechende Quotenregelung für den Aufsichtsrat börsennotierter Aktiengesellschaften, deren Stammbelegschaft im dritten Jahr in Folge im Durchschnitte 500 Mitarbeiter betrug und die einen Nettoumsatz bzw. eine Bilanzsumme von mindestens 50 Millionen Euro verzeichnen. In Deutschland unterliegen ein Großteil der Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten unterschiedlichen Formen der Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Besetzung des Aufsichtsrats gemäß dem Drittelbeteiligungsgesetz oder dem Mitbestimmungsgesetz . In Betracht kommt insbesondere ein möglicher Verstoß gegen das Grundrecht auf privates Eigentum (Artikel 14 GG), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9 GG), die Berufsfreiheit (Artikel 12 GG), sowie das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung (Artikel 3 Abs. 2 und 3 GG). 3.1. Vereinbarkeit einer Geschlechterquote mit Artikel 14 Abs. 1 GG Die einzelnen Bestimmungen zur Einführung einer Frauenquote in Aufsichtsräten börsennotierter Aktiengesellschaften mit einer Stammbelegschaft von mindestens 500 Arbeitnehmern könnte gegen die Garantie des Eigentums (Artikel 14 Abs. 1 GG) verstoßen. Die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums ist gemäß Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG Aufgabe des Gesetzgebers. 3.1.1. Aktienbesitz vom Schutzbereich des Artikel 14 GG umfasst Artikel 14 GG schützt auch das Anteilseigentum, das in einer Aktie verkörpert ist. Dieses vermittelt dem Aktionär im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Gesellschaftssatzung sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche.8 Dieses Anteilseigentum ist allerdings gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum, das im sozialen Bezug steht. 3.1.2. Einführung einer Quote im Aufsichtsrat als verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung ? Gemäß Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG werden Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt. Das BVerfG hat bereits in seinem Urteil zur Mitbestimmung ausgeführt, dass die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung um so weiter ist, je mehr das Eigentumsobjekt – also hier die Aktien – in einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion 8 BVerfGE 100, 289, 301f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 8 steht.9 In diesem Urteil erklärte das BVerfG die Bestimmungen über die Einführung der unterparitätischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten großer Kapitalgesellschaften außerhalb des Montanbereichs im Mitbestimmungsgesetz 1976 für verfassungsgemäß. Aus der Sozialgebundenheit des Eigentums folgert zum einen das Gebot der Rücksichtnahme auf den Nichteigentümer, die Bestandsgarantie des Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 GG fordert jedoch andererseits die Erhaltung des Zuordnungsverhältnisses. Der Gestaltungsbereich des Gesetzgebers ist bei sozialem Bezug und sozialer Funktion des Eigentums relativ weit; er verengt sich, wenn diese Voraussetzung nicht oder nur in begrenztem Umfang vorliegen.10 Eine gesetzliche Vorgabe für eine Frauenquote im Vorstand würde sich ähnlich wie die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungsmäßig erkannten Vorschriften über die Mitbestimmung in Unternehmen in erster Linie auf die mittelbaren Verfügungsbefugnisse der Anteilseigner auswirken , da deren gesellschaftsrechtlich begründete Einflussmöglichkeit auf die Besetzung des Aufsichtsrats betroffen wäre. So wäre die Auswahl der Anteilseigner bei Wahl der Aufsichtsratsmitglieder in der Hauptversammlung beschränkt, weil jeweils auf eine Besetzung des Aufsichtsrats mit je mindestens 40 % Frauen und Männern geachtet werden müsste. Dabei würden die Anteilseigner nicht die Kontrolle über die Führungsauswahl verlieren, sondern wären in der Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates frei, solange sie die entsprechende Vorgabe zur Geschlechterverteilung der Mitglieder beachten. Die Frauenquote würde auch keine Strukturveränderung des Anteilseigentums darstellen11: Zwar wäre die Hauptversammlung in ihrer Wahlfreiheit in der Weise eingeschränkt, dass die den Aktionären zustehenden Posten im Aufsichtsrat zum Teil auch Frauen angehören müssen. Jedoch würden keine Personen von unternehmensfremden Stellen bestimmt und auch keine einzelnen Personen als Mitglieder vorgegeben . Bei entsprechender Anwendung der Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts aus der Entscheidung zur Mitbestimmung handelt es sich bei den Vorgaben zur Besetzung des Aufsichtsrates um Inhaltsbestimmungen des Eigentums und nicht um einen Eingriff in das Eigentum.12 Diese Inhaltsbestimmung des Eigentums müsste zum Erreichen des verfolgten Ziels verhältnismäßig sein, d.h. sie müsste ein geeignetes Mittel sein, um ein legitimes Ziel zu erreichen, und hierfür erforderlich und angemessen sein. Als legitimes zu verfolgendes Ziel kommt die Förderung der tatsächlichen Gleichberechtigung der Geschlechter auch im Bereich der Privatwirtschaft – insbesondere bei Unternehmen, die der 9 BVerfGE 50, 290, 340 f. (Mitbestimmung); Wieland, Joachim, in Dreier, Horst, Grundgesetz- Kommentar, Band 1, 2. Aufl. 2004, Art. 14, Rn. 49; kritisch Wendt, Rudolf in Sachs, Michael (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 5. Aufl., München 2009, Art. 14 Rn. 118. 10 BVerfGE 50, 290, 341. 11 So aber wohl Redenius-Hövermann, Julia, Zur Frauenquote im Aufsichtsrat, ZIP 2010, S. 660, 665. 12 So auch Raasch, Sibylle: Erhöhung der Frauenrepräsentanz in Aufsichtsräten: Norwegen – ein Modell ?, ZfRV 2009, S. 216 – 223, 220; Wieland, Joachim: Ist eine Quotenregelung zur Erhöhung des Anteils der Frauen in Aufsichtsräten mit dem Grundgesetz und Europarecht vereinbar?, NJW 2010, S. 2408 – 2410, 2409; Frost, Anne/Linnainmaa, Leena: Corporate Governance: Frauen im Aufsichtsrat – Können wir von unseren skandinavischen Nachbarn lernen? in: AG 2007, S. 610-610; 610. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 9 Mitbestimmung unterliegen – in Betracht. Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG verpflichtet als Staatsziel13 den Staat, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu fördern. Artikel 3 Abs. 2 GG zielt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse; Frauen müssen die gleichen Erwerbschancen haben wie Männer. 14 Die Beseitigung geschlechtsbedingter gesellschaftlicher Nachteile ist dabei nach dem Willen der Verfassunggebers Aufgabe nicht nur des Staates.15 Wie in der Einleitung dargestellt, sind Frauen in Aufsichtsräten nur in geringem Umfang vertreten . Eine Erhöhung der Anzahl von Frauen in den Aufsichtsräten von Unternehmen, die der Mitbestimmung unterliegen, wäre ein Zeichen für gleiche Berufs- und Karrierechancen von Männern und Frauen. Die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ist, da es bereits ein von der Verfassung vorgegebenes Staatsziel ist, ein legitimes Ziel des Gesetzgebers.16 Das Argument, Ziel und Zweck der Aufsichtsratswahl sei die Vertretung der Aktionäre und deren Interessen in der AG17, überzeugt nicht. Es ist gerade typisch für Maßnahmen der Frauenförderung , diese mit Mitteln durchzusetzen, die nicht in erster Linie der Frauenförderung dienen. Ferner sollen die Frauen im Aufsichtsrat auch weiterhin die Interessen des Unternehmens, der Aktionäre und Aktionärinnen vertreten; dieser Verpflichtung steht eine Geschlechterquote nicht entgegen .18 Die Einführung einer Frauenquote muss zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Männern und Frauen geeignet sein. Jedenfalls scheint es nicht ausgeschlossen, dass durch die Einführung einer gesetzlichen Quote von Frauen im Aufsichtsrat die tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter im Berufsleben gefördert wird. Zugleich verbessert nach zahlreichen Studien eine Besetzung von Führungspositionen und damit auch der Aufsichtsräte mit Frauen das wirtschaftliche Ergebnis der Unternehmen.19 Die Frauenquote muss erforderlich zur Durchsetzung der Gleichberechtigung in diesem Teil des Berufslebens sein, das heißt, es darf dem Gesetzgeber kein milderes Mittel zur Verfügung stehen. 13 Vgl. Gesetzesbegründung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vom 20. Januar 1994, BT-Drs. 12/6633, S. 5, und die Bezugnahme in: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 28. Juni 1994, BT-Drs. 12/8165, S. 28. 14 BVerfGE 109, 64, 89 (Mutterschaftsgeld) m.w.N.. 15 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission 1992 vom 5. November 1993, BT-Drs. 12/6000, S. 50. 16 So auch Wieland, Joachim, Ist eine Quotenregelung zur Erhöhung des Anteils der Frauen in Aufsichtsräten mit dem Grundgesetz und Europarecht vereinbar?, NJW 2010, 2408, 2409, sowie Raasch, Sibylle, Erhöhung der Frauenrepräsentant in Aufsichtsräten: Norwegen – ein Modell? in ZfRV 2009, S. 216, 220. 17 Redenius-Hövermann (Fn. 11), S. 665. 18 So auch Raasch (Fn. 12), S. 220. 19 Nachweise bei Holst und Schimeta (Fn. 2), S. 8 f.; so auch Wieland (Fn. 16), S. 2409. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 10 Als milderes Mittel kommt zunächst eine freiwillige Verpflichtung der entsprechenden Unternehmen in Frage. Die im Jahre 2001 geschlossene „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft“20, die auf Freiwilligkeit beruhte, hat bisher keine überzeugende Wirkung, da der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten immer noch weit unter 10 % liegt. Im Mai 2010 wurde eine Empfehlung in den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) aufgenommen, bei der Besetzung von Führungspositionen Frauen verstärkt zu berücksichtigen .21 Unter die genannten Führungspositionen fallen auch die Posten im Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften. Empfehlungen des DCKG sind rechtlich nicht bindend; die Gesellschaften können hiervon abweichen, sind dann aber verpflichtet, dies gemäß § 161 Aktiengesetz (AktG) und § 289a Handelsgesetzbuch (HGB) jährlich zu veröffentlichen und zu begründen. Der Kodex soll über die gesetzlichen Vorgaben hinaus zur Flexibilisierung der Unternehmensverfassung beitragen.22 Ob die Nichtbeachtung der Empfehlungen des DCKG eine Sorgfaltspflichtverletzung des Vorstandes und des Aufsichtsrats begründen, ist umstritten.23 Die Empfehlung des DCKG verfügt jedenfalls durch die Pflicht zur Veröffentlichung und Begründung von Abweichungen von der Empfehlung zu einer stärkeren Berücksichtigung von Frauen in den Führungsposition in Unternehmen und über eine größere Bindungswirkung als die Vereinbarung von 2001. Damit wäre die Empfehlung im DCGK ein milderes Mittel zur stärkeren Berücksichtigung von Frauen in Aufsichtsräten. Deren Eignung zum Erreichen des Ziels der Gleichberechtigung könnte zunächst abgewartet werden. Der deutsche, ähnlich wie der französische Gesetzgeber könnte durch Übergangsvorschriften und eine spätere Inkraftsetzung eines entsprechenden Gesetzes einerseits abwarten , ob die Empfehlungen das gewünschte Ergebnis erzielen, andererseits aber durch die Aussicht auf eine baldige gesetzliche Verpflichtung den freiwilligen Prozess der Frauenförderung in Unternehmen unterstützen. 24 Allerdings steht dem Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der erstrebten Ziele sowie bei den notwendigen Prognosen und Einschätzungen ein Spielraum zu.25 Innerhalb dieses Spielraumes könnte der Gesetzgeber zu dem Ergebnis kommen, dass 20 Siehe http://www.dihk.de/ressourcen/downloads/chancengleichheit.pdf (Abruf: 20. Januar 2011) 21 Ziffer 4.1.5 vgl. Fn. 5. 22 Windbichler, Christine, Gesellschaftsrecht – Ein Studienbuch, 22. Aufl., München 2009, § 25 Rn. 40. 23 Zum Meinungsstand und eine Sorgfaltspflichtverletzung ablehnend Hüffer, Uwe in ders., Kommentar zum Aktiengesetz, 9. Aufl., München 2010, Rns. 26 f zu § 161. 24 Mielke, Birgit K., Frauen in Aufsichtsräten, Magazin Mitbestimmung 10/2005 (im Internet abrufbar unter: http://www.boeckler.de/163_45099.html) weist ebf. auf eine Empfehlung im DCGK als Alternative zu einer gesetzlichen Regelung hin. Ebenso Stellungnahme des DGB für die Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 7. Mai 2008 zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Quoten für Aufsichtsratsgremien börsennotierter Unternehmen einführen auf BT- Drs. 16/5279, S. 70 des Protokolls. Skeptisch, ob eine solche Verankerung ausreichend wäre insb. Raasch (Fn. 12)., S. 222 f. 25 St. Rspr., vgl. Nachweise bei BVerfGE 90, 145, 173. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 11 die nicht verpflichtenden Empfehlungen des DCGK nach den bisherigen Erfahrungen mit einer freiwilligen Verpflichtung zur Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Männern und Frauen nicht ausreichen, zumal die Empfehlungen hinsichtlich des Ziels sehr vage bleiben. Dann könnte eine gesetzliche Regelung auch erforderlich sein. Die Einführung einer gesetzlichen Frauenquote für Aufsichtsräte müsste ferner verhältnismäßig im engeren Sinne sein, d.h. dem einzelnen zumutbar. Hier wird von einigen Autoren eingewandt , den Aktionären stünden keine ausreichende Anzahl an entsprechend qualifizierten Bewerberinnen für Posten im Aufsichtsrat zur Verfügung.26 Um diesem Einwand zu begegnen, bietet der Verband deutscher Unternehmerinnen, finanziert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds im Rahmen des Projekts „Stärkere Präsenz von Frauen in Aufsichtsgremien“ zum einen gezielte Weiterbildungsmaßnahmen für die Vorbereitung einer Tätigkeit im Aufsichtsrat an, zum anderen baut sie eine Datenbank mit qualifizierten Kandidatinnen für einen entsprechenden Aufsichtsratsposten an. In diese Datenbank können sich Kandidatinnen seit Dezember 2010 eintragen; am 25. Januar 2011 enthielt die Datenbank bereits über 100 Einträge.27 Erfahrungen in Norwegen, das gesetzlich eine Frauenquote von durchschnittlich 40 % im Führungsgremium („board“) einer Aktiengesellschaft vorsieht28, zeigen , dass in der Kombination aus einer zentralen Datenbank, der gezielten Schulung weiblicher Führungskräfte und der Erweiterung der Kandidatenauswahl auf die zweite Führungsebene und auf ausländische Bewerberinnen eine ausreichende Anzahl an Kandidatinnen aufgebaut werden können.29 Etwaigen Bedenken kann durch die vom französischen Gesetzgeber vorgesehenen Übergangs- und Inkrafttretensregelungen begegnet werden. Im Ergebnis wäre eine gesetzliche Regelung, die die Besetzung von mindestens 40 % der Sitze im Aufsichtsrat von Aktienunternehmen, die der Mitbestimmung unterliegen, mit den Vertretern des jeweiligen Geschlechts vorsehen, wohl eine verhältnismäßige Inhaltsbestimmung des Eigentumsrechts der Aktionäre. Auch die im französischen Gesetzentwurf vorgesehene Sanktionierung einer Geschlechterquote müsste verhältnismäßig sein. Der Beschluss zur Bestellung des Aufsichtsrates könnte als nichtig erklärt werden und die Bezahlung der gemäß § 113 AktG durch Satzung oder Beschluss der Hauptversammlung festgesetzten Bezüge der Aufsichtsratsmitglieder bis zur Bestellung eines den Anforderungen des AktG entsprechenden Aufsichtsrates ausgesetzt werden. Diese Sanktionierung wäre geeignet, die Geschlechterquote durchzusetzen. Sie wäre auch erforderlich, da ohne 26 Redenius-Hövermann, Julia, Zur Frauenquote im Aufsichtsrat, ZIP 2010, S. 660, 665; wohl auch Windbichler, Stellungnahme zur Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages (Fn. 24), S. 80; Schladebach, Marcus, Stefanopoulou, Georgia, Frauenquote in Aufsichtsräten - Überlegungen zur Änderung des Aktienrechts, BB 2010, S. 1042, 1046. Auch Raasch (Fn. 12), S. 221. sieht dieses Problem, stellt aber die Lösungen in Norwegen dar. 27 Telefonische Auskunft , Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU). Die Datenbank findet sich im Internet unter http://www.vdu.de/aufsichtsgremien/datenbank/esf . 28 Dazu im Einzelnen Frost/Linnainmaa (Fn. 12), S. 603 ff. 29 Raasch (Fn. 12), S. 222. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 12 eine Sanktionierung – wie sich in den bisherigen freiwilligen Vereinbarungen gezeigt hat – mit einer Erfüllung der Frauenquote nicht zu rechnen ist. Auch die reine Publikationspflicht, wie sie durch Aufnahme des Ziels einer besseren Gleichstellung von Frauen und Männern in Unternehmen in den DCGK begründet wird, reicht nicht zur Umsetzung der Quotenregelung aus. Sie wäre auch verhältnismäßig, da sie die Anteilseigner nicht belastet, sondern die Regelung bei den Mitgliedern des Aufsichtsrat ansetzt. Gemäß § 123 Abs. 3 Satz 1 AktG hat der Aufsichtsrat die Pflicht, der Hauptversammlung Wahlvorschläge zu unterbreiten. In einigen Fällen ist die Hauptversammlung sogar an die Vorschläge des Aufsichtsrates gebunden. Damit ist der Aufsichtsrat das Organ, das für die Einhaltung der Quotierung in die Haftung genommen werden kann. 3.2. Vereinbarkeit einer Geschlechterquote mit der Vereinigungsfreiheit gemäß Artikel 9 GG In Frage kommt ferner ein Verstoß gegen die Vereinigungsfreiheit gemäß Artikel 9 Abs. 1 GG. Artikel 9 Abs. 1 GG schützt auch die „wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit“, d.h. das Recht, sich in Personen- und Kapitalgesellschaften zusammenzuschließen. Ob sich auch Aktiengesellschaften auf die Vereinigungsfreiheit berufen können, wird teilweise wegen des abgeschwächten „personalen Elements“ bezweifelt und vom BVerfG offengelassen.30 Bei Anwendbarkeit der Vereinigungsfreiheit auf Aktiengesellschaften führt nach Ansicht der Befürworter die Entfernung vom „personalen Ausgangspunkt“ wegen des „sozialen Bezugs“ der Grundrechtsausübung zu einer Erweiterung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums.31 Eine gesetzliche Regelung zur Besetzung des Aufsichtsrats greift allenfalls in die Selbstbestimmung der Gesellschaft über ihre innere Organisation und Willensbildung ein. Nach der Rechtsprechung des BVerfG tritt das personale Element in Kapitalgesellschaften zurück; die Vereinigungsfreiheit ist von vorneherein umfassender und detaillierter Ausgestaltung zugänglich und verpflichtet den Gesetzgeber nicht, jegliche Fremdbestimmung bei der Organbestellung von Gesellschaften auszuschließen. Eine entsprechende Ausgestaltung darf nur nicht sachfremd sein, sondern muss im Interesse schutzwürdiger Belange stehen.32 Eine gesetzliche Vorgabe zur Besetzung des Aufsichtsrats mit Vertretern beiderlei Geschlechts soll die tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter verwirklichen, die gemäß Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG Staatsziel und damit ein schutzwürdiger Belang ist. Nach internationalen Studien verbessert die Mitgliedschaft von Frauen in Führungsgremien darüberhinaus die Erfolgsaussichten von Unternehmen.33 Eine Frauenquote für den Aufsichtsrat ist damit kein sachfremder Eingriff in die Vereinigungsfreiheit. 30 BVerfGE 50, 290, 355f.; weitere Nachweise bei Bauer, Hartmut in: Dreier, Horst, Grundgesetz- Kommentar, Band 1, 2. Aufl. 2004, Art. 9 Rnr 35. 31 Bauer (Fn. 30), Rnr. 35 m.w.N.. 32 BVerfGE 50, 290, 359f. 33 Vgl. Nachweise bei Holst/Schimeta (Fn. 2), S. 8, Fn. 18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 13 3.3. Vereinbarkeit einer Geschlechterquote mit der Berufsfreiheit nach Artikel 12 GG Nach der Grundsatzentscheidung des BVerfG zur Mitbestimmung34 können auch juristische Personen wie Aktiengesellschaften Träger des Grundrechts auf Berufsfreiheit gemäß Artikel 12 GG sein, soweit ihre Unternehmerfreiheit – die freie Gründung und Führung von Unternehmen – betroffen ist. Bei Großunternehmen ist dies wiederum nicht Ausformung der Persönlichkeit des Menschen, sondern die grundrechtliche Gewährleistung eines Verhaltens, dessen Wirkungen weit über das wirtschaftliche Schicksal des eigenen Unternehmens hinausreicht. Da den Aktiengesellschaften Vorschriften über die Besetzung des Aufsichtsrats gemacht werden, könnte es sich um eine Einschränkung der Freiheit der Berufsausübung handeln. Deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich nach den gleichen Maßstäben wie Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentumsrechts, da die Grundrechte aus Artikel 12 und 14 GG funktionell aufeinander bezogen sind.35 Im Ergebnis muss die verfassungsrechtliche Beurteilung einer Bestimmung unter Artikel 12 die gleiche sein wie unter Artikel 14 GG. Ein Verstoß gegen Artikel 14 GG ist daher nach den oben angegebenen Gründen wohl nicht gegeben. 3.4. Vereinbarkeit einer Quote mit dem Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (Artikel 3 Abs. 3 GG) Die Einführung einer Quote für die Berücksichtigung beider Geschlechter könnte gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter verstoßen, da sich die Frage, ob und auf welchen Platz eine Person auf die Vorschlagsliste für die Wahl zum Aufsichtsratsrat der betroffenen Unternehmen gelangt, (auch) an sein Geschlecht anknüpft. Artikel 3 Absatz 3 GG verbietet eine Benachteiligung oder Bevorzugung aufgrund des Geschlechts und ist damit ein Abwehrrecht gegen unmittelbare rechtliche Diskriminierung von Männern und Frauen.36 Die Quotenregelung knüpft an das Geschlecht der Kandidaten an und stellt damit eine grundsätzlich verbotene Ungleichbehandlung dar. Allerdings könnte sie durch das Förderungsgebot des Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG gerechtfertigt sein.37 Artikel 3 Abs. 2 GG beinhaltet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugleich eine Schutzpflicht des Gesetzgebers, vor Geschlechterdiskriminierung privater Dritter 34 BVerfGE 50, 290, 362 ff. 35 So das BVerfG in BVerfGE 50, 290, 356. 36 BVerfGE 85, 191, 207; 114, 357, 370f., Osterloh, Lerke in: Sachs, Michael (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar (Fn. 9), Art. 3 Rn. 259. 37 Auch das BVerfG (zuletzt in BVerfGE 114, 357, 370) sieht Artikel 3 Abs. 2 GG als möglichen Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung an. Ebenso Heun, Werner, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, (Fn. 9), Art. 3 Rn. 104 m.w.N.; Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 14 zu schützen.38 Die Quotenregelung wäre auf die Besetzung der Aufsichtsräte von börsennotierten Aktienunternehmen, also privater Dritter, anwendbar. Nach zahlreichen Studien stoßen hochqualifizierte Frauen beim Aufstieg in die oberste Führungsebene von Unternehmen an die sog. „gläserne Decke“, obwohl sie die gleichen Leistungen erbringen wie ihre männlichen Kollegen.39 Das Ergebnis zeigt sich in der stark unterrepräsentativen Vertretung von Frauen und Männern in Vorständen und Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen von unter 10 %. Hieraus lässt sich auf eine Diskriminierung der Frauen durch die Männer in den Leitungsebenen der Unternehmen aufgrund unterschwelliger Vorurteile und Verhaltensprägungen schließen. Dies ist ein geschlechtsbedingter gesellschaftlicher Nachteil der Frauen, dessen Beseitigung Ziel des staatlichen Handelns darstellen soll.40 Zum Abbau einer solchen Diskriminierung ist der Gesetzgeber nach Artikel 3 Abs. 2 GG ermächtigt.41 Auch bei einer solchen Fördermaßnahme müssen die Grundrechtspositionen der benachteiligten Männer mit den Positionen der geförderten Frauen in Abwägung gebracht werden.42 Nach herrschender Meinung sind leistungsunabhängige starre Quoten für Bewerber im öffentlichen Dienst unzulässig,43 da sie insbesondere mit Artikel 33 Abs. 2 GG und dem Erfordernis der gleichen fachlichen Leistung unvereinbar wären. Fraglich ist allerdings, ob diese Kriterien auf den vorliegenden Fall einer Quote für die Wahl in einen Aufsichtsrat anwendbar sind.44 Dagegen spricht, dass es sich bei der Wahl zum Aufsichtsrat nicht wie bei den entschiedenen Fällen um direkte Konkurrenzsituationen zweier Bewerber handelt; vielmehr darf die Hauptversammlung aus allen potentiell geeigneten Kandidaten beiderlei Geschlechts eine Auswahl treffen und im Ergebnis eine gleichmäßige Verteilung der Geschlechter im Sinne der 40%-Klausel gewährleisten. Es wird 38 BVerfGE 89, 276, 286; so auch Heun in: Dreier, GG-Kommentar (Fn.9), Rnr. 114; Osterloh in: Sachs (Fn.9), Rn. 261. 39 Vgl. Osterloh, Margit/ Littmann-Wernli, Sabina, Die „gläserne Decke“: Realität und Widersprüche; abrufbar unter http://www.iou.unizh.ch/orga/downloads/publikationen/C79glaesernedecke.pdf (Abruf 28.1.2011) und die im Auftrag des BMFSFJ Studie „Frauen in Führungspositionen - Barrieren und Brücken“ der Sinus Sociovision GmbH, Heidelberg, März 2010, abrufbar unter: http://www.kim.nrw.de/fileadmin/Bilder/PDF/Frauen_in_Fuehrungspositionen.pdf. 40 Vgl. Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission 1992 (Fn. 15), S. 50. 41 So ausdrücklich auch Raasch (Fn. 12), S. 221, die anregt, angesichts des Beharrungsvermögens der Unternehmen in Fragen der Gleichberechtigung und der Schutzpflicht des Staates vor Diskriminierung sogar von einer Handlungspflicht des Staates zu sprechen. Im Ergebnis ebenso Wieland (Fn. 16), S. 2409; wohl auch Redenius-Hövermann (Fn. 11), S. 665, die die Quote insgesamt aber für verfassungswidrig hält; ähnlich BAG vom 16.3.2005, 7 ABR 40/04 unter B II.3a, BeckRS 2005, 42470 zu einer Mindestquote für jedes Geschlecht in § 15 Abs. 2 BetrVG, § 4 Abs. 1 Satz 2 WahlO Post. 42 Heun in: Dreier, GG-Kommentar (Fn.9), Rnr. 112; Starck, Christian in v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian, Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 6. Aufl., München 2010, Art. 3 Abs. 2, Rn. 315. 43 Vgl. Nachweise bei Osterloh in: Sachs, GG-Kommentar (Fn.9), Rn. 286. 44 So wohl Redenius-Hövermann (Fn. 11), S. 665, aus ihrer Sicht würde es aber auch nicht an ausreichend qualifizierten Frauen mangeln. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 15 also nicht ein einzelner Kandidat gegen eine Kandidatin ausgespielt, vielmehr muss aus einer großen Gruppe von Kandidaten nach verschiedenen Kriterien – unter anderem auch dem des Geschlechts – ausgewählt werden.45 Das Aktiengesetz stellt in § 100 auch keine Anforderungen hinsichtlich der Eignung der zur Wahl stehenden Aufsichtsratskandidaten46; eine Wahl in den Aufsichtsrat ist nicht an die Kriterien des Artikel 33 Abs. 2 GG gebunden. Eine Quote von 40 % lässt der wählenden Hauptversammlung ausreichend Spielraum, zwischen verschiedenen Kandidaten zu wählen, ohne von vorneherein ein starres Listensystem vorzuschreiben . So können bei der Aufstellung der Wahlvorschläge andere Kriterien als das Geschlecht berücksichtigt werden. Eine Abwägung der Grundrechtspositionen der benachteiligten Männer mit denen der Frauen führt wohl ebenfalls nicht zu dem Ergebnis, dass eine entsprechende Frauenquote eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung wäre. In Frage kommt eine Verletzung des Grundrechts der Männer – wie der Frauen – auf allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Artikel 2 Abs. 1 GG. Artikel 12 GG ist für die männlichen Bewerber um einen Aufsichtsposten nicht einschlägig, da es sich bei der Wahrnehmung eines Aufsichtsratsmandats nicht um einen Beruf im Sinne des Artikel 12 GG handelt. „Beruf“ im Sinne des Artikel 12 GG ist jede auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient.47 Zwar handelt es sich evtl. um eine auf Dauer angelegte Tätigkeit, allerdings dient sie nicht grundsätzlich der Schaffung oder Erhaltung der Lebensgrundlage; so ist eine Vergütung nicht per Gesetz vorgesehen, kann aber durch die Hauptversammlung oder in der Satzung beschlossen werden, § 113 Abs. 1 AktG. Im vorliegenden Fall sind die Grundrechtspositionen beider Geschlechter gleich strukturiert. Dies spricht für eine grundsätzlich gleiche Gewichtung beider Rechtsgüter. Das Staatsziel der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen gemäß Artikel 3 Abs. 2 GG gibt daher den Ausschlag für die Zulässigkeit der Einführung einer die Frauen zunächst begünstigenden Geschlechterquote . Eine Quote für die gleichmäßige Berücksichtigung der Geschlechter bei der Besetzung der Posten im Aufsichtsrat ist damit wohl mit Artikel 3 Abs. 2 und 3 GG vereinbar. 3.5. Vereinbarkeit einer Geschlechterquote mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Von einigen Autoren wird die Vereinbarkeit einer möglichen Geschlechterquote mit dem AGG erörtert. Das AGG diente der Umsetzung der Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft RL 45 So auch Wieland (Fn. 16), S. 2409. 46 Ein Zustand, der immer wieder bemängelt wird und nun auch Eingang in eine Empfehlung des DCGK (Nr. 5.4) gefunden hat, vgl. Windbichler (Fn. 22), § 28 Rn. 3. 47 St. Rspr. BVerfG seit E 7, 377, 397, vgl. Mann, Thomas in Dreier, Horst, Grundgesetz-Kommentar (Fn. 9) Artikel 12, Rn. 45 m.w.N.. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 16 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. EG Nr. L 180 S. 22), 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16), 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. EG Nr. L 269 S. 15) und 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (ABl. EU Nr. L 373 S. 37). Die entsprechenden Richtlinien wurden durch die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes des Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung ) (Abl. EU Nr. L 204/23), die am 15. August 2006 und damit einen Tag nach dem AGG in Kraft trat, zusammengefasst. Prüfungsmaßstab für eine Gesetzesänderung durch den Gesetzgeber ist aber nicht das einfache Gesetzesrecht des AGG, sondern das diesem Gesetz zugrundeliegende Unionsrecht in Form der Richtlinien, zu dessen Umsetzung der Gesetzgeber verpflichtet ist. Eine Umsetzung ist dabei nicht nur im AGG möglich, sondern ggf. auch in anderen Gesetzen notwendig. Ergäben sich Widersprüche zwischen dem AGG und dem nachfolgend geänderten AktG, wären diese bei der Rechtsanwendung unter Anwendung der allgemeinen Vorrangregelungen (lex specialis und lex posterior) zu lösen. Prüfungsmaßstab ist damit im Folgenden das Unionsrecht. 4. Vereinbarkeit mit EU-Recht Eine Quote, die zur gleichmäßigen Berücksichtigung der Geschlechter bei der Besetzung von Aufsichtsräten verpflichtet, könnte gegen die Richtlinie zur Chancengleichheit in Arbeitsfragen (RL 2006/54/EG) sowie gegen die Niederlassungs- (Artikel 49 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Artikel 63 AEUV) verstoßen. 4.1. Möglicher Verstoß gegen die Richtlinie zur Chancengleichheit in Arbeitsfragen Eine entsprechende gesetzliche Regelung könnte gegen Art. 157 Abs. 3 AEUV, Art. 14 Abs. 1 RL 2006/54/EG verstoßen, die eine mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbieten. Während einige Autoren48 die Anwendbarkeit des die Vorläufer dieser Richtlinie umsetzenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf die Besetzung von Auf- 48 Schladebach/Stefanopoulou (Fn. 26), S. 1046. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 17 sichtsräten ablehnen, weil gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG für die Tätigkeit im Aufsichtsrat keine gesetzliche Vergütungspflicht vorgesehen sei, eine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat daher keine Beschäftigung im Sinne des Artikels 157 Abs. 3 AEUV sei, sehen andere eine Quotenregelung durch Artikel 157 Abs. 4 AEUV gerechtfertigt.49 Diese Ausnahme gestatte spezielle Vergünstigungen für ein Geschlecht, soweit sie wie die Geschlechterquote Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn verhinderten. Frauen scheiterten nicht an der fehlenden Qualifikation, sondern an einem komplizierten Vorurteil gegenüber Frauen sowie dem Old-Boys-Netzwerk. Zum Abbau von Frauendiskriminierung seien nach einer Entscheidung des EuGH50 nicht nur Einstellungsund Beförderungsquoten, sondern auch Regelungen für die Besetzung von Vertretungsorganen zulässig. Entsprechend dem Zweck des Artikels 157 Abs. 4 AEUV sind Fördermaßnahmen dann zulässig, wenn sie vorübergehender Natur und verhältnismäßig sind.51 Soweit die Richtlinie anwendbar wäre, verstieße eine Quotierung wegen der gleichen Argumente nicht gegen die Richtlinie, die auch bei der Prüfung der Vereinbarkeit mit Artikel 3 GG dargelegt wurden. Hierauf wird verwiesen . Der EuGH hat in einer Entscheidung zum hessischen Gleichstellungsgesetz zumindest eine Sollvorschrift, die die Besetzung von 50% der vom Land zu besetzenden Stellen in Aufsichtsratsund Verwaltungsratsgremien mit Frauen vorsieht, für gemeinschaftskonform erachtet und sich dabei ausdrücklich auf die Ausnahmeklausel zu Fördermaßnahmen bezogen.52 Die Regelung müsste nicht zeitlich befristet werden, da sie eine allgemeine Vorschrift zur gleichmäßigen Besetzung des Aufsichtsrates mit Vertretern beider Geschlechter vorsieht. Ein Verstoß wäre als Ausgleichsmaßnahme für eine mittelbare Diskriminierung wohl gerechtfertigt. 4.2. Möglicher Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (Artikel 49 AEUV) Die in Artikel 49 AEUV geschützte Niederlassungsfreiheit umfasst „alle Maßnahmen, die den Zugang zu einem anderen Mitgliedsstaat als dem Sitzmitgliedstaat und die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in jenem Staat dadurch ermöglichen (..), dass sie die tatsächliche Teilnahme der betroffenen Wirtschaftsbeteiligten am Wirtschaftsleben (..) unter denselben Bedingungen gestatten, die für die inländischen Wirtschaftbeteiligten gelten“.53 Eine entsprechende Änderung des deutschen Aktienrechts wäre nur für Gesellschaften, die nach deutschem Recht begründet würden, von Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) enthält Artikel 49 AEUV aber nicht nur ein Diskriminierungs-, sondern auch ein Beschränkungsver- 49 Generell zur Zulässigkeit von Quoten Pfarr, Heide, Die Frauenquote, NZA 1995, 809, 813 zur damaligen Richtlinie 76/207; ebenso Raasch (Fn. 12), S. 219 f. 50 EuGH Rs. C-158/97 (Badeck). 51 EuGH Rs. C-319/03 (Briheche), Slg. 2004, I-8807, 8815 Rn. 31; vgl. Langenfeld, Christine in: Grabitz, Eberhard/Hilf, Meinhard, Das Recht der Europäischen Union, Bd. 1 EUV – EGV, 40. Aufl. 2009, Art. 141 EUV, Rn. 83. 52 EuGH Rs. C-158/97 (Badeck), Rn. 65 f. 53 EuGH, Rs. C-411/03 (Sevic Systems AG), Rn. 18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 18 bot im Bereich der Niederlassungsfreiheit für unterschiedslos geltende Maßnahmen.54 Die Niederlassungsfreiheit könnte damit auch dann von dem Gesetzentwurf berührt sein, wenn sich die Vorgaben nur auf Aktiengesellschaften beziehen, die nach deutschem Recht gegründet werden .55 Voraussetzung ist, dass die Maßnahme geeignet ist, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit weniger attraktiv zu gestalten. Die Maßnahmen sind aber gerechtfertigt, wenn sie in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden und geeignet und erforderlich sind, ein Ziel, das sich aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls ergibt, zu erreichen. 56 Zwar kann schon in Frage gestellt werden, ob eine Geschlechterquote im Aufsichtsrat die Ausübung der Niederlassungsfreiheit weniger attraktiv gestalten würde. Jedenfalls wäre sie eine verhältnismäßige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein von der Union anerkanntes, zwingendes Ziel des Allgemeininteresses57. Zur Verhältnismäßigkeit der Einführung einer gesetzlichen Geschlechterquote wird auf die entsprechend anwendbaren Ausführungen zum nationalen Verfassungsrecht, insbesondere auf die Einschränkung des Artikel 9 GG, verwiesen. 4.3. Möglicher Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Artikel 63 AEUV) Unter die Kapitalverkehrsfreiheit im Sinne des Artikel 63 AEUV fallen insbesondere „Investitionen jeder Art durch natürliche oder juristische Personen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen, die die Mittel bereitstellen, und den Unternehmen, für die die Mittel zum Zweck einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind“.58 Eine gesetzliche Regelung, die die gleichmäßige Berücksichtigung der Geschlechter in den Aufsichtsräten von Unternehmen in Deutschland fordert, könnte ausländische Investoren von einer Investition abschrecken.59 Bestimmungen, die die Besetzung des Aufsichtsrats betreffen, sind grundsätzlich geeignet, die Kapitalverkehrsfreiheit zu beschränken.60 54 St. Rspr. seit der Rechtssache Gebhard (EuGH, Rs. C-55/94, Slg. 1995, 4165, Rn. 37). 55 Ebenso wohl Schladebach/ Stefanopoulou (Fn. 11), S. 1045. Anders aber Raasch (Fn. 12), S. 219 und im Ergebnis auch Windbichler (Fn. 26). S. 3, die beide in diesen Fällen die Niederlassungsfreiheit nicht berührt sehen. 56 EuGH, Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, 4165, Rn. 37. 57 Vgl. Artikel 2 EUV, Artikel 23 Charta der Grundrechte sowie Artikel 8 und 19 Abs. 2 AEUV, der die Befugnis zum Erlass von Grundprinzipien für Fördermaßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung auch aufgrund des Geschlechts enthält. 58 EuGH, Rs. C-112/05(VW-Gesetz), Rn. 18. m.w.N. 59 So wohl Schladebach/Stefanopoulou (Fn.26), S. 1045; Windbichler (Fn. 26), S. 3. 60 S. hierzu EuGH, Rs. C-112/05(VW-Gesetz), Rn. 65. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 001/11 Seite 19 Eine entsprechende Beschränkung wäre wohl mit zwingenden Gründen des Allgemeinwohls im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigen.61 Hier ist auf die Ausführungen zum nationalen Verfassungsrecht insbesondere zu Artikel 9 GG zu verweisen. 5. Ergebnis Die Einführung eines Gesetzes zu geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten wäre wohl mit dem Grundgesetz und dem EU-Recht vereinbar, wenn eine entsprechende Quote auf Unternehmen angewendet würde, die einer Form der Arbeitnehmermitbestimmung unterliegen. Um etwaigen Bedenken hinsichtlich der ausreichenden Auswahl an Kandidatinnen für die Aufsichtsräte zu begegnen, könnte eine dem französischen Vorbild entsprechende Übergangs-, Stufen - und Inkrafttretensregelung formuliert werden, die den Turnus von Aufsichtsratswahlen berücksichtigt . 61 EuGH, Rs. C-112/05(VW-Gesetz), Rn. 73.