Deutscher Bundestag Zum völkerrechtlichen Status der Westsahara Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3000 - 057/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 2 Zum völkerrechtlichen Status der Westsahara Verfasserin: Aktenzeichen: WD 2 – 3000 - 057/1111 Abschluss der Arbeit: 20. Mai 2011 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zum Hintergrund des Westsahara-Konflikts 4 3. Positionen Marokkos und der Polisario zum völkerrechtlichen Status der Westsahara und zur Lösung der Westsahara-Frage 9 3.1. Marokko 9 3.2. Polisario 11 4. Mission der Vereinten Nationen für das Referendum in Westsahara 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 4 1. Einleitung Der Sachstand gibt zunächst einen Überblick über den Hintergrund und Verlauf des nunmehr seit mehr als 35 Jahren zwischen Marokko und der Polisario bestehenden Konfliktes über den Status der Westsahara. Daran anschließend werden die Positionen Marokkos und der Polisario zum Status der Westsahara und zur Lösung der Westsahara-Frage dargestellt. Abschließend folgt ein Überblick über die Mission der Vereinten Nationen für das Referendum in Westsahara. 2. Zum Hintergrund des Westsahara-Konflikts Das an Phosphat und Fischgründen reiche Gebiet der Westsahara, welches aus den beiden Regionen Saguia el-Hamra im Norden und Rio de Oro im Süden besteht, stand von 1884 bis 1975/76 unter spanischer Kolonialherrschaft.1 Im Jahre 1963 setzten es die Vereinten Nationen (VN) auf die Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung („non-self-governing territories“), deren Entkolonisierung noch aussteht, und forderten Spanien in den Folgejahren durch Resolutionen der VN-Generalversammlung mehrfach zur Durchführung eines von den VN überwachten Referendums über die Selbstbestimmung der Westsahara auf.2 Während der spanischen Herrschaft gründeten die Saharauis zahlreiche Befreiungsorganisationen , aus denen die Polisario-Front (Frente Popular para la Liberación de Saguia Al Hamra y Rio de Oro) als wichtigste hervorging.3 Nach ersten Militäraktionen der Polisario, welche im Mai 1973 gegen die spanische Herrschaft begannen, entschloss sich die spanische Regierung zur Entkolonialisierung der Westsahara und beabsichtigte, diese nach einem Referendum über die Selbstbestimmung in die Unabhängigkeit zu entlassen. Gleichzeitig erhoben Marokko und Mauretanien Ansprüche auf das Territorium der Westsahara.4 Auf Initiative Marokkos und Mauretaniens ersuchte die VN-Generalversammlung den Internationalen Gerichtshof (IGH) im Dezember 1974 um Erstellung eines Gutachtens zum Status der Westsahara .5 In seinem Gutachten vom 16. Oktober 1975 kam der IGH zu dem Ergebnis, dass diese zum Zeitpunkt der Kolonisierung durch Spanien nicht als terra nullius anzusehen gewesen sei. Ferner stellte er fest, dass weder Marokko noch Mauretanien zu diesem Zeitpunkt territoriale Souveränität über das Gebiet der Westsahara ausgeübt hätten, dass aber durchaus „legal ties of 1 Geldenhuys, Contested States in World Politics, 2009 S. 191; Arieff, Western Sahara, Congressional Research Service, CRS Report for Congress, February 15, 2011, S. 1, abrufbar unter: http://www.fas.org/sgp/crs/row/RS20962.pdf [abgerufen am 9.5.2011]). 2 MINURSO, Milestones in the Western Sahara Conflict, abrufbar unter: http://minurso.unmissions.org/LinkClick.aspx?fileticket=JaHM1%2fa%2fAww%3d&tabid=3959 (abgerufen am 9.5.2011). Auf dieser Liste befindet sich die Westsahara noch heute (General Assembly, Special Committe on Decolonization, Secretary-General Urges ‘Concrete Results‘ in Quest for Self-Determination, 24.2.2011 (GA/COL/3215). Siehe auch Geldenhuys (Fn. 1), S. 191 f., S. 197. 3 Geldenhuys (Fn. 1), S. 192. 4 Zur marokkanischen Expansionspolitik siehe Oeter, Die Entwicklung der Westsahara-Frage unter besonderer Berücksichtigung der völkerrechtlichen Anerkennung, ZaöRV 46 (1986), S. 49 ff., S. 51 f.; Geldenhuys (Fn. 1), S. 191. 5 VN-GV Resolution 3292 (XXIX) v. 13.12.1974. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 5 allegiance“ zwischen Marokko und einigen nomadischen Stämmen sowie rechtliche Bindungen zwischen Mauretanien und der Westsahara bestanden hätten.6 Als Reaktion auf das Urteil organisierte der marokkanische König, Hassan II., am 6. November 1975 einen Marsch von ca. 350.000 unbewaffneten marokkanischen Staatsbürgern über die Grenze in das Gebiet der Westsahara (sog. „Grüner Marsch“), um Marokkos Anspruch auf das Gebiet der Westsahara zu untermauern. Spanien erklärte sich sodann am 14. November 1975 in einem Abkommen mit Marokko und Mauretanien (sog. Vertrag von Madrid) bereit, die beiden Staaten an der Verwaltung der Westsahara zu beteiligen, sich bis Ende Februar 1976 ganz aus dem Gebiet der Westsahara zurückzuziehen und die Verwaltung für eine Übergangszeit an Marokko und Mauretanien zu übertragen. Eine endgültige Übertragung der vollen Souveränität sah das Abkommen damit nicht vor.7 Am 26. Februar 1976 stimmten 65 der 102 anwesenden Mitglieder der von Marokko einberufenen gesetzgebenden Versammlung der Westsahara (djemaa) für die Ratifizierung des zwischen Spanien, Marokko und Mauretanien geschlossenen Abkommens und die Integration der Westsahara in letztere beiden Staaten. Nach marokkanischer und mauretanischer Auffassung hatten die Saharaouis damit von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht. Die Polisario äußerte dagegen Zweifel hinsichtlich der Zusammensetzung und Legitimität der djemaa und verwies auf die Forderung der Vereinten Nationen nach Selbstbestimmung unter Mitwirkung der Vereinten Nationen.8 Mit der militärischen Besetzung der Westsahara durch marokkanische und mauretanische Truppen ab Dezember 1975 begannen die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen diesen Truppen und der Polisario, welche durch Algerien erheblich unterstützt wurde.9 Die militärische Besetzung und die Kampfhandlungen führten zu einer hohen Zahl10 an Flüchtlingen in der saharauischen Zivilbevölkerung, welche vor allem in Flüchtlingslagern in Algerien nahe der Grenze zur Westsahara Aufnahme fanden, die unter die (Selbst-)Verwaltung der Polisario gestellt wurden.11 Nachdem Ende Februar 1976 die letzten spanischen Beamten das Land verlassen hatten, rief die Polisario am 27. Februar 1976 die Unabhängigkeit der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) aus und bildete eine Exilregierung in Tindouf, Algerien 12 Bis 1980 erkannten 43 6 Western Sahara, Advisory Opinion, ICJ Reports 1975, S. 12 ff., Ziffer 80 ff., 105 ff., 150 ff. und 162 7 Oeter (Fn. 4) S. 56 f. unter Hinweis darauf, dass das Abkommen die Übertragung der Verwaltungshoheit als „Errichtung einer Interimsverwaltung unter marokkanischer und mauretanischer Beteiligung“ bezeichnete. 8 Geldenhuys (Fn. 1), S. 193 f. 9 MINURSO, Milestones in the Western Sahara Conflict (Fn. 2); Geldenhuys (Fn. 1), S. 195. 10 Schätzungen zufolge gab es bereits im Frühjahr 1976 40.000 Flüchtlinge; Oeter (Fn. 4), S. 57. Inzwischen befinden sich ca. 165.000 Flüchtlinge aus der Westsahara in Algerien (UNHCR, Zur Lage der Flüchtline, Annex 6, abrufbar unter: http://www.unhcr.de/publikationen/zur-lage-der-fluechtlinge-in-der-welt.html (Stand: 2006, zuletzt abgerufen am 18.5.2011). 11 Oeter (Fn. 4), S. 56 f. 12 MINURSO, Milestones in the Western Sahara Conflict (Fn. 2); Geldenhuys (Fn. 1), S. 194. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 6 Staaten die DARS an, Mitte der 1990-er Jahre waren es wohl mehr als 70 Staaten.13 Die Angaben über die Zahl der Staaten, die die DARS derzeit anerkennen, divergieren zum Teil erheblich.14 Im April 1976 einigten sich Marokko und Mauretanien darauf, dass Marokko die nördlichen zwei Drittel und Mauretanien das südliche Drittel der Westsahara erhielt. Als Reaktion auf die anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen zog sich Mauretanien jedoch nach Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit der Polisario im August 1979, in dem Mauretanien sämtliche Territorialansprüche auf das Gebiet der Westsahara aufgab, aus der Westsahara zurück. Marokkanische Truppen besetzten daraufhin auch den südlichen Teil der Westsahara. Zwischen August 1980 und 1987 errichtete Marokko ein System von Schutzwällen (sog. „berms“), welches sich auf über 2.500 km Länge erstreckt und aus Erd- und Steinwällen mit Bunkern, Wachtürmen, Minenfeldern und elektronischen Sicherungseinrichtungen besteht.15 Damit befinden sich heute 80 – 85 % des Gebiets der Westsahara (einschließlich eines Großteils des fruchtbaren Landes, der Phophatabbaugebiete, der Ölreserven und der Küstengewässer mit ihren Fischgründen) unter marokkanischer Verwaltung, die auf dem Gebiet viele marokkanische Staatsbürger ansiedelte.16 Im Februar 1982 wurde die Demokratische Arabische Republik Sahara in die Organisation für Afrikanische Einheit (Organisation of African Unity, OAU, heutige Afrikanische Union, AU) aufgenommen . Marokko suspensierte daraufhin seine Mitgliedschaft in der OAU und trat Ende 1984 aus der OAU aus.17 Nach heftigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Polisario und dem marokkanischen Militär, in deren Verlauf die Polisario Ende der 1970-er Jahre große Teile der Westsahara kontrolliert hatte, diese aber wieder an Marokko abgeben musste, akzeptierten Marokko und die Polisario im Jahre 1988 die gemeinsamen Vorschläge der Vereinten Nationen und der OAU zur Beilegung der Westsahara-Frage. Diese sahen eine Übergangszeit vor, in der ein Sonderbeauftragter des VN-Generalsekretärs mit Unterstützung einer VN-Mission bestehend aus zivilem Personal, Militär und Angehörigen der Zivilpolizei ein Referendum über die Zukunft der Westsahara organisieren sollte. Ferner sollten eine Rückführung der Flüchtlinge sowie eine Freilassung der politischen Gefangenen stattfinden. Die Übergangszeit sollte mit einem von den VN überwachten Waffenstillstand beginnen und mit der Verkündung der Ergebnisse des Referendums enden.18 Mit Resolution 690 vom 29. April 1991 setzte der VN-Sicherheitsrat sodann die VN-Mission für das 13 Geldenhuys (Fn. 1), S. 194; Pabst, Verhärtete Fronten, in: Vereinte Nationen 2005, S. 94; Joffé, Sovereignty and the Western Sahara, The Journal of North African Studies 15 (2010), S. 375, S. 78. Ausführlich zur völkerrechtlichen Bewertung der Anerkennung der Westsahara, Oeter (Fn. 4), S. 64 ff. 14 So erkennen nach Geldenhuys (Fn. 1), S. 200, ca. 80 Staaten die DARS an (Stand: 2009). Nach Pabst (Fn. 13), S. 94, waren es 2003 dagegen nur noch 33 Staaten, welche die DARS anerkannten. Auch andere Quellen sprechen davon, dass es inzwischen deutlich weniger Staaten sind, welche die DARS anerkennen. Unter den Staaten , welche die DARS anerkennen, befinden sich vor allem afrikanische und lateinamerikanische Staaten. 15 Oeter (Fn. 4), S. 58 f.; Geldenhuys (Fn. 1), S. 196; MINURSO, Milestones in the Western Sahara Conflict (Fn. 2). 16 Geldenhuys (Fn. 1), S. 196, nach dessen Angaben 2007 mindestens zwei Siedler auf einen Saharaoui kamen. 17 MINURSO, Milestones in the Western Sahara Conflict (Fn. 2); ausführlich Oeter (Fn. 4), S. 61 ff. 18 Report of the Secretary-General vom 18.6.1990 (S/21360), Rn. 47, näher ausgearbeitet im Report by the Secretary -General vom 19.4.1991 (S/22464). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 7 Referendum in Westsahara (MINURSO)19 entsprechend den Vorschlägen des VN-Generalsekretärs ein. Der Waffenstillstand trat am 6. September 1991 nach Ankunft der ersten Militärbeobachter der MINURSO in Kraft und hat seitdem im Wesentlichen gehalten.20 Die Durchführung des Referendums scheiterte jedoch bis heute an der fehlenden Einigkeit über die Frage, welche Personen beim Referendum abstimmungsberechtigt sind. Streitig ist dabei vor allem, ob auch die marokkanischen Siedler abstimmungsberechtigt sind.21 Nachdem deutlich geworden war, dass die Konfliktparteien in absehbarer Zeit nicht die erforderliche Einigung über die Durchführung des Referendums erzielen würden,22 unterbreitete der im Jahre 1997 als persönlicher Gesandter des VN-Generalsekretärs für Westsahara ernannte ehemalige US-Außenminister James Baker im Juni 2001 dem Sicherheitsrat ein Rahmenabkommen als neuen Lösungsvorschlag (sog. Baker Plan I), welche den Verbleib der Westsahara in Marokko während einer Übergangszeit von maximal fünf Jahren vorsah. Die Bevölkerung der Westsahara sollte dabei weitgehende Autonomie haben, während Marokko insbesondere für auswärtige Angelegenheiten sowie Fragen der nationalen Sicherheit und äußeren Verteidigung zuständig sein sollte. Über den Status der Westsahara sollte während der Übergangszeit ein Referendum stattfinden .23 Marokko stimmte dem Vorschlag zu, die Polisario lehnte ihn jedoch ab.24 Im Jahre 2003 unterbreitete James Baker den sog. Friedensplan für die Selbstbestimmung des Volkes der Westsahara (sog. Baker Plan II). Dieser sah eine Übergangszeit von vier bis fünf Jahren vor, während der die Bevölkerung der Westsahara wiederum weitgehende Autonomie innerhalb Marokkos genießen sollte. Nach dieser Übergangszeit sollte ein Referendum über den Status der Westsahara erfolgen mit den Optionen Unabhängigkeit, Integration oder Autonomie der Westsahara innerhalb Marokkos.25 Während die Polisario den vom Sicherheitsrat als „optimale politi- 19 United Mission for the Referendum in Western Sahara, Mission des Nations Unies pour l’organisation d’un référendum au Sahara occidental. 20 MINURSO, Milestones in the Western Sahara Conflict (Fn. 2); MINURSO, Mission Background, abrufbar unter: http://minurso.unmissions.org/Default.aspx?tabid=3951 (zuletzt abgerufen am 11.5.2011). 21 Geldenhuys (Fn. 1), S. 197 f. 22 Von 250.000 Saharauis erkannte die Identification Commission der VN-Mission MINURSO 86.425 Anfang 2000 als abstimmungsberechtigt an; 130.000 Personen machten von dem für abgelehnte Personen bestehenden Einspruchsrecht Gebrauch. Die Bearbeitung der Einsprüche kam jedoch aufgrund von Differenzen über das Einspruchsverfahren faktisch zum Erliegen; MINURSO, Milestones in the Western Sahara Conflict (Fn. 2). Darüber hinaus war König Mohammed VI, der Nachfolger des 1999 gestorbenen marokkanischen Königs, nicht mehr zu einem Referendum mit der Option der Unabhängigkeit der Westsahara bereit; Geldenhuys (Fn. 1), S. 198. Zum Ganzen ausführlich Pabst, Verhärtete Fronten, in: Vereinte Nationen 2005, S. 92 f. sowie MINURSO, MINURSO Background, abrufbar unter: http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minurso/background.shtml (zuletzt abgerufen am 9.5.2011). 23 Report of the Secretary-General on the situation concerning Western Sahara vom 20.6.2001 (S/2001/613), Annex I, S. 11 f. 24 Dazu ausführlich Pabst (Fn. 13), S. 93. 25 Report of the Secretary-General on the situation concerning Western Sahara vom 23.5.2003 (S/2003/565), Annex II, S. 14 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 8 sche Lösung“ bezeichneten26 Friedensplan akzeptierte, lehnte ihn Marokko im April 2004 mit Blick auf die Option einer möglichen Unabhängigkeit der Westsahara ab.27 Baker trat daraufhin im Juni 2004 als Persönlicher Gesandter des VN-Generalsekretärs für Westsahara zurück. Sein Nachfolger wurde Alvaro de Soto und im Juli 2005 Peter van Walsum.28 Im November 2005 kündigte König Mohammed VI. eine Initiative zur Gewährleistung einer Autonomie für die Westsahara an. Im März 2006 rief er den Königlichen Konsultativrat für Saharaangelegenheiten (Conseil Royal Consultatif pour les Affaires Sahariennes, CORCAS) wieder ins Leben, zu dessen Aufgaben es gehört, Vorschläge für eine Autonomie der Westsahara zu machen .29 Im April 2006 empfahl der VN-Generalsekretär dem Sicherheitsrat auf Empfehlung seines Persönlichen Gesandten vor dem Hintergrund des fehlenden Willens, Marokko zur Aufgabe des erhobenen Souveränitätsanspruches über die Westsahara zu zwingen, direkte Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien als einzige verbleibende Möglichkeit zur Lösung des Konfliktes. Diese sollten unter der Ägide der VN und ohne Vorbedingungen erfolgen.30 Im April 2007 unterbreiteten Marokko und die Polisario den Vereinten Nationen jeweils eigene Vorschläge für eine Lösung der Westsahara-Frage. Der Vorschlag Marokkos sah eine Autonomie der Westsahara innerhalb des marokkanischen Staates vor, über die im Rahmen eines Referendums abgestimmt werden sollte.31 Der Vorschlag der Polisario enthielt ein Referendum mit den Optionen Unabhängigkeit, Integration der Westsahara in den marokkanischen Staat und Selbstverwaltung .32 Den marokkanischen Vorschlag zur Kenntnis nehmend und die marokkanischen Anstrengungen zur Lösung des Konflikts begrüßend sowie den Vorschlag der Polisario (lediglich) zur Kenntnis nehmend, forderte der Sicherheitsrat Ende April 2007 die Parteien auf, ohne Vorbedingungen und in redlicher Absicht unter der Schirmherrschaft der VN Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, eine gerechte, dauerhafte und für beide Seiten annehmbare politische Lösung herbeizu- 26 S/RES/1495 (2003). 27 Dazu ausführlich Pabst (Fn. 13), S. 94. 28 MINURSO, Milestones in the Western Sahara Conflict (Fn. 2). 29 MINURSO, Milestones in the Western Sahara Conflict (Fn. 2). 30 Report of the Secretary-General on the situation concerning Western Sahara vom 19.4.2006 (S/2006/249), Annex II, S. 14 ff. 31 Annex to the letter dated 11 April 2007 from the Permanent Representative of Morocco to the United Nations addressed to the President of the Security Council – Moroccan initiative for negotiating an autonomy statute for the Sahara region (S/2007/206). Dazu näher s.u. 3.1., S. 9 ff. 32 Annex to the letter dated 16 April 2007 from the Permanent Representative of South Africa to the United Nations addressed to the President of the Security Council – Proposal of the Frente Polisario for a mutually acceptable political solution that provides for the self-determination of the people of Western Sahara (S/2007/210). Dazu näher s.u. 3.2, S. 11 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 9 führen, welche die Selbstbestimmung des Volkes der Westsahara vorsehe.33 In der Folge fanden mehrere Gesprächsrunden unter der Schirmherrschaft der VN statt, die jedoch bisher keinen Durchbruch brachten.34 Seit dem 7. Januar 2009 ist der Amerikaner Christopher Ross Persönlicher Gesandter des VN- Generalsekretärs für Westsahara.35 Sonderbeauftragter des Generalsekretärs für Westsahara und Leiter der VN-Mission MINURSO ist seit Oktober 2009 der Ägypter Hany Abdel-Aziz.36 3. Positionen Marokkos und der Polisario zum völkerrechtlichen Status der Westsahara und zur Lösung der Westsahara-Frage37 Der völkerrechtliche Statuts der Westsahara ist umstritten. Im Februar 1976 rief die Polisario die Unabhängigkeit der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) aus, nachdem marokkanische (und mauretanische) Truppen Ende 1975 begonnen hatten, das Gebiet der Westsahara militärisch zu besetzen.38 Seit der Errichtung eines Systems von Schutzwällen durch Marokko zwischen 1980 bis 1987 ist das Gebiet der Westsahara faktisch geteilt. 80 – 85 % des Gebiets befinden sich unter marokkanischer Verwaltung, der restliche Teil wird von der Polisario kontrolliert .39 3.1. Marokko Marokko sieht die Westsahara als untrennbar mit dem eigenen Staatsgebiet verbundenes Gebiet an und beruft sich dabei auf historische, kulturelle, religiöse und politische Bindungen zwischen Marokko und der Westsahara. Der Vorschlag Marokkos vom April 2007 sieht eine Autonomie der Westsahara innerhalb des marokkanischen Staates vor, über die im Rahmen eines Referendums abgestimmt werden soll.40 Einer Abstimmung über die Unabhängigkeit der Westsahara verweigert sich Marokko seit dem Tode Königs Hassan II. im Jahr 1999.41 Die Bevölkerung der 33 S/RES/1754 (2007). 34 MINURSO, Milestones in the Western Sahara Conflict (Fn. 2); Report of the Secretary-General on the situation concerning Western Sahara vom 1.4.2011 (S/2011/249). 35 MINURSO, Milestones in the Western Sahara Conflict (Fn. 2). 36 MINURSO, MINURSO Leadership, abrufbar unter: http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minurso/leadership.shtml (zuletzt abgerufen am 16.5.2011). 37 Zur Position der Vereinten Nationen s.o. 2., S. 4 ff.; zum Gutachten des IGH s.o. Fn. 5 f. und dazugehöriger Text. Zur Position der Vereinigten Staaten, welche weder die SADR noch die marokkanische Souveränität anerkannt haben, Arieff (Fn. 1), S. 6 f. 38 S.o. Fn. 12 und dazugehöriger Text. Zur Existenzfähigkeit eines Staates Westsahara siehe Geldenhuys (Fn. 1), S. 200 ff. 39 Dazu s.o. Fn. 16 und dazugehöriger Text. 40 Dazu s.o. Fn. 12 und dazugehöriger Text. 41 Geldenhuys (Fn. 1), S. 198. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 10 Westsahara soll nach dem Vorschlag Marokkos eigene demokratisch legitimierte Organe mit folgenden Kompetenzen haben: kommunale Selbstverwaltung, örtliche Polizei und Gerichtsbarkeit der Region wirtschaftliche Entwicklung, Regionalplanung sowie Förderung von Investitionen, Handel , Industrie, Tourismus und Landwirtschaft Haushalt und Besteuerung der Region Wasser, hydraulische Anlagen, Elektrizität, öffentliche Bauarbeiten und Verkehr Wohnungsbau, Erziehung, Gesundheit, Arbeit, Sport, soziale Fürsorge und soziale Sicherheit Kultur Umwelt Die Finanzmittel der Westsahara sollen dabei insbesondere aus von der Region erhobenen Steuern und Abgaben kommen sowie aus Einnahmen aus der Ausbeutung der Naturschätze und aus einer Beteiligung an den Einnahmen des Zentralstaates aus deren Ausbeutung. Der marokkanische Staat soll in folgenden Bereichen ausschließliche Zuständigkeiten besitzen: Merkmale der Souveränität, insbesondere Flagge, Nationalhymne und Währung Angelegenheiten, die in konstitutionellen und religiösen Vorrechten des Königs begründet sind nationale Sicherheit, äußere Verteidigung und Verteidigung der territorialen Integrität Außenbeziehungen rechtliche Grundordnung des Königreichs.42 Der Autonomie-Vorschlag wurde durch den König Marokkos, Mohammed VI., mehrfach erneuert , so insbesondere auch am 7. November 2010 anlässlich der Feier zum 35. Jahrestag des „Grünen Marsches“.43 In Reaktion auf das Übergreifen der Protestbewegung in den arabischen Staaten auf Marokko und die Forderungen nach mehr Demokratie kündigte der marokkanische König, Mohammed VI., in seiner Rede vom 9. März 2011 die nächste Phase des Regionalisierungsprozesses und umfassende Verfassungsreformen an.44 Die angekündigten Reformen betreffend der Regionalisierung umfassen folgende Hauptmerkmale: Anerkennung der Bedeutung der Regionen in der Verfassung 42 Im Einzelnen dazu siehe Annex to the letter dated 11 April 2007 from the Permanent Representative of Morocco to the United Nations addressed to the President of the Security Council – Moroccan initiative for negotiating an autonomy statute for the Sahara region (S/2007/206). 43 Report of the Secretary-General on the situation concerning Western Sahara vom 1.4.2011 (S/2011/249). 44 Anfang 2010 hatte der König eine Kommission zur Erarbeitung eines Konzepts für die Regionalisierung eingesetzt , deren Vorschläge inzwischen vorliegen. Der Bericht der Kommission ist abrufbar unter: http://www.regionalisationavancee.ma/PageFR.aspx?id=5 (abgerufen am 17.05.2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 11 direkte und allgemeine Wahl der Regionalräte und Führung regionaler Angelegenheiten in Übereinstimmung mit demokratischen Prinzipien Durchführung von Ratsentscheidungen durch die Präsidenten der Regionalräte Förderung der Teilhabe von Frauen bei der Ausübung politischer Rechte im Allgemeinen und der Verwaltung regionaler Angelegenheiten im Besonderen Überprüfung der Zusammensetzung und Befugnisse der Ratskammer (Chambre des Conseillers) mit dem Ziel einer Stärkung der Vertretung der Regionen Die Reformen sollen die Grundlagen des marokkanischen Systems der Regionalisierung im gesamten Staat, insbesondere aber in den Regionen der Westsahara stärken und zu einer gerechteren Aufteilung der Kompetenzen und der Ressourcen zwischen dem Zentralstaat und den Regionen führen.45 Daneben beinhalten die angekündigten Reformen auch eine allgemeine Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.46 Ferner kündigte der marokkanische König in seiner Rede die Einsetzung einer Kommission für die Verfassungsreform an, welche die Reformvorschläge bis Juni 2011 ausarbeiten soll. Über die Verfassungsreform soll in einem Referendum abgestimmt werden.47 Internationale Unterstützung erhält Marokko mit Blick auf den Westsahara-Konflikt vor allem von Frankreich. Aber auch Spanien scheint einer Unabhängigkeit der Westsahara inzwischen ablehnend gegenüber zu stehen.48 3.2. Polisario Die Polisario sieht die Westsahara als Gebiet an, dessen Entkolonisierung durch die marokkanische Invasion und Besetzung unterbrochen wurde. Sie stützt sich dabei auf Resolutionen des Sicherheitsrats und der Generalversammlung der Vereinten Nationen, das Gutachten des IGH49 sowie ein Gutachten des Rechtsberaters der Vereinten Nationen.50 Eine Lösung des Westsahara- 45 Darüber hinausgehende Aussagen zur Westsahara enthält die Rede nicht. 46 Diese umfasst insbesondere die folgenden Elemente: Verankerung der marokkanischen Identität in der Verfassung ; Festigung der Rechtsstaatlichkeit und Förderung der Menschenrechte; Gewährung der Unabhängigkeit für die Justiz und Stärkung der Vorrechte des Verfassungsrats zur Stärkung der Vorherrschaft des Rechts und der Gleichheit vor dem Gesetz; Stärkung der Gewaltenteilung und Förderung der Demokratisierung, Umgestaltung und Rationalisierung der Institutionen; Stärkung der Rolle der politischen Parteien, der parlamentarischen Opposition und der Zivilgesellschaft; Stärkung von Mechanismen zur Verbesserung der moralischen Integrität innerhalb des öffentlichen Lebens; Verankerung von Institutionen, die sich mit guter Regierungsführung, Menschenrechten und dem Schutz der Grundfreiheiten befassen. 47 BBC, Moroccan king announces constitutional reforms, 9. März 2011. Eine deutsche Übersetzung der Rede ist abrufbar unter: http://www.corcas.com/de/SearchResults/WestsaharaPortal/K%C3%B6nigsreden/tabid/948/ctl/Details/mid/20 02/ItemID/14955/Default.aspx (abgerufen am 17.05.2011). 48 Geldenhuys (Fn. 1), S. 199 f. 49 S.o. Fn. 6 und dazugehöriger Text. 50 Letter dated 29 January 2002 from the Under-Secretary-General for Legal Affairs, the Legal Counsel, addressed to the President of the Security Council (S/2002/161). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 12 Konfliktes könne deshalb nur durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Saharauis erfolgen. Der Vorschlag der Polisario vom April 2007 sieht deshalb ein Referendum mit den Optionen Unabhängigkeit, Integration der Westsahara in den marokkanischen Staat und Selbstverwaltung vor.51 Die Forderung der Polisario nach Abhaltung eines Refendums mit der Option der Unabhängigkeit der Westsahara wurde am 27. Februar 2011, dem 35. Geburtstag der SARS, erneuert .52 Die Position der Polisario wird vor allem von Algerien unterstützt.53 4. Mission der Vereinten Nationen für das Referendum in Westsahara Die VN-Mission für das Referendum in Westsahara (MINURSO)54 wurde mit Sicherheitsrats- Resolution 690 vom 29. April 1991 entsprechend den gemeinsamen Vorschlägen der VN und der OAU zur Beilegung der Westsahara-Frage55 errichtet und seitdem ständig verlängert.56 Ihr ursprüngliches Mandat erstreckte sich auf folgende Aufgaben: Überwachung des Waffenstillstandes Überwachung der Reduzierung der marokkanischen Truppen in der Westsahara Überwachung der Beschränkung der marokkanischen Truppen und der Truppen der Polisario auf bestimmte Orte Ergreifung von gemeinsam Maßnahmen mit den Parteien, um die Entlassung aller politischen Gefangenen aus der Westsahara zu gewährleisten Überwachung des Kriegsgefangenenaustauschs, der durch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) durchgeführt werden soll Wiedereingliederung der Flüchtlinge aus der Westsahara, die durch den VN- Hochkommissar für Flüchtlinge durchgeführt werden soll Identifizierung und Registrierung der Abstimmungsberechtigten Organisation und Gewährleistung eines freien und fairen Referendums sowie Verkündung der Ergebnisse des Referendums Reduzierung der Bedrohung durch explosive Kampfmittelrückstände und (Land-)Minen. Von diesen Aufgaben nimmt MINURSO heute nur noch die folgenden Maßnahmen wahr: Überwachung des Waffenstillstandes 51 Annex to the letter dated 16 April 2007 from the Permanent Representative of South Africa to the United Nations addressed to the President of the Security Council – Proposal of the Frente Polisario for a mutually acceptable political solution that provides for the self-determination of the people of Western Sahara (S/2007/210). 52 Report of the Secretary-General on the situation concerning Western Sahara vom 1.4.2011 (S/2011/249). 53 Geldenhuys (Fn. 1), S. 200; Arieff (Fn. 1), S. 5. 54 S.o. Fn. 19. 55 Dazu s.o. Fn. 18 und dazugehöriger Text. 56 Zuletzt verlängert bis zum 30.4.2012 durch SR-Resolution 1979 (2011) vom 27.4.2011. Die Resolutionen des VN-Sicherheitsrats sowie weitere Dokumente der Vereinten Nationen zur Westsahara sind abrufbar unter: http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minurso/documents.shtml (zuletzt abgerufen am 16.5.2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 - 057/11 Seite 13 Reduzierung der Bedrohung durch explosive Kampfmittelrückstände und (Land-)Minen Unterstützung vertrauensbildender Maßnahmen57. 58 Gegenwärtig besteht das Personal von MINURSO aus 233 uniformierten Personen (27 Truppenangehörigen , 2 Polizisten und 204 Militärbeobachtern), 100 internationalen Zivilangestellten, 163 lokalen Zivilangestellten und 20 Freiwilligen der Vereinten Nationen. Die Bundesrepublik Deutschland entsendet derzeit59 keine Militär- und Polizeikräfte in die Mission.60 57 Die vertrauensbildenden Maßnahmen werden vom Hochkommissariat der VN für Flüchtlinge (UNHCR) mit Unterstützung von MINURSO durchgeführt und sollen den Kontakt zwischen den in der Westsahara lebenden Saharaouis und den in den Flüchtlingslagern in der Region Tindouf (Algerien) lebenden Saharaouis erleichtern. Von den geplanten Maßnahmen wurden bisher Familienbesuche sowie ein kostenloser Telefondienst zwischen den Flüchtlingslagern und Städten in der Westsahara umgesetzt, nicht jedoch Seminare über nicht-politische Themen sowie ein kostenloser Postdienst; MINURSO, Confidence Building, abrufbar unter: http://minurso.unmissions.org/Default.aspx?tabid=3968 (zuletzt abgerufen am 16.5.2011). 58 Zum Ganzen MINURSO, Overview of the Mission mandate, abrufbar unter: http://minurso.unmissions.org/Default.aspx?tabid=3950 (zuletzt abgerufen am 16.5.2011). 59 Von Juni 1993 bis Juni 1996 beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland mit einem kleinen Polizeikontigent (jeweils fünf Polizeivollzugsbeamte des Bundesgrenzschutzes) an MINURSO; Bund-/Länder-Arbeitsgruppe Internationale Polizeimissionen, Auslandseinsätze der deutschen Polizei, abrufbar unter: http://www.bundespolizei.de/cln_152/nn_268544/DE/Home/__Startseite/IPM/Infoblaetter/__Infoblatt__Historie Auslandseinsaetze,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/_Infoblatt_HistorieAuslandseinsaetze.pdf (zuletzt abgerufen am 16.5.2011). 60 MINURSO, Facts and Figures, abrufbar unter: http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minurso/facts.shtml (zuletzt abgerufen am 16.5.2011).