© 2015 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 – 239/14 Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen des Bundeswehreinsatzes im Irak Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 2 Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen des Bundeswehreinsatzes im Irak Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 - 3000 – 239/14 Abschluss der Arbeit: 9. Januar 2015 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Völkerrechtliche Grundlagen 4 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen 4 2.1. Einsatz im Rahmen eines Systems der kollektiven Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) 4 2.1.1. Notwendigkeit eines Mandats des VN-Sicherheitsrates 5 2.1.2. Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates 7 2.2. Einsatz im Rahmen einer „Koalition der Willigen“ 8 2.3. Einsatz zur Verteidigung im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG 9 3. Verfassungsgerichtliche Kontrolle der Rechtsgrundlage des Irak-Einsatzes 13 4. Zusammenfassung der Ergebnisse 14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 4 Die vom Bundeskabinett am 17. Dezember 2014 beschlossene Ausbildungsunterstützung durch die Bundeswehr im Nordirak dient der Unterstützung der irakischen Sicherheitskräfte in der Region Kurdistan-Irak bei ihrem Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) im Irak. Geplant sind militärische Ausbildungslehrgänge sowie die Durchführung von Lieferungen humanitärer Hilfsgüter und militärischer Ausrüstung in den Nordirak einschließlich der Durchführung von luftgestütztem Verwundetentransport. Die Anwendung militärische Zwangsmaßnahmen ist nicht vorgesehen. Im Folgenden sollen die völker- und verfassungsrechtlichen Grundlagen für diesen Einsatz untersucht und die Möglichkeit erörtert werden, die (umstrittenen) Rechtsgrundlagen vor dem BVerfG überprüfen zu lassen. 1. Völkerrechtliche Grundlagen Die völkerrechtliche Grundlage des „Anti-IS“-Einsatzes im Irak ist relativ unproblematisch. Die Vornahme bewaffneter Handlungen auf fremdem Staatsgebiet stellt völkerrechtlich keine verbotene Gewaltanwendung dar, wenn und soweit sie von der Zustimmung der betroffenen Regierung getragen ist (sog. Intervention auf Einladung).1 Eine solche Einladung in Form einer ausdrücklichen Zustimmung der irakischen Regierung liegt hier vor: Mit Schreiben vom 25. Juni 2014 an den VN-Generalsekretär hat der irakische Außenminister alle Mitgliedstaaten der VN um Unterstützung im Kampf gegen die Terrororganisation IS gebeten.2 Als völkerrechtliche Rechtsgrundlage für die militärische Unterstützung des Irak lässt sich Art. 51 VN-Charta (Recht auf kollektive Verteidigung bzw. kollektive Nothilfe) heranziehen.3 Einer (zusätzlichen) völkerrechtlichen Legitimation des Einsatzes durch den VN-Sicherheitsrat nach Kapitel VII der VN-Charta bedarf es folglich nicht. 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen 2.1. Einsatz im Rahmen eines Systems der kollektiven Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) Anders als in vielen NATO-Staaten beurteilt sich die Frage der Rechtsmäßigkeit eines Auslandseinsatzes deutscher Streitkräfte nicht allein nach völkerrechtlichem Maßstab. 1 Dazu näher Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 6. Aufl. 2014, § 52, Rdnr. 41 ff. 2 VN-Dok. S/2014/440; vgl. auch Reuters-Meldung v. 10.9.2014, „Irak bittet um internationale Hilfe im Kampf gegen IS“ http://de.reuters.com/article/topNews/idDEKBN0H51PL20140910. 3 So auch Kreß, Claus, Hilfe in der Not, in. FAZ v. 8.1.2015, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 5 Vielmehr normiert das Grundgesetz in Art. 87a Abs. 2 einen Verfassungsvorbehalt, der nach überwiegender Auffassung auch für Auslandseinsätze der Bundeswehr gilt.4 Danach dürfen die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit es das Grundgesetz ausdrücklich zulässt. Eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage hat das BVerfG in Art. 24 Abs. 2 GG5 gesehen und dazu festgestellt: „Art. 24 Abs. 2 GG bietet die verfassungsrechtliche Grundlage für die Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem kollektiven Sicherheitssystem typischerweise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden.“6 Wann ein Militäreinsatz „im Rahmen und nach den Regeln des kollektiven Sicherheitssystems“ stattfindet, ist nicht explizit geklärt. Fest steht, dass der Einsatz nicht notwendigerweise unter dem zentralen Kommando der VN erfolgen muss, wie dies etwa bei den klassischen peacekeeping -Einsätzen der VN-Blauhelmtruppen der Fall ist. Vielmehr hat sich seit dem Irak-Kuweit- Konflikt von 1990 eine ständige VN- bzw. Staatenpraxis herausgebildet, wonach eine „dezentralisierte “ Gewaltanwendung der internationalen Staatengemeinschaft gegen einen Friedensbrecher auch „im Auftrag“ der VN, d.h. auf der Grundlage einer „Ermächtigung“ durch Mandat des VN-Sicherheitsrats erfolgen kann.7 Auch hier lässt sich verfassungsrechtlich (noch) von einem Einsatz „im Rahmen“ eines kollektiven Sicherheitssystems sprechen, wenngleich sich die Rolle der VN faktisch auf die völkerrechtliche Legitimation des jeweiligen Militäreinsatzes durch den Sicherheitsrat reduziert. 2.1.1. Notwendigkeit eines Mandats des VN-Sicherheitsrates Ob der aktuelle „Anti-IS“-Einsatz im Irak „im Rahmen und nach den Regeln“ der VN stattfindet, erscheint insoweit zweifelhaft, als es an einem entsprechenden Mandat des VN-Sicherheitsrates für diesen Einsatz fehlt. 4 BVerwGE 127, 1, Rdnr. 52; Grzeszick, in: Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 4, Berlin, 17. Erg-Lfg., Art. 87a, Rdnr. 19; Epping, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2013, Art. 87a, Rdnr. 19; a.A. Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, München: Beck, 7. Aufl. 2014, Art. 87a, Rdnr. 15. 5 Art. 24 Abs. 2 GG lautet: „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen (…)“. 6 BVerfGE 90, 286, 345, 349 f. – AWACs. 7 Vgl. insoweit die „Ermächtigungs“-Resolution 678 (1990) des VN-Sicherheitsrats v. 29.11.1990; näher dazu Deiseroth, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar und Handbuch, Bd. I, Heidelberg: C.F. Müller 2002, Art. 24, Rdnr. 268 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 6 Der VN-Sicherheitsrat hat zwar in seiner Resolution 2170 vom 15. August 2014 (sowie in der Resolution 2178 vom 24. September 2014) die Terrororganisation IS als Bedrohung für die internationale Sicherheit bezeichnet, deren Menschenrechtsverletzungen verurteilt und Sanktionen gegen einzelne Mitglieder dieser Organisation beschlossen.8 Eine Autorisierung des Militäreinsatzes gegen den IS im Irak und in Syrien erfolgte jedoch nicht. Die Frage, ob ein Militäreinsatz im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems notwendigerweise einen Sicherheitsratsbeschluss voraussetzt, welcher den konkreten Einsatz autorisiert, wird in der Literatur nicht weiter problematisiert – teilweise wird das Vorliegen einer entsprechenden Resolution mit Blick auf Art. 24 Abs. 2 GG als selbstverständlich vorausgesetzt.9 Eine Begründung dafür ergibt sich aus der ratio des Art. 24 Abs. 2 GG selbst. Die Vorschrift will die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür regeln, dass die Bundesrepublik Deutschland militärisch tätig wird. Die äußere Sicherheit soll dabei durch Integration in einen überstaatlichen Verband verfolgt werden, nämlich unter Beschränkung deutscher Hoheitsrechte zugunsten der VN (vgl. insoweit Art. 24 Abs. 2, 2. Halbsatz). Die entscheidende Hoheitsbeschränkung im Falle der VN besteht aber gerade in der Unterwerfung unter Beschlüsse des Sicherheitsrates gem. Art. 25 VN-Charta.10 Insoweit lässt sich festhalten: Zu den konstitutiven „Regeln“ eines Einsatzes im Rahmen der VN gehört eine den Militäreinsatz legitimierende Resolution des Sicherheitsrates . Davon geht offenbar auch das BVerfG aus, wenn es in seiner Entscheidung vom 12.7.1994 ausführt , dass die gemäß Art. 24 Abs. 2 GG vollzogene Einordnung in die VN die verfassungsrechtliche Grundlage „für eine Beteiligung deutscher Streitkräfte an den durch Beschlüsse des Sicherheitsrates autorisierten friedenssichernden Operationen der Vereinten Nationen“ bilde.11 An einer solchen „autorisierenden“ Resolution fehlt es im Falle des „Anti-IS“-Einsatzes im Irak. Die Sicherheitsratsresolution 2170 (2014), welche die Terrororganisation IS verurteilt, reicht zur Autorisierung des „Anti-IS“-Einsatzes im Irak nicht aus.12 8 S/Res/2170 (2014), auf Deutsch verfügbar unter http://www.un.org/depts/german/sr/sr_14/sr2170.pdf. 9 So etwa Rojahn, in: v.Münch/Kunig (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. 1, München: Beck 6. Aufl. 2012, Art. 24, Rdnr. 112; die Frage offengelassen hat v. Heinegg, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2013, Art. 24, Rdnr. 41. 10 Röben, Volker, Der Einsatz der Streitkräfte nach dem Grundgesetz, in: ZaöRV 2003, S. 585-603 (588). 11 BVerfGE 90, 286 (352) – Hervorhebungen nicht im Original. 12 Oben (unter 2.) wurde bereits darauf hingewiesen, dass es in völkerrechtlicher Hinsicht auch keines Mandats des Sicherheitsrates bedarf, da der Militäreinsatz bereits durch die kollektive Nothilfe nach Art. 51 VN-Charta völkerrechtlich gerechtfertigt ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 7 Dies bestätigt nicht insoweit die Kosovo-Resolution 1244 (1999) vom 10.6.1999, in welcher der VN-Sicherheitsrat die Situation im Kosovo als Bedrohung des Weltfriedens bezeichnet, aber einen konkreten Militärschlag gegen das Milošević-Regime nicht legitimiert hat.13 Hier bestand aus völkerrechtlicher Sicht Einigkeit darüber, dass die erforderliche Mandatierung der Luftschläge gegen Belgrad durch den Sicherheitsrat nach Kapitel VII der VN-Charta nicht vorgelegen hat. Keine andere Bewertung darf sich dann aber für das Verfassungsrecht ergeben.14 2.1.2. Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates Fraglich bleibt, ob die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates (Presidential Statement) vom 19. September 201415 die fehlende Resolution des Sicherheitsrates zu ersetzen vermag. In der Erklärung heißt es: Der Sicherheitsrat verurteilt entschieden die Angriffe terroristischer Organisationen, namentlich der unter dem Namen „Islamischer Staat in Irak und der Levante“ (ISIL) tätigen terroristischen Organisation (…) in Irak, Syrien und Libanon und hebt hervor, dass diese Großoffensive eine schwere Bedrohung für die Region darstellt. Der Sicherheitsrat fordert die internationale Gemeinschaft nachdrücklich auf, im Einklang mit dem Völkerrecht die Unterstützung für die Regierung Iraks bei ihrem Kampf gegen den ISIL (…) weiter zu verstärken und auszuweiten. Auch wenn der Text der Erklärung in gewisser Weise „autorisierenden“ Charakter zu haben scheint, unterscheiden sich Erklärungen und Resolutionen des Sicherheitsrates in ihrer Rechtsform und Rechtsbindung erheblich:16 13 Verfügbar in Deutsch unter: http://www.un.org/depts/german/sr/sr_99/sr1244.pdf. In der Folge handelte die NATO ohne Sicherheitsratsmandat unter Berufung auf die sog. „humanitäre Intervention“. 14 Ansonsten würden Begriff und Funktionsweise eines kollektiven Sicherheitssystems im Völker- und Verfassungsrecht eine voneinander abweichende Bewertung erfahren. Eine solche unterschiedliche Bewertung würde aber der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes zuwiderlaufen, wonach der verfassungsrechtliche Begriff des kollektiven Sicherheitssystems mit dem entsprechenden Völkerrechtsbegriff identisch sein sollte (JöR 1951, S. 227; Schmahl, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz. Kompakt-Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2011, Art. 87a, Rdnr. 20). 15 S/PRST/2014/20, auf Deutsch verfügbar unter http://www.un.org/depts/german/sr/sr_14/sp14-20.pdf. 16 Zum Rechtscharakter solcher Erklärungen vgl. Talmon, Stefan, Statements by the President of the Security Council, in: Chinese Journal of Int.´l Law 2003, S. 419 (447 ff.), verfügbar im Internet unter: http://users.ox.ac.uk/~sann2029/Chinese%20Journal%20of%20International%20Law%202%20%282003%29, %20419-465.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 8 Presidential Statements werden vom amtierenden Präsidenten des Sicherheitsrates17 für das VN- Organ als Ganzes abgegeben und seit 1994 als offizielles Dokument des Rates veröffentlicht.18 Die Erklärungen der Präsidentschaft kommen häufig gerade deswegen zustande, weil im Sicherheitsrat keine Einigung über eine entsprechende Resolution erreicht werden kann oder das Veto eines ständigen Sicherheitsratsmitglieds das Zustandekommen einer solchen Resolution verhindert .19 Im Gegensatz zu den Resolutionen des Sicherheitsrates enthalten die Erklärungen der Präsidentschaft keine für die Staatengemeinschaft völkerrechtlich bindende Entscheidung,20 sondern wollen vielmehr einer politischen Botschaft der Sicherheitsratsmitglieder Ausdruck verleihen.21 Erklärungen des Präsidenten nehmen – anders als die Sicherheitsratsresolutionen – keinen Bezug zu den Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der Charta; so wird in der Präsidentenerklärung vom 19. September 2014 auch keine Bedrohung des Weltfriedens durch den IS festgestellt. Insoweit lässt sich im Ergebnis festhalten: Die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 19. September 2014 vermag eine förmliche (autorisierende) Resolution nicht zu ersetzen. 2.2. Einsatz im Rahmen einer „Koalition der Willigen“ Da der Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) weder unter dem Kommando der VN noch der NATO stattfindet, sondern im Rahmen einer US-geführten „Koalition der Willigen “,22 ist überlegt worden, ob eine solche ad hoc-„Koalition“ nicht als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit qualifiziert werden könnte. 17 Die Präsidentschaft im Sicherheitsrat rotiert in alphabetischer Reihenfolge seiner Mitglieder im Monatsrhythmus (Regel 18 der Geschäftsordnung des Sicherheitsrates, http://www.un.org/depts/german/go/sr/s96rev7.pdf). 18 Zimmermann, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Vol. I, Oxford Univ. Press, 3. Aufl. 2012, Art. 27, Rdnr. 73. 19 Talmon, Stefan, Statements by the President of the Security Council, in: Chinese Journal of Int.´l Law 2003, S. 419-465 (456). 20 Talmon, Stefan, a.a.O., S. 450 m.w.N.; ders. Eine Koalition der Willigen reicht nicht, in: FAZ v. 8.1.2015, S. 6. 21 So etwa der Delegierte Frankreichs auf der Sitzung des Sicherheitsrates vom 27.2.1995, zitiert bei Talmon, a.a.O., S. 452. 22 Zu den teilnehmenden Nationen gehören mittlerweile rund 60 Staaten, darunter Großbritannien, Frankreich, Australien, Kanada, die Türkei, Italien, Polen, Dänemark sowie die Golfstaaten Saudi-Arabien und Katar. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 9 Dieser Ansatz ist im Ergebnis nicht tragfähig. Ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit ist nach Auffassung des BVerfG dadurch gekennzeichnet, dass es durch ein „friedenssicherndes Regelwerk und den Aufbau einer eigenen Organisation für jedes Mitglied einen Status völkerrechtlicher Gebundenheit begründet, der wechselseitig zur Wahrung des Friedens verpflichtet und Sicherheit gewährt.“23 Ein solches System setzt damit schon begrifflich eine gewisse institutionelle Verfestigung und eine vertragliche Grundlage voraus.24 „Koalitionen der Willigen“ sind dagegen „lose Zusammenschlüsse“ gleichgesinnter Staaten, dessen Mitglieder sich entsprechend ihrer nationalen Fähigkeiten und Prioritäten an der Operation beteiligen.25 Solche Ad hoc-Koalitionen stellen daher nach einhelliger Auffassung in der Literatur kein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit dar, da es an der für ein solches System notwendigen dauerhaften Struktur fehlt.26 Auch ein bilaterales Abkommen zwischen dem Irak und Deutschland wäre kein kollektives Sicherheitssystem i.S.v. Art. 24 Abs. 2 GG. Kollektiv ist ein Sicherheitssystem nur dann, wenn mehr als zwei Staaten daran beteiligt sind, die sich gegenseitigen Beistand versprechen.27 Im Ergebnis findet der Unterstützungseinsatz der Bundeswehr im Irak nicht „im Rahmen und nach den Regeln“ eines kollektiven Sicherheitssystems statt. Der Einsatz findet keine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 24 Abs. 2 GG.28 2.3. Einsatz zur Verteidigung im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG Fraglich bleibt, ob neben Art. 24 Abs. 2 GG noch eine andere verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz der Bundeswehr im Irak in Betracht kommt. Insbesondere der Begriff der „Verteidigung“, wie er in Art. 87a Abs. 2 GG Verwendung findet, steht dem Gedanken der „kollektiven Sicherheit“ i.S.v. Art. 24 Abs. 2 GG nicht entgegen, weil er auf die Gesamtaufgabe der militärischen Friedenssicherung verweist.29 23 BVerfGE 90, 286 (349), Urteil vom 12.7.1994 - AWACs. Vgl. zum Begriff des kollektiven Sicherheitssystems Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, München: Beck, 7. Aufl. 2014, Art. 24, Rdnr. 61 ff. 24 So v.Heinegg, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, München, 2. Aufl. 2013, Art. 24, Rdnr. 31. 25 Talmon, Stefan, Eine Koalition der Willigen reicht nicht, in: FAZ v. 8.1.2015, S. 6. 26 Hobe, in: Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Loseblatt, Berlin, 37. Erg.-Lfg., Art. 24, Rdnr. 59; Röben, Volker, Der Einsatz der Streitkräfte nach dem Grundgesetz, in: ZaöRV 2003, S. 585-603 (591). 27 Rojahn, in: v.Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. 1, München: Beck, 6. Aufl. 2012, Art. 24, Rdnr. 99; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, München: Beck, 7. Aufl. 2014, Art. 24, Rdnr. 64. 28 So im Ergebnis auch Talmon, Stefan, Eine Koalition der Willigen reicht nicht, in: FAZ v. 8.1.2015, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 10 Davon geht auch das BVerfG aus, wenn es sich darauf beruft, dass durch Art. 87a Abs. 2 GG nicht Befugnisse ausgeschlossen werden sollen, „die sich aus einem Wortzusammenhang mit der Verteidigungskompetenz ergeben“.30 Bundeswehreinsätze „zur Verteidigung“ sind somit auch außerhalb eines kollektiven Sicherheitssystems verfassungsrechtlich zulässig. Würde also der Einsatz im Irak der „Verteidigung“ dienen, wäre er nach Art. 87a Abs. 2 GG verfassungskonform , ohne dass es noch auf Art. 24 Abs. 2 GG ankäme. Zu klären bleibt allerdings, wie der Begriff „Verteidigung“ i.S.v. Art. 87a Abs. 2 GG zu verstehen ist. Fraglich ist insbesondere , ob diese Norm auch einen Nothilfeeinsatz zugunsten des Irak umfasst. Aus dem begrifflichen Gegensatz zwischen „Verteidigung“ (Art. 87a Abs. 2 GG) und „Landesverteidigung “ (Art. 115a Abs. 1 GG – sog. „Verteidigungsfall“) wird geschlossen, dass „Verteidigung “ i.S.v. Art. 87a Abs. 2 GG in jedem Fall mehr umfasst als die Verteidigung der eigenen Staatsgrenzen.31 So ist denn auch die Ausdehnung des Verteidigungsbegriffs (Art. 87a Abs. 2 GG) auf die sog. Bündnisverteidigung (Art. 5 NATO-Vertrag) niemals ernsthaft bestritten worden32 – anderenfalls hätte ja der mit der Wehrverfassung 1956 eingefügte und mit der Notstandsverfassung 1968 geänderte Art. 87a Abs. 2 GG die Erfüllung der bestehenden NATO-Bündnispflichten Deutschlands konterkariert. Dementsprechend wären Bundeswehreinsätze zur Verteidigung der Bündnispartner fernab der Landesgrenzen auch nach Art. 87a Abs. 2 GG zulässig. Die Frage, ob „Verteidigung“ i.S.v. Art. 87a Abs. 2 GG neben der Landes- und Bündnisverteidigung auch noch andere Formen der kollektiven Verteidigung zugunsten nicht verbündeter Staaten (sog. Drittstaaten-Nothilfe i.S.v. Art. 51 der VN-Charta) mit umfasst, ist in der verfassungsrechtlichen Literatur seit langem umstritten. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, inwieweit man den verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff mit völkerrechtlich erlaubter Gewaltanwendung gleichsetzen kann.33 29 So Hillgruber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG Kommentar (begr. von Schmidt-Bleibtreu/Klein), Köln: Carl Heymanns, 13. Aufl. 2014, Art. 24, Rdnr. 47 m.w.N. 30 BVerfGE 90, 286 (357) – AWACs. Hervorhebungen nicht im Original. 31 Grzeszick, in: Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 4, Berlin: Erich Schmidt-Verlag, 17. Erg-Lfg., Art. 87a, Rdnr. 22; Schmahl, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz. Kompakt-Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2011, Art. 87a, Rdnr. 7; ähnlich auch BVerfGE 90, 286 (386). 32 Baldus, in: Starck (Hrsg.), Kommentar zum GG, Bd. 3, München: Vahlen, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 2, Rdnr. 46; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, München 7. Aufl. 2014, Art. 87a, Rdnr. 24. BVerwGE 127, 302, Rn. 107. 33 In diesem Sinne etwa Hernekamp, in: v.Münch/Kunig, GG Kommentar, Bd. 3, München: Beck 5. Aufl. 2003, Art. 87a, Rdnr. 4; Fink, JZ 1999, S. 1016 (1018); zurückhaltender dagegen Epping, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG-Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2013, Art. 87a, Rdnr. 8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 11 Gegen eine weite Auslegung wird argumentiert, dass dem verfassungsrechtlichen Begriff der Verteidigung eine begrenzende, gewalthemmende Funktion innewohnt. Die zu verteidigenden Güter dürften deswegen nicht beliebig sein (z.B. Verteidigung des Weltfriedens, der Handelsinteressen etc.).34 Gefordert wird insoweit ein Bezug des Streitkräfteeinsatzes zur Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Ein zulässiger Verteidigungseinsatz liege nur dann vor, wenn damit gleichzeitig auch einer Bedrohung Deutschlands entgegengewirkt werde.35 Angesichts der globalisierten Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus lässt sich ein solcher Bezug zu den Sicherheitsinteressen Deutschlands auch beim Kampf gegen den „Islamischen Staat“ durchaus erkennen.36 Nicht zuletzt die latente Bedrohung des NATO-Partners Türkei durch den „Islamischen Staat“ an der türkisch-syrischen Grenze macht einmal mehr deutlich, dass Drittstaaten-Nothilfe und (potentieller) Bündnisfall nicht nur geographisch dicht beieinander liegen können, sondern dass die Bündnisverteidigung aus völkerrechtlicher Sicht letztlich (nur) einen Unterfall der kollektiven Selbstverteidigung i.S.v. Art. 51 VN-Charta darstellt.37 Eine kategorische Unterscheidung zwischen beiden Fällen lässt sich daher im Ergebnis kaum rechtfertigen.38 Der überwiegende Teil der Literatur geht daher unter Hinweis auf eine historische39 und völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes mittlerweile davon aus, dass sämtliche Konstellationen der Verteidigung nach Art. 51 VN-Charta und damit auch die Staatennothilfe unter den 34 Baldus, in: Starck (Hrsg.), Kommentar zum GG, Bd. 3, München, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 2, Rdnr. 48. 35 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. III (Art. 83-148), Tübingen: Mohr Siebeck, 2. Aufl. 2008, Art. 87a, Rdnr. 17; Depenheuer, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz. Kommentar, Losebl., München: Beck, Bd. VI, 23. Lfg. 2008, Art. 87a, Rdnr. 119. 36 Zur globalisierten Bedrohung vgl. allgemein Steinberg, Guido, „Al-Quaidas deutsche Kämpfer – Die Globalisierung des islamischen Terrorismus“, Hamburg: Edition Körber-Stiftung 2014. 37 Baldus, in: Starck (Hrsg.), Kommentar zum GG, Bd. 3, München, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 2, Rdnr. 47. 38 Krieger, in: Hofmann/Hennecke (Hrsg.), GG Kommentar (begr. von Schmidt-Bleibtreu/Klein), Köln: Carl Heymanns , 13. Aufl. 2014, Art. 87a, Rdnr. 12. 39 Der Generalbericht des Auswärtigen Ausschusses (Generalberichterstatter: Abg. Willy Brandt) weist darauf hin, dass die Nothilfe zugunsten eines angegriffenen Staates als „kollektive Selbstverteidigung“ bei der Einführung der Wehrverfassung in das Grundgesetz Bestandteil des Verständnisses von „Verteidigung“ gewesen sei und für zulässig erachtet wurde (BT-Drs. II/1200 -Drs. 1061- S. 39 ff. (44)); dem beipflichtend Baldus, in: Starck (Hrsg.), Kommentar zum GG, Bd. 3, München: 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 2, Rdnr. 47. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 12 Begriff der Verteidigung i.S.v. Art. 87a Abs. 2 GG fallen.40 Kollektive Selbstverteidigung und Staatennothilfe können damit verfassungsrechtlich als erweiterte (Landes-)Verteidigung aufgefasst werden. In diesem Sinne äußert sich auch das Bundesverwaltungsgericht:41 „Da der Normtext des Art. 87a Abs. 1 und 2 GG von "Verteidigung" (und) nicht von "Landesverteidigung " spricht ist davon auszugehen, dass "Verteidigung" alles das umfassen soll, was nach dem geltenden Völkerrecht zum Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta), der die Bundesrepublik Deutschland wirksam beigetreten ist, zu rechnen ist. Art. 51 UN-Charta gewährleistet und begrenzt in diesem Artikel für jeden Staat das Recht zur "individuellen" und zur "kollektiven Selbstverteidigung" gegen einen "bewaffneten Angriff", wobei das Recht zur "kollektiven Selbstverteidigung" den Einsatz von militärischer Gewalt - über den Verteidigungsbegriff des Art. 115a GG hinausgehend - auch im Wege einer erbetenen Nothilfe zugunsten eines von einem Dritten angegriffenen Staates zulässt (z.B. "Bündnisfall"). Der Einsatz der Bundeswehr "zur Verteidigung" ist mithin stets nur als Abwehr gegen einen "militärischen Angriff" erlaubt, jedoch nicht zur Verfolgung , Durchsetzung und Sicherung ökonomischer oder politischer Interessen.“ Im Ergebnis ließe sich daher Art. 87a Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für den geplanten Irak-Einsatz der Bundeswehr mit guten Argumenten heranziehen. Die Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit von Bundeswehreinsätzen zur kollektiven Selbstverteidigung (in Form der Drittstaaten-Nothilfe) ist jedoch letztlich „akademisch“ geblieben, da es bislang keinen Präzedenzfall dazu gibt. Bis heute hat sich Deutschland – abgesehen von den Evakuierungs-Operationen Libelle in Albanien (1997) und Pegasus in Libyen (2011) – an keinen Einsätzen außerhalb von kollektiven Sicherheitssystemen beteiligt.42 Der geplante Einsatz der Bundeswehr im Irak betritt also in gewisser Weise verfassungsrechtliches „Neuland“. 40 Schmahl, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz Kompakt-Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2011, Art. 87a, Rdnr. 7; Hillgruber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG Kommentar (begründet von Schmidt-Bleibtreu/Klein), Köln: Heymanns, 13. Aufl. 2014, Art. 24 Rdnr. 51; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, München: Beck, 7. Aufl. 2014, Art. 87a Rdnr. 25; Baldus, in: Starck (Hrsg.), Kommentar zum GG, Bd. 3, München: Vahlen, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 2, Rdnr. 47; Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, München: Beck, 11. Aufl. 2011, Art. 87a, Rdnr. 9; Grzeszick, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum GG, Bd. 4, Berlin: Erich Schmidt-Verl., Losebl., 17. Erg.-Lfg. 2006, Art. 87a, Rdnr. 25, jeweils m.w.N. 41 BVerwGE 127, 302, Rn. 107, Urt. v. 21.6.2005 - Befehlsverweigerung aus Gewissensgründen, DVBl. 2005, 1455. 42 Der völkerrechtlich umstrittene Kosovo-Einsatz 1999 („humanitäre Intervention“) war eine NATO-Operation (Operation Allied Force); die Operation Enduring Freedom (in der Folge von 9/11) fand auf der Grundlage von Art. 51 UN-Charta und Art. 5 NATO-Vertrag (Bündnisfall) im Rahmen einer „Coalition of the Willing“ (nicht im Rahmen der NATO !) als kollektive Selbstverteidigung (Nothilfe) zugunsten des NATO-Verbündeten USA gegen das Taliban-Regime in Afghanistan statt und war gleichzeitig durch die VN-Sicherheitsratsresolutionen 1368 und 1373 (2001) mandatiert. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 13 Dieses „Neuland“ ist durch die Rechtsprechung des BVerfG aber nicht präjudiziert. Die Feststellung des Gerichts im Lissabon-Urteil, wonach der Auslandseinsatz der Streitkräfte außer im Verteidigungsfall nur in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit erlaubt sei,43 ist letztlich nur ein (vielleicht nicht ganz glücklich formuliertes) obiter-dictum,44 welches einen (damals) bestehenden verfassungspolitischen Konsens widerspiegelte, aber kein unverrückbares verfassungsrechtliches Postulat aufstellen wollte. 3. Verfassungsgerichtliche Kontrolle der Rechtsgrundlage des Irak-Einsatzes Möglichkeiten, die verfassungsrechtliche Grundlage für den geplanten Irak-Einsatz der Bundeswehr gerichtlich in Karlsruhe überprüfen zu lassen, erscheinen indes begrenzt. Stimmt der Bundestag über den Antrag der Bundesregierung ab, scheidet die Möglichkeit eines Organstreits (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) mit der Behauptung, Zustimmungsrechte des Parlaments seien durch den Auslandseinsatz der Streitkräfte verletzt worden, aus. In Betracht kommt allenfalls die abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). Antragsberechtigt sind neben der Bundesregierung auch ein Viertel der Mitglieder des Bundestages. Ob in diesem Verfahren neben Bundesgesetzen auch schlichte Parlamentsbeschlüsse – wie etwa der konstitutive Bundestagsbeschluss zum Auslandseinsatz der Bundeswehr – tauglicher Kontrollgegenstand sein können, ist in der verfassungsprozessrechtlichen Literatur umstritten.45 Unter Verweis auf die Rechtsprechung46 besteht jedenfalls Einigkeit darüber, dass schlichte Parlamentsbeschlüsse dann Prüfungsgegenstand einer abstrakten Normenkontrolle sein können, wenn sie gesetzesersetzenden Charakter haben.47 43 Urteil vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08, Rdnr. 254, verfügbar unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/es20090630_2bve000208.html. 44 Obiter dicta sind beiläufige, nicht entscheidungserhebliche Rechtsansichten des Gerichts, die an der Rechtskraft der Entscheidung nicht teilnehmen. Die gem. § 31 BVerfGG angeordnete Verbindlichkeit der Entscheidungen des BVerfG erstreckt sich nur auf die tragenden Entscheidungsgründe, nicht jedoch auf obiter dicta (vgl. Bethge, in: BVerfGG-Kommentar, München: Beck, Loseblatt, 43. Erg.-Lfg. (Stand Febr. 2014), § 31, Rdnr. 57 ff.). 45 Dafür: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rdnr. 676; Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht , Heidelberg: Müller, 3. Aufl. 2011, Rdnr. 502; Fischer/Fischer-Lescano, Enduring Freedom für Entsendebeschlüsse ? Verfassungs- und völkerrechtliche Probleme der deutschen Beteiligung an Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus, in: KritV 2002, S. 113-144 (141 ff.). Dagegen: Rozek, in: BVerfGG-Kommentar (begr. von Theodor Maunz), München: Beck, Loseblatt, 44. Erg.-Lfg. (Stand Juli 2014), § 76, Rdnr. 30. 46 BVerfGE 90, 60 - Umsetzung des Staatsvertrages über die Rundfunkgebühr durch einen Beschluss des Bayerischen Landtags (also ohne Gesetzgebungsverfahren). 47 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, München: Beck, 9. Aufl. 2012, Rdnr. 127; ebenso Butzer, AöR 119 (1994), S. 61 ff. (101). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 14 Dies ist beim konstitutiven Bundestagsbeschluss zu Auslandseinsätzen zwar nicht der Fall, doch spricht immerhin die Verfassungsbindung des Parlaments (Art. 20 Abs. 3 GG) für eine entsprechende Ausweitung des Prüfungsgegenstandes. Einen Präzedenzfall dazu gibt es bislang nicht. Dass das BVerfG eine Normenkontrollklage betreffend einen Bundestagsbeschluss zum Irak- Einsatz zur Entscheidung annehmen wird, erscheint angesichts der zugrunde liegenden verfassungsrechtlichen Problematik nicht ausgeschlossen. 4. Zusammenfassung der Ergebnisse Der internationale Militäreinsatz gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ im Irak stellt eine völkerrechtskonforme „Intervention auf Einladung“ im irakischen Bürgerkrieg dar, die ihre Grundlage in Art. 51 VN-Charta (kollektive Selbstverteidigung / Nothilfe) findet. Der geplante Unterstützungseinsatz der Bundeswehr findet nicht „im Rahmen und nach den Regeln eines kollektiven Sicherheitssystems“ (der VN) statt. Hierfür wäre ein Mandat des Sicherheitsrates erforderlich, das den konkreten „Anti-IS“-Einsatz autorisiert und völkerrechtlich legitimiert . Die Sicherheitsratsresolution 2170 (2014), welche die Terrororganisation IS verurteilt, reicht zur Autorisierung des „Anti-IS-Einsatzes im Irak nicht aus. Auch die (völkerrechtlich nicht bindende) Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 19. September 2014 vermag eine förmliche (autorisierende) Resolution nicht zu ersetzen. Ad hoc-Koalitionen („Coalitions of the Willing“) stellen kein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit dar, da es ihnen an der für ein solches System notwendigen institutionellen und vertraglich begründeten Struktur fehlt. Der Unterstützungseinsatz der Bundeswehr im Irak findet daher keine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 24 Abs. 2 GG. Eine verfassungsrechtliche Grundlage für diesen Einsatz findet sich jedoch in Art. 87a Abs. 2 GG, sofern man mit der überwiegenden Auffassung in der Literatur und Rechtsprechung auch die kollektive Selbstverteidigung / Nothilfe zugunsten eines nicht-verbündeten Staates als erweiterte Verteidigung i.S.v. Art. 87a Abs. 2 GG auffasst. Für Bundeswehrwehreinsätze zur kollektiven Selbstverteidigung (in Form der Drittstaaten- Nothilfe) außerhalb kollektiver Sicherheitsstrukturen gibt es bislang keinen Präzedenzfall; der geplante Einsatz der Bundeswehr im Irak betritt also in gewisser Weise verfassungsrechtliches „Neuland“. Es besteht aber kein verfassungsrechtliches Postulat, wonach Bundeswehreinsätze nur im Rahmen von kollektiven Sicherheitssystemen erlaubt sind. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 239/14 Seite 15 Ob im Rahmen eines abstrakten Normenkontrollverfahrens vor dem BVerfG auch schlichte Parlamentsbeschlüsse (wie der konstitutive Bundestagsbeschluss zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr ) überprüft werden können, ist umstritten. Einen Präzedenzfall gibt es bislang nicht. Es ist aber nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine solche Normenkontrollklage zur Entscheidung annimmt. Bei der Frage, ob der vorliegende Einsatz der Bundeswehr zur Ausbildungsunterstützung im Nordirak überhaupt der parlamentarischen Zustimmungspflicht unterfällt, ist § 2 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes einschlägig, der „Hilfsleistungen der Streitkräfte, bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden“ von der Zustimmungspflicht ausnimmt, solange nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang „nicht zu erwarten ist, dass die ins Ausland entsandten Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden.“ Hierfür bedarf es nach Auffassung des BVerfG hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte , dass ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann. Die bloße Möglichkeit, dass es bei einem Einsatz zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, reicht hierfür nicht aus. Orientiert sich die Regierung bei ihrer Entscheidung, ob sie den Bundestag um Zustimmung zu einem Auslandseinsatz der Streitkräfte ersucht, vor allem an den bisherigen Einsätzen (European Training Mission in Mali 2013), so verfestigt sich eine Staatspraxis, welche die gesetzlichen Regelungen im Kern überlagern könnte. An dieser „case-to-case“-Praxis müsste sich eine Regierung dann auch bei künftigen Unterstützungseinsätzen der Bundeswehr messen lassen. Eine Präzisierung der gesetzlichen Grundlagen der Parlamentsbeteiligung ist dieser Entwicklung vorzuziehen.