© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 215/14 Internationale Seenotrettungsabkommen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 215/14 Seite 2 Internationale Seenotrettungsabkommen Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 215/14 Abschluss der Arbeit: 28. November 2014 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 215/14 Seite 3 Die Rettung von Menschen in Seenot ist gewohnheitsrechtlich in maritimen Traditionen verankert und mittlerweile auch völkervertraglich festgeschrieben. Verwiesen sei dazu auf zwei Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste: , Völkerrechtliche Schutzpflichten gegenüber Migranten in Seenot, 31. Oktober 2013, WD 2 – 3000 – 078/13 , Völkerrechtliche Bindungen der Arbeit von FRONTEX im Mittelmeer 24. April 2012, WD 2 – 3000 – 196/11. - Anlagen 1 und 2 - Ergänzend zur völkerrechtlichen Rettungspflicht aus Art. 98 des VN-Seerechtsübereinkommens ist auf zwei weitere völkerrechtliche Abkommen hinzuweisen, die in den 1970er Jahren im Rahmen der International Maritime Organisation (IMO) verabschiedet wurden – das SOLAS- Übereinkommen von 1974 und das SAR-Übereinkommen von 1979, einschließlich der Richtlinien zur Behandlung von aus Seenot geretteten Personen von 2004. Diese Abkommen regeln u.a. die umstrittene Frage, was mit den an Bord aufgenommenen Personen zu geschehen hat. Im folgenden sollen einige für die Rettung von schiffbrüchigen Migranten relevanten Aspekte dieser Abkommen angesprochen werden. 1. SOLAS-Übereinkommen Das für die Sicherheit auf See grundlegende Übereinkommen ist das SOLAS-Übereinkommen (International Convention for the Safety of Life at Sea) vom 1. November 1974.1 Mittlerweile sind fast alle Seefahrtsnationen der Welt Vertragspartei des (inzwischen mehrfach revidierten) Übereinkommens. Das Abkommen richtet sich vorrangig an Schiffe und ihre Flaggenstaaten. 1 In Kraft seit 1980. http://www.imo.org/About/Conventions/ListOfConventions/Pages/International-Conventionfor -the-Safety-of-Life-at-Sea-(SOLAS),-1974.aspx. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 215/14 Seite 4 Kapitel V des SOLAS-Übereinkommen befasst sich mit der Sicherheit der Schifffahrt und benennt bestimmte Dienste, die von den Unterzeichnerstaaten vorgehalten werden müssen (z.B. Seenotrettungsdienste).2 Weiter befasst sich das SOLAS-Übereinkommen mit der Frage der Notlage auf See. Es ist nämlich weder vertraglich noch gewohnheitsrechtlich definiert, wann eine Notlage auf See vorliegt. Nach Auffassung der Literatur liegt ein solcher Fall vor, wenn die begründete Annahme besteht, dass das Schiff und die auf ihm befindlichen Personen ohne Hilfe von außen nicht in Sicherheit gelangen können und auf See verloren gehen.3 Das SOLAS-Abkommen räumt nun dem Kapitän hinsichtlich der Beurteilung einer Seenotlage einen Ermessensspielraum ein. Das Ermessen des Schiffsführers erstreckt sich dabei nicht nur auf die Feststellung der Seenotlage, sondern auch auf die zur Rettung erforderlichen Maßnahmen:4 „The owner, the charterer, the company operating the ship as defined in regulation IX/1, or any other person shall not prevent or restrict the master of the ship from taking or executing any decision which, in the master’s professional judgement, is necessary for safety of life at sea and protection of the marine environment.“5 Weiter enthält das SOLAS-Abkommen Regelungen zur Rettung von Flüchtlingen auf See. Insbesondere normiert es die Verpflichtung des Kapitäns, Personen in Seenot unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und ihrem Status6 Hilfe zu leisten und die geretteten Personen an einen „sicheren Ort“ zu bringen: 2 Regel 15 des SOLAS-Übereinkommens bestimmt insoweit: “Each Contracting Government undertakes to ensure that necessary arrangements are made for distress communication and co-ordination in their area of responsibility and for rescue of persons in distress at sea around its coast. These arrangements shall include the establishment , operation and maintenance of such search and rescue facilities as are deemed practicable and necessary , having regard to the density of the seagoing traffic and the navigational dangers, and shall, so far as possible , provide adequate means of locating and rescuing such persons.” 3 Rah, Sicco, Die Einsatzrichtlinien für die Grenzschutzagentur FRONTEX und ihre Bedeutung für den Schutz von Migranten und Flüchtlingen auf See, in: JBÖS (Jahrbuch Öffentliche Sicherheit) 2010/11, S. 117-134 (126 f. m.w.N.). 4 Das Ermessen kann durch gesetzliche Vorgaben des Flaggenstaates eingeschränkt beziehungsweise geleitet werden . Relevant in diesem Zusammenhang sind die Richtlinien zur Behandlung von aus Seenot geretteten Personen (Guidelines on the Treatment of Persons Rescued at Sea, Res. MSC. 167 (78), welche das Maritime Safety Committee (MSC) der IMO am 20. Mai 2004 angenommen hat. Die Richtlinien dienen zur Auslegung der Vorschriften des SOLAS-Übereinkommens; sie sind allerdings – im Gegensatz zum SOLAS-Übereinkommen – völkerrechtlich nicht bindend. 5 Vgl. SOLAS-Abkommen, Kap. V, Regulation 34. 6 Schiffsführer sind gemäß der Richtlinien zur Behandlung von aus Seenot geretteten Personen (a.a.O., Anm. 4) gehalten, nicht zwischen Migranten, Flüchtlingen und „gewöhnlichen“ Schiffbrüchigen zu unterscheiden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 215/14 Seite 5 „Parties shall co-ordinate and co-operate to ensure that masters of ships providing assistance by embarking persons in distress at sea are released from their obligations with minimum further deviation from the ships’ intended voyage, (…). The Party responsible for the search and rescue region in which such assistance is rendered shall exercise primary responsibility for ensuring such coordination and co-operation occurs, so that survivors assisted are disembarked from the assisting ship and delivered to a place of safety, (…). In these cases, the relevant Parties shall arrange for such disembarkation to be effected as soon as reasonably practicable.”7 Die zur Auslegung des SOLAS-Übereinkommens heranzuziehenden Richtlinien zur Behandlung von aus Seenot geretteten Personen8 umschreiben diesen Ort wie folgt: „A place of safety is a location where rescue operations are considered to terminate. It is also a place where the survivors’ safety of life is no longer threatened and where their basic human needs (such as food, shelter and medical needs) can be met. Further, it is a place from which transportation arrangements can be made for the survivors’ next or final destination. A place of safety may be on land, or it may be aboard a rescue unit or a suitable vessel or facility at sea that can serve as a place of safety until the survivors are disembarked to their final destination.” Schiffe seien aber im Sinne dieser Definition nur vorübergehende „places of safety“ und so bald wie möglich zu entlasten.9 Das SOLAS-Übereinkommen nimmt ferner eine grundsätzliche Zuordnung der Zuständigkeit vor. Danach ist der Staat, in dessen Rettungszone die Schiffbrüchigen gerettet wurden, primär dafür zuständig, die Zusammenarbeit und Koordination sicherzustellen, um die Überlebenden von dem Schiff zu übernehmen und an einen sicheren Ort zu bringen. Die Richtlinien zur Behandlung von aus Seenot geretteten Personen bestimmen dabei die Verantwortlichkeit für die Bereitstellung eines „sicheren Orts“: „The responsibility to provide a place of safety, or to ensure that a place of safety is provided, falls on the Government responsible for the region in which the survivors were recovered.“ 7 SOLAS-Abkommen, Kap. V, Regulation 33. 8 Guidelines on the Treatment of Persons Rescued at Sea (Res. MSC. 167 (78). Die völkerrechtlich nicht bindenden Richtlinien wurden durch das Maritime Safety Committee der IMO am 20. Mai 2004 angenommen. Vgl. auch oben Anm. 4. 9 Richtlinien zur Behandlung von aus Seenot geretteten Personen, a.a.O., Rn. 6.14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 215/14 Seite 6 Eine Verpflichtung des Küstenstaates, die Geretteten in sein Staatsgebiet aufzunehmen, ergibt sich aus dieser Verantwortlichkeit allerdings nicht.10 Der Kapitän kann somit zwar die Entscheidung treffen, einen bestimmten Hafen anzusteuern, um die geretteten Personen dort auszuschiffen . Die Entscheidung, ihm dort die Ausschiffung zu gestatten, trifft aber allein der betroffene Küstenstaat. 2. SAR-Übereinkommen Das Internationale Übereinkommen über Seenotrettung (International Convention on Maritime Search and Rescue, SAR-Übereinkommen) vom 27. April 197911 ist seit 1985 in Kraft. Das Übereinkommen soll sicherstellen, dass die Rettung von Menschen in Seenot durch eine Seenotrettungsorganisation koordiniert, und falls notwendig, mit benachbarten Seenotrettungsorganisationen zusammengearbeitet wird. Das SAR-Übereinkommen richtet sich in erster Linie an die Küstenstaaten. Insbesondere sieht das SAR-Übereinkommen technische Regelungen der Zusammenarbeit zwischen den Seenotrettungsdiensten vor. Die Vertragsparteien müssen grundsätzlich dafür sorgen, dass jeder in Seenot befindlichen Person Hilfe geleistet wird.12 Dafür müssen sie Such- und Rettungseinheiten sowie andere Einsatzmittel bereitstellen. Eine Pflicht zur Durchführung von Patrouillen besteht nicht. 10 Zur Diskussion um diese Frage bei den SOLAS-Verhandlungen vgl. Rah, Sicco, Asylsuchende und Migranten auf See. Staatliche Rechte und Pflichten aus völkerrechtlicher Sicht, Heidelberg: Springer 2009, S. 117 ff. 11 http://www.imo.org/About/Conventions/ListOfConventions/Pages/International-Convention-on-Maritime- Search-and-Rescue-(SAR).aspx. 12 Kapitel 1.3.2 der Anlage zum SAR-Übereinkommen, das hier auch die Bedeutung des Begriffs „Rettung“ definiert.