Initiativen der OSZE zur Bekämpfung des Antisemitismus - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 2 –215/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser: Initiativen der OSZE zur Bekämpfung des Antisemitismus Ausarbeitung Abschluss der Arbeit: 16.11.2006 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Konferenzen und Deklarationen Am 19. und 20. Juni 2003 fand in Wien die erste Antisemitismuskonferenz der OSZE statt. Beim 11. Treffen des Ministerial Council der OSZE in Maastricht am 1. und 2. Dezember 2003 in Maastricht wurde unter anderem die Ministerial Decision No. 4/03 verabschiedet . In diesem Dokument drückt der Ministerial Council seine Sorge über alle Manifestationen von aggressivem Nationalismus, Rassismus, Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit , Antisemitismus und gewalttätigem Extremismus in den Mitgliedstaaten aus. Die Mitgliedstaaten werden dazu aufgefordert, Daten über sog. „hate crimes“, wozu auch antisemitisch motivierte Verbrechen zählen, zu sammeln. Die zweite Antisemitismuskonferenz der OSZE fand am 28. und 29. April 2004 in Berlin statt. Das Abschlussdokument bildete die sog. „Berliner Erklärung“ (siehe hierzu Kapitel 2). Das „Meeting on the Relationship Between Racist, Xenophobic and Anti-Semitic Propaganda on the Internet and Hate Crimes“ fand am 16. und 17. Juni 2004 in Paris statt. Am 13. und 14. September 2004 fand in Brüssel eine OSZE-Konferenz gegen Rassismus und Diskriminierung statt. In der Abschlusserklärung werden ohne Ausnahme jede Form von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus und andere Erscheinungsformen von Intoleranz und Diskriminierung verurteilt.1 Ausdrücklich wird die „Decision on Tolerance and the Fight Against Racism, Xenophobia and Discrimination “ in die Deklaration inkorporiert, die das Permanent Council am 29. Juli 2004 verabschiedet hat. Auf dem 12. Treffen des Ministerial Council am 6. und 7. Dezember 2004 in Sofia wurde die Decision No. 12/04 verabschiedet, welche die Decision No. 4/03 in Erinnerung ruft. Ausdrücklich zugestimmt wurde der “Decision on Combating Anti- Semitism“ des Permanent Council. In diesem Beschluss erklären die Mitgliedstaaten ihre Absciht, für ein von antisemitischen Ressentiments freies Rechtssystem zu sorgen, 1 http://osce.org/documents/cio/2004/09/3567_en.pdf. - 4 - nationale Erziehungsprogramme zur Bekämpfung des Antisemitismus zu fördern und Daten über antisemitische Verbrechen zu sammeln. Am 8. und 9. Juni 2005 fand in Nachfolge zu den Konferenzen des Jahres 2004 die OSZE-Konferenz über Antisemitismus und andere Formen der Intoleranz in Cordoba statt. Den Abschluß der Konferenz bildete die „Cordoba Declaration“.2 In dieser Resolution wird an vorangegangene Resolutionen erinnert. Die Mitgliedstaaten werden dazu aufgerufen, ihre eingegangenen Verpflichtungen zur Bekämpfung des Antisemitismus einzulösen. Erinnert wird in der Resolution auch an die große Bedeutung, die der Beschäftigung mit dem Thema Holocaust in der Schule für eine wirksame Zurückdrängung von Antisemitismus zukommt. Anlässlich des 13. Treffens des Ministerial Council in Ljubljana am 5. und 6. Dezember 2005 kam es zur Verabschiedung der Decision No. 10/05. Im Rahmen ihrer Tagung vom 3. bis zum 7. Juli 2006 verabschiedete die Parlamentarische Versammlung der OSZE die „Brussels Declaration”.3 Die Mitgliedstaaten werden in dieser Erklärung dazu aufgefordert, eng mit dem OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) zusammenzuarbeiten, vor allem die für die Arbeit des Büros notwendigen Informationen zu sammeln und zu übermitteln und die vereinbarten Berichte über den Stand der Implementierung zu senden. 2. Die „Berliner Erklärung“ Deutschland war am 28. und 29. April 2004 Gastgeber einer Konferenz der OSZE über Antisemitismus. Die Konferenz fand auf Einladung der Bundesregierung im Auswärtigen Amt in Berlin statt. Mit ihr wollten die OSZE und die Bundesregierung ein Zeichen setzen, dass sie das Problem des Antisemitismus in den Mitgliedstaaten der OSZE ernst nehmen. Die auf der Konferenz verabschiedete „Berliner Erklärung“ schreibt verschiedene Maßnahmen und Verpflichtungen der OSZE-Mitgliedstaaten im Kampf gegen den Antisemitismus fest.4 So verpflichten sich die Staaten, 2 www.osce.org/documents/cio/2005/06/15109_en.pdf. 3 www.osce.org/documents/pa/2006/07/19815_en.pdf. 4 Text der „Berliner Erklärung“ in: http://www.auswaertigesamt .de/www/de/infoservice/download/pdf/friedenspolitik/berlin.pdf. Alle weiteren Informationen über die Konferenz in: http://www.osce.org/events/conferences/antisemitism2004/. - 5 - 1. ihre Gesetzgebung zu prüfen und gegebenenfalls zu verbessern, um Antisemitismus besser verfolgen zu können, 2. Bildungs- und Erziehungsprogramme zu fördern, die Antisemitismus bekämpfen, 3. die Erinnerung an und die Vermittlung von Wissen über den Holocaust zu fördern, 4. so genannte Hassdelikte mit antisemitischem Hintergrund wie auch antisemitische Propaganda im Internet zu bekämpfen, 5. internationale Organisationen und NGOs (Non Governmental Organisations) zu unterstützen, die Antisemitismus bekämpfen und 6. mit der Parlamentarischen Versammlung der OSZE zusammenzuarbeiten, um Verfahren zur regelmäßigen Prüfung des Problems des Antisemitismus festzulegen. Mit der Berliner Erklärung verpflichten sich die OSZE-Staaten darüber hinaus, Informationen und Daten über antisemitische oder andere Hassverbrechen zu sammeln und diese an ODIHR zu melden und öffentlich zugänglich zu machen. ODIHR wird in der „Berliner Erklärung“ beauftragt, dem Ständigen Rat über seine Erkenntnisse Bericht zu erstatten und diese zu veröffentlichen. Zudem soll ODIHR den Austausch unter Experten über bewährte Praktiken (best practice) für die Arbeit gegen Antisemitismus sowie über Erfahrungen in den Bereichen Strafverfolgung und Erziehung fördern.5 3. Datensammlung Nach Auskunft des ODIHR vom 19. Oktober 2006 liegen die Berichte der einzelnen OSZE-Mitgliedstaaten gemäß der „Berliner Erklärung“ noch nicht vor. Sobald die Mitgliedstaaten die in der „Berliner Erklärung“ angekündigten Berichte ODIHR übermittelt haben, wird das Büro einen zusammenfassenden Bericht erstellen. Gemäß der Berliner Erklärung soll ODIHR zudem „in uneingeschränkter Zusammenarbeit “ u.a. mit dem am 2. Juni 1997 gegründete „European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC)“ antisemitische Vorfälle im OSZE-Raum genau verfolgen. Das EUMC sammelt und veröffentlicht bereits Berichte der EU-Mitgliedsstaaten über Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in der Datenbank „European Information Network on Racism and Xenophobia (RAXEN)”. So enthält der 2004 herausgegebene Jahresbericht “Manifestations of Antisemitism in the EU 2002-2004“ Länderberichte u.a. für Griechenland, Spanien und Großbritannien.6 5 Als eine Reaktion auf die Konferenz hat die Senatsverwaltung für Inneres des Landes Berlin im September 2004 eine Broschüre zum „Antisemitismus im extremistischen Spektrum Berlins“ herausgegeben , http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/verfassungsschutz/antisemitismusberlin.pdf. 6 Bericht in der Datenbank der EUMC in: http://www.raxen.eumc.eu.int/eumc/index.html. - 6 - Das EUMC veröffentlicht zusätzlich Länderberichte aus den EU-Staaten, die von sog. “National Focal Points (NFP)” erstellt werden. Diese NFP stellen in den EU-Staaten auf NGO-Ebene regionale Berichte zu den genannten Themenfeldern zusammen:7 Belgien Centre for Equal Opportunities and Opposition to Racism (CEOOR) Bulgarien Project 1 EEOD Dänemark Documentation and Advisory Centre on Racial Discrimination (DACoRD) Deutschland European Forum for Migration Studies (EFMS) Estland Legal Information Centre for Human Rights (LICHR) Finnland Finnish League for Human Rights Frankreich Centre d’Etudes des Discriminations, du Racisme et de l’Antisémitisme (CEDRA) Griechenland ANTIGONE - Information & Documentation Centre on Racism, Ecology, Peace and Non Violence Irland National Consultative Commission on Racism and Interculturalism (NCCRI) + Equality Authority (EA) Italien Co-operation for the Development of Emerging Countries (COSPE) Lettland Latvian Centre for Human Rights (LCHR) Litauen Institute for Social Research (ISR) Luxemburg Centre d'Etudes de Populations, de Pauvreté et de Politiques Socio-économiques / International Network for Studies in Technology, Environment, Alternatives, Development (CEPS/INSTEAD) Malta Jesuit Centre for Faith and Justice (JCFJ) 7 http://eumc.eu.int/eumc/index.php?fuseaction=content.dsp_cat_content&catid=3e4fca599fa38. - 7 - Niederlande Dutch Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (DUMC) Österreich Ludwig Boltzmann Institute of Human Rights + Department of Linguistics at the University of Vienna + Institute of Conflict Research Polen Helsinki Foundation for Human Rights (HFHR) Portugal Númena - Research center on human and social sciences Rumänien Center for Legal Resources (CLR) Slowenien Peace Institute - Institute for Contemporary Social and Political Studies Slowakei People Against Racism (PAR) + Institute for Public Affairs Schweden Expo Foundation Spanien Movement for Peace and Liberty (MPDL) Tschechische Republik People in Need Ungarn Centre of Migration and Refugee Studies, Institute of Ethnic and Minority Studies of the Hungarian Academy of Sciences (CMRS) Vereinigtes Königreich The University of Warwick Zypern Cyprus Labour Institute (INEK/PEO) Im „Annual Report 2005“8 des ODIHR wird als eine der wichtigsten Tätigkeiten von ODIHR im Jahr 2005 die Sammlung und Systematisierung von Informationen über so genannte „Hate Crimes“ bezeichnet. Da die meisten Mitgliedstaaten nach Auffassung von ODIHR über keine wirksamen Systeme zur Erfassung von Daten über Hintergründe , Täter und Opfer der genannten Verbrechensart besitzen, sah sich das Büro gezwun- 8 www.osce.org/publications/odihr/2006/04/18821_607_en.pdf. - 8 - gen, ab 2004 in eigener Regie entsprechendes Datenmaterial über einschlägige Verbrechen , gesetzgeberische Maßnahmen zu Verhütung und Verfolgung derselben und wiederum positive Beispiele (good practice) zusammenzustellen. Daraus entstand der Bericht „Combating Hate Crimes in the OSCE Region: An Overview of Statistics, Legislation and National Initiatives“.9 Auf der Grundlage dieses Berichtes war es ODIHR nach eigenen Angaben möglich, bestehende Defizite in den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Datensammlung aufzudecken und Vorschläge für eine verbesserte diesbezügliche Arbeit sowie für gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich der „Hate Crimes“ zu unterbreiten . Für das erste Halbjahr 2006 hat ODIHR den „Report on Challenges and Responses to Hate-Motivated Incidents in the OSCE Region“10 veröffentlicht. Dieser Bericht enthält eine Übersicht über einschlägige Verbrechen im ersten Halbjahr des Jahres 2006. Weiterhin wird dargestellt, wie die Regierung und die Zivilgesellschaft in den betroffenen Staaten auf derartige Verbrechen reagiert haben. Schließlich findet sich in dem Bericht eine „Toolbox“ des ODIHR, die Anregungen an die OSZE-Staaten zur Unterstützung bei ihrem Kampf gegen Hassverbrechen enthält. In beiden Berichten zu „hate crimes“ kommt zum Ausdruck, dass in vielen OSZE-Staaten noch keine Datensammlung bezüglich dieser Verbrechen erfolgt ist. 4. Implementierung Die von ODIHR herausgegebene Schrift „Education on the Holocaust and on Anti- Semitism: An Overview and Analysis of Educational Approaches“11 widmet sich dem Thema der schulischen Auseinandersetzung mit Antisemitismus. Die Schrift soll die Mitgliedstaaten bei der Implementierung der Verpflichtungen aus der Berliner Erklärung unterstützen. Im ersten Teil des Berichts werden die zur Zeit geltenden Bestimmungen in den einzelnen Mitgliedstaaten hinsichtlich der schulischen Beschäftigung mit den Themen Antisemitismus und Holocaust aufgeführt. Des weiteren enthält der Bericht Angaben darüber, ob es in dem jeweiligen Land offizielle Gedenktage bzw. Gedenkveranstaltungen anlässlich des Holocaust gibt. Der zweite Teil der Studie besteht aus Vorschlägen von ODIHR für eine zukünftige Beschäftigung mit den Themen Holocaust und Antisemitismus innerhalb der Schulen der Mitgliedstaaten. Hierzu werden auch positive Beispielen aus den einzelnen Mitgliedstaaten (good practice) aufge- 9 www.osce.org/publications/odihr/2005/09/16251_452_en.pdf. 10 www.osce.org/documents/odihr/2006/10/21496_en.pdf. 11 www.osce.org/publications/odihr/2006/04/18712_586_en.pdf. - 9 - führt. Um den Staaten konkrete Mittel und Materialien zur Umsetzung der in dieser Studie formulierten Empfehlungen zu geben, hat ODIHR in Zusammenarbeit mit internationalen Expertengruppen entsprechende Materialien entwickelt. In Zusammenarbeit mit Yad Vashem (Israel) und Experten aus 12 OSZE-Mitgliedstaaten hat ODIHR einen Leitfaden für Pädagogen für Holocaust-Gedenktage entwickelt. Dieser Leitfaden ist bisher als online-Dokument in 9 verschiedenen Sprachen erhältlich. Die Übersetzungen sind durch die Regierungen der jeweiligen Länder erstellt worden. Außer dem Leitfaden wurden von ODIHR in Zusammenarbeit mit dem Anne Frank-Haus Amsterdam und nationalen Experten aus 7 OSZE-Staaten spezielle Unterrichtsmaterialien zur Antisemitismusbekämpfung entwickelt. Dieses Material wird in speziellen Länderadaptionen den jeweiligen historischen, politischen und sozialen Hintergründen der Länder angepasst. Einige der Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, dieses Material als Unterrichtseinheit in ihre nationalen Schulprogramme aufzunehmen und durch Lehrerseminare die Implementierung voranzubringen. Mit dem Programm „Law enforcement officer programme on combating hate crime “ wurde von ODIHR in Zusammenarbeit mit internationalen Polizeiexperten ein Konzept zum Zweck einer aktiven Bekämpfung von Hass-motivierten Gewaltverbrechen entwickelt. Verschiedene Mitgliedstaaten haben das Programm bereits in die jeweiligen nationalen Ausbildungspläne für die Polizeiaus- und Fortbildung eingearbeitet.