Die Auslegung der Religionsfreiheit in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 2 - 211/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Die Auslegung der Religionsfreiheit in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte Kurzinformation WD 2 - 211/06 Abschluss der Arbeit: 10.11.2006 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 4 2. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 4 3. Die Auslegung völkerrechtlicher Menschenrechtsabkommen 5 4. Die Gewährleistung der Religionsfreiheit in der AEMR und im IPbpR 6 5. Die Möglichkeit des Religionswechsels gemäß Art. 18 IPbpR 7 6. Literaturangaben 8 - 4 - 1. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 Am 10. Dezember 1948 nahm die Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) im Pariser Palais de Chaillot die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (A- EMR)1 an. Diese hat, wie alle Beschlüsse der Generalversammlung, lediglich empfehlenden Charakter und entfaltet daher keine völkerrechtlich verbindliche Rechtswirkung (vgl. Art 13 VN-Charta).2 Dennoch hat die AEMR große politische Bedeutung erlangt und stellte einen wichtigen inhaltlichen Bezugspunkt für die Ausarbeitung der verbindlichen VN-Menschenrechtskonventionen seit den fünfziger Jahren dar. Die AEMR wird anerkanntermaßen bei der Auslegung anderer Menschenrechtsverträge herangezogen. Darüber hinaus wurde in zahlreichen Erklärungen und Entscheidungen auf sie Bezug genommen.3 2. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 Die Generalversammlung der VN nahm am 19. Dezember 1966 den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte4 (IPbpR) an. Der Pakt trat 1976 nach den erforderlichen Ratifikationen als völkerrechtlicher Vertrag in Kraft.5 Damit wurden wesentliche Ziele der AEMR in geltendes Recht umgesetzt. Der Durchsetzung der im Pakt genannten Rechte dient zum einem ein periodisches und obligatorisches Berichtssystem .6 Zum anderen sieht Art. 41 IPbpR das (fakultative) Verfahren der Staatenbeschwerde vor. Schließlich enthält der IPbpR in einem Fakultativprotokoll (1. FP)7 die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Menschenrechtsausschuss der Vereinten 1 VN-Generalversammlung, Res. 217 A (III) v. 10. Dezember 1948. 2 Auswärtiges Amt. Im Internet unter: http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/vn/vereinte_nationen/organe/gv_html; König, S. 60. Dessen ungeachtet wird häufig versucht, der AEMR Rechtsverbindlichkeit beizumessen. Vgl. dazu: Haratsch, S. 23 (29 f.). 3 , S. 1. 4 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte v. 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II, S. 1534). 5 Hailbronner, in: Graf Vitzthum, S. 215 Rn. 224. 6 Hailbronner, in: Graf Vitzthum, S. 215 Rn. 227. 7 Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1992 II, S. 1246). - 5 - Nationen, sofern der Heimatstaat dieses Protokoll ratifiziert und sich damit diesem Verfahren unterworfen hat (vgl. Art. 1 des 1. ZP).8 3. Die Auslegung völkerrechtlicher Menschenrechtsabkommen Die Auslegung von Menschenrechtsverträgen erfolgt grundsätzlich nach den allgemeinen Prinzipien des Völkervertragsrechts, insbesondere nach den Regeln der Wiener Vertragsrechtskonvention9 (WVK) (vgl. Art. 31 ff. WVK).10 Völkerrechtliche Verträge sind dabei vor allem im Lichte ihrer Ziele und Zwecke (object and purpose) auszulegen (vgl. Art. 31 Abs. 1 WVK).11 Sollte die Bedeutung eines Begriffs nach grammatikalischer , systematischer und telelogischer Auslegung i.S.d. Art. 31 WVK noch „mehrdeutig oder dunkel“ sein bzw. „zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis“ führen, können gemäß Art. 32 WVK ergänzende Auslegungsmittel, insbesondere die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsschlusses, herangezogen werden. Darüber hinaus finden für die Auslegung menschenrechtlicher Erklärungen oder Konventionen folgende Regeln allgemeine Anerkennung: grundsätzlich sind Rechte im Zweifel extensiv, Beschränkungen dagegen restriktiv zu interpretieren. Rechte sind nicht statisch, sondern im Lichte relevanter gesellschaftlicher Entwicklungen in den Vertragsstaaten auszulegen. Schließlich sind völkerrechtliche Rechtsbegriffe unabhängig von ihrer konkreten Bedeutung in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen zu interpretieren.12 Trotz der häufig betonten Sonderstellung der Menschenrechtsverträge , welche sie aus ihrer Schutzfunktion für jeden Einzelnen beziehen, müssen die Verträge zudem im Einklang mit dem sonstigen Völkerrecht ausgelegt werden.13 Auch den völkerrechtlich unverbindlichen Entscheidungen bzw. „Allgemeinen Bemerkungen“ („views“ bzw. „general comments“) des VN-Menschenrechtsausschusses kommt bei der Auslegung einzelner Vorschriften ein hoher Stellenwert zu. Insbesondere die „Allgemeinen Bemerkungen“ enthalten häufig Kommentare zum Verständnis einer be- 8 Hailbronner, in: Graf Vitzthum, S. 161 Rn. 21. 9 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v. 25. März 1969 (BGBl. 1985 II, S. 926). 10 Heintschel von Heingegg, S. 507 Rn. 1067 11 Hailbronner, in: Graf Vitzthum, S. 263 Rn. 39. 12 Frowein/Peukert, S. 4 ff. 13 Heintschel von Heingegg, S. 507 Rn. 1067. - 6 - stimmten Vertragsnorm des IPbpR und haben zudem den Anspruch, eine einheitliche Anwendung des Paktes sicherzustellen.14 4. Die Gewährleistung der Religionsfreiheit in der AEMR und im IPbpR Die Religionsfreiheit wird als grundlegendes Menschenrecht im Völkerrecht unter anderem in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1945 (A- EMR) sowie im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (IPbpR) gewährleistet. So lautet Art. 18 der AEMR: „Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit ; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“ Im IBbpR wird die Religionsfreiheit ebenfalls im Art. 18 geregelt: „(1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. (2) Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde. (3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind. (4) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen.“ Die Regelungen des Art. 18 in der AEMR und im IPbpR stehen in einem engen Entstehungszusammenhang und stimmen sowohl inhaltlich als auch teilweise im Wortlaut 14 Klein, S. 126 (128); Ipsen, S. 792 Rn. 47. - 7 - überein. Im Vergleich zur AEMR enthält der Pakt zusätzliche Konkretisierungen, aber auch Bestimmungen über mögliche Beschränkungen der Religionsfreiheit.15 5. Die Möglichkeit des Religionswechsels gemäß Art. 18 IPbpR Art. 18 Abs. 1 IPbpR gewährleistet die Freiheit, eine Religion oder Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen. Zusätzlich zu den religiösen Glaubensbekenntnissen werden auch atheistische, agnostische, neutrale und andere Überzeugungen geschützt. Neben dem Recht des Einzelnen, zwischen bestehenden Religionen und Weltanschauungen auszuwählen, umfasst Art. 18 Abs. 1 IPbpR auch die negative Religionsfreiheit , nämlich das Recht, religiöse oder weltanschauliche Bekenntnisse abzulehnen .16 In der völkerrechtlichen Kommentierung zu Art. 18 IPbpR wird ausgeführt, dass Art. 18 Abs. 1 IPbpR auch die Freiheit beinhaltet, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, ohne dass der Wortlaut der Norm dies ausdrücklich vorsieht.17 Auch der Menschenrechtsausschuss hat sich in seiner „Allgemeinen Bemerkung Nr. 22“ vom 30. Juli 1993 mit der Auslegung des Art. 18 IPbpR befasst. Danach garantiert Art. 18 IPbpR die Freiheit, den Glauben oder die persönliche Weltanschauung und die Zugehörigkeit zu einer Religion allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekunden. Er schützt theistische, nicht theistische sowie atheistsiche Anschauungen, aber auch das Recht, sich zu keiner Religion oder Weltanschauung zu bekennen. Nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses beinhaltet die Freiheit, eine Religion oder Weltanschauung „zu haben oder anzunehmen“ notwendigerweise auch die Freiheit, seine gegenwärtige Religion oder Weltanschauung durch eine andere zu ersetzen oder einen atheistischen Standpunkt einzunehmen, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu behalten.18 15 , S. 4 und 6. 16 Nowak, Art. 18 Rn. 14 f. 17 Nowak, Art. 18 Rn. 12 ff. Ob das Recht, die Religion zu wechseln, ausdrücklich im Wortlaut des Art. 18 IPbpR zu finden sein sollte, war bei der Ausarbeitung des Entwurfes der Bestimmung sehr umstritten . Vor allem die islamischen Staaten gaben zu Bedenken, dass auf diese Weise missionarischen oder atheistischen Aktivitäten Vorschub geleistet werden könnte. Schließlich wurde mit der jetzigen Formulierung „(…) die Freiheit, eine Religion oder Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen “ ein Kompromiss gefunden. 18 General Comment No. 22: The right to freedom of thought, conscience and religion (Art. 18): .30/07/83. CCPR/C/21/Rev.1/Add4, General Coment No. 22, Nr. 1, 2 und 5. - 8 - 6. Literaturangaben - Frowein, Jochen A. / Peukert, Wolfgang (1996): EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Kehl am Rhein. - Graf Vitzthum, Wolfgang (2004): Völkerrecht, 3. Aufl., Heidelberg. - Haratsch, Andreas (1997): Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – ein Ideal für alle Völker und Nationen, in: MRM, Themenheft: „50 Jahre AEMR“, Dezember 1997, S. 23-33. - Heintschel von Heingegg, Wolff (2005): Case Book Völkerrecht, München. - Ipsen, Knut (2004): Völkerrecht, 5. Aufl., München. - Klein, Eckart (2003): Einige Betrachtungen zu General Comment No. 29 (2001) des Menschenrechtsausschusses, in: MRM, Heft 2/2003, S. 126-131. - Koenig, Matthias(2005): Menschenrechte, Frankfurt/New York. - (2006): Zur Auslegung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Kurzinformation WF II – 65/06 v. 5. April 2006, Berlin. - (2006): Die Gewährleistung der Religionsfreiheit im Völkerrecht, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung WD 1 - 076/06 v. 28. April 2006, Berlin. - Nowak, Manfred (2005): UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, CCPR-Kommentar, 2. Aufl., Kehl am Rhein.