© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 205/14 Zur Parlamentsbeteiligung bei der Mandatierung des Einsatzes von Streitkräften Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 205/14 Seite 2 Zur Parlamentsbeteiligung bei der Mandatierung des Einsatzes von Streitkräften Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 205/14 Abschluss der Arbeit: 31. Oktober 2014 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 205/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Mandatierungspflicht nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz 4 2. Parlamentsfreundliche Auslegung des Parlamentsvorbehalts 4 3. Völker- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Auslandseinsätzen 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 205/14 Seite 4 1. Mandatierungspflicht nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz Im Bereich des auswärtigen Handelns wirken Regierung und Legislative zusammen.1 Dieses Zusammenwirken prägt auch das Verfahren zur Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr . Geregelt ist dieses Verfahren – in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts 2 – im Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG).3 Das ParlBG regelt Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland (vgl. § 1 ParlBG). Der Anwendungsbereich des ParlBG wird im Wesentlichen durch das Kriterium des bewaffneten Einsatzes bestimmt. Nach der Legaldefinition des ParlBG liegt ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland vor, wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist (§ 2 Abs. 1 ParlBG). Nicht zustimmungspflichtig sind vorbereitende Maßnahmen und Planungen, da sie nicht als Einsatz im Sinne des ParlBG gelten (§ 2 Abs 2 S. 1 und 2 ParlBG). Humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen, bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden und nicht zu erwarten ist, dass die Soldatinnen oder Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden, sind ebenso wenig zustimmungspflichtig (§ 2 Abs. 2 S. 3 ParlBG). Damit ist festzuhalten, dass nicht-bewaffnete Einsätze nach dem ParlBG grundsätzlich nicht dem Parlamentsvorbehalt unterfallen, eine ausdrückliche Zustimmung des Bundestages mithin rechtlich nicht zwingend geboten ist. 2. Parlamentsfreundliche Auslegung des Parlamentsvorbehalts Bei der Auslegung des ParlBG ist in Erinnerung zu behalten, dass dieses Gesetz 2004 geschaffen wurde, um die rechtlichen Grundlagen der bestehenden Parlamentspraxis, nämlich die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der „AWACS-Entscheidung“ aus dem Jahre 19944 erarbeiteten verfassungsrechtlichen Leitgedanken, in ein förmliches Gesetz zu überführen.5 Die unmittelbar aus dem Grundgesetz abgeleiteten Leitgedanken bleiben dabei nach wie vor anwendbar. Hierzu zählen auch die Ausführungen des BVerfG, dass [d]iese Verantwortungsverteilung zwischen Parlament und Regierung Auswirkungen auf die Frage [hat], wie Grenzfälle eines möglichen Einsatzes 1 Siehe BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 22. November 2001, 2 BvE 6/99, Abs. 153, http://www.bverfg.de/entscheidungen/es20011122_2bve000699.html (letzter Zugriff 30.10.2014). 2 Nach BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 12. Juli 1994, 2 BvE 3/92, 5/93, 7/93, 8/93, http://www.servat .unibe.ch/dfr/bv090286.html (letzter Zugriff 30.11.2014) verpflichtet das Grundgesetz die Bundesregierung, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die - grundsätzlich vorherige - konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen („AWACS-Entscheidung“). 3 Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz) vom 18. März 2005, BGBl. I S. 775, http://www.gesetze-im-internet .de/parlbg/BJNR077500005.html (letzter Zugriff 30.10.2014). 4 Siehe Anm. 2. 5 Siehe Deutscher Bundestag, http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/a12/auslandseinsaetze/auslandseinsaetze /200026 (letzter Zugriff 30.10.2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 205/14 Seite 5 bewaffneter Streitkräfte zu beurteilen sind. Sie kann nicht im Lichte exekutiver Gestaltungsfreiräume […] beantwortet werden. Angesichts der Funktion und Bedeutung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts darf seine Reichweite nicht restriktiv bestimmt werden. Vielmehr ist der Parlamentsvorbehalt entgegen der im vorliegenden Verfahren vertretenen Auffassung der Antragsgegnerin[der Bundesregierung] vom Bundesverfassungsgericht im Zweifel parlamentsfreundlich auszulegen.6 Im Lichte dieser Rechtsprechung ist vertretbar, die Beteiligungsmöglichkeiten des Bundestages über die verfassungsrechtlich gebotenen und gesetzlich normierten Beteiligungspflichten hinaus reichen zu lassen. So sind jenseits formalrechtlicher Bindungen bei der Mandatierung im engeren Sinne Beteiligungsmöglichkeiten vorstellbar, wie sie der Bundestag zum Beispiel im Fall der Waffenlieferungen in den Nordirak im September 2014 anwandte, als er über die Entscheidung der Bundesregierung debattierte und einen Beschluss fasste, in dem er das Handeln der Bundesregierung begrüßte.7 Mit entsprechenden Beschlüssen im Hinblick auf nicht-bewaffnete Auslandseinsätze würde sich der Bundestag hinter die Entscheidung der Bundesregierung stellen und insofern politische Verantwortung übernehmen. Die Legitimationswirkung eines Parlamentsbeschlusses darf dabei nicht unterschätzt werden, zumal im Hinblick auf die Erwartungen von Soldatinnen und Soldaten8, die dem Selbstverständnis der Bundeswehr als Parlamentsarmee9 Rechnung tragen. Weitere verfahrensmäßigen und verfassungsrechtlichen Möglichkeiten einer Parlamentsbeteiligung „unter Nutzung des gesamten Spektrums möglicher Instrumente“ werden zurzeit von der vom Bundestag eingesetzten Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsbeteiligung bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr untersucht .10 3. Völker- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Auslandseinsätzen Die aktuelle öffentliche Diskussion zur Reichweite des Parlamentsvorbehaltes verbindet zwei Fragen:11 (1.) Ist der Einsatz mandatierungspflichtig? (2.) Ist der Einsatz mandatierungsfähig? Die 6 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. Mai 2008, 2 BvE 1/03, http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv121135.html (letzter Zugriff 30.10.2014), Rz. 72. 7 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin, Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS, BT- Drs. 18/2459 vom 1. September 2014, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/024/1802459.pdf (letzter Zugriff 30.10.2014). 8 Vgl. Stefan Braun/Christoph Hickmann, Mandat ja, Mandat nein, in: Süddeutsche Zeitung, 24.10.2014, S. 5. 9 Vgl. Deutscher Bundestag, http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/a12/aufgaben_und_arbeitsweise /260642 (letzter Zugriff 30.10.2014). 10 Einsetzungsbeschluss auf der Grundlage des Antrages der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“, BT-Drs. 18/766 vom 11. März 2014, http://dip21.bundestag .de/dip21/btd/18/007/1800766.pdf (letzter Zugriff 30.10.2014). 11 Vgl. Stefan Braun/Christoph Hickmann (Anm.8). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 205/14 Seite 6 beiden Gesichtspunkte, ob die Bundesregierung das Parlament beteiligen muss (1.) und ob ein Einsatz aus (völker- und) verfassungsrechtlicher Sicht zulässig ist (2.), sind jedoch getrennt zu betrachten. Denn bei dem Parlamentsvorbehalt geht es allein um die verfahrensrechtliche Pflicht der Regierung, ein Mandat des Bundestages einzuholen (1.). Diese Pflicht ist unabhängig von der materiell-rechtlichen Problematik (2.). Der rechtliche Rahmen, der darüber entscheidet, ob eine Mandatierung im Einzelfall völker- und verfassungsrechtsgemäß ist, wird im Wesentlichen von Art. 2 Abs. 4 sowie Kapitel VII und VIII der Charta der Vereinten Nationen12 sowie von den Artikeln 24, 25, 26, 115a ff. des Grundgesetzes 13 bestimmt. Die materiell-verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Mandatierung eines Einsatzes wird in der öffentlichen Diskussion14 zum Teil mit dem Argument infrage gestellt, der Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland sei – abgesehen vom Fall der Selbstverteidigung im Sinne von Art. 87a Abs. 2 Grundgesetz15 – nur im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 Grundgesetz zulässig. Weder im Wortlaut des Grundgesetzes, noch in dem der „AWACS- Entscheidung“ des BVerfG16 findet dieses Argument eine eindeutige, zwingende Grundlage. Zwar verweist das BVerfG in seinen Gründen auf die Erörterung von Systemen kollektiver Sicherheit in den Materialien des Verfassungskonvents und des Parlamentarischen Rates,17 doch ist bei der Auslegung der genannten Entscheidung von 1994 zu bedenken, dass diese gerade wegen des ihr zugrunde liegenden Anlasses Rechtsfragen der Beteiligung an Systemen kollektiver Sicherheit (NATO, WEU) in den Mittelpunkt der rechtlichen Ausführungen stellt. Dass das BVerfG in der Entscheidung für alle Zukunft Einsätze außerhalb von Systemen kollektiver Sicherheit hätte ausschließen wollte, ist nicht ersichtlich. Auch in der Zusammenschau der völkerrechtlichen Grundlagen ist nicht von vornherein auszuschließen , dass die Mandatierung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte im Ausland auch dann völkerrechtskonform sein kann, wenn dieser nicht im Rahmen eines Systems kollektiver Sicher- 12 Charta der Vereinten Nationen, http://www.un.org/Depts/german/un_charta/charta.pdf (letzter Zugriff 30.10.2014). 13 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist, http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gg/gesamt.pdf (letzter Zugriff 30.10.2014). 14 Vgl. Stefan Braun/Christoph Hickmann (Anm.8). 15 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist, http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gg/gesamt.pdf (letzter Zugriff 30.10.2014). 16 Siehe Anm. 2. 17 Siehe Anm. 2, Rz. 3 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 205/14 Seite 7 heit erfolgt. Zu denken ist hier zum Beispiel an Fälle der sogenannten Intervention auf Einladung ,18 deren völkerrechtlich legitimierende Wirkung in Randbereichen ihrer Anwendbarkeit allerdings nicht unumstritten ist.19 Unstreitig ist jedoch die völkerrechtliche Zulässigkeit von Einsätzen auf Einladung zum Zwecke humanitärer Hilfsdienste und Hilfsleistungen, bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden. Somit ist im Ergebnis festzuhalten, dass es für die Frage, ob die Bundesregierung das Mandat des Bundestages einholen muss, nicht darauf ankommt, ob ein geplanter Einsatz in einem System kollektiver Sicherheit erfolgen soll. Entscheidend ist vielmehr allein, ob es sich um einen bewaffneten Einsatz im Sinne des ParlBG handelt. 18 Vgl. Internationaler Gerichtshof, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, (Nicaragua v. United States of America, Merits, Judgment of 27 June 1986, ICJ Reports 1986 p. 14, http://www.icj-cij.org/docket/files/70/6503.pdf (letzter Zugriff 30.10.2014), Abs. 246. 19 Vgl. hierzu im einzelnen Georg Nolte, Intervention by Invitation, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Enzyclopedia of Public International Law, http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law- 9780199231690-e1702#law-9780199231690-e1702-div1-5 (letzter Zugriff 30.10.2014).