Wissenschaftliche Dienste Sachstand Deutscher Bundestag 2 3000 - 198/14 Zur Streitschlichtung im Rahmen des geplanten CETA-Übereinkommens 0 2015 Deutscher Bundestag Wissenschaftliche Dienste Sachstan d WD 2-3000 - 198/14 Seite 2 Zur Streitschlichtung im Rahmen des geplanten CETA-Übereinkommens Verfasser. Aktenzeichen: Abschluss der Arbeit: Fachbereich: Tel efon: WD 2 - 3000 - 198/14 27. November 2014 WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung w, Platz der Republik I, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Inhaltsverzeichnis Einfiihrung Sachstand WD2 3000 • lg8/14 Seite 3 4 4 5 6 6 8 2. 3.1. 3.2. 3.3. 4. CETA-Streitschlichtungsverfahren zwischen Vertragsparteien CELA-Streitschlichtungsverfahren zwischen Vertragsparteien und Investoren Parteifähigkeit von Investoren Verfahrensvoraussetzungen Materiell-rechtliche Aspekte Zus ammenfass ung Wissenschaftliche Dienste Einführung 1. Sachstand WD2 - - 198/14 Seite 4 Der nachfolgende Sachstand erörtert die Fragestellung des Auftraggebers, ob kanadischen Finanzakteuren , die sich auf dem deutschen Wohnungsmarkt an Wohnimmobilien beteiligen, auf der Grundlage des geplanten Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU), ihren Mitgliedsstaaten und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETAI) Verfahrensmöglichkeiten gegen staatliche Regelungen zustehen, wenn diese Regelungen die Gewinnmöglichkeiten der Finanzakteure potentiell beeinträchtigen, wie dies bei Mietpreisbremsen, der Festlegung von Milieuschutzgebieten und Kappungsgrenzen der Fall sein kann. CETA-Streitschlichtungsverfahren zwischen Vertragsparteien 2. Das geplante CETA sieht in seinem Kapitel 332 ein Streitschlichtungsverfahren (Dispute Settlement ) vor. Ein kanadischer Investori könnte in den EU-Mitgliedstaaten dieses geplante CETA-Verfahren zur Streitschlichtung zwischen den prospektiven Vertragsparteien mittelbar nutzen, sofern sich Kanada als zukünftige Vertragspartei sein Anliegen zu eigen macht und in einem zwischenstaatli- Chen Streitschlichtungsverfahren vertritt. Das Streitschlichtungsverfahren bezieht sich im aktuellen Entwurf ausschließlich auf die Ausl& gung und Anwendung des CF, TA (Art. 14.2.), Eine Befassung des CETA-Verfahrensmechanismus durch eine der Parteien des CETA wäre danach nur zulässig, wenn nicht bereits ein Streitschlichtungsverfahren vor einem einschlägigell WTO-Mechanismus anhängig gemacht wurde (Art. 14.3. Abs. 2). Ein Streitschlichtungsverfahren soll in der Regel erst nach Durchführung von Konsultationen zulässig sein (Art. 14.6). Die prospektiven Vertragsparteien sollen sich verpflichten, Schiedssprüche des CETA-Verfahrensmechanismus zeitgerecht umzusetzen (Art. 14, 11 ff.). Das Streitschlichtungsverfahren soll nur den zukünftigen Vertragsparteien und den von ihnen geschaffenen völkerrechtlichen Personen offenstehen; die Vereinbarungen zur Streitschlichtung sollen in den nationalen Rechtsschutzsystemen der Vertragsparteien nicht unmittelbar anwendbar sein; keine zukünftige Vertragspartei darf in ihrer nationalen Rechtsordnung ein Klagerecht für den Fall vorsehen, dass Maßnahmen einer anderen Vertragspartei unvereinbar mit diesem Abkommen sind (Art. 14.16). Consolidated CETA Text (The text Of the CETA agreement is made public here exclusively for information purposes . The text presented in this document is the text at the end of the negotiations conducted by the European Commission, It will be subject to legal revision in order to verify the internal consistency and to ensure that the formulations ofthe negotiating results are legally sound. It will thereafter be transmitted to the Council of the European Enion and to the European Parliarnent for ratification, The text presented in this document is not binding under international law and will only become so after the completian Of the ratification process.l. (letzter Zugriff 26.11.2014), ht :/itr ec r a eil" Alle Angaben zu Kapiteln. Abschnitten und Artikeln im nachfolgenden Text beziehen sich auf die genannte Fassung des Entwurfs (Fn. Zum Begriff siehe im Einzelnen unten, 3.1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2- 3000 - 198/14 Seite 5 3. 3.1. CELA-Streitschlichtungsverfahren zwischen Vertragsparteien und Investoren Parteifähigkeit von Investoren Das mit dem vorliegenden Entwurf in Aussicht gestellte CETA-Streitschlichtungsverfahren zwischen Vertragsparteien und Investoren steht (natürlichen oder juristischen) Personen offen, die Investoren im Sinne des geplanten CETA sind. Ein kanadischer Finanzaktcur, der sich auf dem deutschen Wohnungsmarkt an Wohnimmobilien beteiligt, dürfte in der Regel dem Investoren-Begriff gemäß dessen Legaldefinition im CETA unterfallen . Denn ein Investor im Sinne des CF,TA ist eine Vertragspartei, eine natürliche Person oder ein Unternehmen einer Vertragspartei (mit Ausnahme von vertragsstaatlichen Zweigstellen oder Repräsentanzen ), die auf dem Territorium einer anderen Vertragspartei eine Investition getätigt haben, tätigen oder dies planen; dabei soll als Unternehmen einer Vertragspartei jedes Unternehmen verstanden werden, wenn es nach dem Recht einer Vertragspartei verfasst und eingerichtet ist und (a) in erheblichem Umfang geschäftliche Aktivitäten im Territorium dieser Vertragspartei entwi- Ekelt oder (b) unmittelbar oder mittelbar im Eigentum einer natiirlichen Person steht, die Staatsangehörige dieser Vertragspartei ist, oder im Eigentum eines Unternehmens im Sinne von (a) steht.' Der Begriff des Investors erfordert somit eine Klärung des Begriffs der Investition. Im Sinne des geplanten CETA ist eine Investition jeder Vermögensgcgenstand im unmittelbaren oder mittelbaren Eigentum oder unter unmittelbarer oder mittelbarer Kontrolle eines Investors, sofern dem Vermögensgegenstand die Eigenschaften einer Investition anhaften, wozu u.a. zählen: eine gewisse Dauer oder andere Charakteristika, wie zum Beispiel der Einsatz von Kapital oder anderen Ressourcen, die Erwartung von Gewinn oder die Übernahme von Risiken. Zu den Formen, die eine Investition im Sinne des geplanten CETA annehmen kann, zählen u.a. selbständige Unternehmen , Unternehmensanteile, Unternehmensschuldverschreibungen und andere Formen der Vermögenspartizipation an Unternehmen, Rentenpapiere, Anleihen und andere Instrumente der Unternehmensschulden, Unternehmensdarlehen, jede andere Art der Unternehmensbeteiligung, Beteiligungen durch gesetzliche oder vertragliche Übertragung von Lizenzen, einschließlich der Übertragung von Rechten zur Suche nach oder Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, Verträge zur schlüsselfertigen Übergabe, Erstellung von Bauwerken, Herstellung oder Gewinnabfiihrung, geistige Eigentumsrechte, Eigentum an beweglichen Sachen und nicht-körperlichen Gegenständen und damit verbundenen Rechte, sowie bestimmte monetäre und nicht-monetäre Forderungen , wobei Geldzahlungsforderungen aus Verkaufs- und Dienstleistungsverträgen sowie damit verbundene oder mittelbar hieraus resultierende Forderungen nicht umfasst sind. Reinvestierte Gewinne zählen als Investitionen. Änderungen in der Rechtsform eines investierten Vermögensgegenstandes beeinflussen nicht die Eigenschaft als Investition.5 Siehe Kapitel 10 Abschnitt I Art. X.3. Siehe Kapitel 10 Abschnitt I Art. X.3. Die Zirkularität der Definition ist im englischen Wortlaut des CETA•Ent• Wurfes angelegt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand Wl)2. 3000 - 198/14 Seite 6 Ohne die konkrete rechtliche Gestaltung der Unternehmensform des kanadischen Finanzakteures , auf den sich die Fragestellung des Auftraggebers bezieht, und die rechtliche Gestaltung seiner Beteiligungen auf dem deutschen IVohnimmobilienmarkt im Einzelnen prüfen zu können, diirfte angesichts des extrem weiten Verständnisses von Investitionen und Investoren in dem geplanten CETA davon auszugehen sein, dass der Finanzakteucr im prospektiven CETA-Streitschlichtungsverfahren zwischen Vertragsparteien und Investoren parteifähig wäre. 3.2. Verfahrensvoraussetzungen Zu den umfangreichen Verfahrensvoraussetzungen im geplanten CETIN-Streitschlichtungsverfahren zwischen Vertragsparteien und Investoren zählt der Vorrang informeller Konfliktlösung: Streitigkeiten zwischen Vertragsparteien und Investoren im Anwendungsbereich des CETA sollen so weit wie möglich durch Konsultationen geschlichtet werden,C Ein kanadischer Finanzakteur könnte also in der Regel erst ein Verfahren einleiten, wenn Konsultationen nicht zum Erfolg geführt haben. Richtet sich ein CETA-Streitschlichtungsverfahren zwischen Vertragsparteien und Investoren gegen Maßnahmen in einem EU-Mitgliedstaat, so soll voraussichtlich die EC entscheiden dürfen, ob sie selbst oder der betroffene EU-Mitgliedstaat zur Verfahrenspartei wird.' Ein kanadischer Finanzakteur könnte also die Auswahl seines Verfahrensgegners nicht alleine bestimmen. Zur Einleitung eines CETA-Streitschlichtungsverfahrens zwischen Vertragsparteien und Investoren soll der Investor verpflichtet werden, hinsichtlich des Streitgegenstandes auf sein Recht zur Klage auf Schadensersatz vor einem nationalen oder internationalen Gericht zu verzichten.8 Ein kanadischer Finanzakteur müsste sich nach dem geplanten CETA mithin fiir eine der zur Verfiigung stehenden Verfahrensarten (ordentliche Gerichtsbarkeit oder CETA-Verfahren) entscheiden, eine Geltendmachung von Anspriichen hinsichtlich des gleichen Streitgegenstandes vor deutschen Zivilgerichten wäre ihm ggf. versagt. 3.3. Materiell-rechtliche Aspekte In materiell-rechtlicher Hinsicht können u.a. zum Gegenstand eines CETA-Streitschlichtungsverfahren zwischen Vertragsparteien und Investoren werden:g die Gleichbehandlung mit nationalen Siehe Kapitel 10 Abschnitt 6 Art. X.IB und X.22. Siehe Kapitel 10 Abschnitt 6 Art. X.20. Siehe Kapitel 10 Abschnitt 6 Art. X.21. Siehe Kapitel 10 Abschnitt E Art. X. 17. Wissenschaftliche Dienste Sachstan d WO 2 - 3000 • 198/14 Seite 7 Investoren10, das Meistbegünstigungsprinzipll und der Umfang einer Entschädigung im Falle einer direkten oder indirekten Enteignung.' Die Fragestellung des Auftraggebers zu Mietpreisbremsen, Milieuschutzgebieten und Kappungsgrenzen legt — unter der Annahme, dass sich die genannten staatlichen Maßnahmen nicht gezielt gegen kanadische Investoren richten sollen — nahe, vor allem die voraussichtlichen CETA-Regelungen zu direkten und indirekten Enteignungen in Betracht zu ziehen. Das geplante CETA führt hierzu im Einzelnen aus: Article X.II: Expropriation I. Neither Party may nationalize OT expropriate a covered investment either directly, or indirectly through measures having an effect equivalent to nationalization or expropriation (hereinafter referred to as "expropriation"), except: (a) for a public purpose; (bl undgr due prncess Of law: (c) in a non-discriminatory manner; and (d) against Payment of prompt. adequate and effective compensation. For greater certainty, this paragraph shall be interpreted in accordance With Annex X.II on the Clarification Of expropriation. 2. Such compensation shall amount to the fair market valug of the investment at the time immediately before the expropriation or the impending expropriation became known, whichever is parlier. l. 3. The compensation Shall also include interest at a normal commercial rate from the date of expropriation until the date of Payment I.. I Annex X.II: Expropriation The Parties confirm their shared undarstanding that: I. Expropriation may be either direct or indirect: direct expropriation occurs when an investment is nationalised Or Otherwise directly expropriated through formal transfer Of title or outright seizure; and indirect expropriation occurS where a measure or series Of measures of a Party has an effect equivalent to direct expropriation. in that it substantially deprives the investor ofthe fundamental attributes Of property in its investment, including the right to usa, enjoy and dispose of its investmgnt, without formal transfer of title or Outright seizure. 2. The determination Of whether a measure or series Of measures Of a Party, in a specific fact Situation, Constitutes an indirect expropriation requires a case-by-case, fact-based inquiry that considers, antong Other factors: the gconomic impact Of the measure or series Of measures, although the sole fact that a measure Or series Of measures of a Party has an adverse effect on the Siehe Kapitel 10 Abschnitt 3 Art. X.6 und im Einzelfall (Schadensersatz für Verluste infolge bewaffneter Konflikte , Notstands oder natürlicher Katastrophen) Abschnitt 4 Art X.IO. Siehe Kapitel 10 Abschnitt 3 Art. X.7 und im Einzelfall (Schadensersatz für Verluste infolge bewaffneter Konflikte , Notstands oder natürlicher Katastrophen) Abschnitt 4 Art X. 10. Siehe Kapitel 10 Abschnitt 4 Art. XII. Wissenschaftliche Dienste Sachstand - 3000- Seite 8 economic Value ofan investment does not establish that an indirect expropriation has occurred; the duration of the measurg or series of meaSures by a Party; the extent to which the measure or series Of measures intgrferes With distinct, reasonable investment-backed expectations; and the character of the measure or series of measures, notably their Object, context and intent. 3. For greater certainty, except in the rare circumstance Where the impact Of the measure or series Of measures is so severe in Light of its purpose that it appears manifestly excessive. nondiscriminatory measures of a Party that are designed and applied to protect legitimate public welfare obiectives. such as health, safety and the environment, do not constitute indirect expropriations . Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass der Schutzbereich der geplanten CETA-Begtimmungen bei direkten sowie indirekten Enteignungen deutliche Grenzen aufweist: Nicht-diskriminierende Enteignungen, die im öffentlichen Interesse liegen, im Rahmen eines rechtsstaatli- Chen Verfahrens erfolgen und eine adäquate Entschädigung vorsehen, bleiben auch nach dem CETA zulässig. Indirekte Enteignungen sind nach dem geplanten CETA nur dann erfasst, wenn sie einer Enteignung wirtschaftlich äquivalent sind. Die bloße Tatsache, dass sich eine staatliche Maßnahme negativ auf den Marktwert einer Investition auswirkt, soll die Maßnahme für sich genommen nicht zu einer indirekten Enteignung im Sinne des CETA machen, Nicht-diskriminierende staatliche Maßnahmen, die legitime öffentliche Interessen, wie zum Beispiel öffentliche Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz verfolgen, stellen in der Regel keine indirekten Enteignungen im Sinne des geplanten CETA dar. Staatliche Regelungen im Hinblick auf Mietpreisbremsen, Milieuschutzgebiete und Kappungsgrenzen sollen nach dem gegenwärtig vorliegenden CETA-Entwurf nicht ausdriicklich vom Schutzbereich indirekter Enteignungen im Sinne des CETA ausgeschlossen werden. Andererseits ist die geplante Aufzählung legitimer öffentlicher Interessen (Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz ) nicht abschließend und ermöglicht grundsätzlich auch die Berücksichtigung sozialpolitischer Interessen. Die Begriindetheit von Schadensersatzanspriichen, die im Rahmen eines CETA- Streitschlichtungsverfahrens geltend gemacht werden, kann letztlich nur im Einzelfall beurteilt werden. 4. Zusammenfassung Das geplante CETA sieht Streitschlichtungsverfahren zwischen den Vertragsparteien sowie zwischell Vertragsparteien und Investoren vor. Der Investorenbegriff soll dabei ausgesprochen weit gefasst werden und allen relevanten Wirtschaftsakteuren, die im territorialen Anwendungsbereich des geplanten CETA transnational tätig sind, den Zugang zu CETA-Streitschlichtungsverfahren ermöglichen. Die voraussichtlichen Verfahrensvoraussetzungen der in Aussicht stehenden CETA-Streitschlichtungsverfahren bringen in starkem Umfang deeskalierende Elemente zum Tragen . Die Streitfragen, die zum Gegenstand eines CETA-Streitschlichtungsverfahren werden können , sollen materiell-rechtlich eng begrenzt werden. Nicht-diskriminierende staatliche Maßnahmen , die legitime öffentliche Interessen verfolgen, sollen voraussichtlich nicht im Schutzbereich der CETA-Bestimmungen liegen.