Das Konzept der menschlichen Sicherheit - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 2 - 191/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserin: Das Konzept der menschlichen Sicherheit Kurzinformation WD 2 - 191/06 Abschluss der Arbeit: 17. Oktober 2006 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Begriffserläuterung 4 2. Inhalt des Konzeptes 5 3. Aktionsplan Zivile Krisenprävention 7 3.1. Erster Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung – Sicherheit und Stabilität durch Krisenprävention gemeinsam stärken 7 4. Beispiele der Anwendung des Konzeptes für menschliche Sicherheit 8 4.1. GTZ: Sektorberatungsvorhaben Reform des Sicherheitssektors 8 4.2. Afghanistan 9 5. Offene Fragen 10 6. Anlagenverzeichnis 12 7. Literatur- und Anlagenverzeichnis 13 - 4 - 1. Begriffserläuterung Im wissenschaftlichen wie im politischen Diskurs ist seit Anfang der 90er Jahre eine Neudefinition des Begriffs ‚Sicherheit’ vorgeschlagen worden, die auch nichtmilitärische Aspekte (z.B. Migration, HIV/AIDS, Energieversorgung, etc.) von Sicherheit berücksichtigt. Der Begriff ‚Menschliche Sicherheit’ (eng. Human security) umfasst demnach nicht nur den Schutz vor physischer Gewalt, sondern auch weitere Bedrohungen der Lebensgrundlagen (livelihoods) wie z.B. Umweltzerstörung, Krankheit und wirtschaftliche Instabilität.1 Bei den VN ist der Begriff ‚human security’ erstmals 1994 im – jährlich erscheinenden – Entwicklungsbericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) als Leitbegriff präsentiert worden.2 Im Bereich der internationalen Nichtregierungsorganisationen zählte die „Society for International Development“ (SID) zu den ersten in einer breiteren Öffentlichkeit, die die Trennung von Entwicklung und Sicherheit beklagten und das „Global Human Security“-Konzept propagierten. Zusammen mit dem Deutschen Bundestag führte SID am 17./18.9.93 eine Europäische Parlamentarierkonferenz zu dem Thema durch. In der Schlusserklärung der Konferenz wird menschliche Sicherheit definiert als das Fehlen jeglicher Bedrohung von Leben, Lebensweise und Kultur der Menschen durch die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse. Sicherheit basiere auf der Verwirklichung der Menschenrechte und auf umweltverträglichem und sozial gerechtem Fortschritt. (www.sidint.org www.ehs.unu.edu). Seit den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 hat der Begriff eine weitere Bedeutung erhalten. Auch von der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit wird erwartet, dass sie Beiträge zur Terrorbekämpfung leistet und sich als Teil einer Präventivstrategie gegen Gewalt, Krieg und Terrorismus versteht. So soll sie als partnerschaftliches Kooperationsinstrument sowohl einen Beitrag zum Abbau struktureller Krisenursachen leisten als auch die friedlichen Konfliktbewältigungspotenziale stärken. 1 Die Universität der Vereinten Nationen hat in Bonn das „Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit (UNU-EHS)“ eingerichtet, um die Verletzlichkeit und die Belastungsfähigkeit von Gesellschaften , die von natürlichen und vom Menschen verursachten Gefährdungen in einer sich verändernden Umwelt betroffen sind, zu erfassen. 2 Der Nobelpreisträger für Ökonomie (1998) Amartya Sen, der mit der ehemaligen UN- Flüchtlingsbeauftragten, SadakoOgata, eine unabhängige Kommission der UN zu „Human Security“ geleitet hat, setzt in seinem Buch Ökonomie für den Menschen (2000), ökonomische Fragen in Bezug zu Begriffen von Ethik und Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit. Ökonomisches Wachstum impliziert für Sen stets einen Gewinn an Freiheit und Lebensqualität. Sen zufolge sind es demnach nicht die ökonomischen Sachzwänge, die eine gleichberechtigte Teilhabe und Zugangsberechtigungen zu wirtschaftlichem Reichtum begrenzen. Vielmehr bestimmen die der wirtschaftlichen Ordnung zugrundeliegenden Werte und Normen, die gesellschaftlich definiert und bestimmt werden, über die Verteilungsfrage in einer Gesellschaft. (Schlussbericht Enquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten. BT-Drs. 14/9200).. - 5 - Indem sie dazu beiträgt, den Menschen vor Ort eine positive Zukunftsperspektive zu geben, hilft sie, dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen. (Debiel 2005). 2. Inhalt des Konzeptes Auch das 1994 erstmals vom UNDP formulierte Konzept der menschlichen Sicherheit, das von anderen UN-Organisationen (UNICEF, FAO, WHO) übernommen wurde und das eine breite wissenschaftliche Debatte angeregt hat, bezieht sich (zunächst) auf sog. globale Risiken. „Hinsichtlich seines Anspruchsniveaus und seiner politischen Implikationen unterscheidet sich dieses Konzeptes jedoch von dem erweiterten Sicherheitsbegriff des politisch-militärischen Diskurses. Auf den ersten Blick scheinen aber beide Konzepte durch die Entdeckung ‚neuer Risiken’ motiviert, die nach herkömmlichen Auffassungen unter der Schwelle militärischer Relevanz bleiben. Dabei handelt es sich im Falle des human security-Konzepts vor allem um die ‚Konsequenzen der Armut’ - namentlich ‚Drogen, AIDS, Luftverschmutzung und Terrorismus’ - denn, so Mahbub ul-Haq, ehemaliger UNPD-Direktor, unter dessen Ägide die Prolongierung des human security- Konzeptes fiel, diese transkontinental sich verbreitenden Probleme ‚can strike with devasting speed in any corner of the world’ (ul-Haq 1999). Daher lässt sich der UNDP-Ansatz durchaus als Plädoyer für jene ‚präventive Sicherheitspolitik’ verstehen, die bereits 1992 vom früheren UN-Generalsekretär Boutros-Ghali in der ‚Agenda für den Frieden’ formuliert worden war; danach stellt sich der Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit als eine gegenüber militärischpolitischen Interventionen vergleichsweise ‚billige’ Variante der Entschärfung von Konfliktursachen dar (vgl. dazu auch Wiezorek- Zeul 2001 sowie „Entwicklungspolitisches Memorandum: Elendsbekämpfung erhöht die Sicherheit der Industrieländer“ 2002).“ (Mahnkopf 2003: 236). Den engen Zusammenhang zwischen Entwicklung und Sicherheit stellt auch der im Dezember 2004 veröffentlichte Bericht "Eine sicherere Welt – unsere gemeinsame Verantwortung " der "Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel" (englisch: "High-Level Panel on Threats, Challenges and Change") der Vereinten Nationen heraus. Der Bericht identifiziert Armut als größte Bedrohung der Sicherheit . Die Kernbotschaft des Berichts lautet "Keine Entwicklung ohne Sicherheit. Keine Sicherheit ohne Entwicklung."3 Das BMZ stellt sicherheitspolitische Aspekte in den Kontext der Armutsbekämpfung und der MDG; „In Deutschland ist das AP 20154 der zentrale Bezugsrahmen für die 3 Auch Kofi Annan legt in seinem Bericht „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle“ (März 2005) diese Sichtweise zugrunde. 4 Aktionsprogramm 2015. Armut bekämpfen. Gemeinsam handeln.Der Beitrag der Bundesregierung zur weltweiten Halbierung extremer Armut. Hg: BMZ. Bonn 2003. - 6 - Forderung nach mehr Kohärenz aller Politikfelder hinsichtlich des Ziels der Armutsbekämpfung . Als Kabinettsbeschluss bietet es eine verbindliche Grundlage, um die Gestaltungskraft aller Ressorts im internationalen Raum für die Umsetzung der Millenniums -Erklärung und die Erreichung der Millenniums- Entwicklungsziele zu nutzen. Im Koalitionsvertrag vom November wurde festgeschrieben, dass die Bundesregierung durch eine engere Verzahnung der Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs-, Menschenrechts -, Außenwirtschafts- und Auswärtigen Kulturpolitik zu einer kohärenteren Politik gegenüber den Entwicklungsländern kommen will. Obwohl die Entwicklungspolitik inzwischen auch als Sicherheitspolitik in unserem eigenen Interesse verstanden wird.“ (Medienhandbuch 2007: 177). Staatssekretär Stather (BMZ) hat sich – anlässlich des vierzigjährigen Jubiläums des DED – zum Aspekt der menschlichen Sicherheit wie folgt geäußert „Wie im Gesamtkonzept der Bundesregierung ‚Zivile Krisenprävention, Konfliktbeilegung, und Friedenskonsolidierung ’ aus dem Jahr 2000 zum Ausdruck kommt, legen wir unserer Politik einen erweiterten Sicherheitsbegriff zugrunde. Dies bedeutet, wir verstehen unter Sicherheit nicht nur militärische Sicherheit, sondern fassen darunter auch die politische, ökonomische, ökologische und soziale Stabilität. Frieden als Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung ist dabei viel mehr als die reine Abwesenheit von Krieg oder Gewalt . Ein menschenwürdiges Leben wird auch durch wirtschaftliche Not und Hunger, durch Intoleranz und durch die Angst um das tägliche Überleben gefährdet. Und es hat sich in den letzten Jahren schmerzhaft auch die Erkenntnis durchgesetzt: Anhaltende Not und Elend all zu vieler Menschen auf dieser Welt, Ausgrenzung und Marginalisierung , Perspektivlosigkeit und Verletzung der Menschenwürde sind nicht nur bestürzend und ungerecht, sondern auch Nährboden für Gewalt und Terror, die uns alle treffen können. Welche Weichenstellungen sind notwendig für die Schaffung einer friedlichen, kooperativen, gerechten, menschenwürdigen und damit sicheren Welt? Es geht hier aus Sicht der Entwicklungspolitik um einige Aspekte, die ich gern kurz erläutern möchte: Wir müssen den Multilateralismus stärken. Verstärkt durch die Irak-Krise sind in den vergangenen Monaten erhebliche geopolitische tektonische Verschiebungen zu beobachten . Es ist wichtig, dass diese Verschiebungen so bald wie möglich wieder in eine Weiterentwicklung des Multilateralismus im Rahmen der Vereinten Nationen und regionaler Organisationen eingebunden werden, um Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit auf Dauer zu sichern. Die Prozesse der multilateralen Zusammenarbeit und der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen müssen wieder verstärkt aufgegriffen und fortgesetzt werden. Denn so können auch die Interessen der Schwächeren geschützt werden. Wir werden nur dann langfristig und nachhaltig in Frieden leben können, wenn sich in allen Ländern Prinzipien, wie Menschenrechte, Demokratie, Kooperation und Gewaltfreiheit durchsetzen. Hierzu brauchen wir Dialog, die Förderung der Völkerverständigung und der internationalen Zusammenarbeit. Alle internationalen Organisatio- - 7 - nen und Zusammenschlüsse, vor allem in den VN, sind zu nutzen, um Deeskalation, Sicherheit und Stabilität zu erzielen. Wir brauchen ein Bündnis für globale Gerechtigkeit . Armut und Hunger, das Gefühl, ohnmächtig und ausgeschlossen und benachteiligt zu sein, begünstigen Gewalt. Daher ist es Ziel der Entwicklungspolitik, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern und mehr Gerechtigkeit zu schaffen, um der Gewaltbereitschaft den Boden zu entziehen. Doch wie sehen die realen Kräfteverhältnisse in der Welt aus? Die G7-Staaten verfügen über 70% des weltweiten Bruttosozialproduktes , sie stellen aber nur gut 10% der Weltbevölkerung. Rund 1,3 Mrd. Menschen leben in extremer Armut. Wir müssen daher unsere Bemühungen darauf richten, die sog. Millenniumsziele umzusetzen, insbesondere die Halbierung der extremen Armut bis zum Jahr 2015. Die Bundesregierung hat ihren Beitrag, den sie für die Erreichung dieses Ziels leisten will, im Aktionsprogramm 2015 festgeschrieben.“ (Stather 2003). 3. Aktionsplan Zivile Krisenprävention Auch wenn Armut nicht notwendigerweise zu Gewalt führt und Sicherheit allein keine Entwicklung garantiert, sind Frieden und Stabilität wichtige Voraussetzungen für Entwicklung und Wohlstand. So erscheint es aus der Sicht des BMZ notwendig, nationale Entwicklungsfragen mit denen der internationalen Sicherheitsarchitektur und der Stärkung von Mechanismen zur Friedenssicherung zu verbinden. Vor dem Hintergrund dieses Sicherheitsverständnisses hat die Bundesregierung 2004 einen „Nationalen Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung “5 verabschiedet. Dieser hat zum Ziel, Krisenprävention und Friedenskonsolidierung als wichtiges Querschnittsthema in allen relevanten Politikfeldern zu verankern und den Beitrag Deutschlands zur zivilen Krisenprävention zu stärken. 3.1. Erster Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung – Sicherheit und Stabilität durch Krisenprävention gemeinsam stärken In dem als Bundestags-Drucksache (16/1809) erschienenen Bericht heißt es: „Der Aktionsplan lässt Raum zur Fortentwicklung der krisenpräventiven Politik der Bundesregierung . Diese kann und muss auf neue Tendenzen reagieren und Chancen neuer internationaler Entwicklungen berücksichtigen und aufgreifen. So werden die künftige deutsche Mitgliedschaft in der VN-Peacebuilding Commission (Kommission für Friedenskonsolidierung ) genutzt und deutsche Erfahrungen in die Diskussion um das Konzept der ‚Menschlichen Sicherheit’ (Human Security) eingebracht werden. Darüber hinaus gilt, dass ein gewisses Maß an ‚menschlicher Sicherheit’ gegeben sein muss, damit eine par- 5 Der Plan wurde unter maßgeblicher Mitwirkung des BMZ erstellt.. - 8 - tizipativ angelegte Armutsbekämpfungsstrategie entwickelt und umgesetzt werden kann. Die im Juni 2005 von der Weltbank vorgelegte Studie zu *PRSP in conflictaffected countries* zeigt anhand der Erfahrungen in neun Ländern, welches die Engpässe bei den PRSP-Prozessen waren und gibt Empfehlungen für die Ausrichtung und konfliktsensible Anwendung des Instruments durch die Gebergemeinschaft. Die Bundesregierung wird sich weiterhin im aktiven Dialog an der Umsetzung der Lessons Learned beteiligen. Ein Beispiel: Die Bundesregierung entsendet einen Konfliktberater nach Uganda, welches Konfliktbearbeitung im Rahmen seiner Armutsbekämpfungsstrategie als einen wichtigen Baustein anführt. Dieser soll die Verknüpfung von Armutsbekämpfung und Konfliktprävention herausarbeiten und die deutsche staatliche Entwicklungszusammenarbeit sowie die Partnerregierung selbst beraten.“ (ebd.: 25). 4. Beispiele der Anwendung des Konzeptes für menschliche Sicherheit .Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Unsicherheit, Krisen und Konflikte die Entwicklungsarbeit vor Ort behindern, indem sie menschliche und institutionelle Kapazitäten absorbieren, haben einzelne nationale Durchführungsorganisationen der EZ – u. a der Japans und Kanadas – Konzepte entwickelt, die Aspekte der menschlichen Sicherheit in der EZ berücksichtigen bzw. integrieren. 4.1. GTZ: Sektorberatungsvorhaben Reform des Sicherheitssektors Das Sektorberatungsvorhaben Reform des Sicherheitssektors (SV SSR) entwickelt Konzepte für das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit dem Ziel, einen Beitrag zur Erhöhung der menschlichen Sicherheit zu leisten. Das Sektorvorhaben entwickelt Methoden und Verfahrensweisen, die die Stärkung der zivilen Steuerung und demokratischen Kontrolle des Sicherheitssektors unterstützen. Vom SV erfolgreich erprobte Methoden und Instrumente werden den deutschen Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt. Die Entwicklungszusammenarbeit hat in den vergangenen Jahren ihre Handlungsfelder auf die Bekämpfung der strukturellen Ursachen und Hemmnisse von Entwicklung erweitert . Besondere Bedeutung wird in neuerer Zeit dabei den politischen Faktoren beigemessen . Das Stichwort „Good Governance“ bringt zum Ausdruck, dass es kaum einen Bereich des politischen Systems gibt, der nicht entwicklungspolitisch relevant ist. So ist auch der Sicherheitssektor ein wichtiges Feld, das die Enwicklungszusammenarbeit künftig systematischer berücksichtigen sollte. Ein Beispiel: Seit 2003 unterstützt die GTZ – auf der Ebene des Präsidialamtes des Staatspräsidenten von Aserbaidschan – die aserische Regierung bei der Erstellung eines - 9 - neuen nationalen Sicherheitskonzeptes. Die GTZ leistet inhaltliche und prozedurale Beratung, abgestützt durch Seminare und Workshops, und stimmt den Prozess national und international ab. Das Projekt wird in enger Abstimmung zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Verteidigung durchgeführt. Als bisheriger Erfolg sind die Vereinbarung eines individuellen Partnerschaftsaktionsplans mit der NATO, bei dem es neben verteidigungspolitischen Aspekten auch um Fragen der Sicherheitssektorreform im breiten Sinne geht, und die Einrichtung einer interministeriellen Arbeits- und Expertengruppe durch den Präsidenten zu verbuchen, die den Textentwurf für das Sicherheitskonzept erarbeitet und die Abstimmung zwischen den Ministerien gewährleistet . (GTZ Sicherheitssektorreform http://www.gtz.de/de/themen/uebergreifendethemen /krisenpraevention/8206.htm) 4.2. Afghanistan Die erstmals Anfang 2003 von den USA in Afghanistan eingesetzten "Provincial Reconstruction Teams" (PRTs) sind ein neues Instrument der Internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung des Peace-, Nation- und State-Building in Post-Konflikt- Gesellschaften. Eine deutsches PRT ist seit Ende 2003 in Kunduz und Feyzabad im Einsatz. Das erste deutsche Einsatzkontingent in Kunduz wurde am 6. Januar 2004 unter die „International Security Assistance Force“ (ISAF) unterstellt. Sein Auftrag ist die Unterstützung der afghanischen Zentralregierung in den vier Nordprovinzen Kunduz, Taloquan, Baghlan und Badakhsan. Neu ist darin, dass die Bundeswehr hier innerhalb des PRT mit Vertretern des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums des Inneren und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eng kooperiert. Geführt wird das PRT Kunduz von einer „Doppelspitze“, bestehend aus einem militärischen Kontingentführer und einem Diplomaten des Auswärtigen Amts. Eine Studie der SWP untersucht Struktur, Aufgaben und Arbeitsweise der deutschen PRTs, setzt sich mit den Hauptkritikpunkten an Konzept und Praxis auseinander und bietet einen Ausblick auf die Leistungsfähigkeit der PRT-Strategie und ihre Übertragbarkeit auf künftige Nation-Building-Operationen und Hilfsaktionen zur Bewältigung großer Naturkatastrophen. Dabei kommt sie zu folgender Einschätzung: „Deutschland und seine Partner sehen sich beim Nation-Building vor allem zwei Problemen gegenüber: der Knappheit an personellen, finanziellen und politischlegitimatorischen Ressourcen und dem Mangel an Konzepten und Instrumenten, die zivile und militärische Aufgaben so effizient wie möglich bewältigen helfen. PRTs sollen dazu beitragen, die nur begrenzt zur Verfügung stehenden Soldaten, Diplomaten, zivilen Experten und finanziellen Mittel möglichst optimal zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau des gescheiterten Staates einzusetzen. PRTs eröffnen der Außen- und - 10 - Sicherheitspolitik mit ihrer einzigartigen Integration ziviler und militärischer Handlungsformen neue Möglichkeiten. Sie werden dann ihre Synergien voll entfalten können , wenn die zivilen und militärischen Akteure bereits in der politischen Einsatzplanung und in der schulenden Einsatzvorbereitung zusammenwirken. Die Einsatzergebnisse der PRTs sollten in einer zentralen Nation-Building-Datenbank erfasst und durch Praktiker wie Wissenschaftler gemeinsam aufbereitet werden.“ (SWP 2005). 5. Offene Fragen Hinsichtlich der Definition und der Zweckmäßigkeit des Konzeptes der menschlichen Sicherheit in der praktischen Anwendung in der Entwicklungspolitik besteht noch Diskussionsbedarf . Dies zeigt u. a. ein Workshop des ZEF in Bonn, bei dem es um einen Überblick über die Stärken und Schwächen der Konzepte „Menschliche Sicherheit“, „Good Governance“ und „Strukturelle Stabilität“ und ihre mögliche Verknüpfung bzw. Überlappung ging. Bauen sie aufeinander auf oder konkurrieren sie eher miteinander ? Wo liegt die empirische Relevanz der Konzepte? Inwieweit halten sie der Überprüfung anhand von Fallbeispielen stand? Wie entwickelt ist die Beratungsfunktion der Konzepte? Kann man auf ihrer Basis konkrete handlungsleitende Empfehlungen gegenüber Entscheidungsträgern abgeben? Im Ergebnis der Tagung wurde festgestellt: „Insbesondere durch die jährliche Veröffentlichung seines ‚Human Development Report’ vertrete das UNDP einen Sicherheitsbegriff , dessen Indikatoren den Schwerpunkt von der ‚nationalen Sicherheit’ auf das Wohlergehen des Individuums verlagerten. Diese Umdeutung habe den Vorteil, den Fokus auf den einzelnen Menschen als normative Letztbegründung politischen Handelns zu legen. Nachteil des Konzeptes sei jedoch seine sehr breite, inklusive Definition . Dies führe auch zu einer starken Überlappung mit dem Begriff der ‚Menschlichen Entwicklung’ bzw. menschenrechtlicher Postulate und somit zur Vermischung der Kategorien . Menschliche Sicherheit sei als Begriff zwar durch den Bericht der Commission on Human Security (2003) etwas enger umrissen worden, die Begriffe verfügten jedoch noch immer nicht über hinreichende Trennschärfe. Weiterhin kritisierte Debiel, dass in der Umsetzung von Menschlicher Sicherheit zu viel Wert auf lokale und globale Mechanismen gelegt werde, der Staat als eigenständiger Akteur und als Scharnier zwischen diesen Ebenen jedoch vernachlässigt werde. Somit ergäben sich nur wenige Möglichkeiten zur operativen Umsetzung, die konkrete Herausbildung der erforderlichen Schutzmechanismen werde nicht miteinbezogen. Schließlich seien keine Prioritäten gesetzt worden, mit denen man im Konfliktfall die unterschiedlichen Ziele auch im Verhältnis zueinander bewerten könne. Der Begriff ‚Strukturelle Stabilität’ sei in der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre zunächst im Development Assistance Committee (DAC) der OECD entstanden und später innerhalb der EU aufgegriffen worden. Er be- - 11 - schreibe einen Zustand dynamischer Stabilität, in dem Gesellschaften qua ihrer Institutionen Wandlungsfähigkeit besäßen, ohne auf Gewalt zurückzugreifen. Der Begriff sei klar von ‚Regimestabilität’ und anderen Termini des sicherheitspolitischen Diskurses abgegrenzt und gehe über die Projektorientierung der Entwicklungspolitik hinaus. Allerdings sei Strukturelle Stabilität v. a. am ‚Ideal’ eines westlich-industrialisierten Nationalstaates orientiert.“ (Menschliche Sicherheit, Good Governance und Strukturelle Stabilität. ZEF 2003). Hinsichtlich Afghanistans wurden von den Diskussionsteilnehmnern unterschiedliche Einschätzungen wiedergegeben Auch auf einer Konferenz des Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin (JDZB zu dem Thema „Human Security and Development Assistance", die von der Japanese International Cooperation Agency (JICA) und dem Bonn International Center for Conversion (Internationales Konversionszentrum Bonn, BICC) veranstaltet wurde, gab es unterschiedliche Positionen. Ogata Sadako6, Präsidentin der JICA, Praktiker aus verschiedenen Entwicklungshilfe-Organisationen sowie Wissenschaftler diskutierten die praktische Relevanz des Konzeptes der menschlichen Sicherheit in seiner Formulierung und Anwendung in der Entwicklungspolitik – insbesondere in Bezug auf Länder in Konfliktsituationen . Die Konferenz kam zu dem Ergebnis, dass es möglicherweise noch verfrüht sei, über menschliche Sicherheit als „gemeinsame Strömung“ zu sprechen, solange ihre präzise Bedeutung nicht eindeutig feststehe. Auch wurde auf unterschiedliche Definitionen von menschlicher Sicherheit hingewiesen, die einmal „Freiheit von Furcht“ und „Freiheit von Mangel“ beinhalteten und damit eine große Bandbreite an Entwicklungs- und Sicherheitspunkten einschlössen, oder aber sich auf "Freiheit von Furcht" beschränkten. Die Konferenz beschäftigte sich mit den wichtigsten Argumenten der aktuellen Debatte über das Konzept der menschlichen Sicherheit und mit Fallstudien von Konfliktsituationen (Afghanistan und die subsaharischen Länder Afrikas). Ogata stellte die Kernthese des Abschlussberichtes mit dem Titel „Human Security Now“7 der VN-Kommission für Menschliche Sicherheit vor, dass es nicht einfach um die Abwesenheit militärischer Gewalt gehe, sondern um dynamische Aspekte, wie z.B. friedensbildenden Maßnahmen , Menschenrechte, Verringerung von Armut, Förderung von Bildung und Gesundheit . Da es bei der praktischen Anwendbarkeit eines solchen weiter gefassten Sicherheitsrahmens um ein einsatzfähiges Werkzeug zur Formulierung und Ausführung politischer Maßnahmen gehe, gebe es laut Ogata zwei sich gegenseitig bestärkende Konzep- 6 VN-Hochkommissarin für Flüchtlinge von 1991 bis 2000 und ehemalige Co-Vorsitzende der Kommission für Menschliche Sicherheit der Vereinten Nationen. 7 Dieser Bericht war im Mai 2003 VN-Generalsekretär Kofi Annan überreich worden. - 12 - ten ruht. Das erste kann man als "Schutz" bezeichnen. Dieses Konzept hat eher das traditionelle Verständnis von Sicherheit, das sich auf Strukturen und Institutionen stützt, die notwendig sind, Menschen vor Gewalt zu schützen, geht die Probleme also "von oben nach unten" an. Das bedeutet, dass Maßnahmen eine Stärkung gesetzlicher Regelungen einschließen, Transparenz und Zuverlässigkeit staatlicher Institutionen etablieren und demokratische Strukturen unterstützen. Das zweite Konzept dagegen, von Frau Ogata als "Selbstbefähigung" (empowerment) bezeichnet, stellt die Menschen als Akteure und Teilnehmer bei der Definierung und Ausführung ihrer Stärken und Hoffnungen ins Zentrum. Diese doppelte Herangehensweise mit Schutz und Selbstbefähigung sei vor allem dann hilfreich, wenn es darum gehe, die vielen verschiedenen Entwicklungshilfemaßnahmen zu bündeln, die in der Phase des Übergangs vom Krieg zum Frieden notwendig seien, d.h. gleiche Aufmerksamkeit gegenüber dem Aufbau von Institutionen sowie dem Empowerment von Gemeinwesen (Human Security and Development Assistance (2005). 6. Anlagenverzeichnis Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Hg.: BMZ. /Bonn Juni 2005 (BMZ Konzepte 131). http://www.bmz.de/de/service/infothek/fach/konzepte/konzept131.pdf (Anlage 1) Mahnkopf, Birgit (2003). Zum Konzept der human security und zur Bedeutung globaler öffentlicher Güter für einen gerechten Frieden. (http://www.petra-kellystiftung .de/sites/va_texte/Mahnkopf.pdf). (Anlage 2) Menschliche Sicherheit, Good Governance und Strukturelle Stabilität: Hilfslose Konzepte in Zeiten des Staatsverfalls? Eine Überprüfung anhand von Nepal, Äthiopien, Afghanistan und Nordkorea. Workshop Dokumentation: 20.-21.11.2003 HG:. Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Bonn. Zusammengestellt von Daniel Lambach, Florian Kühn und Ulf Terlinden A Workshop organized by: Zef Bonn in collaboration with: Center for Development Research, University of Bonn ad DIE, Bonn (http://www.diegdi .de/die_homepage.nsf/6f3fa777ba64bd9ec12569cb00547f1b/fa66ed1ab3b8efd6c125 6ce100431e37/$FILE/2003-11-20ZEF-DIE-WS-Doku-final.pdf). Anlage 3 Erster Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung – Sicherheit und Stabilität durch Krisenprävention gemeinsam stärken. Unterrichtung durch die Bundesregierung . Deutscher Bundestag Drucksache 16/1809 Zugeleitet mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2006 (Anlage 4) - 13 - 7. Literatur- und Anlagenverzeichnis Debiel, Tobias / Werthes, Sascha (2005): Human Security: Vom politischen Leitbild zum integralen Baustein eines neuen Sicherheitskonzepts?, in: Sicherheit + Frieden, 1/2005, 7-14. Debiel, Tobias (o.J.).Erweiterte versus menschliche Sicherheit? Zur Notwendigkeit eines integrierten Sicherheitskonzepts o.O. (http://www.glow-boell.de/media/de/txt_rubrik_3/Debiel_autorisiert.pdf=) Erster Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung – Sicherheit und Stabilität durch Krisenprävention gemeinsam stärken. Unterrichtung durch die Bundesregierung . Deutscher Bundestag Drucksache 16/1809 Zugeleitet mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2006 Globale öffentliche Güter - für menschliche Sicherheit und Frieden / [Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V.]. Hg. Birgit Mahnkopf - Berlin : BWV Berliner Wissenschafts -Verl., 2003. - 217 S. - (Wissenschaft in der Verantwortung). Human Security and Development Assistance. / Menschliche Sicherheit und Entwicklungshilfe (2005). Konferenz aus Anlass des zwanzigjährigen Jubiläums der Stiftung „Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin (JDZB)“Veranstaltet in Berlin mit Unterstützung der Japanese International Cooperation Agency (JICA) und dem Bonn International Center for Conversion (Internationales Konversionszentrum Bonn, BICC). (http://www.jdzb.de/ja13/Veroeffentlichungen.nsf/webecho/A2FBE9D1B2EE7DF5 C12571060054AAD0?OpenDocument). Kaul, Inge Menschliche Sicherheit : ein neuer Sicherheitsrat wird gebraucht / Inge Kaul. - In: Nord-Süd-Politik an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend / Roland Röscheisen (Hg.). - Unkel/Rhein. - S. 101 - 116. – Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Hg.: BMZ. /Bonn Juni 2005 (BMZ Konzepte 131). (http://www.bmz.de/de/service/infothek/fach/konzepte/konzept131.pdf). Mahnkopf, Birgit (2003). Zum Konzept der human security und zur Bedeutung globaler öffentlicher Güter für einen gerechten Frieden. 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Zusammengestellt von Daniel Lambach , Florian Kühn und Ulf Terlinden A Workshop organized by: Zef Bonn in collaboration with: Center for Development Research, University of Bonn ad DIE, Bonn (http://www.diegdi .de/die_homepage.nsf/6f3fa777ba64bd9ec12569cb00547f1b/fa66ed1ab3b8efd6c1 256ce100431e37/$FILE/2003-11-20ZEF-DIE-WS-Doku-final.pdf). Schmuck, Michael (2005).Die deutschen Provincial Reconstruction Teams Ein neues Instrument zum Nation-Building SWP-Studie 2005/S 33, November 2005, - 14 - Sicherheitssektorreform. Hintergrund, Ansatz, Ergebnisse, Kooperation. (Hg.: GTZ Eschborn 2005 (http://www.gtz.de/de/themen/uebergreifende-themen/krisenpraevention/7027.htm). Schneckener, Ulrich (2004): States at Risk. Fragile Staaten als Sicherheits- und Entwicklungsproblem . Diskussionspapier. Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, März 2004. (http://www.swpberlin. org/common/get_document.php?id=796> )- Stather, Erich (2003). 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