Die Haltung der deutschen Bundesregierung zum rechtlichen Status Tibets - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 2 - 182/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Die Haltung der deutschen Bundesregierung zum rechtlichen Status Tibets Kurzinformation WD 2 - 182/06 Abschluss der Arbeit: 17.10.2006 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Politische Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und Deutschland Die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik China haben am 11. Oktober 1972 diplomatische Beziehungen aufgenommen. Seitdem sind die Kontakte zwischen den beiden Staaten immer „vielfältiger und enger“ geworden – sie werden heute als „freundschaftlich und gut“ bezeichnet. China ist mittlerweile der wichtigste Wirtschaftspartner Deutschlands in Asien, Deutschland ist Chinas wichtigster Handelspartner in Europa.1 Deutschland vertritt ebenso wie seine EU-Partner eine „Ein China- Politik“.2 2. Die „Ein China-Politik“ Die „Ein China-Politik“ bedeutet für die Volksrepublik China, dass Taiwan sowie sämtliche Festlandgebiete des Staates (darunter die Insel und die Provinz Hainan, die autonomen Gebiete Innere Mongolei, Tibet und Xinjiang) untrennbare Teile des chinesischen Territoriums darstellen. Bereits am 1. Oktober 1949, als die Volksrepublik ausgerufen wurde, gab die zentrale Volksregierung Chinas gegenüber den Regierungen aller Länder folgende Stellungnahme ab: „Unsere Regierung ist die einzige legitime Regierung , die das gesamte Volk der Volksrepublik China vertritt. Unsere Regierung ist bereit , mit jeder ausländischen Regierung, die gewillt ist, an den Prinzipien der Gleichberechtigung , des gegenseitigen Nutzens und der gegenseitigen Achtung der Souveränität und der territorialen Integrität festzuhalten, diplomatische Beziehungen aufzunehmen“.3 An dieser Position hält die chinesische Regierung bis heute fest. 1 Auswärtiges Amt. Im Internet unter: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen /China/Bilateral.html; Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit . Im Internet unter: http://www.bmz.de/de/laender/partnerlaender/china/index.html. 2 Auswärtiges Amt. Im Internet unter: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen /China/Bilateral.html. 3 Vgl. Weißbuch “Das Ein China Prinzip und die Taiwanfrage“, Amt des Staatsrates für die Angelegenheiten Taiwans und Presseamt der Volksrepublik China , 1993. - 4 - 3. Der Status Tibets 3.1. Der Status Tibets nach der Verfassung der Volksrepublik China Gemäß der Verfassung der Volksrepublik China vom 4. Dezember 19824 wird in Tibet das System der nationalen Gebietsautonomie praktiziert (vgl. Art. 30 Ziff. 1). Nationale Gebietsautonomie bedeutet, dass unter der einheitlichen Staatsführung in den von nationalen Minderheiten bewohnten Gebieten Organe eingerichtet werden, die das Autonomierecht ausüben. Von der Staatengemeinschaft wird die innerstaatliche Gliederung als interne Angelegenheit eines Staates betrachtet, sie fällt somit in den Bereich der inneren Souveränität.5 Bereits im September 1965 wurde die erste Plenarsitzung des I. Volkskongresses des Autonomen Gebiets Tibet abgehalten und das Autonome Gebiet Tibet offiziell proklamiert.6 3.2. Der völkerrechtliche Status Tibets In der völkerrechtlichen Literatur werden bezüglich des Status Tibets unterschiedliche Auffassungen vertreten. Insbesondere wird die Frage diskutiert, ob Tibet völkerrechtlich Teil des chinesischen Staatsverbundes ist. Dies sei nur der Fall, wenn das Gebiet entweder schon vor der militärischen Besetzung durch die chinesische Volksbefreiungsarmee im Jahr 1949/50 diesen Status gehabt oder wenn China anschließend einen wirksamen Gebietstitel erworben habe.7 Viele Staaten bemühen sich um die Sicherung menschenrechtlicher Standards sowie um einen Autonomiestatus für die tibetische Bevölkerung. Zugleich wächst jedoch auch die Bereitschaft der Staaten, den chinesischen Gebietsanspruch auf Tibet faktisch anzuerkennen .8 Bei der Tibet-Entschließung des Deutschen Bundestages am 20. Juni 1996 haben sowohl der Bundesminister des Auswärtigen, Klaus Kinkel, als auch die Sprecher der verschiedenen Parteien klargestellt, dass sie ungeachtet ihrer Kritik an der Lage der 4 In englischer Übersetzung in: A.P. Blaustein/G.H. Flanz (Hrsg.), Constitutions of the Countries of the World, „People’s Republik of China“. 5 , Die Situation Tibets aus staats- und völkerrechtlicher Sicht, Ausarbeitung WF III- 64/96 v. 23. Juli 1997, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Berlin, S. 15. 6 Chinesische Botschaft in der Schweiz. Im Internet unter: http://www.china-embassy.ch/ger/ztnr/ xzzzq/xz7/t136057.htm.; Vgl. auch Art. 4 Abs. 3 und 4 der chinesischen Verfassung: „Regional autonomy is practised in areas where people of minority nationalities live in compact communities; in these areas organs of self-government are established for the exercise of the right of autonomy. All the national autonomous areas are inalienable parts of the People’s Republic of China”. 7 Vgl. dazu ; Heberer, in: Außenpolitik 1995, S. 299 ff.; . 8 Herdegen, S. 172 Rn. 10. - 5 - Menschenrechte in Tibet davon ausgehen, dass Tibet ein Teil des chinesischen Staatsverbandes ist. Die Entschließung unterstützt die Ausgestaltung einer Autonomie, die die Erhaltung der kulturellen und religiösen Identität des tibetischen Volkes sicherstellt.9 Nach Aussage des Auswärtigen Amtes unterhalten, bis auf wenige Ausnahmen10, fast alle Staaten diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China. Voraussetzung dafür sei die Akzeptanz der „Ein China-Politik“, die auch die Anerkennung Tibets als Teil des chinesischen Staatsgebietes umfasst. Nur wenige Staaten haben eine solche Anerkennung jedoch ausdrücklich separat erklärt.11 3.3. Die Haltung der Bundesregierung gegenüber Tibet In der völkerrechtlichen Literatur sowie in der Staatenpraxis bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob Tibet zwischen 1912 und 1950 den Status der Unabhängigkeit besaß. Zu dieser historischen Frage hat die Bundesregierung bisher keine Stellung genommen. Den Anlass für eine Stellungnahme der Bundesregierung zum völkerrechtlichen Status Tibets nach 1950 gab erstmals die Kleine Anfrage der Fraktion Die Grünen im Jahr 1986 zur menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Situation Tibets.12 Am 6. Oktober 1986 traf die Bundesregierung, vertreten durch den damaligen Bundesaußenminister , Hans-Dietrich Genscher, bezüglich des Status Tibets folgende Aussage: „In Übereinstimmung mit der gesamten Staatengemeinschaft, einschließlich des Nachbarlandes Indien, geht die Bundesregierung davon aus, dass Tibet Teil des chinesischen Staatsverbandes ist“.13 Ein expliziter Zusammenhang zwischen dieser Formulierung und einem bestimmten Ereignis in den deutsch-chinesischen Beziehungen ist nicht ersichtlich . Vor der Reise des Bundeskanzlers Helmut Kohl nach Tibet im Jahr 1987 erhielt die Abgeordnete Petra Kelly auf ihre schriftliche Frage, ob der Bundeskanzler „die ungeklärte völkerrechtliche Lage Tibets“ gegenüber der chinesischen Regierung zur Sprache bringen werde, von der Bundesregierung folgende Antwort: „Für die Bundesregierung wie für die gesamte Staatengemeinschaft ist geklärt, dass Tibet völkerrechtlich Teil des chinesischen Staatsverbandes ist“.14 Auch während seines Staatsbesuches in der Volks- 9 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bulletin v. 25.06.1996, Dok-Nr.: 96054. 10 Dazu zählen insbesondere Staaten Afrikas und Lateinamerikas. 11 , S.10. Am 29. April 1954 erfolgte eine entsprechende Erklärung durch Indien, am 20. September 1956 durch Nepal. 12 Kleine Anfrage der Fraktion Die Grünen zur menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Situation Tibets, BT-Drs. 10/5666 v. 16.Juni 1986. 13 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Grünen (BT-Drs-. 10/5666), BT-Drs. 10/6127 v. 8. Oktober 1986. 14 Vgl. die Antwort der Bundesregierung (vertreten durch Staatsminister Schäfer), BT-Drs. 11/608 v. 6. Juli 1987, Frage 6, S. 3. - 6 - republik China stellte der damalige Bundeskanzler Kohl heraus, dass Tibet ein Teil des chinesischen Staatsverbandes sei. In einem Presseinterview äußerte er sich zu dieser Frage wie folgt: „Das war nie von unserer Seite bestritten. Es wird von keinem Land der Welt bestritten, übrigens auch nicht von dem benachbarten Land Indien.“15 Im Rahmen der Tibetanhörung des Deutschen Bundestages im Jahre 1995 nahm das Auswärtige Amt für die Bundesregierung erneut zum völkerrechtlichen Status Tibets Stellung: „Die Bundesregierung achtet den Dalai Lama als Oberhaupt des lamaistischen Buddhismus. Seinen Anspruch, eine tibetische Exilregierung zu führen, erkennt die Bundesregierung in Übereinstimmung mit der gesamten Staatengemeinschaft nicht an. In Übereinstimmung mit der gesamten Staatengemeinschaft betrachtet die Bundesregierung Tibet als Teil des chinesischen Staatsverbandes [...]. Selbst wenn Tibet die Voraussetzungen eines unabhängigen Staates vorübergehend erfüllt haben sollte, was aus völkerrechtlicher Sicht weder eindeutig zu belegen noch zu widerlegen ist, bleibt festzuhalten , dass Tibet, von wenigen Ausnahmen abgesehen (Mongolei), jedenfalls die völkerrechtliche Anerkennung als Staat durch die Staatengemeinschaft versagt blieb“.16 Der damalige Außenminister Kinkel ergänzte diese Aussage in einem Interview vom 5. Juni 1996, indem er sagte: „Nach dem internationalen Recht ist die Bundesregierung verpflichtet, alles zu unterlassen, was als Unterstützung separatistischer Tätigkeiten, auch solcher der tibetischen Exilregierung auf deutschem Gebiet, ausgelegt werden könnte“.17 Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (BT- Drs. 15/3534) zur Tibet-Politik der Regierung im Jahr 2004 ging hervor, dass sie den Anspruch Tibets auf Autonomie, vor allem im kulturellen und religiösen Bereich, als „Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des tibetischen Volkes“, unterstützt. Ein Recht Tibets auf Lösung aus dem chinesischen Staatsverband werde „in Übereinstimmung mit der Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft“ damit jedoch nicht anerkannt. Zudem werden die früher getätigten Aussagen der Regierung, wie bspw. die Nichtanerkennung der Exilregierung Tibets in Dharamsala (Indien), erneut bekräftigt.18 15 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Interview mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl v. 14. Juli 1987. 16 Vgl. Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law. Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995. Im Internet unter: http://www.mpil. de/publ/en/Prax1995/praxb95_4.cfm. 17 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Express-Interview mit dem damaligen Außenminister Klaus Kinkel v. 5. Juni 1996. 18 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (Drs. 15/3534) v. 27. Juli 2004 (BT-Drs. 15/3630), S. 2. - 7 - 4. Völkerrechtliche Grundlagen 4.1. Anerkennung von Staaten und Regierungen Das Entstehen und die Existenz von Staaten wird – abgesehen vom Fall der Annexion – grundsätzlich unter Effektivitätsgesichtspunkten bestimmt. Überwiegend wird die Auffassung vertreten, dass die völkerrechtliche Anerkennung durch bestehende Völkerrechtssubjekte für die Existenz eines Staates unerheblich ist.19 Unter Anerkennung versteht man die einseitige Erklärung eines bestehenden Völkerrechtssubjekts, dass es sich bei dem anerkannten Herrschaftsverband um einen Staat im Sinne des Völkerrechts handelt.20 Mithin käme der Anerkennung lediglich eine deklaratorische und keine konstitutive Wirkung zu.21 Diese Bewertung wird teilweise als unbefriedigend empfunden, was einige Staaten dazu veranlasst, entweder die Existenzberechtigung des Staates oder dessen völkerrechtliche Vertretung zusätzlich von ihrer Anerkennung abhängig zu machen .22 Denn die fehlende Anerkennung der Regierung bewirkt eine faktische Einschränkung der externen Souveränität, da sie eine faktische Handlungsunfähigkeit nach außen zur Folge hat. Diplomatische Beziehungen, die Repräsentation in internationalen Organisationen etc. sind ohne Anerkennung des Staates oder seiner völkerrechtlichen Vertretung ausgeschlossen.23 4.2. Die staatliche Souveränität Grundlage für die zwischenstaatlichen Beziehungen ist die Souveränität der Staaten. Gemeinhin wird darunter die Unabhängigkeit des Staates gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten verstanden. Die Souveränität beschreibt nach herrschender Auffassung die Staatsgewalt und ist damit ihre Eigenschaft. Sie bedeutet die Fähigkeit, eine Ordnung auf dem Staatsgebiet zu organisieren (Verfassungsautonomie = innere Souveränität ) und nach außen selbstständig und von anderen Staaten rechtlich unabhängig im Rahmen und nach Maßgabe des Völkerrechts zu handeln (äußere Souveränität).24 Das 19 Heintschel von Heinegg, S. 51 Rn. 90; Ipsen, S. 267 ff. 20 Ipsen, S. 266 Rn. 22; Die Nichtanerkennung eines Staates bedeutet nicht, dass zwischen den betroffenen Subjekten keinerlei Rechtsbeziehungen bestehen, sondern nur, dass der übliche völkerrechtliche Verkehr, etwa die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, nicht stattfindet und sich die betreffenden Subjekte gegenseitig nicht als Völkerrechtssubjekte behandeln. 21 Zum Streit über die Rechtswirkungen der Anerkennung von Staaten vgl. Ipsen, S. 267 ff. 22 Heintschel von Heinegg, S. 51 Rn. 90. 23 Heintschel von Heinegg, S. 52 Rn. 96. 24 , S. 7. - 8 - Konzept der Souveränität hat drei Auswirkungen, die alle in Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen (VN-Charta) verankert sind: 1. Die Staaten sind formell gleichgestellt (Art. 2 Ziff. 1 VN-Charta). 2. Ihre territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit sind unverletzlich (Art. 2 Ziff. 4 VN-Charta). 3. Die VN haben – mit Ausnahme der Zuständigkeit aufgrund von Kapitel VII VN- Charta – keine Befugnis, in „Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“, einzugreifen (Art. 2 Ziff. 7 VN-Charta, Prinzip der Nichteinmischung). 4.3. Dismembration und Sezession Die Dismembration (Auseinanderfallen) eines Staates führt zum völligen Untergang des ursprünglichen Völkerrechtssubjekts.25 Dagegen versteht man unter Sezession (Abspaltung ) einen Fall der Staatennachfolge, bei dem ein Teilgebiet unabhängig wird und der alte Staat – wenn auch mit nunmehr verkleinertem Staatsgebiet – als Völkerrechtssubjekt fortbesteht.26 Die Sezession resultiert aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, das grundsätzlich ein Recht zur Staatenbildung einschließt. Sie geht nicht vom gesamten Staatsvolk des von der Sezession betroffenen Staates aus, sondern notwendigerweise von einer kleineren Einheit, in der Regel von einem Volk im ethnischen Sinne. Voraussetzung dafür, dass die neue Einheit einen Staat bildet, ist eine tatsächliche Unabhängigkeit .27 Dies bedeutet, dass die Herrschaftsgewalt eine ausreichende Stabilität und Effektivität aufweisen muss. Ein wesentlicher Anhaltspunkt bei der Beurteilung dieser Frage kann die Anerkennung durch dritte Staaten sein. Im Zusammenhang mit Sezessionen kommt der völkerrechtlichen Anerkennung daher eine besondere Bedeutung zu. Mit der Anerkennung eines aus einer Sezession hervorgegangenen Staates wird politisch unterstützend Stellung genommen und bekundet, dass hier ein auf das Selbstbestimmungsrecht gestütztes Sezessionsrecht besteht, dem der bisherige Inhaber der Gebietshoheit keinen Titel territorialer Souveränität mehr entgegensetzen kann.28 Allerdings ist das Instrument der Anerkennung nicht unproblematisch, da die Anerkennung eines sezessierten Staates bei Aufrechterhaltung des Herrschaftsanspruches des Altstaa- 25 Heintschel von Heinegg, S. 39 Rn. 69. 26 Zum Folgenden Ipsen, S. 421 Rn. 8. 27 Zum Folgenden Hailbronner, in: Graf Vitzthum, S. 201 Rn. 167. 28 , S. 8. - 9 - tes als eine vorzeitige Anerkennung angesehen werden kann, die ein völkerrechtliches Delikt in der Form einer Intervention in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates darstellt.29 Jedoch bewirkt eine vorzeitige Anerkennung noch nicht die Entstehung eines neuen Staates und auch nicht die Legitimität einer neuen Regierung.30 Schwierig zu beurteilen ist die Situation auch dann, wenn Unabhängigkeitsbestrebungen aufgrund des Selbstbestimmungsrechts gewaltsam durchgesetzt werden sollen. Um solche Konflikte zu vermeiden, muss ein Ausgleich zwischen der territorialen Integrität und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker gefunden werden (z.B. durch die rechtzeitige Gewährung eines Autonomiestatus).31 Das Spannungsverhältnis der Sezession zur territorialen Integrität – und damit zur Souveränität – des Staates wird durch die starke Zurückhaltung der Staaten bestätigt, einseitige Sezessionen außerhalb der Entkolonisierung zu akzeptieren.32 Trotzdem gibt es bislang keine Norm, die ein Sezessionsrecht ausdrücklich bejahen oder verbieten würde. Auch die Staatenpraxis erlaubt bisher keine Rückschlüsse auf die Herausbildung gewohnheitsrechtlicher Regeln bezüglich der Sezession .33 29 Ipsen, S. 425 Rn. 15, S. 271 f. Rn. 34. 30 Ipsen, S. 272 Rn. 35. 31 Hailbronner, in: Graf Vitzthum, S. 191 Rn. 120. 32 Zum Folgenden Ipsen, S. 423 Rn. 11. 33 , S. 9. - 10 - 5. Literaturangaben Graf Vitzthum (2004): Völkerrecht, 3. Aufl., Heidelberg. Heberer, Thomas (1995): Die Tibet-Frage als Problem der internationalen Politik, in: Außenpolitik III/95, S. 299-309. Heintschel von Heinegg, Wolf (2004): Casebook Völkerrecht, München. Herdegen, Matthias (2006): Völkerrecht, 5. Aufl., München. (1987): Welche Gesichtspunkte sprechen gegen eine völkerrechtlich wirksame Eingliederung Tibets in den chinesischen Staatsverband? Ausarbeitung WF II – 163/87 v. 12. August 1987, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Berlin. Ipsen, Knut (2004): Völkerrecht, 5. Aufl., München. (2006): Völkerrechtliche Aspekte sog. „frozen conflicts" (wie Kosovo, Kaukasus, Transnistrien, Taiwan), Ausarbeitung WF II – 056/06, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Berlin. (1997): Die Situation Tibets aus staats- und völkerrechtlicher Sicht, Ausarbeitung WF III-64/96 v. 23. Juli 1997, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Berlin. Weißbuch (1993): „Das Ein China Prinzip und die Taiwanfrage“, Amt des Staatrates für die Angelegenheiten Taiwans und Presseamt der Volksrepublik China.