Gendermainstreaming, Frauen und Globalisierung - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 2 - .181/06/ Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserin: Gendermainstreaming, Frauen und Globalisierung Kurzinformation WD 2 – 181/06 Abschluss der Arbeit: 29. September 2006 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Einleitung 3 2. Der Marie Schlei Verein 3 3. Arbeitsbedingungen von Frauen im Zeitalter der Globalisierung 4 3.1. Ein Beispiel aus der Textilproduktion 5 3.2. Was kann man tun? 6 4. Die Rolle der Bildung für die Verbesserung der Situation von Frauen 7 Exkurs: Gesundheit und Gender 10 4.1. Ein Mut machendes Beispiel aus Marokko 11 4.2. Ein Beispiel aus Pakistan: Ein Schulplatz für alle 12 5. Schlussbemerkung 13 6. Literaturverzeichnis 13 - 3 - 1. Einleitung Die Debatte um das Verhältnis von Globalisierung und Gender wird im deutschsprachigen Raum erst seit Mitte der neunziger Jahre intensiv geführt. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Frage nach der Rolle und Bedeutung von Geschlechterverhältnissen in den Globalisierungsdebatten kaum von Interesse. „Auf der Basis einer geschlechtersensiblen Analyse der vielfältigen und widersprüchlichen Globalisierungsprozesse wird offenbar, wie unterschiedlich diese auf die betreffenden Geschlechterverhältnisse und je konkreten Lebenslagen von Frauen (und Männern ) wirken. Diese Beobachtungen bekräftigen noch einmal die von der Gender- Forschung mittlerweile etablierte Auffassung, daß von einer sozial homogenen Gruppe von Frauen nicht ausgegangen werden kann.“ (Frank 2005). So gibt es nicht die „Gewinnerinnen“ oder „Verliererinnen“ von Globalisierung , es ist vielmehr zu beobachten, wie sich „Gender mit anderen sozialen Verhältnissen wie Klasse , Ethnizität, Nationalität, Sexualität, Familienstand, Alter usw. strukturierend und hierarchisierend verbindet. In ihren verschiedenen Kombinationen werden diese sozialen Merkmale in neuer und verschärfter Weise zu Hebeln der individuellen und kollektiven Positionierung im gesellschaftlichen Raum.“ (Frank 2005). Es gibt viele Beispiele für negative Auswirkungen der Globalisierung auf die Situation von Frauen, wie im folgenden dargelegt werden wird. Es gibt aber auch viele Beispiele für erfolgreiche Bewältigungen von bzw. engagierte Aktionen gegen diese negativen Folgen. 2. Der Marie Schlei Verein Eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, die sich mit der Situation von Frauen in Ländern der sog. Dritten Welt beschäftigt, ist der Marie-Schlei-Verein e.V. Er wurde 1984 in Erinnerung an die frühere Entwicklungshilfeministerin Marie Schlei gegründet. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, über die Lage der Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika zu informieren und partnerschaftliche Beziehungen zu den Frauengruppen und Frauenorganisationen in den dortigen jeweiligen Ländern aufzubauen. Ein weiteres wichtiges Aktionsfeld stellt die Unterstützung von Frauenausbildungsprojekten zur Verbesserung der Lebensbedingungen dar: Die Förderung von Frauenausbildung ist ein Schritt zur Armutsbekämpfung. In bereits über 300 Selbsthilfeprojekten konnte der Marie-Schlei-Verein Frauen in ihrem Kampf ums Überleben unterstützen. - 4 - Die Projekte und die Art der Ausbildung sind dabei so vielseitig wie die Frauen, die sie planen und durchführen. Allen ist das Ziel gemeinsam, Frauen in die Lage zu versetzen, sich selbst zu helfen, um eine bessere Zukunft für sich und ihre Familien zu erreichen.. Landwirtschaftliche Ausbildung und die Anpflanzung eigener Gemüsegärten, Verarbeitung und Konservierung von Gemüse und Früchten, Herstellung von Speiseöl, Viehprojekte , Fischzucht und -verarbeitung, handwerkliche Ausbildung, Salzgewinnung, Hebammenausbildung oder die Ausbildung zu Kleinunternehmerinnen - all das sind gelungene Beispiele für entsprechende Aktivitäten von Frauen. Aufgrund der Bedeutung von Vermarktungsstrategien und Geschäftsführung werden Kurse zur Kosten-Nutzen- Rechnung, Buchführung, Warenpräsentation und Verkaufstechniken, Informationsveranstaltungen zum Bankwesen und Geschäftsaufbau, Alphabetisierungskurse und Seminare über die Rechte der Frau begleitend zu viele der genannten Projekte des Marie Schlei Vereins angeboten.1 3. Arbeitsbedingungen von Frauen im Zeitalter der Globalisierung Die Enquete-Kommission des deutschen Bundestages „Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten“ hat in ihrem Abschlussbericht Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung auf die Situation von Frauen eindrucksvoll charakterisiert ; „Rücksichten auf Kultur, Umwelt und soziale Ausgewogenheit drohen unter dem Druck des Kostenwettbewerbs in den Hintergrund gedrängt zu werden. Und die internationale Arbeitsteilung geschieht streckenweise nach dem Gesichtspunkt, an welcher Stelle der Welt diese Rücksichten die geringste Rolle spielen! Die Verhandlungsposition der schwächsten Glieder der Weltgesellschaft und ihrer politischen Vertretungen ist bedrohlich unter Druck geraten. Auffallend und besorgniserregend ist die Tatsache, dass vielfach insbesondere Frauen zunehmend in neue, oft bedrohliche und entwürdigende Abhängigkeiten geraten. Globalisierung wirkt zum Teil sehr ungleich auf die konkreten Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Frauen und Männern, wodurch insbesondere viele arme Frauen in Entwicklungsländern Gefahr laufen, sowohl kurz- als auch langfristig eher zu den Verliererinnen der Globalisierung zu zählen.“ (http://www.bundestag.de/gremien/welt/glob_end/n1.html) Welche Auswirkungen hat die Globalisierung nun konkret auf die Situation und Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen in Entwicklungsländern? 1 Weitere Informationen unter: http://www.marie-schlei-verein.de/. - 5 - Für Frauen stellen sich die negativen Auswirkungen der Globalisierung u.a. wie folgt dar: Die Ungleichheiten zwischen den Löhnen von Männern und Frauen steigen, genauso wie die Teilung des Arbeitsmarktes nach Geschlecht, was bedeutet, dass Frauen auf Arbeitsplätze mit dem niedrigsten Status und den geringsten Qualifikationen verwiesen werden. Frauen arbeiten länger und härter, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wobei gleichzeitig ihre Verantwortung für die Haus- und Familienarbeit nicht weniger geworden ist. Frauen machen bis zu 90% der 27 Millionen Arbeitnehmer in den Sonderwirtschaftszonen 2 aus, wo die Arbeitsbedingungen am allerschlimmsten sind. Hier müssen Frauen Zwangsschwangerschaftstests, sexuelle Belästigung, ungünstige Umwelt- und Gesundheitsbedingungen , monotone und oft gesundheitsgefährdende Arbeit sowie extreme Arbeitsplatzunsicherheit ertragen. Zudem werden Frauen in Krisenzeiten als erste entlassen , kontinuierliche Arbeitsverhältnisse bleiben vielerorts ein Privileg der Männer. Auch Prostitution ist ein trauriges Kapitel im Arbeitsalltag von Frauen in der Globalisierung : Schätzungen zufolge betragen die Gewinne im Frauen- und Kinderhandel weltweit vier Milliarden Dollar jährlich. Millionen junger Frauen in der Welt werden zu niedrigsten Löhnen eingestellt, um gleich wieder entlassen zu werden, wenn sie heiraten oder eine Familie gründen. Frauenarbeitsplätze gehen als erste verloren, wobei die Frauen dann oft in noch marginalere Arten der Erwerbstätigkeit gezwungen werden, oder auswandern müssen, um Arbeit zu finden. Allerdings ist – wenn man den Blick unter dem Gender-Aspekt erweitert – zu konstatieren , dass das prekäre und unregelmäßige Muster der Frauenerwerbstätigkeit zunehmend auch zum Muster für Männer im Zusammenhang mit globalisierten Arbeitsbedingungen wird. 3.1. Ein Beispiel aus der Textilproduktion Gerade in der Textilproduktion3 zeigt sich, wie internationale Produktion und Handel die Lebensbedingungen von Frauen beeinflussen: Mit T-Shirts, Jeans, Jacken und Turnschuhen tragen wir ein Stück Globalisierung mit uns. Ein Blick auf die Etiketten zeigt, dass Kleidung meist schon eine Weltreise hinter sich hat, bevor sie in unseren Schränken landet: Der Pulli kommt aus Kambodscha oder Bangladesh, die Hose aus Tunesien und die Schuhe aus El Salvador. Besonders arbeitsintensive Herstellungsschritte der 2 Sonderwirtschaftszonen wurden in mehreren Ländern eingerichtet, darunter die Volksrepublik China , Indien, Nordkorea, Russland, Vietnam, Polen und Kasachstan. 3 Weitere Beispiele stellen die Blumenproduktion in Lateinamerika und im südlichen Afrika dar (siehe dazu unter FairTrade: http://www.transfair.org/). - 6 - Textilproduktion, wie das Nähen, werden dort erledigt, wo die Lohnkosten sehr niedrig sind. Produziert wird dort, wo die Armut so groß und die Alternativen so gering sind, dass Menschen bereit sind, für sehr wenig Geld unter schlechtesten Bedingungen zu arbeiten. Viele Entwicklungsländer sind deshalb wichtige Produktionsstätten für die Textilindustrie, in deren Firmen oft außerhalb der einschlägigen Arbeitsrechts- und Arbeitsschutzbedingungen produziert wird. „Ein Schlüsselbegriff der Kleidungsproduktion ist der ‚Sweatshop’. Sweatshops sind Firmen, in denen Waren schnell und billig für den globalisierten Markt produziert werden, meist ohne Rücksicht auf die Rechte der Arbeitnehmer /innen.4 ... Sweatshops geraten immer wieder in die Schlagzeilen, da es wegen katastrophaler Sicherheitsstandards häufig zu Unfällen kommt. Ein Beispiel: In Bangladesh sind über 50 Arbeiterinnen in einer brennenden Textilfabrik gestorben. Weil ein Aufseher das Haupttor der Firma verschlossen hatte und zahlreiche Fenster vergittert waren, konnten sie nicht aus dem Gebäude fliehen. Sweatshops sind meist im Besitz von lokalen Subunternehmern und gehören nicht direkt zu einem der großen Konzerne. Dadurch sind Textilkonzerne extrem flexibel: Sind sie mit der Leistung eines Zulieferers nicht zufrieden, können sie ihre Ware ohne Umstände anderswo produzieren lassen – in einer anderen Region, einem anderen Land oder einem anderen Kontinent.“ (Globalisierung hautnah 2005: http://www.fairjobbing.net/downloads/FairTradeundTextilien.pdf?sessfairj=55734496fc a1550dc19a95490c0f9ccc#search=%22globalisierung%20frauen%20arbeitsbedingung %22). 3.2. Was kann man tun? Verantwortungsbewusste und gut informierte Verbraucher/innen könne etwas bewegen. Deshalb haben sich in diesem bereich eine Vielzahl von NGO engagiert: So setzt z.B. auch die „Kampagne für Saubere Kleidung“ (Clean Clothes Campaign/CCC)auf die Macht der Verbraucher: „Alle Unternehmen, mit denen sich die CCC bislang öffentlich beschäftigte, interessierten sich bis zum Zeitpunkt der kritischen Anfragen überhaupt nicht für die Ausbeutung ihrer Näherinnen, ja sie reagierten zunächst nicht einmal auf die Kritik. Erst als sich der Druck erhöhte, baten sie um einen Dialog und suchten nach unterschiedlichen Wegen, um aus der Defensive zukommen.“ Eine wirklich „saubere“ Konsumalternative gibt es bei Kleidung allerdings noch nicht. Schritt für Schritt verän- 4 Es sind vor allem Frauen, die in Sweatshops schuften. Das ist kein Zufall: Konzerne und Subunternehmen greifen auf herrschende Geschlechterstereotypen zurück und nutzen diese zu ihrem Vorteil. Was das bedeutet? Zum Beispiel, dass Frauen weniger verdienen, weil vorausgesetzt wird, dass sie bloß einen kleinen Beitrag zum Familieneinkommen leisten. Grund Nummer zwei, warum vor allem Frauen für die schweißtreibende, monotone Arbeit gerne eingestellt werden, ist, dass sie sich seltener gewerkschaftlich organisieren. Da die Arbeit in den Sweatshops häufig die erste bezahlte Tätigkeit der Frauen ist, organisieren sie sich kaum und lassen sich leichter beeinflussen. - 7 - dert sich aber wenigstens ein Teil der Branche: Öffentlicher Druck bringt manche Unternehmen dazu, sich ihrer sozialen Verantwortung zu stellen. Und das bedeutet, dass die wirtschaftlichen und sozialen Rechte von Frauen n der Textilindustrie ein Stückchen mehr respektiert werden.“5 6 Viel erreicht wäre, wenn sich weltweit alle Unternehmen und Regierungen an die Richtlinien und Abkommen z.B. der International Labour Organisation (ILO) oder der VN halten würden, in denen die Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen unter Schutz gestellt werden. Vor allem die ILO setzt sich für die Einhaltung grundlegender Arbeitnehmerrechte ein: für die Gewährleistung sozialer Arbeitsbedingungen, für das Recht auf freie Gewerkschaften , für die Unterbindung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit sowie für das Verbot von Zwangsarbeit. Durch maßgeschneiderte Länderprogramme sollen die zentralen Ziele der ILO vorangebracht werden: die Einhaltung der Arbeits- und Sozialstandards , bessere Beschäftigungschancen für Frauen und Männer sowie die Schaffung von sozialen Sicherungssystemen. Ebenfalls vorgesehen sind Initiativen zur Förderung der sozialen Verantwortung von Unternehmen („corporate social responsibility “) und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Sonderwirtschaftszonen und im informellen Sektor.7 8 4. Die Rolle der Bildung für die Verbesserung der Situation von Frauen Globalisierung stellt erhöhte Anforderungen an Frauen und Männer im Hinblick auf Mobilität, Bildung und Ausbildung. Wie UNIFEM in einem umfangreichen Report festgestellt hat, sind Frauen besonders betroffen, da sie weltweit die Hauptlast ökonomischer Wandlungsprozesse zu ertragen, wie Arbeitslosigkeit, ungleiche Arbeitsverhältnisse und die Schwächung staatlicher Transferleistungen, was sich besonders im Bildungs - und Gesundheitsbereich bemerkbar macht . (http://www.bundestag.de/gremien/welt/glob_end/n1.html) 5 Weitere Informationen unter: www.saubere-kleidung.de/index.htm sowie unter www.oneworld.at/cck und www.ci-romero.de/ 6 Auch Terre des femmes engagiert sich für soziale Rechte von Textilarbeiterinnen. (Weitere Infos unter http://www.terre-des-femmes.de). 7 Weitere Informationen unter www.ilo.org/ 8 Vermehrt wird über Versuche der gewerkschaftlichen Organisation gegen die Arbeitsbedingungen der transnationalen Konzerne berichtet. „Durch Einbeziehung der letzten Winkel der Erde in den Weltmarkt wurden Frauen aller Kulturen und ethnischen Gruppen mit global-patriarchaler Politik konfrontiert, erhielten andererseits aber auch Anstöße zu widerständiger Organisierung", schreibt die Journalistin Anja Ruf. Auch Brigitte Young weist darauf hin, dass sich mit der Globalisierung auch eine Schwächung von lokalen, patriarchal geprägten Kulturen zum Vorteil von Frauen verbinden könne.“ (Frank 2005). - 8 - „Ich bin Analphabetin, ich bin wie eine blinde Person“, sagt eine arme Frau aus Pakistan . Weltweit gibt es 862 Millionen Jugendliche und Erwachsene, die nicht lesen und schreiben können. 121 Millionen Kinder - ein Fünftel aller Kinder im schulpflichtigen Alter - haben keine Möglichkeit, zur Schule zu gehen. Menschen den Zugang zu Bildung zu verwehren, heißt, ihnen ein elementares Menschenrecht zu nehmen. Ohne Bildung ist menschliche Entwicklung nicht möglich. Sie zu fördern, ist deshalb eine wichtige Aufgabe der internationalen und deutschen Entwicklungspolitik. Die Notwendigkeit, Bildung und Ausbildung zu fördern, lässt sich eindrucksvoll an der Situation in Afrika darstellen. Erste Analysen zeigen, dass die Entwicklungsfortschritte hinsichtlich der Millennium Development Goals (MDG) starke regionale Unterschiede aufweisen. Während zum Beispiel die Kernziele im östlichen Asien, in Lateinamerika und in Nordafrika im Durchschnitt voraussichtlich erreicht werden können, zeigt sich schon jetzt, dass – abgesehen von Teilzielen, die in einigen Ländern erreichbar erscheinen – in Afrika südlich der Sahara die Millenniumsziele bei gleich bleibenden Trends nicht verwirklicht werden können. Bei der Entwicklung der Armutszahlen zeichnet sich zwar ein positiver Allgemeintrend ab, aber das rasante Wachstum der Weltbevölkerung relativiert viele Erfolge (Millennium Development Goals: Progress Report 2004). Der jährlich vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen herausgegebene Human Development Report mit seinem Human Develpoment Index (HDI) sowie der ebenfalls jährlich erscheinende Weltentwicklungsbericht der Weltbank nehmen eine ausführliche Analyse der bisher erreichten Ergebnisse vor. Außerdem hat die Weltbank unter dem Titel „MDGs: From Consensus to Momentum“ im April 2005 ihren zweiten Global Monitoring Report9 veröffentlicht . Er stellt fest, dass die Fortschritte bei der Umsetzung der MDGs langsamer und regional ungleicher als ursprünglich erwartet waren, wobei Subsahara-Afrika die größten Schwierigkeiten hat. Auch die Gesundheits- und Bildungsziele (Halbierung der Kinder- und Müttersterblichkeit und Grundschulbildung für alle) werden beim derzeitigen Stand der Anstrengungen von den meisten Ländern nicht erreicht werden. Allerdings gibt es aus Afrika diesbezüglich auch positive Signale: Ruanda, Uganda, Mali, Malawi, Mosambik und Tansania werden das Bildungsziel erreichen; Mosambik sogar auch das Armutsziel. Der Bericht schlägt daher einen Fünf-Punkte-Plan vor, mit dem die MDG in den nächsten zehn Jahren durch mehr Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer , durch ein besseres Umfeld für privatwirtschaftliches Wachstum, die Besei- 9 Ein weiterer aktueller Bericht zur Umsetzung der MDG ist der „Millennium Development Goals Report 2005“. Er enthält regionale und globale Mittelwerte hinsichtlich der Umsetzung der MDG. Eine ausführlichere Version des Berichtes, die detaillierte Daten und Analysen enthält ist unter dem Titel “Progress towards the MDGs, 1990-2005“ verfügbar. - 9 - tigung von Handelsbarrieren und die Verdoppelung der Entwicklungshilfe der Industriestaaten doch noch realisiert werden sollen. 10 Es gibt bei allem bisher nicht Erreichten doch auch Fortschritte zu vermelden und vor allem sollte man auf den bewundernswerten Mut und Ideenreichtum der Afrikaner und insbesondere der afrikanischen Frauen bauen. Die Mädchen- und Frauenbildung gilt als Schlüssel zur Entwicklung afrikanischer Länder , denn sie ist eine wichtige Grundlage für die wirtschaftliche Eigenständigkeit. Frauen , die einen Schulabschluss haben, können selbst beruflich tätig werden und sind nicht vom Lohn der Männer abhängig. Sie können in die Ausbildung ihrer Kinder investieren und ihre gesundheitliche Versorgung gewährleisten, zumal die Bevölkerung in vielen afrikanischen Ländern die Schulbildung und medizinische Behandlungen selbst bezahlen muss. Ländervergleiche belegen, dass die Schulbildung junger Frauen ein wichtiger Faktor ist für die Reduzierung der Geburtenrate und einen vergleichsweise guten Lebensstandard . Beim Zugang zu bzw. dem Erweb von Bildung haben Mädchen in Afrika bislang mit zahlreichen Diskriminierungen zu kämpfen: Sei es der Widerstand ihrer Väter gegen den Schulbesuch, seien es diskriminierende und sexistische Lehrer sowie Geschlechterstereotypen in Schulbüchern und Unterrichtsinhalten. Auch sexuelle Belästigungen durch Mitschüler und Lehrer beeinträchtigen die schulischen Erfolge der Mädchen ganz massiv, wie aktuelle Studien etwa für Südafrika oder Zimbabwe belegen. Ein weiteres Problem stellen Schwangerschaften und HIVInfektionen dar: Sie bedeuten nicht nur ein Ende der Schulbildung, sondern stellen auch die gesamten Lebensperspektiven der Mädchen aufs Spiel. In diesem Kontext ist auf das Phänomen der sogenannten „sugar daddies“ hinzuweisen. Es bezieht sich auf ältere, vergleichsweise wohlhabende Männer, die sexuelle Beziehungen mit Mädchen eingehen und ihnen dafür Geschenke geben oder sogar einen Anteil des Schulgeldes bezahlen. Angesichts der grassierenden Armut vieler Eltern ist dies für viele Mädchen die einzige Möglichkeit, das Schulgeld aufzubringen. Hinzu kommt, dass wegen der steigenden HIV-Infektionen Männer möglichst junge Sexualpartnerinnen suchen, um eine Ansteckung zu vermeiden – oder mit Bezug auf verbreitete AIDS- Mythen sich von ihrer Krankheit zu „heilen“. Häufig werden die Schülerinnen auf diese Weise infiziert. 10 Gerade in Afrika arbeitet der Marie Schlei Verein im Bildungsbereich intensiv mit afrikanischen Partnerinnen vor allem in ländlichen Regionen zusammen, so unterstützt er in Guinea ein Integriertes Ausbildungszentrum sowie dezentrale Werkstätte. - 10 - Schließlich haben hochqualifizierte junge Frauen vielerorts Probleme, einen Ehepartner und einen Arbeitsplatz zu finden, da sie dem klassischen Rollenbild nicht entsprechen. . Dementsprechend gering ist die Zahl von Wissenschaftlerinnen und von Frauen in Führungspositionen , die häufig mit Sozialneid und massiven Anfeindungen konfrontiert sind. Umso wichtiger ist der Rückhalt durch Familienmitglieder, um die damit verbundenen Probleme zu meistern.“ (Schäfer 2004). Exkurs: Gesundheit und Gender Das Gesundheitswesen gehört zu den wenigen Bereichen, in dem die professionelle Ausbildung von Afrikanerinnen gesellschaftlich akzeptiert ist und Frauen ein sicheres Einkommen ermöglicht wird. Allerdings sind die Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt, denn die große Mehrheit arbeitet als Krankenschwestern, nur wenige als Ärztinnen. Dies ist u. a. durch Rollenmuster, aber auch durch eingeschränkte Bildungsangebote und Berufsfelder während und nach der Kolonialzeit bedingt, die dazu beitrugen, das Medizinwesen als Männerdomäne zu etablieren, obwohl in vorkolonialer Zeit viele Frauen als Heilerinnen tätig waren und große gesellschaftliche Anerkennung genossen. Die reproduktive Gesundheit, die Familienplanung und HIV/AIDS sind zentrale Themen mit Gender-Bezug, die auch eine enorme politische Brisanz haben, wenn man z.B. die Kontroversen über HIV/AIDS in Südafrika verfolgt. Sie bezieht sich u.a. auf den Zugang zu Medikamenten an staatlichen Krankenhäusern für Vergewaltigte und für HIV-positive Mütter, aber auch auf die Ursachen der Krankheit und einen damit verbundenen Verhaltenswandel der Männer. (Schäfer 2004). Der eingeschränkte Zugang von Frauen zum Gesundheitswesen und die mangelhafte medizinische Grundversorgung von Müttern und Kindern sind zentrale Entwicklungshemmnisse , die die wirtschaftlichen Kapazitäten beeinträchtigen. In Ländern mit einer hohen AIDS-Rate kommen Belastungen aufgrund der Versorgung und Pflege von AIDS-Patienten hinzu, die auf die Frauen abgewälzt werden. Sexuelle und körperliche Gewalt verstärken die Problemlage, da Gewaltandrohungen und Gewaltanwendungen die Verhandlungsmacht der Frauen in sexuellen Fragen, z.B. die Verwendung von Kondomen , drastisch reduzieren. Geschlechtsspezifische Gewalt ist somit ganz unmittelbar ein Gesundheitsproblem. Wenn man die damit verbundenen Folgekosten und mittelbzw . langfristigen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen einbezieht, wird klar, dass es sich auch um ein gravierendes Entwicklungsproblem handelt. Dennoch nehmen die Menschen diese Probleme keineswegs passiv hin, sondern in vielen Länder haben sich inzwischen zivilgesellschaftliche Gruppierungen gebildet, die als „AIDS-Awareness“- Gruppen präventive Aufklärungsarbeit leisten oder als „Home-Based Care“-Gruppen Frauen bei der Pflege von AIDS-Patienten unterstützen, zumal die meisten keine Medikamente bezahlen können. Auf nationaler und internationaler Ebene fordern AIDS- - 11 - Netzwerke und Frauen-Rechtsorganisationen den Zugang zu Medikamenten und argumentieren mit grundlegenden Menschenrechten. 4.1. Ein Mut machendes Beispiel aus Marokko Ziel des im folgenden beschriebenen Projektes, das die GTZ im Auftrag des BMZ in Marokko durchführt, ist die Integration des Genderansatzes in die marokkanische Wirtschafts - und Sozialpolitik. Politischer Träger ist das marokkanische Staatssekretariat für Familie, Jugend und Behinderte; die Gesamtlaufzeit beträgt sechs Jahre (Juni 2003 bis Mai 2009). Ausgangssituation: Marokkos Bevölkerung ist durch zunehmende Armut sowie starke Disparitäten zuungunsten der Frauen bezüglich Rechtsstatus, Grund- und Berufsbildung, Gesundheit, Erwerbstätigkeit, Einkommen und soziale Stellung gekennzeichnet. Ziel: Das Projekt befähigt staatliche Institutionen, Privatsektor und Nichtregierungsorganisationen , den Genderansatz in ihren Politiken und Programmen zu verankern und anzuwenden . Der Genderansatz wird in der Wirtschafts- und Sozialpolitik als Mittel zur Geschlechtergleichberechtigung eingesetzt. Teilweise aufgrund der Geschlechterdiskriminierung trifft die Armut deutlich mehr Frauen als Männer. So dient gender mainstreaming auch der Armutsminderung. Gender -sensible Planung von Wirtschafts- und Sozialpolitiken wird auf nationaler und regionaler Ebene erleichtert. Frauen werden als Arbeitnehmerinnen wachsende Chancengleichheit genießen und zunehmend gleichberechtigt von genderdifferenzierten Dienstleistungen profitieren. Außerdem werden sie befähigt, die ihnen nach dem neuen Personenstandsrecht zustehenden Rechte aktiv einzufordern. Die verbesserten Lebensbedingungen der Zielgruppe sind der entwicklungspolitische Nutzen. Vorgehensweise: Die Projektaktivitäten setzen auf Makro- (Politikberatung), Meso- (Institutionenberatung ) und Mikroebene (Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft) an. Fortbildungsmaßnahmen erhöhen die Fähigkeit der Mittler im Hinblick auf Strategieentwicklung und methodische Ansätze. Durch Politikberatung und die Erarbeitung von Instrumenten wird die Gleichberechtigung institutionell verankert. Eine nationale Strategie für gender mainstreaming wird partizipativ erarbeitet und umgesetzt. Studien, Fachinformationen und Jahresberichte über die geschlechter-differenzierte Armutssituation werden veröffentlicht . Ebenso werden Runde Tische und Workshops organisiert. Unkonventionelle Methoden wie Theaterstücke, oder Ausstellungen (Fotos, Karikaturen) werden zur Aufklärung der Bevölkerungsgruppen, vor allem Jugendlicher, genutzt. Mittlern wird Coaching und Fortbildungzyklen angeboten, um sie als „change agents“ für die gewünschten Änderungsprozesse zu qualifizieren. - 12 - Wirkung – Was bisher erreicht wurde: Eine nationale Gender-Strategie wurde entwickelt. Die meisten Initiativen zum Thema Geschlechtergleichberechtigung vollziehen sich nun in einem abgestimmten strategischen Rahmen. Somit erhöhen sich die Chancen auf Effizienz und nachhaltige Wirkung. Eine Reihe von Publikationen des Projekts zeigt die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beiträge von Frauen auf sowie dass diese bislang dennoch nur unzureichend an wichtigen Entscheidungen beteiligt sind. Die daraus gezogenen Schlussfolgerungen und denkbaren Alternativen zur bestehenden gesellschaftlichen Realität werden an Entscheidungsträger heran getragen. In Marrakesch wurden die Ausrichtung des kommunalen Haushalts auf Gender-Aspekte begonnen. Beim größten NRO-Netzwerk des Landes hat ein tiefgreifender Prozess des gender mainstreaming begonnen. Bei fünf großen Firmen wurden gender audits durchgeführt und daraus abgeleitet neue Arbeitspläne entwickelt und damit Fundamente für eine langfristige Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen gelegt. 4.2. Ein Beispiel aus Pakistan: Ein Schulplatz für alle Noch kann ungefähr die Hälfte der pakistanischen Bevölkerung nicht lesen und schreiben . Bei Frauen liegt die Quote sogar bei 73 Prozent, denn das Land hat eine sehr niedrige Einschulungsquote für Mädchen. Die Ursachen sind vielfältig: Kinderarbeit ist in armen ländlichen Gebieten noch immer weit verbreitet, Bildung wird als ein Luxus angesehen , der - wenn überhaupt - erst langfristig ein verbessertes Einkommen bieten kann. Zum deutschen Vorhaben der Technischen Zusammenarbeit „Pakistanisches Programm Grundbildung Nordwest“ gehören verschiedene seit 1994 laufende Einzelprojekte. Ziel ist es, mehr Kindern in der Nordwestgrenzprovinz den Zugang zu Bildung zu ermöglichen . Langfristig sollen alle Kinder die Möglichkeit bekommen, in die Schule zu gehen. Die GTZ unterstützt die Provinzregierung bei der Verbesserung der Unterrichtsqualität, bei der Entwicklung neuer Lehrpläne und Lehrmittel sowie beim Bau neuer Schulen. Das Lehrpersonal in Pakistan ist schlecht ausgebildet und schlecht bezahlt. Um das Lehrpersonal zu qualifizieren und zu motivieren, wurde das so genannte Kaskaden- System eingeführt: Trainer vermitteln ausgewählten Lehrern als Multiplikatoren neue didaktische Methoden und machen sie mit veränderten Lehrmaterialien und Lehrplänen vertraut. Diese Lehrerinnen und Lehrer geben dann ihr Wissen an die Kollegen weiter. Durch Unterrichtsbesuche wird anschließend überprüft, ob die neuen Methoden sinnvoll angewandt werden und erfolgreich sind. Auch die Lehrpläne werden fortentwickelt: Bisher gab es in Pakistan nur klassischen Frontalunterricht. Die Schülerinnen und Schüler mussten Lehrstoff einfach auswendig lernen. Nun sollen neue Elemente eingebracht werden, wie zum Beispiel Gruppenarbeit, auch wenn das bei den üblichen Klassengrößen von bis zu 50 Schülern keine leichte Aufgabe ist. Der Unterricht wird dadurch lebensnaher und die Kinder erkennen, wofür ihr erlerntes Wissen im Alltag gut sein kann. Im stark islamisch geprägten Land werden Jungen und Mädchen getrennt unterrichtet und Mädchenklassen mangels Kapazitäten vielfach nicht eingerichtet. Damit mehr Mädchen in die Schule gehen, müssen die Eltern überzeugt werden alle Kinder zur - 13 - Schule zu schicken. Und es müssen neue Klassen und Schulen entstehen. Lehrer- Elternbeiräte helfen, die Eltern und andere Angehörige an den Entscheidungen rund um die Schule zu beteiligen. Und sie erhalten finanzielle Unterstützung, um die schulische Infrastruktur zu verbessern. (Deutscher Beitrag: 3,2 Millionen Euro; Geplante Laufzeit: 2002 bis 2004). (Quelle: http://www.bmz.de/de/themen/bildung/projektschaufenster/pakistan.html). 5. Schlussbemerkung Solche Projekte und die erfolgreiche Arbeit von engagierten Nichtregierungsorganisationen sind Beispiele dafür, dass die Dinge nicht bleiben müssen, wie sie sind, aber auch, dass es eine langen Atem braucht, um Ausbeutung, ungerechte Arbeitsbedingungen und Entwicklungshemmnisse zu überwinden. Diese Hoffnung nährt sich nicht zuletzt auch aus den ersten Erfolgen einer weltweiten Mobilisierung und Vernetzung von Frauenorganisationen in den neunziger Jahren. Die transnationale Verknüpfung von Frauenorganisationen - und schließlich die „Vernetzung der großen Netze“, so wiederum Anja Ruf - "ist Produkt der Globalisierung und gleichzeitig ihre Perspektive.“ 6. Literaturverzeichnis BMZ: Förderung der Grundbildung in Entwicklungsländern – Sektorkonzept. BMZ- Konzepte Nr. 106 Frank, Susanne (2005). Globalisierung und Gender. Die Geschlechterverhältnisse in der Globalisierungsdebatte. http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_99/25/15a.htm#start Grundl, Eva (2005). Globalisierung bietet Chancen. Frauen sind die Aschenputtel in der Wirtschaft. Das Parlament Nr. 11 / 14.März Leitner, Sigrid; Ostner, Ilona (2000). Frauen und Globalisierung. Vernachlässigte Seiten der neuen Arbeitsteilung. Aus Politik und Zeitgeschichte B 48. Ruf, Anja (1998). Frauennetzwerke im Spannungsfeld von Globalisierung und Vielfalt. In: R. Klingebiel / S. Randeria (Hg.): Globalisierung aus Frauensicht, Bonn 1998 Schäfer, Rita (2004). Afrika – Gender-Aspekte bei der Darstellung eines Kontinents. Hg. Bundeszentrale für politische Bildung. Gender-Bibliothek. http://www.bpb.de/files/YW1W6A.pdf. (Hier finden sich auch eine Vielzahl weiterführender Literatuirhinweise). Schlussbericht der Enquete-Kommission „Globalisierung und Weltwirtschaft. - Herausforderungen und Antworten.“ BT-Drs. 14/9200 Wichterich, Christa (1998). Die globalisierte Frau. Hamburg Young, Brigitte (1998). Genderregime und Staat in der globalen Netzwerkökonomie. In: Prokla, Nr.111/