Deutscher Bundestag Zum Status Palästinas in den Vereinten Nationen Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3010 – 178/11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 178/11 Seite 2 Zum Status Palästinas in den Vereinten Nationen Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 – 3010 – 178/11 Abschluss der Arbeit: 26. September 2011 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 178/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die Anerkennung von Staaten und das Verfahren zur Aufnahme neuer Mitglieder in die Vereinten Nationen 4 2.1. Zusammenwirken von Sicherheitsrat und Generalversammlung 4 2.2. Bedeutung der Resolution „Uniting for Peace“ der Generalversammlung 5 3. Zum Status des Beobachterstaats in der Generalversammlung 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 178/11 Seite 4 1. Einleitung Am 23. September 2011 hat der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, um die Aufnahme Palästinas in die Vereinten Nationen ersucht. Damit wird eine Ankündigung umgesetzt, die Abbas am 16. Mai 2011 in einem Meinungsbeitrag in der New York Times gemacht hatte. 1 Erklärtes Ziel ist es, eine Anerkennung eines Staates Palästina in den Grenzen von 1967 zu erreichen. Bislang wird die Palästinensische Autonomiebehörde bei den Vereinten Nationen als Organisation mit ständigem Beobachterstatus geführt.2 Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird in seiner nächsten Sitzung am 26. September über den Antrag beraten. Dabei ist zu entscheiden, ob der Antrag an den zuständigen Ausschuss des Sicherheitsrats überwiesen wird oder die Behandlung des Antrags zunächst verschoben wird. Neben dem Antrag auf Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen ist in jüngerer Zeit auch diskutiert worden, eine Aufwertung des Status Palästinas über die Generalversammlung der Vereinten Nationen zu erreichen. 2. Die Anerkennung von Staaten und das Verfahren zur Aufnahme neuer Mitglieder in die Vereinten Nationen 2.1. Zusammenwirken von Sicherheitsrat und Generalversammlung Die Anerkennung eines Staates ist aus völkerrechtlicher Sicht ein Rechtsinstrument, mit dem der anerkennende Staat unter anderem erklärt, dass die objektiven Voraussetzungen für die Existenz des anerkannten Staates vorliegen.3 Auf diesem Wege können auch Zweifel hierüber zwischen den Beteiligten ausgeräumt werden.4 Eine Anerkennung in diesem Sinne können einzelne Organe der Vereinten Nationen nicht unmittelbar aussprechen. Eine etwaige politische Resolution, die eine Anerkennung befürwortet, hätte keine völkerrechtliche Verbindlichkeit für die Staaten. Ein Aspekt für die Beurteilung der völkerrechtlichen Lage ist allerdings die Praxis internationaler Organisationen mit Blick auf die Aufnahme neuer Mitglieder. Der Praxis der Vereinten Nationen kommt hierbei besondere Rele- 1 Abbas, The Long Overdue Palestinian State, NY Times Op-Ed v. 16. Mai 2011. 2 Die damit verbundenen Rechte wurden zuletzt in Res. A/52/1002 v. 4. August 1998 niedergelegt. Beobachterstatus genoss die PLO bereits seit 1974. 3 Die Anerkennung ist nach ganz überwiegender Ansicht aber nicht notwendig für die Existenz eines Staates. Zu den völkerrechtlichen Anforderungen an die Staatseigenschaft und den Auswirkungen einer Anerkennung durch andere Staaten siehe , Zum künftigen Status des Kosovo, Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung vom 28.11.2007, WD 2 – 3000 – 168/07, S. 7 ff. 4 Delbrück, in: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Auflage 1989, § 19, S. 186. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 178/11 Seite 5 vanz zu. Ein in die Vereinten Nationen aufgenommener Staat wäre von allen ihren Mitgliedern als Staat zu behandeln.5 Nach Art. 4 Abs. 2 der Charta der Vereinten Nationen (VN-Charta) erfolgt die Aufnahme neuer Mitglieder auf Empfehlung des Sicherheitsrats durch Beschluss der Generalversammlung. Die Empfehlung des Sicherheitsrats ist zwingende Voraussetzung für die Aufnahme eines Staates und unterliegt nach Art. 27 Abs. 3 VN-Charta dem Vetorecht der ständigen Mitglieder.6 Der Internationale Gerichtshof hat zudem den erheblichen Spielraum der Mitglieder des Sicherheitsrats bei der Anwendung der Aufnahmekriterien betont.7 Eine feste Frist, innerhalb derer der Sicherheitsrat über eine Empfehlung entscheiden muss, besteht nicht. Üblicherweise wird ein Aufnahmebegehren zunächst an einen Ausschuss des Sicherheitsrats verwiesen.8 Liegt eine Empfehlung des Sicherheitsrats vor, so erfordert die Aufnahme eines neuen Mitglieds einen Beschluss der Generalversammlung, welcher einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Staaten bedarf (Art. 18 Abs. 2 VN-Charta). 2.2. Bedeutung der Resolution „Uniting for Peace“ der Generalversammlung In Presseartikeln ist gelegentlich die Überlegung angeklungen, ob im Falle eines erwarteten Vetos durch die USA auf die sogenannte „Uniting for Peace“-Resolution aus dem Jahr 1950 zurückgegriffen werden könne, um einen Beschluss der Generalversammlung über die Anerkennung Palästinas zu erreichen.9 Mit ihrer Resolution 377 (V) vom 3. November 1950 („Uniting for Peace“-Resolution) beansprucht die Generalversammlung die Kompetenz, in Fällen internationaler Konflikte und zur Wahrung des Weltfriedens tätig zu werden, wenn der zuvörderst hierzu aufgerufene Sicherheitsrat aufgrund eines Vetos nicht handlungsfähig ist. Zudem wird niedergelegt, unter welchen Voraussetzungen die Generalversammlung außerordentliche Dringlichkeitssitzungen abhalten kann. Von dieser Möglichkeit hat die Generalversammlung im Laufe der Zeit wiederholt Gebrauch gemacht .10 So wurde auch die Anforderung des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs zur 5 Delbrück (Anm. 6), S. 186; Hailbronner/Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Auflage 2010, S. 147, Rn. 175. 6 Ginther, in Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, 2. Auflage 2002, Art. 4 Rn. 30 f., siehe auch IGH, Competence of the General Assembly for the Admission of a State (Advisory Opinion), ICJ Reports (1950), 8-10. Die Auffassung des Richters Alvarez (abw. Meinung, ebenda, S. 19 ff.), der bei missbräuchlicher Anwendung des Vetorechts der Generalversammlung eine Entscheidungsbefugnis zubilligen wollte, hat sich nicht durchgesetzt . 7 IGH, Conditions of Admission of a State (Advisory Opinion), ICJ Reports (1948) 56. 8 Rule 59 der Rules of Procedure. Dies eröffnet nach verbreiteter Ansicht eine gewisse Möglichkeit, eine Entscheidung bis zum Abschluss von Verhandlungen zu vertagen. Hierbei dürfte eine Rolle spielen, ob der jüngste Zeitplan des Nahost-Quartetts umgesetzt werden kann. 9 Monath/Nüsse, Palästinenserstaat entzweit Berlin und Paris, in: Der Tagesspiegel, v. 5.5.2011, S. 4. 10 Ausführlich zum Ganzen Binder, Uniting for Peace Resolution (1950), in Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition http://www.mpepil.com. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 178/11 Seite 6 Rechtmäßigkeit des Mauerbaus in den durch Israel besetzten Gebieten im Rahmen einer Dringlichkeitssitzung beschlossen. In seinem Gutachten hat der IGH diese Verfahrenspraxis gebilligt.11 Wie oben dargestellt ist für die Aufnahme neuer Mitglieder ein einseitiges Vorgehen der Generalversammlung nicht ausreichend. Vor diesem Hintergrund ist eine Übertragung der „Uniting for Peace“-Resolution auf das Aufnahmeverfahren nicht möglich. Sie ist auch zwischen 1946 und 1955 nicht angewandt worden, als beide Blöcke die Aufnahme neuer Staaten, die der jeweils anderen Seite zugerechnet wurden, blockierten.12 Unabhängig von der Durchführung eines Aufnahmeverfahrens könnten sich die Organe der Vereinten Nationen allerdings zur Ausrufung eines Staates Palästina politisch äußern.13 Insoweit wäre denkbar, dass beispielsweise auf die verfahrensrechtlichen Elemente der „Uniting for Peace“-Resolution zurückgegriffen wird, um eine außergewöhnliche Vollversammlung einzuberufen. 3. Zum Status des Beobachterstaats in der Generalversammlung Als Alternative zu einer Mitgliedschaft Palästinas in den Vereinten Nationen ist in der öffentlichen Diskussion auch die Aufwertung des bisherigen Beobachterstatus genannt worden. Danach solle Palästina ausdrücklich als Beobachterstaat geführt werden, wie dies vor ihrer Aufnahme zum Beispiel auch für die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz galt. Dieser Weg könnte auch nach einem gescheiterten Aufnahmeantrag noch beschritten werden.14 Die Verleihung des Status des Beobachterstaats kann die Generalversammlung beschließen. Welche Rechte mit einem solchen Status verbunden sind, wird jeweils in der Resolution, die mit der der Status beschlossen wird, niedergelegt. Als Orientierung böten sich im Fall Palästinas die Rechte an, die dem Heiligen Stuhl als dem derzeit einzigen Beobachterstaat zuerkannt sind.15 Unmittelbare Auswirkungen besäße die Zuerkennung dieses Status nur innerhalb der Generalversammlung selbst. Durch eine Resolution der Generalversammlung kann kein Staat verpflichtet werden, einen anderen Staat anzuerkennen.16 Eine Resolution kann jedoch möglicherweise als Staatenpraxis mittelbar völkerrechtliche Bedeutung entfalten, wenn in ihr die Rechtsüberzeugung der Staaten zum Ausdruck kommt, die ihr zugestimmt haben. Sie kann in diesem Sinne 11 IGH, Consequences of the Construction of a Wall on the Occupied Palestinian Territory (Advisory Opinion), ICJ Reports 2004, 136. 12 Dazu Ginther (Anm. 6), Art. 4 Rn. 9. 13 Zu möglichen Inhalten einer solchen Resolution, International Crisis Group, Curb Your Enthusiasm: Israel and palestine after the UN, Middle East Report No. 112, 12. September 2011, S. 9 ff. 14 Eine theoretisch denkbare Befassung der Generalversammlung parallel zu einem Aufnahmeverfahren dürfte zwar rechtlich wohl möglich sein, stieße aber wohl auf erhebliche politische Bedenken, vgl. International Crisis Group (Anm. 13), S. 7 f. 15 International Crisis Group (Anm. 13), S. 12. 16 Asseburg, Palästina bei den Vereinten Nationen, SWP-Aktuell 36/2011, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 178/11 Seite 7 jedenfalls als Indiz für das Verhalten eines Staates in anderen internationalen Organisationen gelten. Ob eine Zustimmung zu einer Zuerkennung des Status eines Beobachterstaats an Palästina zwingend eine Anerkennung als Staat umfasst, ist nicht abschließend geklärt. Einerseits ließe sich anführen, dass in einer solchen Zustimmung jedenfalls eine implizite Anerkennung liege. Andererseits ließe sich darauf verweisen, dass das Abstimmungsverhalten in der Generalversammlung von einer bilateralen Anerkennung zu unterscheiden sei.17 Dies hätte zur Konsequenz, dass ein Staat, der in der Generalversammlung der Verleihung des Status zugestimmt hätte, in anderen internationalen Foren durchaus Zweifel an der Staatlichkeit Palästinas zum Ausdruck bringen könnte.18 Insofern dürfte es insbesondere darauf ankommen, wie eine mögliche Resolution im Detail formuliert wäre. 17 Vgl. die Darstellung des Diskussionsstands in International Crisis Group (Anm. 13), S. 13, Fn. 82. Möglicherweise ließe sich eine solche Trennung durch eine Erklärung zur Abstimmung unterstreichen. 18 Zur Diskussion um die Staatlichkeit Palästinas und möglichen mittelbaren Folgewirkungen einer Resolution der Generalversammlung in anderen völkerrechtlichen Kontexten vgl. International Crisis Group (Anm. 13), S. 12, Fn. 81 und S. 19 ff.; Aus der (deutschen) völkerrechtlichen Literatur Sina, Der völkerrechtliche Status des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens nach den Osloer Verträgen, 2004; Hauswaldt, Der Status von Palästina, 2009.